"Der Euro vergrößert die Kluft zwischen den armen und den wohlhabenden Ländern"

Seite 3: "In der Wirtschaftsgeschichte gab es noch nie eine funktionierende Währungsunion"

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Wurden bei der Gründung der Eurozone Fehler begangen, die sich jetzt auf die Krise auswirken?

Gerald Pilz: Deutschland hat zwar die Schaffung der Währungsunion einigermaßen gründlich vorbereitet und auch zahlreiche Mechanismen eingeführt, die eine Stabilisierung bewirken sollen; aber dennoch wurden etliche Fehler begangen. Die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags sollten sicherstellen, dass die Länder sorgfältig im Sinne einer Haushaltskonsolidierung wirtschaften; aber die Sanktionen für Staaten, die sich nicht an das detaillierte Regelwerk halten, wurden in der Praxis nie umgesetzt.

Wer sich in der Realpolitik auskennt, müsste eigentlich wissen, dass es nahezu unmöglich ist, in einer Gemeinschaft andere Staaten zu maßregeln. Das hat in der Europäischen Union in der Vergangenheit nicht funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht tun. Selbst wenn es durchsetzbar wäre, über einzelne Staaten Sanktionen zu verhängen, wäre ein solcher Schritt aus ökonomischer Sicht völlig absurd und europapolitisch auch nicht erstrebenswert.

Bei der Gründung der Europäischen Währungsunion hätte allen Beteiligten klar sein müssen, dass es in der Wirtschaftsgeschichte noch nie eine funktionierende Währungsunion gab. Auch die Skandinavische Währungsunion und die Lateinische Münzunion, die im 19. Jahrhundert ins Leben gerufen wurden, sind zerbrochen – und dies obwohl die skandinavischen Staaten zahlreiche politische, kulturelle und ökonomische Gemeinsamkeiten aufwiesen und obwohl beide Unionen durch einen Goldstandard abgesichert waren. Die Europäische Währungsunion hat im Vergleich dazu eine viel schlechtere Ausgangsbasis.

Dennoch könnte der Euro eine realistische Chance haben, wenn alle Regierungen in der Eurozone ihn vorbehaltlos und aktiv unterstützen. Ein weiteres Absenken des Lohnniveaus und ein noch härteres Sparen sind in vielen Ländern indes nicht mehr machbar. Die Not und das Elend in etlichen Ländern sind unerträglich. Mit dem Euro ist eine Währungsabwertung nicht mehr möglich.

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands steigt dadurch rapide, während ein Großteil der Eurozone schon jetzt von der Weltwirtschaft abgekoppelt wird. Im Ranking des Weltwirtschaftsforums erreicht Deutschland den Platz 4 hinter Finnland. Griechenland hingegen bildet mit Rang 91 eines der Schlusslichter. Es ist eine verhängnisvolle Illusion zu glauben, Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien könnten durch Sparen wieder erfolgreich werden.

Welche Schritte müssten unternommen werden, um die Situation zu stabilisieren?

Gerald Pilz: Die Europäische Währungsunion hat letztlich nur dann eine Zukunft, wenn die Zusammenarbeit wesentlich enger wird. Im Grunde setzt sie eine politische Union voraus. Dies wirft die Frage auf: Ist der Wille überhaupt vorhanden? In Deutschland sind die Vorbehalte groß. Auch Frankreich müsste sich stärker bewegen und mit Deutschland die politische Führungsverantwortung übernehmen. Bislang sind aber selbst bedeutsame symbolische Projekte wie beispielsweise eine deutsch-französische Staatsbürgerschaft oder gemeinsame Sitzungen der Parlamente in Paris und Berlin nicht vorangekommen. Wenn schon solche kleinen Schritte, die sehr begrüßenswert wären, kaum Beachtung finden, wie sollen dann die großen Herausforderungen der Krise in der Eurozone gemeistert werden?

Wird der ESM die Probleme beseitigen?

Gerald Pilz: Der ESM ist nur eine Notmaßnahme, die die Ungleichgewichte in der Eurozone nicht verhindern kann. Zudem sind die Auflagen für die Hilfen sehr hoch, so dass die meisten Regierungen den schmerzvollen Gang nach Luxemburg nicht antreten wollen. Die Politik wird natürlich im Laufe der Zeit die Antragskriterien aufweichen, so dass am Ende auch Banken direkt Hilfen aus dem ESM anfordern können. Aber insgesamt betrachtet hat der ESM nicht das Potenzial, um eine Krise in Italien oder Spanien aufzufangen. Zum Erhalt der Währungsunion bedarf es weit umfassenderer Maßnahmen.

Wie wird es nach Ihrer Einschätzung weiter gehen? Wie sicher ist der Euro?

Gerald Pilz: Die Spannungen innerhalb der Eurozone werden zunehmen. Die erschreckende Verarmung und die hohe Arbeitslosigkeit in den betroffenen Ländern stellen die Regierungen vor erhebliche Herausforderungen. Weitere Milliardenhilfen werden daher unumgänglich sein; man wird auch über Umwege zusätzliche finanzielle Hilfen aus Sonderfonds gewähren. Die Vergemeinschaftung der Schulden wird nicht direkt, sondern unauffällig über den ESM und andere Maßnahmen erfolgen.

Der Euro wird langfristig in Bedrängnis geraten. Allerdings ist er – bildlich gesprochen – der Einäugige unter den blinden Währungskönigen. Andere Währungen sind mindestens ebenso angeschlagen. Der Yen ist nach der expansiven Geldpolitik der Bank of Japan nur noch der Schatten seiner selbst; die Währungen der Schwellenländer geraten ebenfalls unter Druck. Der US-Dollar kann sich dank seines Status als Weltleit- und -reservewährung noch einigermaßen behaupten, wenngleich auch Washington unter dem Billionenschuldenberg immer mehr ächzt und an finanzpolitischem Handlungsspielraum verliert. Das gesamte Währungsgefüge befindet sich im Umbruch.

Wie steht es um die Einlagen der Bürger?

Gerald Pilz: Die geplante Bankenunion in der Europäischen Union hat natürlich beträchtliche Auswirkungen auf die Einlagensicherung in Deutschland. Vielen ist gar nicht bewusst, dass es eine gesetzlich verankerte, staatliche Garantie für Einlagen nicht gibt. Die Banken sind lediglich verpflichtet, in eine Entschädigungseinrichtung einzuzahlen. Zusätzlich gibt es noch private Einlagensicherungssysteme. Wie tragfähig eine solche Lösung ist, hängt letztlich davon ab, wie hoch der tatsächliche Anteil der toxischen Kredite bei den europäischen Banken ist.

Es bleibt zu hoffen, dass es den Staaten in der Eurozone gelingt, die Probleme mit mehr Engagement zu lösen und eine stärkere Kooperationsbasis zu etablieren. Nur dann hat die Währungsunion langfristig eine Chance auf Erfolg.

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