Der Ernst Thälmann des Mittelalters

Bild: Warner Bros.

Last Exit Camelot: Das soll König Arthur sein? Wo bleibt Emmanuel Macron? Guy Ritchies überaus freie Verfilmung von "König Arthur"

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Am Anfang ist das Chaos, doch am Ende ist es schlimmer noch als zu Beginn. Die Schwerter blitzen, das Geschehen ist unübersichtlich, der Himmel ist grau - es ist wieder einmal Ritterzeit auf der Kinoleinwand. Und was dort zu sehen ist, sieht aus wie ein Tony Scott Film: Zu Beginn wird gemetzelt, man massakriert ein gewaltiges Heer aus 3-D-Viechern. Doch der Sieger Uther fällt kurz darauf selbst einem Mordanschlag seines Bruders Vortigern zum Opfer.

Man kennt sie, die sagenhaften Geschichten um den legendären König Arthur, der im nachrömischen England des frühen Mittelalters sein Reich "Avalon" gründete und in seinem Schloß Camelot als vorbildlicher Herrscher ohne Fehl und Tadel eine strahlende Tafelrunde aus gleichfalls edlen Ritterleuten um sich versammelte. Tristan, Lancelot, Parzifal der reine Tor und viele andere.

Auch sie begingen in den über viele Jahrhunderte fortgeschriebenen und erweiterten Episoden der Artussage über Jahrzehnte große Taten - bis irgendwann dieses wunderbare Reich zerfiel, unterging in Verrat und Niedertracht. Nur der Glanz dieser (erfundenen) Vergangenheit und seines "one and future King" verging nie, im Gegenteil: Aus der Ferne ging von König Arthur und den seinen nur ein noch größeres Strahlen aus - bis in unsere Tage.

Der Ernst Thälmann des Mittelalters (16 Bilder)

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Fast jede Nationalmythologie wurde von der Artussage und ihren verschachtelten Weitererzählungen inspiriert bis hin in die Neuzeit, zu Purcells und Wagners Opern, zu den Romanen von Twain und Muschg, White und Tolkien, den Stücken von Dorst. Und die Politik nicht minder: Noch der jungenhafte US-Präsident John F. Kennedy und die Herrschaft seiner 1.000 Tage bediente sich des Mythos "Camelot" und zehrte von ihm, noch lange, nachdem Kennedy tot und seine Tafelrunde in alle Winde zerstoben war.

Mehr Catcher als Edelmann

Auch das Kino hat die Artussage in unzähligen Varianten erzählt, mal rein und unschuldig wie Robert Bresson in seiner naturalistischen arte-povera-Version der Lancelot-Geschichte, mal humoristisch, wie die Monthy Python, mal pathetisch old school wie in den 90er Jahren mit Richard Gere und Sean Connery als altem König, dem vom jungen Lancelot Hörner aufgesetzt werden, mal als blutsudelnde Roman-Empire-Untergangsphantasie, im War against Terror, mal blutig hippieesk wie in John Bormans "Excalibur", der auch nach fast 40 Jahren immer nach einer der besten Ritterfilme aller Zeiten bleibt.

Das sei ins Gedächtnis gerufen angesichts dieses Filmchens, das behauptet, von "König Arthur" zu handeln. Man kann nämlich die Geschichte von Arthur nicht erzählen, ohne auf diese Mythologie einzugehen. Das tut auch irgendwie Guy Ritchie, wenn er sich jetzt an einer Neufassung versucht.

Weil die Story im Prinzip immer die gleiche ist, liegt die Herausforderung jeder König-Arthur-Verfilmung darin, welche Episoden am sich herauspickt, und wie man sie kombiniert. Guy Ritchie, ein in manchen Kreisen sehr hoch-gehypter Regisseur, macht es sich einfach: Er verfilmt jene Zeit, über die die Vorlage am schnellsten hinweg geht - Arthurs Jugend. Am ehesten könnte der erste Band von T.H.Whites modernem Artus-Epos "The Once and Future King" ein Vorbild sein, der auch Arthurs Jugend frei ausmalt - wenn er sie auch weit edler zeichnet, als Ritchie es jetzt tut, der im Umgang mit allen eventuellen Vorläufern sehr sehr frei ist.

Unterstützt wird er von charismatischen Darstellern: Jude Law sieht bekanntlich gut aus, darum ist klar, er muss hier gemäß der Schwarz-Weiß-Ästhetik des Regisseurs einen Schurken spielen: den blutrünstigen, skrupellosen Onkel Arthurs, den Diktator Vortigern. Charlie Hunnam sieht dagegen eher etwas primitiv und grobschlächtig aus, darum ist er in diesen Kategorien der Gute.

Der Zuschauer wundert sich vor allem: Das soll König Arthur sein? So also soll er ausgesehen haben? Ein junger, von drei Prostituierten erzogener Schläger, ein aggressiver Straßenjunge, der vor Kraft kaum laufen kann, und der diese Kraft nur unzureichend beherrscht? Der dann als Erwachsener eher einem Catcher ähnelt als einem Edelmann? Und der so aussieht, als könne er zwar wie einst Seewolf Raimund Harmstorf rohe Kartoffeln mit der bloßen Faust zu Brei quetschen, aber nicht so, als hätte er in seinen Leben jemals auch ein einziges Buch aufgeschlagen.

Bei diesem Kinobesuch wäre Bücherwissen im Gegenteil auch eher hinderlich.