Der Bitcoin

Gastbeitrag: Ein Nachruf zwischendurch - auf eine grandiose Schnapsidee

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wer sich für den Bitcoin interessiert, blickt derzeit gebannt auf den "Halfing-Day", der Anfang Mai ansteht. Die Blockbelohnung, seit 2018 Grundlage einer veritablen Bitcoin-Mining Industrie, wird dann programmgemäß halbiert. Wird der Kurs einbrechen oder weiter steigen? Wie wird die Krypto-Währung dastehen nach diesem Event? Dieser Beitrag widmet sich der Frage, was aus dem Bitcoin werden wird, indem er sich ansieht, was er warum geworden ist.

Wir schreiben das Jahr 2008. Satoshi Nakamoto hat ein Spielgeld programmiert - ohne Spiel. Es heißt "Bitcoin" und wird in einer verteilten Datenbank im Internet verwaltet. Das geschieht durch public-domain-Software auf den PC der Mitspieler, ohne eine zentrale Instanz. Schon ein Smartphone genügt, um mitzumachen. Man kann Bitcoins besitzen und sie einander überweisen, und keiner kann betrügen, weil alles kryptographisch abgesichert ist. Etwa alle zehn Minuten wirft die Software einen neuen kleinen Bitcoin-Betrag in die Datenbank, der einem der Mitspieler zugeordnet wird. Ja und?

Vom Spielgeld ohne Spiel zum Geld ohne Garanten

Das Spielgeld ist ganz ernst gemeint. Es will richtiges Geld werden. Es ist eine unerbetene Initiativbewerbung, mit der der Bitcoin aus einem Krypto-Winkel des Internet heraus neben die Gelder dieser Welt, neben Dollar, Euro und Renminbi tritt und behauptet, von der gleichen Art zu sein, Eigentum zu repräsentieren und Werte zu übertragen.

Ein kühner Anspruch, denn Geld ist ja kein Kühlschrank, bei dem man einfach ein weiteres Modell ins Angebot stellen kann. Geld regiert vielleicht nicht die Welt, wie man ihm nachsagt, aber nahe dran ist es schon. Es ist das Ziel allen Wirtschaftens, der Zugang zu jeder Art von Reichtum (wenn man es hat) und zugleich das universelle Hindernis vor dem Genuss alles Notwendigen und Schönen (wenn man es nicht hat). Es ist der unwiderstehliche Auftrag, es zu vermehren (wenn man es hat) und die unerbittliche Notwendigkeit, es zu verdienen (wenn man es nicht hat).

Ökonomen und Studienräte loben das Geld dafür, dass man alles damit kaufen kann - das ist der Zuckerguss auf dem stummen Zwang, dass man es erst einmal erwerben muss. Auf der einen Seite der Gesellschaft gibt es Geldreichtum, der keine Anlage findet, auf der anderen Seite ist zu wenig da für ein Dach über dem Kopf. Diese Scheidung der Gesellschaft leistet das Geld, weil eine Verfassung mit ihrer Garantie des Eigentums hinter ihm steht, denn Geld ist Reichtum schlechthin. Und nun taucht ein Möchtegern-Geld aus den Tiefen des Internet auf und behauptet: "Ich kann so etwas auch!"?

Mit Gedanken darüber, wie eine Gesellschaft beschaffen ist, in der das Geld "regiert", hat sich Satoshi Nakamoto wohl nicht beschäftigt. Er hat da eine Idee, wie man ein autonomes digitales Zahlungsmittel programmieren könnte, das den Anforderungen entspricht, die echtes Geld erfüllen muss. Wir sehen uns an, was er dafür tun muss.

Eine Buchführung für die ganze Welt

Digitales Geld? Ist doch eigentlich ganz einfach. Jeder von uns hat dann ein paar Dateien auf dem PC, die 5, 10, 20 oder 50 Euro darstellen. Kauft er etwas im Internet, schickt er eine E-Mail mit dem Geld als Anhang. Natürlich hat er die verschickten Dateien danach immer noch auf seinem PC, aber die kann er ja löschen. Sollte er jedenfalls … Hmm, ganz so einfach geht es vielleicht doch nicht. Was ausgegeben ist, muss weg sein - auf keinen Fall darf der Geldbesitzer hinterher eine Kopie behalten oder gar vorher zwanzig davon anlegen.

Im Lande Digitalien, wo das Kopieren nur einen Mausklick erfordert, ist Geld ein krasser Widerspruch zur wirklich privaten Verfügung. Digital soll das Geld sein und doch unkopierbar - das ist die Herausforderung für unseren Programmierer.

Wohlweislich vermeidet Nakamoto jede Form von Daten, die für sich irgendwie Geld darstellen sollen, die über jedermanns Computer zirkulieren und in den digitalen Hosentaschen der User schamlos vermehrt werden könnten. Von den Banken hat Nakamoto gelernt, dass Leute auch mit Geld umgehen können, ohne es je in der eigenen Hand zu halten. Bankguthaben sind Geld aus zweiter Hand, sie sind Zahlungsversprechen der Banken auf staatliches Geld (das Geld aus erster Hand).

Das braucht der Kunde zum Bezahlen gar nicht erst abzuheben, wenn der Geschäftspartner statt Bargeld eine Banküberweisung akzeptiert. Dann fließt dieses Geld aus zweiter Hand direkt von einem Konto auf das andere - und es bleibt dabei auch ganz in zweiter Hand, nämlich bei den Banken.

Nakamoto erfindet das Geld aus null-ter Hand. Er richtet eine weltweite Buchführung über Zahlungen mit fiktiven Einheiten, genannt Bitcoins, ein. Dieses globale Kassenbuch verzeichnet alle jemals geleisteten Zahlungen. Die dort verwalteten Bitcoins dürfen niemals ins Freie - allein das Kassenbuch gibt darüber Auskunft, wer Bitcoins bekommen und ob er sie wieder ausgegeben hat. Das ist etwa so, wie wenn alle Banken der Welt fusioniert hätten und diese Online-Megabank nun ihre eigenen Zahlungsversprechen zwischen den Kundenkonten aller Inhaber im Hause hin- und herschiebt.

Allerdings: Die Kontostände bei der Megabank wären immer noch Zahlungsversprechen, bei Verlangen einzulösen durch staatliches Geld. Ein Bitcoin-Guthaben laut globalem Kassenbuch dagegen verspricht nichts, was über es selbst hinausweist.

Konten im engeren Sinne werden gar nicht erst gebildet im globalen Kassenbuch. Die Einträge im Buch werden selbst wie Geldscheine behandelt. Wer Bitcoins ausgeben will, verweist auf die Buchung, laut der er sie bekommen hat. So besteht das digitale Geld aus nichts als einem endlosen Geflecht von protokollierten Übertragungen der Art: Hans hat von Georg Bitcoins bekommen, die zahlt er weiter an Liese und erhält soundsoviel Wechselgeld zurück. Gezeichnet: Hans

Mehr als solche Aufzeichnungen steckt nicht dahinter. Hans "hat" so viel Bitcoins, wie er laut Protokoll bekommen und nicht schon wieder ausgegeben hat. Um das herauszufinden, braucht er ein Stück Software, das ihm seinen Bitcoin-Bestand aus dem Kassenbuch zusammenrechnet und das metaphorisch Wallet genannt wird.

Meins ist meins und wer bin ich?

Jeder Teilnehmer hat über sein Wallet Zugriff auf das Kassenbuch; jeder kann Bitcoins wieder ausgeben, die er erhalten hat; die Einzahlungen an andere müssen für ihn tabu sein. Auf die Ehrlichkeit von Hans möchte man sich da nicht verlassen. Im Gegenteil, es muss es schlicht unmöglich gemacht werden, dass jemand anderer Leute Zahlungseingänge im Kassenbuch als sein Geld verwendet.

Geld ist zwar privater Besitz - aber dass Besitz keine Privatsache ist, sondern ein Recht, das eine höhere Hand garantiert, merkt man spätestens dann, wenn man es programmieren will. Dabei reicht es in der realen Welt nicht aus, dass Hans selber weiß, wer er ist und was ihm gehört - er muss sich ausweisen mit seiner staatlich gestifteten Identität und dann seinen Besitzanspruch belegen. Umso penibler, je höher der Geldbetrag ist, um den es geht. Wie verbindet man Identität und Eigentum in einer digitalen Welt ohne Pass und Polizei?

Nakamotos Lösung mutet geradezu romantisch an - sie erinnert an das Schicksal des Piraten, der kühn das Recht ignoriert und doch dem Eigentum hinterherjagt. So hat der Pirat kein Land, das ihm sichere Heimstatt bietet und keine Justiz, die seinen Reichtum schützt. Daher vergräbt er seine Beute auf einer entlegenen Insel und muss nun die Schatzkarte eifersüchtig hüten. Verliert er sie oder wird sie entwendet, ist sein Reichtum verloren. Nicht anders ergeht es Bitcoin-Besitzern.

Nakamoto ersetzt die Einheit von ausgewiesener Rechtsperson und exklusiver Verfügung über ihr Eigentum durch ein Paar von kryptographischen Schlüsseln. Der öffentliche Schlüssel P vertritt die Identität der Rechtsperson Hans. An ihn (also an P) wird ein Betrag eingezahlt. Gibt Hans den Betrag wieder aus, "signiert" er die Überweisung mit seinem geheimen Schlüssel Q. Nur Hans kennt zu P das passende Q und kann diese kryptographische Unterschrift leisten - das verschafft ihm den exklusiven Zugriff.

Wie eine Schatzkarte muss Hans bis dahin den privaten Schlüssel vor jedermann verstecken - geschützt im Wallet oder noch sicherer offline auf einem USB-Stick. Dann und nur dann ist garantiert, dass er allein über die an ihn eingezahlten Beträge verfügt. Verliert er den Stick oder wird sein Wallet gehackt, hilft es nicht, auf das Kassenbuch zu verweisen, das den Zahlungseingang an seinen Schlüssel P belegt. Hans kann ohne Q nicht beweisen, dass P seine digitale Identität ist. Ohnehin hört ihm keiner zu. Wo kein Richter ist, ist auch kein Klagen.

Verbucht in alle Ewigkeit

Die Buchhalter einer Bank sind auf redlichen Umgang mit Kundengeldern verpflichtet. Das Kassenbuch dagegen wird verteilt im Internet geführt. Jeder Interessierte kann sich an der Buchführung beteiligen, indem er Nakamotos Software auf seinem Rechner installiert, der sich in einem Peer-to-Peer-Netzwerk mit allen anderen Bitcoin-Installationen verbindet. Keiner dieser Rechner ist unersetzlich, keiner hat besondere Rechte. Mit den Wallets der Teilnehmer angestoßene Überweisungen werden zu Blöcken zusammengefasst, geprüft und eingetragen.

Die Buchführung erfolgt automatisch durch die Software - nach festen Regeln, nichts darin ist geheim und alles kann von jedermann überprüft werden. Nur ändern darf man nachträglich nichts. Sonst könnte Hans, nachdem er ein mit Bitcoin bezahltes Menü verspeist oder eine Flugreise absolviert hat, die eigene Zahlung dafür nachträglich löschen. Dann könnte er laut Kassenbuch erneut über den Betrag verfügen, und der Empfänger hätte ihn nie bekommen. "Bezahlt ist bezahlt!", lautet die Anforderung aus der Welt des wahren Geldes, die es zu erfüllen gilt. Wir brauchen eine digitale Form der in Stein gemeißelten Buchführung der Pharaonen.

Nakamoto macht die Einträge im Kassenbuch unveränderbar. Jeder Block verbuchter Zahlungen bekommt eine Prüfsumme, die im folgenden Block mit eingetragen wird. Damit kann er nicht mehr geändert werden, ohne dass diese Prüfsumme ungültig wird und dadurch die Fälschung offenbar. So bilden die Blöcke eine Kette, die an ihrem aktuellen Ende immer weiter wächst und in der jeder Block seinen Vorgänger sichert. Bekannt geworden ist das Kassenbuch als die Blockchain, benannt nach der Datenstruktur, die Nakamoto dafür kreiert hat.

45 Seiten Programmcode für die Unverletzlichkeit des Geldes

Wir sind noch nicht fertig mit Nakamotos Programmierkunst, aber der Leser merkt schon, worauf es hinausläuft: Mit dem Anliegen, Nakamotos Spielgeld die Eigenschaften des wirklichen Geldes zu geben, stößt man darauf, dass alles, was uns am vertrauten Geld so selbstverständlich ist, ein Werk hoheitlicher Gewalt, von Rechtsaufsicht und Rechtsdurchsetzung darstellt.

Geradezu verrückt erscheint die Idee, so etwas ohne jede Berufung auf höheres Recht nachzubilden. Das ist nämlich die eigentliche Herausforderung: Was die staatliche Hoheit an ihrem Geld garantiert, das muss bei einem Geld ohne Garanten, wie Nakamoto es programmiert, technisch gewährleistet sein; was dort das Recht verbietet, muss hier algorithmisch unmöglich sein.

Etwa 50 Seiten Programm hat Nakamoto geschrieben - wobei man für ein Kassenbuch, das nicht mehr leistet als Ein- und Ausgänge von fiktiven Beträgen zu protokollieren, sicher mit fünf Seiten auskommen würde. Der Rest des Programms schlägt sich damit herum, die Wirkung von staatlicher Kontrolle und Rechtsgewalt algorithmisch nachzubilden. Und die größte Herausforderung kommt noch.