Der Bitcoin

Gastbeitrag: Ein Nachruf zwischendurch - auf eine grandiose Schnapsidee

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Wer sich für den Bitcoin interessiert, blickt derzeit gebannt auf den "Halfing-Day", der Anfang Mai ansteht. Die Blockbelohnung, seit 2018 Grundlage einer veritablen Bitcoin-Mining Industrie, wird dann programmgemäß halbiert. Wird der Kurs einbrechen oder weiter steigen? Wie wird die Krypto-Währung dastehen nach diesem Event? Dieser Beitrag widmet sich der Frage, was aus dem Bitcoin werden wird, indem er sich ansieht, was er warum geworden ist.

Wir schreiben das Jahr 2008. Satoshi Nakamoto hat ein Spielgeld programmiert - ohne Spiel. Es heißt "Bitcoin" und wird in einer verteilten Datenbank im Internet verwaltet. Das geschieht durch public-domain-Software auf den PC der Mitspieler, ohne eine zentrale Instanz. Schon ein Smartphone genügt, um mitzumachen. Man kann Bitcoins besitzen und sie einander überweisen, und keiner kann betrügen, weil alles kryptographisch abgesichert ist. Etwa alle zehn Minuten wirft die Software einen neuen kleinen Bitcoin-Betrag in die Datenbank, der einem der Mitspieler zugeordnet wird. Ja und?

Vom Spielgeld ohne Spiel zum Geld ohne Garanten

Das Spielgeld ist ganz ernst gemeint. Es will richtiges Geld werden. Es ist eine unerbetene Initiativbewerbung, mit der der Bitcoin aus einem Krypto-Winkel des Internet heraus neben die Gelder dieser Welt, neben Dollar, Euro und Renminbi tritt und behauptet, von der gleichen Art zu sein, Eigentum zu repräsentieren und Werte zu übertragen.

Ein kühner Anspruch, denn Geld ist ja kein Kühlschrank, bei dem man einfach ein weiteres Modell ins Angebot stellen kann. Geld regiert vielleicht nicht die Welt, wie man ihm nachsagt, aber nahe dran ist es schon. Es ist das Ziel allen Wirtschaftens, der Zugang zu jeder Art von Reichtum (wenn man es hat) und zugleich das universelle Hindernis vor dem Genuss alles Notwendigen und Schönen (wenn man es nicht hat). Es ist der unwiderstehliche Auftrag, es zu vermehren (wenn man es hat) und die unerbittliche Notwendigkeit, es zu verdienen (wenn man es nicht hat).

Ökonomen und Studienräte loben das Geld dafür, dass man alles damit kaufen kann - das ist der Zuckerguss auf dem stummen Zwang, dass man es erst einmal erwerben muss. Auf der einen Seite der Gesellschaft gibt es Geldreichtum, der keine Anlage findet, auf der anderen Seite ist zu wenig da für ein Dach über dem Kopf. Diese Scheidung der Gesellschaft leistet das Geld, weil eine Verfassung mit ihrer Garantie des Eigentums hinter ihm steht, denn Geld ist Reichtum schlechthin. Und nun taucht ein Möchtegern-Geld aus den Tiefen des Internet auf und behauptet: "Ich kann so etwas auch!"?

Mit Gedanken darüber, wie eine Gesellschaft beschaffen ist, in der das Geld "regiert", hat sich Satoshi Nakamoto wohl nicht beschäftigt. Er hat da eine Idee, wie man ein autonomes digitales Zahlungsmittel programmieren könnte, das den Anforderungen entspricht, die echtes Geld erfüllen muss. Wir sehen uns an, was er dafür tun muss.

Eine Buchführung für die ganze Welt

Digitales Geld? Ist doch eigentlich ganz einfach. Jeder von uns hat dann ein paar Dateien auf dem PC, die 5, 10, 20 oder 50 Euro darstellen. Kauft er etwas im Internet, schickt er eine E-Mail mit dem Geld als Anhang. Natürlich hat er die verschickten Dateien danach immer noch auf seinem PC, aber die kann er ja löschen. Sollte er jedenfalls … Hmm, ganz so einfach geht es vielleicht doch nicht. Was ausgegeben ist, muss weg sein - auf keinen Fall darf der Geldbesitzer hinterher eine Kopie behalten oder gar vorher zwanzig davon anlegen.

Im Lande Digitalien, wo das Kopieren nur einen Mausklick erfordert, ist Geld ein krasser Widerspruch zur wirklich privaten Verfügung. Digital soll das Geld sein und doch unkopierbar - das ist die Herausforderung für unseren Programmierer.

Wohlweislich vermeidet Nakamoto jede Form von Daten, die für sich irgendwie Geld darstellen sollen, die über jedermanns Computer zirkulieren und in den digitalen Hosentaschen der User schamlos vermehrt werden könnten. Von den Banken hat Nakamoto gelernt, dass Leute auch mit Geld umgehen können, ohne es je in der eigenen Hand zu halten. Bankguthaben sind Geld aus zweiter Hand, sie sind Zahlungsversprechen der Banken auf staatliches Geld (das Geld aus erster Hand).

Das braucht der Kunde zum Bezahlen gar nicht erst abzuheben, wenn der Geschäftspartner statt Bargeld eine Banküberweisung akzeptiert. Dann fließt dieses Geld aus zweiter Hand direkt von einem Konto auf das andere - und es bleibt dabei auch ganz in zweiter Hand, nämlich bei den Banken.

Nakamoto erfindet das Geld aus null-ter Hand. Er richtet eine weltweite Buchführung über Zahlungen mit fiktiven Einheiten, genannt Bitcoins, ein. Dieses globale Kassenbuch verzeichnet alle jemals geleisteten Zahlungen. Die dort verwalteten Bitcoins dürfen niemals ins Freie - allein das Kassenbuch gibt darüber Auskunft, wer Bitcoins bekommen und ob er sie wieder ausgegeben hat. Das ist etwa so, wie wenn alle Banken der Welt fusioniert hätten und diese Online-Megabank nun ihre eigenen Zahlungsversprechen zwischen den Kundenkonten aller Inhaber im Hause hin- und herschiebt.

Allerdings: Die Kontostände bei der Megabank wären immer noch Zahlungsversprechen, bei Verlangen einzulösen durch staatliches Geld. Ein Bitcoin-Guthaben laut globalem Kassenbuch dagegen verspricht nichts, was über es selbst hinausweist.

Konten im engeren Sinne werden gar nicht erst gebildet im globalen Kassenbuch. Die Einträge im Buch werden selbst wie Geldscheine behandelt. Wer Bitcoins ausgeben will, verweist auf die Buchung, laut der er sie bekommen hat. So besteht das digitale Geld aus nichts als einem endlosen Geflecht von protokollierten Übertragungen der Art: Hans hat von Georg Bitcoins bekommen, die zahlt er weiter an Liese und erhält soundsoviel Wechselgeld zurück. Gezeichnet: Hans

Mehr als solche Aufzeichnungen steckt nicht dahinter. Hans "hat" so viel Bitcoins, wie er laut Protokoll bekommen und nicht schon wieder ausgegeben hat. Um das herauszufinden, braucht er ein Stück Software, das ihm seinen Bitcoin-Bestand aus dem Kassenbuch zusammenrechnet und das metaphorisch Wallet genannt wird.

Meins ist meins und wer bin ich?

Jeder Teilnehmer hat über sein Wallet Zugriff auf das Kassenbuch; jeder kann Bitcoins wieder ausgeben, die er erhalten hat; die Einzahlungen an andere müssen für ihn tabu sein. Auf die Ehrlichkeit von Hans möchte man sich da nicht verlassen. Im Gegenteil, es muss es schlicht unmöglich gemacht werden, dass jemand anderer Leute Zahlungseingänge im Kassenbuch als sein Geld verwendet.

Geld ist zwar privater Besitz - aber dass Besitz keine Privatsache ist, sondern ein Recht, das eine höhere Hand garantiert, merkt man spätestens dann, wenn man es programmieren will. Dabei reicht es in der realen Welt nicht aus, dass Hans selber weiß, wer er ist und was ihm gehört - er muss sich ausweisen mit seiner staatlich gestifteten Identität und dann seinen Besitzanspruch belegen. Umso penibler, je höher der Geldbetrag ist, um den es geht. Wie verbindet man Identität und Eigentum in einer digitalen Welt ohne Pass und Polizei?

Nakamotos Lösung mutet geradezu romantisch an - sie erinnert an das Schicksal des Piraten, der kühn das Recht ignoriert und doch dem Eigentum hinterherjagt. So hat der Pirat kein Land, das ihm sichere Heimstatt bietet und keine Justiz, die seinen Reichtum schützt. Daher vergräbt er seine Beute auf einer entlegenen Insel und muss nun die Schatzkarte eifersüchtig hüten. Verliert er sie oder wird sie entwendet, ist sein Reichtum verloren. Nicht anders ergeht es Bitcoin-Besitzern.

Nakamoto ersetzt die Einheit von ausgewiesener Rechtsperson und exklusiver Verfügung über ihr Eigentum durch ein Paar von kryptographischen Schlüsseln. Der öffentliche Schlüssel P vertritt die Identität der Rechtsperson Hans. An ihn (also an P) wird ein Betrag eingezahlt. Gibt Hans den Betrag wieder aus, "signiert" er die Überweisung mit seinem geheimen Schlüssel Q. Nur Hans kennt zu P das passende Q und kann diese kryptographische Unterschrift leisten - das verschafft ihm den exklusiven Zugriff.

Wie eine Schatzkarte muss Hans bis dahin den privaten Schlüssel vor jedermann verstecken - geschützt im Wallet oder noch sicherer offline auf einem USB-Stick. Dann und nur dann ist garantiert, dass er allein über die an ihn eingezahlten Beträge verfügt. Verliert er den Stick oder wird sein Wallet gehackt, hilft es nicht, auf das Kassenbuch zu verweisen, das den Zahlungseingang an seinen Schlüssel P belegt. Hans kann ohne Q nicht beweisen, dass P seine digitale Identität ist. Ohnehin hört ihm keiner zu. Wo kein Richter ist, ist auch kein Klagen.

Verbucht in alle Ewigkeit

Die Buchhalter einer Bank sind auf redlichen Umgang mit Kundengeldern verpflichtet. Das Kassenbuch dagegen wird verteilt im Internet geführt. Jeder Interessierte kann sich an der Buchführung beteiligen, indem er Nakamotos Software auf seinem Rechner installiert, der sich in einem Peer-to-Peer-Netzwerk mit allen anderen Bitcoin-Installationen verbindet. Keiner dieser Rechner ist unersetzlich, keiner hat besondere Rechte. Mit den Wallets der Teilnehmer angestoßene Überweisungen werden zu Blöcken zusammengefasst, geprüft und eingetragen.

Die Buchführung erfolgt automatisch durch die Software - nach festen Regeln, nichts darin ist geheim und alles kann von jedermann überprüft werden. Nur ändern darf man nachträglich nichts. Sonst könnte Hans, nachdem er ein mit Bitcoin bezahltes Menü verspeist oder eine Flugreise absolviert hat, die eigene Zahlung dafür nachträglich löschen. Dann könnte er laut Kassenbuch erneut über den Betrag verfügen, und der Empfänger hätte ihn nie bekommen. "Bezahlt ist bezahlt!", lautet die Anforderung aus der Welt des wahren Geldes, die es zu erfüllen gilt. Wir brauchen eine digitale Form der in Stein gemeißelten Buchführung der Pharaonen.

Nakamoto macht die Einträge im Kassenbuch unveränderbar. Jeder Block verbuchter Zahlungen bekommt eine Prüfsumme, die im folgenden Block mit eingetragen wird. Damit kann er nicht mehr geändert werden, ohne dass diese Prüfsumme ungültig wird und dadurch die Fälschung offenbar. So bilden die Blöcke eine Kette, die an ihrem aktuellen Ende immer weiter wächst und in der jeder Block seinen Vorgänger sichert. Bekannt geworden ist das Kassenbuch als die Blockchain, benannt nach der Datenstruktur, die Nakamoto dafür kreiert hat.

45 Seiten Programmcode für die Unverletzlichkeit des Geldes

Wir sind noch nicht fertig mit Nakamotos Programmierkunst, aber der Leser merkt schon, worauf es hinausläuft: Mit dem Anliegen, Nakamotos Spielgeld die Eigenschaften des wirklichen Geldes zu geben, stößt man darauf, dass alles, was uns am vertrauten Geld so selbstverständlich ist, ein Werk hoheitlicher Gewalt, von Rechtsaufsicht und Rechtsdurchsetzung darstellt.

Geradezu verrückt erscheint die Idee, so etwas ohne jede Berufung auf höheres Recht nachzubilden. Das ist nämlich die eigentliche Herausforderung: Was die staatliche Hoheit an ihrem Geld garantiert, das muss bei einem Geld ohne Garanten, wie Nakamoto es programmiert, technisch gewährleistet sein; was dort das Recht verbietet, muss hier algorithmisch unmöglich sein.

Etwa 50 Seiten Programm hat Nakamoto geschrieben - wobei man für ein Kassenbuch, das nicht mehr leistet als Ein- und Ausgänge von fiktiven Beträgen zu protokollieren, sicher mit fünf Seiten auskommen würde. Der Rest des Programms schlägt sich damit herum, die Wirkung von staatlicher Kontrolle und Rechtsgewalt algorithmisch nachzubilden. Und die größte Herausforderung kommt noch.

Wider den ganz großen Clou

Bitcoins zirkulieren gar nicht erst beim User, Geld ausgeben kann nur der, der es laut Kassenbuch erhalten hat, Einträge im Kassenbuch sind endgültig - die letzte Chance zum Betrug ist der ganz große Clou.

Jemand könnte das Kassenbuch - ab einem Zeitpunkt, d.h. einem gewissen Block - zu seinen Gunsten insgesamt fälschen, indem er eigene Auszahlungen herausnimmt. Er könnte den gefälschten Block und alle folgenden Blöcke mit korrekten Prüfsummen versehen und die komplett gefälschte Buchführung der werten Community als das aktuelle Kassenbuch unterjubeln.

Um solche Buchfälschung zu vereiteln, verlangsamt Nakamotos Bitcoin-Protokoll die Verbuchung von Blöcken durch einen "Arbeitsnachweis": Es wird eine Zahl in jeden Block eingefügt, die so geraten werden muss, dass die Prüfsumme über diesen Block mit einer vorgeschriebenen Anzahl von Nullen beginnt. Der Prüfsummen-Algorithmus ist so beschaffen, dass man eine solche Zahl nur durch wiederholtes Ausprobieren finden kann.

Das dauert umso länger, je mehr Nullen erwartet werden. Durch diese Verzögerung wird es einem einzelnen Fälscher unmöglich, der kompletten, ihm davonwachsenden Kette der Blöcke mit neuen Prüfsummen hinterherzurechnen - sofern er nicht über mehr Rechenkapazität verfügt als der rechtschaffene Rest der Welt zusammen.

Überschreitet jedoch ein Teilnehmer die Grenze von 50% der insgesamt eingesetzten Rechenkapazität, ist das Kassenbuch korrumpierbar und das Digitalgeld kaputt. Mehr als zehn Jahre lang hat man sich darauf verlassen, dass eine solche Mehrheit des Bösen nicht zustande kommt.

Diese Idee, die Integrität der Buchführung durch ein Wettrennen auf dem Feld der Rechenkraft zu sichern, wird Nakamoto generell als genialer Einfall zugeschrieben. Zugleich kann man es als eine Verzweiflungstat ansehen, wenn Nakamoto in der Welt der Informatik, wo algorithmische Effizienz höchste Tugend und oberstes Gebot ist, den Rechenaufwand künstlich erhöht, um die Mitglieder der geschätzten Community am Betrügen zu hindern. Zu welchen Verrücktheiten das später noch führt, hat er sich wohl nicht träumen lassen

Selbermachen verboten, erst recht beim selbstgemachten Geld

Auch in der Welt des digitalen Geldes muss Geld Ausschluss bedeuten. Dass den meisten Leuten das benötigte Geld fehlt, darf man keinesfalls auf die Weise angehen, dass dann eben Geld hergestellt wird, bis jeder genug hat. Ohne Geldmangel verliert Geld seinen Sinn, ob real oder digital. Nakamoto hat das verstanden. Bitcoins muss man verdienen, indem man sich damit für eine Ware oder eine Dienstleistung bezahlen lässt - von jemand, der schon Bitcoins hat. Aber wie kommen sie überhaupt in die Welt?

Ach ja - manch' einer beteiligt sich mit seinem Rechner an der Buchführung, dann bekommt er für jeden Block von Überweisungen, den er ins Kassenbuch einfügt, einen kleinen Bitcoin-Betrag "aus dem Nichts" gutgeschrieben.

So bringt die Bitcoin-Software nach und nach 21 Millionen Bitcoin in den Umlauf, will sagen: in das Kassenbuch. Das Netzwerk justiert sich so, dass etwa alle 10 Minuten ein neuer Block errechnet wird; entstehen die Blöcke schneller oder langsamer, wird der Arbeitsbeweis erschwert oder erleichtert.

Etwa im Jahr 2040 sind die 21 Millionen Bitcoin erreicht. Das, schätzt Nakamoto, reicht für alle vorstellbaren Szenarien der Bitcoin-Verbreitung, denn er macht den Bitcoin nicht etwa in 100 Bit-Cent unterteilbar, sondern in 1.000.000.00 kleinste Einheiten. Das digitale Geld kommt von Geburt an daher wie ein neuer Zimbabwe-Dollar nach der x-ten Währungsreform, der dann 1.000.000 alte Zimbabwe-Dollars bedeutet, die man aber als Rechnungseinheiten - im Hinblick auf kommende, bessere Zeiten - beibehalten hat. Nakamoto nennt diesen Trick "deflationäre Tendenz". Nebenbei: Der japanische Vorname Satoshi bedeutet so viel wie "Schlaumeier".

Geld ohne Seele, beherzt unterwegs

Mit Peer-to-Peer Technik, mit Prüfsummen und kryptographischen Signaturen sowie mit Hochleistungsrechnern, die sich selber ausbremsen, ist es Nakamoto gelungen, sein autonom und anonym im Internet verwaltetes Spielgeld den Ansprüchen gerecht zu machen, denen das wirkliche Geld dank staatlicher Aufsicht genügt: Es funktioniert wie ausschließender, privater Besitz, es kann zwischen Besitzern übertragen, aber weder entwendet, gefälscht noch veruntreut werden.

Keiner kann es vermehren über die vorgeplante automatische Erzeugung hinaus. So wie das wahre Geld auf Schritt und Tritt behütet und bewacht wird vom bürgerlichen Recht, weil es den Reichtum der Gesellschaft schlechthin darstellt und (fast) jeder davon zu wenig hat, so verteidigt die Bitcoin-Software die Integrität des Kassenbuchs gegen alle Versuche, es zu hacken - ganz ohne Rückgriff auf eine höhere Autorität. Nakamoto arbeitet an einem Paradox: Die staatliche Garantie ist die Seele des echten Geldes, er aber will ein Geld schaffen, das nicht auf Gewalt beruht.

Geld ist eine Notwendigkeit des Warenverkehrs, und erst recht des Kapitalismus, in dem die Geldvermehrung das Movens der Ökonomie ist, von deren krisenbehaftetem Gelingen alles andere abhängt. In welcher Form das Geld auftritt, ist eine historische Angelegenheit. Vom glitzernden Edelmetall in Urzeiten ausgehend hat es viele Metamorphosen durchgemacht.

Heute existiert es überall in der nationalen Uniform staatlicher Währungen. Die höchste Gewalt gebietet für das Territorium ihrer Souveränität den Gebrauch ihrer - an sich wertlosen - Zettel als das Geld ihrer Gesellschaft. So verschafft sie ihm die allgemeine Gültigkeit, auf die sich die Wirtschaftssubjekte verlassen. Ein modernes Geld ohne solchen Rückhalt in einer politischen Autorität sich überhaupt vorzustellen und dann noch beherzt in die Welt zu setzen, ist eine Schnapsidee, die allenfalls durch ihre Respektlosigkeit imponieren kann.

Keiner will's gewesen sein

Egal wie es gedacht ist - der Sache nach ist es ein subversiver Akt, den Wirtschaftssubjekten aller Nationen die Alternative eines übernationalen Geldes anzubieten, in dem sie ihre Geschäfte am staatlichen Geld vorbei und unterhalb des Radars der staatlichen Steueraufsicht vollziehen können.

Es befreit die Gesellschaft davon, das gesetzlich verordnete Zahlungsmittel zu benutzen, und es untergräbt mit dem verbindlichen Charakter des nationalen Geldes auch dessen internationalen Status. Wenn die Untertanen dem Geld ihrer Obrigkeit ein fremdes Geld vorziehen, ist es nicht mehr weit zum failed state. Es ist Nakamoto wohl von Anbeginn klar, dass sein konkurrierendes Geld-Experiment bei den Geldhoheiten dieser Welt nicht unbedingt willkommen sein wird.

Noch bemerkenswerter als seine algorithmische Kunstfertigkeit ist die Konsequenz, mit der er die Welt über seine Identität im Unklaren gelassen hat. "Satoshi Nakamoto" ist ein Pseudonym, das bis heute nicht gelüftet worden ist.

Etwa zwei Jahre lang hat Nakamoto an seiner Idee programmiert und niemand davon erzählt. Im August 2008 hat er sie auf einer Mailing-Liste für Kryptographie zum ersten Mal vorgestellt, und wenig später - dazwischen fiel gerade der Höhepunkt der großen Finanzkrise mit der Pleite von Lehman Brothers - seine Software in der Public Domain veröffentlicht. Er hat den ersten Block des Kassenbuchs selbst erzeugt, und seither wuchert seine Blockchain wie ein gutartiges Geschwür im Internet.

Ansichten eines Geldverbesserers

In seinem Whitepaper von 2008 präsentiert Nakamoto seine Idee als einen Beitrag zur Verbesserung des Zahlungsverkehrs im Internet und als Lösung des Double-Spending-Problems, an dem die Zunft der Geldprogrammierer sich bisher die Zähne ausgebissen hat.

Ein bisschen scheinheilig darf man das im Nachhinein nennen - denn er stellt seine Erfindung gar nicht in den Dienst des "commerce on the internet" und der "trusted third parties", die ihn abwickeln. Im Gegenteil - er verbessert nicht ihren Zahlungsverkehr, sondern propagiert ein besseres Geld, das die bisherigen Institutionen des Geldverkehrs ins Abseits stellt.

"Besser" soll es sein vom Standpunkt des privaten Bürgers, der den Staat der Geldentwertung und die Banken der riskanten Kreditblasenbildung bezichtigt. Der auf dem Standpunkt steht, das Geld müsste ihm zu Diensten sein, und nie auf den Verdacht kommt, dass es in Wahrheit umgekehrt ist. Dem es beim Geld auf Kaufkraft und Wertstabilität in seiner Hand ankommt, und dem andere Geldfunktionen wie Kreditierung des Wirtschaftswachstums und Sicherung des Staatshaushalts demgegenüber herzlich egal sind.

Der daher ausgerechnet die Garanten des Geldes aus erster und zweiter Hand, also Nationalbank und Geschäftsbanken beschuldigt, "sein" Geld zu entwerten und gelegentlich ganz zu gefährden. Bei allen Vorbehalten aber kommt er nicht darum herum, doch den Garanten des Geldes zu vertrauen, das er ja doch verwenden muss. Diese verbreitete, quasi gutbürgerliche Geldkritik holt Nakamoto aus der Hinterstube des belanglosen Meinens heraus ins Internet und lädt dazu ein, dort damit Ernst zu machen.

Anders als der brave Geldbürger will Nakamoto sich mit der Verpflichtung auf das staatliche Geld nicht abfinden. Den hoheitlichen Stiftern und Hütern des Geldes bestreitet Nakamoto jeden positiven Beitrag zum das Geldwesen und erklärt sie zu reinen Geldverderbern. Er wirft ihnen Missbrauch des in sie gesetzten Vertrauens vor, und will ihnen die Hoheit über das Geld der Bürger entziehen.

Das soll geschehen, ganz ohne Revolte, indem die Bürger sich als "Community" auf ein neues Geld einigen, das ganz das ihre ist. Als ob Nakamoto eine Woche Volkswirtschaft studiert hätte, wo man lernt, dass hinter dem Geld nicht mehr steckt als eine Konvention unter Geldbesitzern!

"Ich würde es nehmen"

Vom Chef der Bundesbank, auf den Bitcoin angesprochen, wird die lakonische Aussage berichtet: "Geld ist, was als Geld funktioniert." (Man merkt, Jens Weidmann hat auch Volkswirtschaft studiert.) Nakamoto findet es zwar "irgendwie zirkulär", etwas als Geld zu nehmen, weil andere es auch tun. Trotzdem: "Ich würde es jedenfalls tun", sagt er im Peer-to-Peer- Forum und geht mit gutem Beispiel voran - zu einem Zeitpunkt, wo der Erwerb der ersten 50 Bitcoin nicht mehr kostet als ein paar Minuten Rechenzeit auf einem gewöhnlichen PC.

Es ist nicht ohne Ironie, dass an die Stelle des erzwungenen Vertrauens ins staatliche Geld beim Bitcoin nun das grundlose Vertrauen getreten ist, anders gesagt die spekulative Freiheit, auf den Bitcoin zu setzen in der Hoffnung auf andere, die das Gleiche tun. Ob Nakamoto da schon ahnt, was er wirklich gebastelt hat?

Die Karriere des Bitcoin: Die Spekulation frisst ihr Kind

Die Karriere, die der Bitcoin tatsächlich macht, hängt freilich nicht ab von den Vorstellungen seines Begründers. In den ersten Jahren ist der Bitcoin Spielzeug für Computer-Freaks und Informatik-Studenten, die sich für die Eleganz von Nakamotos Konstruktion begeistern oder versuchen, sie zu hacken, und für Internet-Romantiker, die im Austausch von Bitcoin eine heimelige Community finden.

Cypher-Punks und Krypto-Anarchisten berauschen sich an der Phantasie einer herrschaftsfreien Internetökonomie, in der (ausgerechnet!) das neue, das gute Geld eine zentrale Rolle spielt. An den Tauschbörsen der Online-Spieler werden irgendwann neben Laserschwertern und Liebeszaubern auch Bitcoins für bares Geld gehandelt. An WikiLeaks, durch die USA vom Spendenzufluss in realem Geld abgeschnitten, kann man, wenn schon kein Geld, so doch seine Sympathie durch Bitcoin-Spenden überweisen. Coffeeshops wollen hip sein für die Nerds und nehmen Bitcoin als Bezahlung. Und so weiter.

Ein über viele Jahre schwankender, aber tendenziell steigender Kurs gegenüber dem wahren Geld verschafft dem Scheingeld Zuspruch bei denen, die bei ihrem Geldverkehr mehr zu verlieren haben als nur ihren Geldwert. Ihnen kommt es auf die Anonymität des Geldverkehrs an, die Möglichkeit, ihre Identität hinter diversen privaten Schlüsseln zu verbergen. Waffen- und Drogenhändler wickeln zunehmend ihren Online-Handel in Bitcoin ab; die Kapitalflucht aus China benutzt ihn in einem Maße, dass die Regierung den Handel mit Bitcoin schließlich verbietet. So verhilft das illegale Geschäft dem Geld ohne Legitimität zu gesteigerter Verwendung.

Zuletzt allerdings landet Nakamotos algorithmisches Kunstwerk da, wo auch große Werke anderer Künstler enden - in den Armen der Finanzspekulation. Für diese ist der volatile Umtauschkurs des Bitcoin ebenso Risiko wie Anreiz, in der Spekulation auf Kursschwankungen, die man gegebenenfalls selbst herbeiführt, schnelles Geld zu machen. Sie treibt den Kurs im Dezember 2017 auf 1 Bitcoin ≈ 20.000 EUR hoch und schickt ihn seither auf eine abwechslungsreiche Tal- und Bergfahrt.

So gekapert vom Finanzkapital geht dem Bitcoin der vereinzelt erreichte Gebrauch als alltägliches Zahlungsmittel wieder verloren. Zehn Jahre nach Nakamotos verlegenem "Ich würde es nehmen" schallt ein gewaltiges "Wir nehmen es auch" als Echo zurück aus der Welt des großen Geldes und begräbt die Illusion, aus Nakamotos Programmierkunst könnte ein stabiles, von der Finanzwelt unmanipuliertes Zahlungsmittel entspringen, das ganz im Dienste des kleinen Geldbesitzers steht. Der Bitcoin ist angekommen - nicht dort, wohin er sollte, sondern dort, wo er seiner politökonomischen Natur nach hinpasst.

Die verrückte Idee Nakamotos, einfach mal ein Geld in die Welt zu setzen, hinter dem nichts und niemand steht, fügt sich mit diesem Ergebnis kongenial ein in die Verrücktheiten der Welt des wirklichen Geldes, in der Spekulanten mit Wetten auf den Verlust von ihresgleichen ihr Vermögen mehren - sei es mit Preiswetten über Ölfässer, Währungen und Kaffeebohnen, mit Werken von Gerhard Richter, van Gogh oder David Hockney oder nun eben über die Kursentwicklung von ansonsten bedeutungslosen Einträgen einer fälschungssicheren autonomen Datenbank im Internet. Und es kommt noch verrückter.

Eine real verdienende Industriebranche im Kielwasser der Spekulation

Der spekulativ hochgejubelte Kurs des Bitcoin macht aus den bescheidenen Belohnungen für das Buchführen über Nacht und in Dollar gemessen signifikante Einkünfte. Der Zweck kehrt sich um - nicht das Fortschreiben des Kassenbuchs, sondern das Einstreichen der Belohnung wird zum Motiv, einen Knoten im Bitcoin-Netzwerk zu betreiben.

Das rechtfertigt nun einen immensen Aufwand für Hardware, Strom und Kühlung - nach der vertrauten Logik, dass vernünftig ist, was reales Geld einbringt. Hier wird der Bitcoin erzeugt, nicht weil er Geld ist, sondern weil die Spekulanten welches dafür ausgeben. Die "Miner" konkurrieren mit riesigen Computerfarmen darum, wer zuerst den nächsten gültigen Block konstruiert.

Nur er erhält die Belohnung; für die anderen geht die Rechnerei von vorne los. Sie rechnen gegeneinander und gemeinsam gegen das System an und können es nicht überwinden, weil Nakamotos Code die Verbuchungsrate neuer Blöcke bei etwa 10 Minuten hält, indem er den Arbeitsbeweis immer weiter erschwert. So wird der Kapitalismus um ein Paradox bereichert, das man ihm nicht zugetraut hätte - einen industriellen Produktionsprozess, der mit wachsendem Umfang und dank verbesserter (Rechner-) Technologie immer unproduktiver wird.

Ausblick

Programmgemäß wird im Mai 2020 die Blockbelohnung wieder einmal halbiert, um das Ausschütten der letzten zwei Millionen Bitcoin bis 2040 hinzuziehen. Schlagartig halbiert sich die Produktivität der Mining-Farmen, die in erzielten Dollars und nicht in der "Hashrate" der Hardware gemessen wird; die aufgetürmte Spezialhardware entwertet sich. Wie wirkt sich das auf den Bitcoin aus? Steigt oder fällt sein Kurs in den online-Wechselstuben? Es darf spekuliert werden!

Vielleicht kauft auch der eine Mega-Miner billig einen anderen auf (oder einige von ihnen verbünden sich), um vorübergehend die Mehrheit der Rechenkapazität zu erreichen und das Kassenbuch zu eigenen Gunsten zu fälschen. Den großen Vorsitzenden, der das Bezahlen mit Bitcoin in China verbietet, aber das Mining im großen Stil erlaubt, sollte eine solche Verschwörung nur ein Augenzwinkern kosten. Dann ist der Bitcoin korrumpiert. Ja und?

Es bleibt immer noch die Blockchain, die ungerührt und herrenlos im Internet wuchert und in der bedeutungslose Beträge irgendwann auch wieder fälschungssicher hin-und her verbucht werden können - weil sie nichts wert sind und der Betrug sich nicht lohnt. Dann wird sich doch jemand finden, der darauf wieder spekuliert!

So oder so: Um den Bitcoin als das, was er konsequenterweise geworden ist - ein besonders obskures Objekt der Spekulation - sollte man sich keine Sorgen machen.

Der Autor, jetzt im Ruhestand, war Professor für Informatik an einer deutschen Hochschule.