Der Bonapartist Donald Trump

Seite 2: Trump: "In einem persönlichen Verhältnis zur Nation"

Nun wird kaum jemand die vier Jahre des Donald Trump im Oval Office mit den historischen Präsidentschaften eines Theodore Roosevelt oder eines Woodrow Wilson vergleichen wollen. Doch was den Gebrauch der autonomen Stellung eines US-Präsidenten anbelangt, so kann Donald Trump gleichwohl auf bemerkenswerte Erfolge verweisen.

So ist es ihm, der 2016 als krasser Außenseiter nur mit Mühen die Nominierung der Republikanischen Partei errang, dann, als gewählter Präsident erstaunlich schnell gelungen, die gesamte Partei hinter sich zu bringen, so dass selbst im Augenblick seiner Niederlage kaum ein prominenter Republikaner es wagte, ihn als leader der Partei infrage zu stellen. Seine präsidiale Autonomie nutzte er geschickt, um die Partei über alle Flügel hinweg zu einer Trump-Partei zu formen.

Seine uneingeschränkte Herrschaft über den Parteiapparat sowie über die republikanischen Fraktionen im Senat und im Repräsentantenhaus gestattete es ihm, Minister und Berater nach Belieben zu ernennen, zu demütigen und sie nicht selten unter Beschimpfungen wieder fortzujagen. Bereits jetzt spricht man vom Trumpismus, der auch zukünftig die Politik der USA beeinflussen wird. Es wird bereits darüber spekuliert, ob Trump 2024 ein weiteres Mal als Präsident antritt.

Auch gegenüber den führenden liberalen Medien des Landes konnte Trump eine weitgehend autonome Stellung erringen. So konnte er es sich sogar erlauben, sie zu "Feinden des Volkes" zu erklären - undenkbar unter Barack Obama oder Bill Clinton, aber auch unter der Regentschaft eines der beiden Bushs. Aber Trump schadeten solche Angriffe nicht. Im Gegenteil: Seine Selbststilisierung als ein von den Medien Verfolgter und als einer, der - obgleich er doch als Präsident die erste Stelle im politischen System einnahm - sich selbst gern außerhalb des "Washingtoner Sumpfes" sah, machte es ihm möglich, seine politischen Gegner quasi von außen in populistischer Weise zu kritisieren und oft zu denunzieren.

Seine Unabhängigkeit von den medialen Meinungsführern des Landes - vor allem von den Zeitungen New York Times und Washington Post sowie dem Fernsehsender CNN - erreichte Trump mit Hilfe nur weniger und am rechten Rand angesiedelter Medien wie Fox News.12 Entscheidend zur Erringung der Unabhängigkeit gegenüber der liberalen Medienwelt war aber die Fähigkeit, direkt mit seinen Anhängern und Sympathisanten zu kommunizieren.

Diese Fähigkeit zur unmittelbaren Ansprache des Volkes gehört stets zu den Kernelementen des Bonapartismus. Sprach Louis Napoleon Bonaparte hierfür noch auf unzähligen Versammlungen in der französischen Provinz und ließ er die Mitglieder seiner "Gesellschaft des 10. Dezember" die Mauern in Städten und Dörfern fortlaufend mit Aufrufen und Erklärungen bekleben, so benutzte Trump 170 Jahre später den Nachrichtendienst Twitter.

Mit täglich oft mehreren Tweets an seine Gefolgschaft stellte er eine unmittelbare und direkte Verbindung zu ihr her und machte sich damit unabhängig von den ihm kritisch gegenüberstehenden Medien. Kaum jemand hatte anfangs erwartet, dass er dieses im Kampf um die Präsidentschaftsnominierung so ausgiebig genutzte Mittel auch als Präsident einsetzen würde. Es blieb aber auch im Weißen Haus sein wichtigstes Medium. Mit der damit möglichen direkten Ansprache des Volkes stand er als erwählter Präsident ganz wie einst Louis Napoleon Bonapartes "in einem persönlichen Verhältnis zur Nation".13

In seiner Schrift Die Konstitution der Französischen Republik von 1851 beschrieb Karl Marx "das Spiel Napoleons": Es geht "jetzt darauf hinaus, die Unzufriedenheit des Volkes zu schüren. Die Bourgeoisie ist der Feind Napoleons - das Volk weiß das, und es besteht zwischen ihnen ein Band der Sympathie."14 Auch Trump spielt dieses Spiel.

Trump, der "Arbeiterfreund"?

Die Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 war nur vor dem Hintergrund der Verschärfung der sozialen Gegensätze in den USA möglich. Viele traditionelle Arbeiterwähler der Demokraten wechselten in das Lager der Republikaner, da sie zu Recht die Präsidentschaft von Barack Obama mitverantwortlich für ihr Schicksal machten. Die demokratischen Politiker wiederum blickten mit Arroganz und Herablassung auf die von Hillary Clinton als "deplorables" (Mitleiderregende) bezeichneten Untenstehenden.

Zwar verfehlte am 3. November 2020 Trump seine Wiederwahl, doch er erhielt nicht weniger als elf Millionen Stimmen mehr als 2016. Er gewann neue Unterstützer vor allem unter jenen, die von hoher Arbeitslosigkeit, großer Armut sowie unzureichender Gesundheitsversorgung betroffen sind. Diesen Erfolg verdankte er der von ihm pausenlos verbreiteten Behauptung, er und seine Regierung seien die Freunde der Arbeiter.

Was für den Immobilienmogul und Multimilliardär Donald Trump die Menschen in den vergessenen ehemaligen Industriestandorten der USA sind, waren die Bauern für Louis Napoleon Bonaparte. Bei ihnen handelte es sich um die Verlierer der stürmischen kapitalistischen Entwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. In der Französischen Revolution hatten sie noch von der Auflösung des feudalen Großgrundbesitzes profitiert, und Kaiser Napoleon I. garantierte ihnen den neuerworbenen Landbesitz.

Der aber bestand oft nur aus einer kleinen Parzelle, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig abwarf. Die Folge davon war eine schnell ansteigende Verschuldung von Millionen von Kleinbauern. Von Louis Napoleon Bonaparte erwarteten sie die Befreiung aus ihrem Elend:15

Durch die geschichtliche Tradition ist der Wunderglaube der französischen Bauern entstanden, dass ein Mann namens Napoleon ihnen alle Herrschaft wiederbringen werde.

Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte

Marx beschrieb die dahinterstehende geschichtliche Konstellation: "Bonaparte vertritt eine Klasse, und zwar die zahlreichste Klasse der französischen Gesellschaft, die Parzellenbauern. Wie die Bourbons die Dynastie des großen Grundeigentums, wie die Orléans die Dynastie des großen Geldes, so sind die Bonapartes die Dynastie der Bauern, d.h. der französischen Volksmasse. (…)"16

Doch die Bauern bildeten keine Klasse in dem Sinne, dass sie ihr Klasseninteresse selbständig vertraten. Wie heute die vergessenen Arbeiter in den USA ließen sie sich vertreten, hofften sie auf Befreiung von außen.

Bonaparte befreite die Bauern aber nicht von ihrem Schicksal. Einer nach dem anderen wurde von Spekulanten und Wucherern "gelegt", andere kapitulierten vor verheerenden Missernten. Über die Jahre zogen so Millionen ehemaliger Kleinlandwirte in die französischen Industriestädte und vergrößerten dort das mittellose Proletariat.

So wenig Louis Napoleon Bonaparte seinerzeit für die Bauern tat, so wenig verbesserte Donald Trump, trotz aller gegenteiligen Propaganda, das Schicksal der Arbeiter in den USA:

Die Wahrheit ist, dass Trump in seine Administration mehr Milliardäre geholt hat als jeder Präsident vor ihm. In die Bundesbehörde für Arbeitsbeziehungen (National Relations Labor Board, NRLB) berief er vehement arbeitnehmerfeindliche Vertreter. Superreichen und Großunternehmen bescherte er üppige Steuererleichterungen, während er massive Einschnitte bei Bildung, Wohnungsbau und Ernährungsprogrammen ins Spiel brachte. Trump hat versucht, bis zu 32 Millionen Menschen ihre bestehende Gesundheitsversorgung zu nehmen, und stellte Haushaltspläne auf, die bei den Krankenversicherungssystemen Medicare und Medicaid und den sozialen Sicherungssystemen Kürzungen in zweistelliger Milliardenhöhe vorsahen.

Bernie Sanders, Was die Demokraten jetzt tun müssen

In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird aus den vier Jahren Donald Trump eine Bilanz gezogen, die für Beschäftigte "alles andere als rosig" ausfällt: "Nicht nur weigert sich seine Administration vehement, den nationalen Mindestlohn von $ 7,25 zu erhöhen." Durch das "Zurückschrauben einer Überstundenregelung gingen den Arbeitnehmern geschätzte $ 1,2 Mrd. Dollar an Überstundenbezügen" verloren.

Genannt wird auch "die Schwächung von Arbeitssicherheitsstandards u. a. in der Öl- und Gasindustrie; oder die Angriffe auf öffentliche Bundesbeschäftigte und ihre gewerkschaftlichen Vertretungsmöglichkeiten, deren sichtbarster Ausdruck die historisch längste Schließung von Regierungsbehörden um den Jahreswechsel 2018/19 war, die Hunderttausende Mitarbeiter in den unbezahlten Zwangsurlaub schickte".17

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