Der König von Deutschland spricht wieder zu uns

Seite 3: Wie ein König – und doch wieder nicht so ganz

Nun kann man sich fragen: Warum brauchen wir diese Reden, regelmäßig zu Weihnachten und bei zahlreichen Ehrungen, Festveranstaltungen, Tagungen? Inhaltlich ziehen sie doch ziemlich genau die großen Linien in der aktuell herrschenden Politik nach.

Aber sie machen sich damit nicht einfach gemein. Sondern die Worte eines Bundespräsidenten halten sich vom alltäglichen politischen Schacher fern. Ein Frank-Walter Steinmeier steht über dem ständigen Streit, wie Deutschland am besten voranzubringen ist.

Seine Aufgabe besteht darin, das ganze Volk zu repräsentieren, als "erster Bürger im Staate". Er personifiziert das Gute der Nation, die herausragenden Eigenschaften der Bürger und ihr Bemühen, stets für den Erfolg Deutschlands zu arbeiten – und zwar bitte schön zusammen, über alle Unterschiede und Interessengegensätze hinweg.

Insofern führt er sich wie ein König auf. Aber nicht ganz so, wie es Mitte der 1980er-Jahre Rio Reiser in seinem bekannten Lied "König von Deutschland" besang:

Ich denk' mir, was der Kohl [der damalige Bundeskanzler] kann
Das kann ich auch …
Bei der Bundeswehr
Gäb' es nur Hit-Paraden..
. Ich hätte zweihundert Schlösser...

Das alles und noch viel mehr
Würd' ich machen
Wenn ich König von Deutschland wär'

Erstens verfügt der Bundespräsident nur über ein Schloss ("Bellevue"). Aber darauf ließe sich vielleicht der ehemalige Sänger der linksradikalen "Ton, Steine, Scherben" ein (wenn er noch lebte, er starb 1996). Zweitens, und das ist dann schon ein großer Unterschied, kann er nicht über die Bundeswehr verfügen. Oberbefehlshaber ist er nicht.

Wie, drittens, er ebenfalls nicht das kann, was ein Bundeskanzler kann: eine Regierung führen. Denn aus diesem politischen Alltagsgeschäft ist er raus – das macht ihn in dieser Beziehung unangreifbar, was genau so gewollt ist.

Im Prinzip also eine Art Pappfigur, die nichts zu melden hat. Die jedoch genauestens darauf beäugt wird, dass sie das Ideal des guten Deutschen überzeugend und 24 Stunden am Tag personifiziert. Der Präsident muss ein untadeliges Privatleben führen, bescheiden sein, aber schon auch national selbstbewusst auftreten.

Als nominelles Staatsoberhaupt überragt er natürlich alle Bürger, und das sollte in seinem Verhalten zu bemerken sein. Das höchste Amt verlangt eben Respekt. Dennoch darf er nicht zu abgehoben agieren. Dem Volke zugewandt, nimmt er die Stimmen auf und trägt sie im Sinne einer Sorge um das nationale Wohl denen vor, die das Sagen haben. Beim Ermahnen der Regierenden darf er es wiederum nicht übertreiben. Denn Vorschriften darf er natürlich nicht machen, das überschreitet seine Kompetenz.

Noch ruft der "König von Deutschland" nicht zu den Waffen

Ein durchaus schwieriger Job also. Die richtige Person dafür zu finden, ist deshalb jedes Mal eine ausgewachsene Staatsangelegenheit. Vom Bundespräsidenten hängt zwar keine wichtige Entscheidung ab.

Aber als Inkarnation Deutschlands muss der Amtsträger über alle Zweifel erhaben sein – damit seine Appelle ans deutsche Gewissen der Bürger möglichst glaubwürdig rüberkommen. Das erinnert dann an Predigten an die Gemeinde: Ständig geht es um Tugenden, um Ideale, um gemeinsame Ziele, die "wir" haben müssten – und um Versuchungen, denen "wir" zu widerstehen hätten.

Da muss der Präsident Vorbild sein, der Edelste von allen, und darüber hinaus der Nation den ihr zustehenden Glanz verleihen – so wie halt eine Queen, ein König in Spanien, Schweden oder wo sonst noch Staaten sich neben ihren geschäftsführenden Regierungen einen Repräsentanten der jeweils nationalen Überlegenheit leisten.

Dass ein Frank-Walter Steinmeier da mit seinen hierarchischen Kolleginnen und Kollegen nicht so recht mithalten kann, sollte man ihm nicht vorwerfen. Der deutsche "König" steht nun einmal keinem Adelsgeschlecht vor, dessen zahlreiche Angehörige zu unterhalten sind und deren Liebesleben die Leute unterhält. Das Schloss Bellevue hat er nur für seine Amtszeit geborgt – überhaupt: Amtszeit! Ist das noch ein König, der gewählt wird und dessen Ende festgeschrieben ist?

Andersherum: Passt eine solche Figur nicht gerade zu einer so bescheidenen Nation wie Deutschland? Im Unterschied zu den Royals dieser Welt kostet er wenig, Skandale sind eher selten, und er steigt viel öfter zu seinem Volk herab. Den Schein, Herrschaft und Untertan seien nicht Gegensätze, sondern Teile einer an einem Strang ziehenden Gesellschaft, pflegt er so vielleicht noch besser als die echten Könige.

Bundespräsidenten-Reden laufen deshalb stets auf einige wenige Kernbotschaften hinaus: Unser Staat ist gut, wir können stolz auf ihn sein, die Macht wird gerecht ausgeübt und dafür täglich zu arbeiten ist die erste und befriedigende Bürgerpflicht. Und bei allen Unterschieden und verschiedenen Interessen – "wir" sind doch alle Deutsche und halten zusammen! Nicht nur nach innen, sondern auch nach außen: Gerade bestens zu studieren an Steinmeiers Tiraden gegen Russland.

Noch ruft der "König von Deutschland" nicht zu den Waffen. Einstweilen hofft er, dass die russische Niederlage auch ohne sie eintritt. Aber wer weiß, wie seine Weihnachtsansprache nächstes Jahr beginnt...

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