Der Bitcoin

Seite 3: Die Karriere des Bitcoin: Die Spekulation frisst ihr Kind

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Die Karriere, die der Bitcoin tatsächlich macht, hängt freilich nicht ab von den Vorstellungen seines Begründers. In den ersten Jahren ist der Bitcoin Spielzeug für Computer-Freaks und Informatik-Studenten, die sich für die Eleganz von Nakamotos Konstruktion begeistern oder versuchen, sie zu hacken, und für Internet-Romantiker, die im Austausch von Bitcoin eine heimelige Community finden.

Cypher-Punks und Krypto-Anarchisten berauschen sich an der Phantasie einer herrschaftsfreien Internetökonomie, in der (ausgerechnet!) das neue, das gute Geld eine zentrale Rolle spielt. An den Tauschbörsen der Online-Spieler werden irgendwann neben Laserschwertern und Liebeszaubern auch Bitcoins für bares Geld gehandelt. An WikiLeaks, durch die USA vom Spendenzufluss in realem Geld abgeschnitten, kann man, wenn schon kein Geld, so doch seine Sympathie durch Bitcoin-Spenden überweisen. Coffeeshops wollen hip sein für die Nerds und nehmen Bitcoin als Bezahlung. Und so weiter.

Ein über viele Jahre schwankender, aber tendenziell steigender Kurs gegenüber dem wahren Geld verschafft dem Scheingeld Zuspruch bei denen, die bei ihrem Geldverkehr mehr zu verlieren haben als nur ihren Geldwert. Ihnen kommt es auf die Anonymität des Geldverkehrs an, die Möglichkeit, ihre Identität hinter diversen privaten Schlüsseln zu verbergen. Waffen- und Drogenhändler wickeln zunehmend ihren Online-Handel in Bitcoin ab; die Kapitalflucht aus China benutzt ihn in einem Maße, dass die Regierung den Handel mit Bitcoin schließlich verbietet. So verhilft das illegale Geschäft dem Geld ohne Legitimität zu gesteigerter Verwendung.

Zuletzt allerdings landet Nakamotos algorithmisches Kunstwerk da, wo auch große Werke anderer Künstler enden - in den Armen der Finanzspekulation. Für diese ist der volatile Umtauschkurs des Bitcoin ebenso Risiko wie Anreiz, in der Spekulation auf Kursschwankungen, die man gegebenenfalls selbst herbeiführt, schnelles Geld zu machen. Sie treibt den Kurs im Dezember 2017 auf 1 Bitcoin ≈ 20.000 EUR hoch und schickt ihn seither auf eine abwechslungsreiche Tal- und Bergfahrt.

So gekapert vom Finanzkapital geht dem Bitcoin der vereinzelt erreichte Gebrauch als alltägliches Zahlungsmittel wieder verloren. Zehn Jahre nach Nakamotos verlegenem "Ich würde es nehmen" schallt ein gewaltiges "Wir nehmen es auch" als Echo zurück aus der Welt des großen Geldes und begräbt die Illusion, aus Nakamotos Programmierkunst könnte ein stabiles, von der Finanzwelt unmanipuliertes Zahlungsmittel entspringen, das ganz im Dienste des kleinen Geldbesitzers steht. Der Bitcoin ist angekommen - nicht dort, wohin er sollte, sondern dort, wo er seiner politökonomischen Natur nach hinpasst.

Die verrückte Idee Nakamotos, einfach mal ein Geld in die Welt zu setzen, hinter dem nichts und niemand steht, fügt sich mit diesem Ergebnis kongenial ein in die Verrücktheiten der Welt des wirklichen Geldes, in der Spekulanten mit Wetten auf den Verlust von ihresgleichen ihr Vermögen mehren - sei es mit Preiswetten über Ölfässer, Währungen und Kaffeebohnen, mit Werken von Gerhard Richter, van Gogh oder David Hockney oder nun eben über die Kursentwicklung von ansonsten bedeutungslosen Einträgen einer fälschungssicheren autonomen Datenbank im Internet. Und es kommt noch verrückter.

Eine real verdienende Industriebranche im Kielwasser der Spekulation

Der spekulativ hochgejubelte Kurs des Bitcoin macht aus den bescheidenen Belohnungen für das Buchführen über Nacht und in Dollar gemessen signifikante Einkünfte. Der Zweck kehrt sich um - nicht das Fortschreiben des Kassenbuchs, sondern das Einstreichen der Belohnung wird zum Motiv, einen Knoten im Bitcoin-Netzwerk zu betreiben.

Das rechtfertigt nun einen immensen Aufwand für Hardware, Strom und Kühlung - nach der vertrauten Logik, dass vernünftig ist, was reales Geld einbringt. Hier wird der Bitcoin erzeugt, nicht weil er Geld ist, sondern weil die Spekulanten welches dafür ausgeben. Die "Miner" konkurrieren mit riesigen Computerfarmen darum, wer zuerst den nächsten gültigen Block konstruiert.

Nur er erhält die Belohnung; für die anderen geht die Rechnerei von vorne los. Sie rechnen gegeneinander und gemeinsam gegen das System an und können es nicht überwinden, weil Nakamotos Code die Verbuchungsrate neuer Blöcke bei etwa 10 Minuten hält, indem er den Arbeitsbeweis immer weiter erschwert. So wird der Kapitalismus um ein Paradox bereichert, das man ihm nicht zugetraut hätte - einen industriellen Produktionsprozess, der mit wachsendem Umfang und dank verbesserter (Rechner-) Technologie immer unproduktiver wird.

Ausblick

Programmgemäß wird im Mai 2020 die Blockbelohnung wieder einmal halbiert, um das Ausschütten der letzten zwei Millionen Bitcoin bis 2040 hinzuziehen. Schlagartig halbiert sich die Produktivität der Mining-Farmen, die in erzielten Dollars und nicht in der "Hashrate" der Hardware gemessen wird; die aufgetürmte Spezialhardware entwertet sich. Wie wirkt sich das auf den Bitcoin aus? Steigt oder fällt sein Kurs in den online-Wechselstuben? Es darf spekuliert werden!

Vielleicht kauft auch der eine Mega-Miner billig einen anderen auf (oder einige von ihnen verbünden sich), um vorübergehend die Mehrheit der Rechenkapazität zu erreichen und das Kassenbuch zu eigenen Gunsten zu fälschen. Den großen Vorsitzenden, der das Bezahlen mit Bitcoin in China verbietet, aber das Mining im großen Stil erlaubt, sollte eine solche Verschwörung nur ein Augenzwinkern kosten. Dann ist der Bitcoin korrumpiert. Ja und?

Es bleibt immer noch die Blockchain, die ungerührt und herrenlos im Internet wuchert und in der bedeutungslose Beträge irgendwann auch wieder fälschungssicher hin-und her verbucht werden können - weil sie nichts wert sind und der Betrug sich nicht lohnt. Dann wird sich doch jemand finden, der darauf wieder spekuliert!

So oder so: Um den Bitcoin als das, was er konsequenterweise geworden ist - ein besonders obskures Objekt der Spekulation - sollte man sich keine Sorgen machen.

Der Autor, jetzt im Ruhestand, war Professor für Informatik an einer deutschen Hochschule.