Der General, der Präsident - und die Bombe

Air-Force-Chef Curtis LeMay und das Kennedy-Attentat

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Curtis E. LeMay tötete Millionen Menschen, darunter überwiegend Zivilisten. Er forderte und plante nukleare Überraschungskriege gegen Kuba, die Sowjetunion und China, das damals noch keine Kernwaffen besaß. Der ultrarechte General scheiterte an einem Mann, der in seinen Augen für die größte Schande der USA verantwortlich war und nun ausgerechnet dem Militär die Bombe wegnehmen wollte.

Als sich General Curtis LeMay (1906-1990) im Bethesda Naval Hospital, Maryland, auf einer Galerie über einem Operationssaal eine Zigarre anzündete, war eigentlich nichts, wie es hätte sein sollen.

Unten am Operationstisch führte ein Militärarzt eine Obduktion durch, der noch nie in seinem Leben obduziert hatte. Das Original seines Berichts über die von 20 Uhr bis 12 Uhr dauernde Autopsie - Staatseigentum - verbrannte der Arzt später eigenmächtig. Für die Obduktion gab es weder eine Rechtsgrundlage noch einen Anlass. Der Tote war bereits rechtmäßig von den für den Tatort zuständen zivilen Ärzten obduziert worden, nämlich im Parkland-Krankenhaus in Dallas.

Die mit Schusswunden erfahrenen Ärzte hatten einen frontalen Einschuss im Kopf und eine dafür typische große Austrittswunde am Hinterkopf diagnostiziert. Dies passte zum Bericht eines schräg hinter der 10 km/h langsamen Präsidentenlimousine fahrenden Motorradpolizisten, auf dessen Windschutzscheibe ein Teil der austretenden Hirnmasse aufgeschlagen war.

Curtis LeMay. Foto: US Air Force

Etliche Zeugen hatten angegeben, sie hätten Schüsse von einem Grashügel gehört, Pulverdampf gerochen und weglaufende Schützen gesehen. Der unter Befehl stehende Militärarzt kam zum konträren Ergebnis, dass der Präsident von hinten erschossen worden sein müsse. Beweismittel verschwanden. Als die zivilen Ärzte des Parkland-Hospitals später vor der Warren-Kommission aussagten, hatten sie ihre Meinung auf einmal geändert und schlossen sich den Ergebnissen der Militärärzte an.

Angeblich soll die Untersuchung auf Wunsch der schweigsamen Witwe durchgeführt worden sein, da der Präsident auch Ex-Offizier der Marine gewesen sei. So wenig das Militär allerdings tatsächlich zu einer eigenen Untersuchung zuständig oder auch nur kompetent war, so wenig hätte es der Anwesenheit des Luftwaffenchefs bedurft, der im aktuellen Spannungsfall eigentlich eine viel dringendere Aufgabe gehabt hätte. Wie erst 2012 bekannt wurde, hatte 1957 Präsident Eisenhower unter der Code-Bezeichnung Furtherance für den Fall, dass der Präsident bei einem sowjetischen Angriff auf die USA einmal nicht erreicht werden könnte, die Autorität zum Nuklearangriff auf die Sowjetunion und China auf Spitzenkommandanten übertragen.

Zwar war die Befehlskette durch den Vizepräsidenten Johnson wieder geschlossen worden, der noch an Bord von LeMays Air Force One zum neuen Präsidenten vereidigt wurde. Dennoch wäre in der aktuellen Staatskrise der Platz des Generals im Pentagon oder auf der Offutt Air Base in Nebraska gewesen, kaum aber bei der eigenmächtigen Untersuchung eines Kriminalfalls.

Der General, der die Bombe liebte

Musterpilot Curtis Emerson LeMay hatte die Air Force mit aufgebaut. Im Zweiten Weltkrieg kommandierte er die Bombardierung von Zivilisten in Deutschland, was die Kampfmoral der Deutschen zermürben sollte. Städte wie Hamburg und Münster wurden durch Bombenteppiche nahezu komplett verwüstet. Zur Taktik von LeMays Angriffen gehörte auch der Double Strike, bei dem die Flugzeuge, nachdem am Boden Entwarnung gegeben wurde, umkehrten und die aus den Bunkern gekrochenen Menschen ein zweites Mal bombardierten.

Bei einem mit 826 Flugzeugen geflogenen Angriff auf die deutsche Luftfahrtindustrie bei Regensburg und Schweinfurt zog sich LeMays Flugzeug über die Alpen zurück, während die britischen Waffenbrüder schwere Verluste erlitten. Piloten, die ihre Missionen aus Angst vor Feindbeschuss vorzeitig abbrachen, drohte LeMay entschlossen mit dem Kriegsgericht. Wer zu zaghaft für den Krieg war, der gehörte für ihn erschossen.

Beim Luftkrieg gegen Japan kommandierte LeMay u.a. den Angriff auf die Stadt Tokio, die überwiegend aus Holz erbaut war. Innerhalb einer Nacht vernichtete LeMay mit Brandbomben die von Zivilisten bewohnte Stadt und schickte dabei 100.000 Menschen in den Tod. Insgesamt tötete er über eine halbe Million meist zivile Japaner und machte acht Millionen obdachlos.

Überliefert ist LeMays Einschätzung, dass man ihn im Fall eines verlorenen Kriegs als Kriegsverbrecher angeklagt hätte. Obwohl der Krieg gegen Japan inzwischen durch die chinesische Armee weitgehend entschieden war, nutzte man nach der deutschen Kapitulation den verbliebenen Kriegsschauplatz, um Stalin eine neue Waffe zu demonstrieren: Statt auf Ludwigshafen, wie man es noch während des Kriegs gegen Deutschland geplant hatte, warf die Air Force unter LeMays Kommando die ersten beiden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ab. Wie LeMay selbst formulierte, hatten die Atombombenabwürfe nichts mit der Kapitulation von Japan zu tun, die vielmehr von der Bereitschaft zur Verschonung des als Gott verehrten Kaisers abhing.

Draufgänger LeMay rauchte an Bord im Kampfeinsatz trotz Explosionsgefahr seine Zigarre. Der Krieger schätzte Entschlusskraft und Risikofreudigkeit. Sein Büro etwa hatte man selbstbewusst ohne Anklopfen zu betreten. Ganz allgemein sagte er seinen Männern Rückdeckung für den Fall zu, dass diese Fehler machten. Fehler beim Hantieren mit Atomwaffen konnten schon mal passieren, etwa 1961, als die Air Force über Colorado eine scharfe Wasserstoffbombe verlor.

Seine Männlichkeit bewies LeMay, in dem er beim Pinkeln die Tür offen stehen ließ, auch wenn wichtige Gäste zugegen waren. Der General war kein Freund großer Worte. McNamara zufolge (der im Krieg gegen Japan unter ihm diente und später dessen Vorgesetzter wurde) soll LeMay mit dem Vokabular "Yes", "No" und "Yap" nahezu ausgekommen sein. 1947 leitete er die Air Force in Westdeutschland und machte sich 1949 einen Namen durch die von ihm organisierte Luftbrücke.

Hardliner wie General Leslie Richard Groves, der ohne Wissen des (damals nur stellvertretenden) Präsidenten Truman die Atombombe hatte entwickeln lassen, forderten bereits seit 1945, jeglichen Feind der USA mit Kernwaffen anzugreifen. LeMay schlug 1949 vor, sämtliche 133 Atombomben auf 70 sowjetische Städte zu werfen. Man solle den Russen den Sunday Punch verpassen, also den Schlag eines Boxers, der den Gegner erst wieder am Sonntag erwachen lässt.

Time-Titelzeile zu LeMay: "For the Sunday punch, a daily windup"

Um in kürzester Zeit einen Atomschlag gegen die Sowjetunion zu realisieren, baute er das Strategic Air Command (SAC) auf, das eine ständig in der Luft befindliche Flotte mit Nuklearmunition in Grenznähe zur Sowjetunion in Gefechtsbereitschaft hielt - Vergleichbares ist von den Sowjets nicht bekannt. Das SAC mit Hauptquartier Offutt Air Force Base in Nebraska umfasste knapp 2.000 Bomber und 800 Tankflugzeuge und beschäftigte über 200.000 Personen. Ein wichtiger Stützpunkt für das SAC war die deutsche Ramstein Airbase, der größte Militärflughafen der Welt.

1961 rückte LeMay als neuer Chef der Air Force in das fünf Mann starke Gremium des Vereinigten Generalstabs auf. Den Joint Chiefs of Staff (JCS) saß der ultrarechte General Lyman Louis Lemnitzer vor, der bereits in den letzten Tagen des Dritten Reichs heimlich mit deutschen Offizieren über eine Allianz gegen die Sowjetunion verhandelt und 1949 mit dem gleichen Ziel für die USA die Geheimvorbereitungen zur Gründung der NATO geführt hatte. Beide Generäle verband ein tiefer Hass gegen den Mann, der inzwischen im Weißen Haus Platz genommen hatte.

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