"Der Journalismus produziert seine Kritiker und Gegner selbst"

Seite 2: Die Erfolge der Gegenöffentlichkeiten zeigen, dass es auch ohne die traditionellen Medien geht

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Sie haben in Ihrer Studie festgestellt, dass diese Gegenöffentlichkeit gar nicht das Ziel hat, in die großen Medien zu kommen. Wie meinen Sie das?

Wolfgang Storz: Früher war es das Ziel von Organisationen und Initiativen, mit ihren Informationen und Positionen in den Medien zu kommen. Denn diese waren der einzige relevante Transporteur. Das ist heute grundsätzlich anders. Die Erfolge der Gegenöffentlichkeiten zeigen ja, es geht ohne diese traditionellen Medien. Das heißt, dieser Zwang ist weg. Sich auf die Verbesserung und Verbreiterung der eigenen Medien zu konzentrieren, steht im Vordergrund. Wenn dann die eigene Arbeit so erfolgreich ist, beispielsweise gemessen an Resonanz, dass wiederum die klassischen Medien gezwungen sind, von sich aus auf Themen dieser Gegenöffentlichkeiten einzugehen oder gar auf diese selbst, dann wird das gerne gesehen, selbstverständlich. Insofern haben diese Gegenöffentlichkeiten übrigens objektiv gesehen auch immer die gesellschaftliche Funktion von Frühwarnsystemen, sie machen auf Defizite aufmerksam. Aber: Von diesen klassischen Medien wahrgenommen zu werden, das ist heute im Gegensatz zu früher eher 'Abfallprodukt' der eigenen Arbeit, nicht das erste Ziel. Zumal jedes positive Eingehen der klassischen Medien auf die eigenen inhaltlichen Anliegen der eigenen Attraktivität schaden kann, speist sich diese doch wesentlich auch aus dieser Ausgrenzung von Seiten der herkömmlichen Medien.

Denken wir doch mal zurück an die Anfänge der Gegenöffentlichkeit, die vermutlich ihren Ursprung nach dem 11. September 2001 hat. In den ersten Jahren nach den Anschlägen, als sich die Gegenöffentlichkeit formiert hat, war es durchaus so, dass ihre Mitglieder versucht haben, die alternativen Sichtweisen in die Medien zu tragen. Sie wollten in die großen Medien, um ihrem Thema Gehör zu verschaffen. Sie haben sich im Internet laut darüber beschwert, dass die großen Medien ihnen den Zugang zum medialen Diskurs nicht erlauben. Irgendwann haben sie bemerkt: Diese Tür ist tatsächlich so fest verschlossen, da ist kein Durchkommen, mit den Medien in den Dialog zu kommen, ist "vergebene Liebesmüh."

Kann es sein, dass es zu einer Art Emanzipation gekommen ist? Anders gesagt: Liegt die Schlussfolgerung nahe, dass Mitglieder der Gegenöffentlichkeit erkannt haben, dass sie, wenn sie ihre Thesen weiter verbreitet sehen möchten, einfach ihre eigenen Formate schaffen müssen?

Wolfgang Storz: Aufgrund Ihrer Schilderung liegt der Schluss nahe: Die Kritiker wurden müde, haben ihre Anstrengungen als vergeblich erkannt und gingen dazu über, ihre Energie in den Aufbau von eigenen medialen Strukturen zu investieren, was eben seit ein, zwei Jahrzehnten aufgrund der neuen Techniken mit viel geringeren Ressourcen möglich ist, als vor 20 oder 30 Jahren. Und innerhalb der vergangenen 20 Jahre haben sich natürlich die Bedingungen noch einmal drastisch verbessert: Wie bereits erwähnt: Beste Techniken sind noch viel billiger als noch vor Jahren zu erwerben und zudem noch einfacher zu handhaben.

Woher kommt heute nun die geballte Kritik an dem Medien?

Wolfgang Storz: Ich glaube, eines der großen Probleme ist, dass Medien die Kritik an ihnen punktuell wahrnehmen, eventuell auch ernstnehmen, aber dann weglegen und vergessen. Und dann kommt die nächste Kritik.

Was meinen Sie damit?

Wolfgang Storz: These: Das Publikum oder wenigstens ein Teil davon addiert, der Journalismus vergisst.

Ok?

Wolfgang Storz:: Also: Es kann doch sein, dass Journalisten zu schnell Kritik an ihnen vergessen und ihnen nicht bewusst ist, dass nennenswerte Teile des Publikums dagegen nicht vergessen, sondern sich erinnern und die Kritikpunkte addieren - bis sie davon überzeugt sind, ob zu Recht oder zu Unrecht: Da steckt ja System dahinter. Das könnte beides wenigstens zum Teil erklären: Zum einen die Wucht der Kritik über die Ukraine-Berichterstattung, da hat sich einiges angestaut, und zum anderen die buchstäbliche Fassungslosigkeit mancher Journalisten über diese Kritik, die für sie wie eine Naturgewalt über sie hereingebrochen ist.

Nehmen wir Ihr Beispiel: 9/11. Auch Umfragen belegen, nennenswerte Minderheiten in der Bevölkerung misstrauen der US-regierungsoffiziellen Version der Abläufe. Das heißt ja nicht einmal, dass gleich den Kritikern geglaubt wird. Aber das Gefühl bleibt: Da stimmt etwas nicht, und in meinen traditionellen Medien lese ich nichts darüber.

Dann gab es eine Phase nach dem Jahr 2000, in der die prägenden Medien Berichterstattung und Meinungen sehr stark auf das Negative am Sozialstaat und den Gewerkschaften und auf das Positive an marktradikalen Konzepten verengten. Repräsentative Umfragen zeigten damals, dass große Mehrheiten der Bevölkerung das ganz anders sahen. Dann kommen hinzu Euro-, dann Ukraine- und Russlandberichterstattung. Nicht zu vergessen: Es gibt seit vielen Jahren Berufs-Rankings, bei denen der Berufsstand des Journalismus immer auf den hinteren Plätzen rangiert. Wenn ich als Journalist oder wenn der Berufsstand die Kritik zu den einzelnen Themen immer wieder buchstäblich vergisst, dann bin ich gar nicht in der Lage zu erkennen, dass sich da über viele Jahre etwas "zusammenbraut", dass irgendwann Kritik im Einzelnen in grundsätzliche Abwendung oder passive oder gar aktive Gegnerschaft münden kann.

Wie bewerten Sie denn die Medienprodukte, die die Gegenöffentlichkeit hervorbringt?

Wolfgang Storz: Für das, was ich mir genauer angeschaut habe, gilt: Da gibt es eine hohe technische Qualität. Das Angebot ist auf Dauer angelegt. Nicht vergessen: Es handelt sich um Nischen, aber trotzdem halte ich die Resonanz für beträchtlich. Ich nenne zwei Beispiele: Ken Jebsen hat jüngst eine politische Gesprächsrunde organisiert, die bereits nach wenigen Wochen auf dem YouTube-Kanal mehr als 400.000 Klicks verzeichnet. Nun ist offen, was ein Klick letztlich bedeutet, auch sagt dies nichts aus, wie intensiv dieses mehr als zweistündige Gespräch angeschaut wurde. Aber ein Hinweis auf hohe Resonanz ist dies schon.

Und bei "Compact", dem Monatsmagazin, das Jürgen Elsässer mitgegründet hat und als Chefredakteur leitet, ist die Nachfrage ebenfalls beachtlich. Nach Angaben von Elsässer beträgt die Auflage verkaufte 30.000 Exemplare. Da handelt es sich, etwa vier Jahre nach der Gründung, meines Erachtens um eine beachtliche kaufkräftige Nachfrage: Der Klick im Netz kostet mich nichts, für "Compact" muss ich am Kiosk fast fünf Euro hinlegen. Und: Es ist festzustellen, dass es diesen Akteuren gelang, in den vergangenen Jahren ihre Angebote schrittweise auszubauen. Auch das deutet auf eine wachsende Nachfrage hin.

Die Rezipienten greifen jedenfalls auf diese Produkte zu.

Wolfgang Storz: Nach meinen Beobachtungen eindeutig ja. Fast korrespondierend mit dem nach Umfragen schwindenden Vertrauen in die klassischen Medien. Die Akteure selbst sehen sich zum Teil wenigstens auch bewusst als Produzenten von "Alternativ-Medien".

Journalismus entscheidet erst einmal, was gesellschaftlich wichtig ist oder nicht

Vertreter großer Medien ziehen an der Stelle gerne einen "Joker." Sie verweisen darauf, dass sie dem Mediennutzer keinen Unsinn auftischen dürfen und berufen sich direkt oder indirekt auf ihre rationale Deutungsüberlegenheit.

Wolfgang Storz: Jeden Unsinn sollten sie nicht auftischen, das ist ja vollkommen richtig. Aber wenn ich merke, und das zeigt auch, wie segensreich das Netz mit seinen Möglichkeiten ist, da gibt es ein Thema, das viele Menschen beschäftigt, zu dem sie nachfragen, offizielle Darstellungen anzweifeln, zu dem sich möglicherweise sogar Bürger äußern, die als Fachleute gelten, dann ist der Berufsstand der Journalisten doch qua Aufgabe und eigener Normen geradezu gezwungen, sich mit Berichterstattung und Analyse um solche Hinweise zu kümmern, also egal ob Euro, 9/11, Ukraine oder Sozialstaat.

Er muss dann herausarbeiten: Wo passen die Fakten und Argumente von Kritikern und Befürwortern zusammen, wo widersprechen sie sich, welche Fragen bleiben ungeklärt und so weiter. Das ist die vornehmste Aufgabe der Journalisten. Bei vielen Themen geht er auch in diesem Sinne dieser Arbeit nach, das ist die Regel. Wie Journalisten etwas kommentieren und bewerten, das ist ja wieder eine ganz andere Frage; dann aber strikt getrennt und deutlich als Meinung auch markiert.

Das Netz, das sozusagen sekündlich, unaufhörlich Themen, Nachrichten und Meinungen produziert, macht doch den Berufsstand des Journalisten, der unabhängig arbeitet, endgültig unentbehrlich. Es muss eine legitimierte und anerkannte Instanz geben, die versucht, diese unübersehbar gewordene Kommunikationswelt nach Bedeutung der Themen, der Interessen und der Perspektiven zu sichten, um Überblicke zu liefern und für das Publikum Schneisen zu schlagen. Das ist der Vorteil, den die klassischen Medien den Rezipienten gegenüber dem Netz bieten.

Aber ist das wirklich pauschal ein Vorteil? Es kann ein Vorteil sein, aber nicht zwingend. Denn gerade durch Selektierung, Gewichtung und Perspektivierung entstehen viele Probleme. Ein Filter bzw. mehrere Filter werden den Informationen und Sachverhalten vorgeschoben und damit ist Gefahr einer Verzerrung groß. Gerade das Ungefilterte, so wie es im Internet zu finden ist, kann auch seinen eigenen Wert haben und gegenüber dem Gefilterten einen Vorteil haben, oder?

Wolfgang Storz: Ich stimme Ihnen zu mit dem Zusatz: Wie können wir - pauschal gesagt - das Verhältnis von klassischem Journalismus und Netz so organisieren, dass es nicht in einen Kampf gegeneinander mündet, sondern im Sinne und Dienste dieser Demokratie dabei gute Leistungen herauskommen.

Was heißt das?

Wolfgang Storz: Eine Demokratie lebt auch vom gemeinsamen öffentlichen Gespräch und Streit über bedeutende Themen. Das Netz produziert täglich 1000 Themen. So sichtet der Journalismus Informationen zu wichtigen Themen, und er entscheidet erst einmal, was gesellschaftlich wichtig ist oder nicht. Er verarbeitet die Informationen dazu zu belastbaren Nachrichten, auf die sich jeder beziehen können muss.

Denn für einen Streit brauche ich eine möglichst unstrittige informationelle Grundlage. Also: Das Zitat muss stimmen, die Zahlen müssen stimmen, das, was nicht geklärt werden kann, muss als strittig und ungeklärt markiert werden. Das kann nur ein in die jeweilige Sache Nicht-Involvierter machen. Diese Auswahl und Sichtung ist unabdingbar, sonst überwältigt uns die Unübersichtlichkeit, die in Handlungsunfähigkeit münden kann.

Und warum das Netz jetzt so toll ist: Mit ihm kann der interessierte Bürger die Arbeit des Journalismus heute viel eher überprüfen und korrigieren. Ist etwa ein wichtiges Thema anhaltend doch übersehen oder gar bewusst ausgegrenzt worden? Fehlt eine wichtige Information, eine wichtige Deutung? Das meine ich mit dem fruchtbaren Verhältnis im Sinne unserer Demokratie. Wenn allerdings der Journalismus anhaltend wichtige Korrekturbemühungen grundlos ignoriert, dann produziert er sich seine Kritiker und auf Dauer seine Gegner selbst.

War früher alles besser?

Wolfgang Storz: Nein, im Gegenteil. Wir haben heute viel mehr Öffentlichkeit. Wir haben nur" noch das allerdings große Problem, dieses ungeheure Mehr produktiv und positiv zu nutzen. Wir stecken viel zu viel Energie in unfruchtbare Gegnerschaften: Wenn bei der Arbeit des Journalisten ein Fehler gefunden wird, dient dies nicht der gemeinsamen Arbeit, die Nachrichten-Grundlage noch zuverlässiger zu machen, der Fehler dient zu oft als Beleg, dass die Medien Büttel der Eliten sind. Ich füge jedoch auch an: Als jemand, der 1980 sein Zeitungs-Volontariat gemacht hat, habe ich manchmal den Eindruck, dass früher Journalisten die Trennung von möglichst wenig wertenden Nachrichten- und Berichtsformen und der wertenden Kommentierung ernster genommen haben. Dass das Publikum dies will, steht übrigens in zahllosen Untersuchungen, welche die Medien ja regelmäßig über sich anstellen lassen.