Der Konflikt mit dem Irak spitzt sich zu
Anmerkungen über die Gefährdung durch biologischen Waffen
Wer will, kann jetzt selbst Krieg gegen Saddam Hussein im Internet führen. Bei einem Spiel geht es darum, Saddam schnell mit Bomben zu treffen, bevor er selbst "DIE BOMBE" zünden kann. Aber man muß vorsichtig sein, um nicht seine Lager von Massenvernichtungswaffen zu treffen und so womöglich das Leben auf der Erde auszulöschen.
Der Irak, die biologischen Waffen und der neue Krieg
You are the Supreme Commander of the Allied Forces to Defeat Saddam. Intelligence has given you top secret information and now you are in your command ship over downtown Baghdad. Your mission is to hunt down Saddam and bring him to Justice before he acquires "The Bomb" and destroys Washington, DC. There isn't much time. Good Luck.
Das Spiel ist nicht gerade tiefsinnig und sehr einfach, aber es thematisiert die Ängste, die von diesem Diktator ausgehen, der vermutlich noch immer chemische und biologische Massenvernichtungsmittel besitzt und produziert. Man muß Saddam Hussein nicht als zweiten Hitler dämonisieren - der allerdings den Einsatz von biologischen Waffen abgelehnt hat, auch wenn in den KZs damit experimentiert wurde -, allerdings ist sein Regime schrecklich genug und seine Bereitschaft, chemische und vielleicht auch biologische Waffen einzusetzen, hat er schon lange bewiesen, übrigens auch in der Zeit, als er während des Kriegs gegen Iran bereits chemische Waffen einsetzte und noch von den USA unterstützt wurde. Daß es der Irak mit Verträgen nicht genau nimmt, läßt sich daraus ersehen, daß auch der Irak die Biological Weapons Convention unterzeichnet hat.
Anlagen zur Produktion von C- und B-Waffen wurden schon vor dem Eintreffen der UNO-Inspekteure abgebaut, an geheime Orte geschafft und wieder neu errichtet. Alle Unterlagen sind so versteckt, daß Fremde sie niemals finden können.
Wafik Samarrai, Spiegel 7/1998
Es sieht ganz danach aus, daß zumindest die USA und Großbritannien, nachdem Blair und Clinton ihre gemeinsame Entschlossenheit bekräftigt haben, erneut den Irak angreifen werden. Politisch unterstützt Deutschland, so hat Bundeskanzler Kohl am Samstag in München bekanntgegeben, einen militärischen Schlag, auch wenn man eine diplomatische Lösung vorzöge. Noch wird mit dem Irak verhandelt, aber dessen Angebote sind in der Tat fadenscheinig, wenn beispielsweise nach vorheriger Ankündigung und nur einmalig manche der Präsidentenpaläste, in denen man Lager für chemische und biologische Massenvernichtungsmittel vermutet, von der UNSCOM untersucht werden dürften. Jeder weiß, wie schnell sich Labors zur Herstellung chemischer und biologischer Waffen in gewöhnliche Labors umbauen lassen, so daß niemand mehr nachweisen kann, ob sie einem militärischen Zweck dienen. Auch scheint nach langen Verhandlungen der Irak jetzt bereit zu sein, UN-Kommissare die Orte inspizieren zu lassen, an denen die mit chemischer oder biologischer Füllung versehenen Raketen vernichtet worden sind. Auch das garantiert natürlich nicht, daß über die bekannten 79 Raketen hinaus, nicht weitere existieren. Auf der Sicherheitskonferenz in München sagte der amerikanische Verteidigungsminister Cohen, Luftaufnahmen hätten gezeigt, daß UNO-Inspektoren vor der Kontrolle verdächtiger Anlagen so lange aufgehalten würden, bis die Beweismittel fortgeschafft seien. Der Irak scheint ein mögliches Ultimatum immer weiter hinauszuzögern.
Seit 1990 hat Saddam Hussein mehr als zwei Milliarden Dollar zum Bau neuer Paläste und zur Revovierung alter ausgegeben. Es soll mindestens 50 Paläste und luxuriöse Villas im Irak geben, die allein Saddam benutzen kann. In den Palästen vermutet man auch geheime Waffenlager.
Übrigens erhielt der Irak das Notwendige für seine chemische und biologische Waffenproduktion vorwiegend aus den westlichen Ländern. Vom "Funktionieren" des westlichen Kapitalismus zeugt jedenfalls der Umstand, daß Firmen aus vielen Staaten dem Irak generell für die Aufrüstung notwendiges Material geliefert haben. Deutschland steht, wie der Irakische Nationalkongreß, eine irakische Oppositionsgruppe, eruiert hat, an führender Stelle. Die Anthraxkulturen zum Beginn seiner Produktion biologischer Waffen soll Saddam Hussein hingegen über eine Mail-Order-Firma in den USA erhalten haben, die die Ware dann über Nacht ausgeliefert hat.
Im Golfkrieg mußten sich die Truppen der Alliierten plötzlich auf die Möglichkeit eines chemischen und biologischen Krieges einstellen. Saddam, der bereits im Krieg gegen den Iran ungestraft chemische Waffen in großen Menschen und erfolgreich eingesetzt hatte, rief zum bedingungslosen Heiligen Krieg auf. Die USA konterten, in dem sie indirekt mit einem nuklearen Schlag gegen Irak drohten. Die Soldaten bekamen Gasmasken und Schutzanzüge, aber es stellte sich heraus, daß man diese, besonders in der Hitze, nicht für lange Zeit anbehalten konnte. Die Bombardierung möglicher biologischer und chemischer Waffenlager stellte eine Bedrohung dar, denn man besaß nicht die Waffen, die wirklich verhindern konnten, daß nicht Gase, Toxine oder biologische Organismen entweichen. Soldaten, die am Golfkieg teilnahmen und am sogenannten Gulf War Syndrom erkrankt sind, glauben, daß ihre höchst unterschiedlichen Beschwerden von Chemikalien oder anderen Substanzen, z.B. auch Arzneimittel zum Schutz vor Krankheitserregern, herstammen, denen sie während des Krieges ausgesetzt gewesen seien. Verstärkt wurden die Befürchtungen, als 1996 bekannt wurde, daß ein unterirdisches Waffenlager bombardiert wurde und dabei biologische Agenten entwichen seien, die einigen der irakischen Wachen zu Krankheit und Tod geführt haben sollen. Dieser Vorfall ist jedoch ebenso unbestätigt wie der Verdacht, der Irak habe seine chemischen und biologischen Waffen nicht nur an Tieren, sondern auch an Menschen ausprobiert.
Die amerikanischen Soldaten werden jetzt mit verbesserten Impfstoffen gegen Milzbrand (Anthrax) geimpft. In Kuweit, das einen militärischen Schlag befürwortet, werden wieder Gasmasken ausgegeben. Man nimmt an, so vor kurzem der amerikanische Verteidigungsminuster Cohen, daß der Irak neben vier Tonnen des tödlichen Nervengases VX auch mehrere Tausend Liter von Anthrax besitzt, das man versprühen oder in Bomben packen kann. Etwa 10000 Sporen genügen, um die Krankheit auszulösen, deren Inkubationszeit zwischen einem und sechs Tagen beträgt und an der man nach drei bis sechs Tagen sterben kann. Seit dem Golfkrieg wurden neben der Herstellung von besseren Sensoren, Schutzmaßnahmen und Impfstoffen viele Waffen verbessert und neue erfunden und erprobt. Auf der Eglin Air Force Base in Florida hat man so zwei neue Waffensysteme entwickelt, die bei einem möglichen militärischen Schlag gegen vermutliche Lager von chemischen und biologischen zum Einsatz kommen könnten. Die amerikanischen Truppen im Persischen Golf sollen bereits über den "bunker-buster" verfügen, ein Geschoß, das erst einige Meter tief in die Erde oder in Beton eindringt und dann erst explodiert. Aber das Problem ist, daß bakterielle Keime, um wirklich vernichtet zu werden, mit hoher Hitze verbrannt werden müssen. Dafür wurde "Colt .45" entwickelt, eine Bombe, die erst nach dem Erreichen einer bestimmte Stelle eines geschützten unterirdischen Ziels explodiert und dabei chemische und biologische Waffen verbrennt. Ob diese Bomben bereits einsatzfähig sind, ist unbekannt.
Die Erkennung von biologischen Krankheitserregern dauert oft noch relativ lange. Normalerweise müssen Luftproben erst ein Labor gesandt werden, das weit entfernt sein kann. Britische Wissenschaftler haben jetzt, wie die Sunday Times vom 8.2. schreibt, ein Enzym von Leuchtkäfern für einen tragbaren Detektor eingesetzt. Das Enzym Luciferase beginnt, wenn ATP, eine in Bakterien enthaltene Substanz, vorhanden ist, zu leuchten. Der Detektor saugt Luft ein, pumpt sie in einen Behälter, fügt ein Mittel hinzu, durch das ATP in vorhandenen Bakterien freigesetzt wird, pumpt die Lösung in eine weitere Kammer, in der dann Luciferase hinzugesetzt wird. Die Lichtstärke wird gemessen. Je höher sie ist, desto mehr Bakterien sind in der Luft und desto größer ist die Gefahr, biologischen Agenten ausgesetzt zu sein. der Detektor ist immerhin noch so groß, daß er mit einem Jeep transportiert werden muß.
Der chemische Anschlag im Frühjahr 1995 in der U-Bahn Tokyos ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie leicht die moderne Gesellschaft solchen heimtückischen Angriffen ausgesetzt ist. Man benötigt keine große Phantasie, um sich weitere Situationen und verletzliche Stellen auszudenken, die für einen Anschlag mit biologischen Waffen sehr gute Ziele abgäben. Wenn ein Angreifer Zugang zu einem Zielgebiet besitzt, braucht er als Voraussetzung dazu nur den einfachen Mechanismus, um eine Substanz in der Luft zu versprühen, und ein einfaches biologisches Labor. Es handelt sich nicht um ein High-Tech-Gebiet, für das man eine spezielle Ausrüstung oder aufbereitetes Material wie bei Nuklearwaffen benötigt. Auch wenn der Gebrauch dieser Waffe in den letzten Jahren marginal war, so ist die Bedrohung real, ist die Verletzlichkeit der USA klar und die Möglichkeit, gegen die biologische Waffe vorzugehen, fast Null.
Lt. Col Terry Mayer, USAF: The Biological Weapon - A Poor Nation's Weapon of Mass Destruction
Zur Geschichte des biologischen Krieges
Natürlich ist auch der biologische Krieg nichts Neues. Nicht nur Römer haben Tierkadaver benutzt, um die Wasserversorgung von Feinden zu beeinträchtigen und Krankheiten zu bewirken. Daß der Einsatz von solchen "Waffen" schon früh verpönt war, weist darauf hin, daß man auch früher nicht vor deren Einsatz zurückscheute. Thukydides etwa weist bei seiner Beschreibung der Pestepidemie von Athen 430 v. Chr. darauf hin, daß die Einwohner von Piräus, die zuerst heimgesucht wurden, glaubten, daß die Peloponnesier ihre Brunnen vergiftet hätten. Gleichwohl verurteilten "offiziell" Griechen und Römer, Inder und Sarazener verurteilten den Einsatz von vergifteten Nahrungsmitteln oder giftigen Waffen. Dokumentiert ist ein Vorfall aus dem 14. Jahrhundert. Die Pestepidemien, die Europa heimsuchten, kamen meist aus dem Osten. Die Karawanenstraße mag zur Ausbreitung mit beigetragen haben. Jedenfalls wurde Caffa, eine Handlungsniederlassung auf der Krim der Genueser, 1347 von den Tartaren belagert. Unter den Soldaten des Khan Djam Bek brach die Pest aus und dezimierte seine Truppen. Bevor er sich zurückzog, ließ er einige Pestleichen über die Befestigungsmauern werfen. Die Pest verbreitete sich in Caffa und möglicherweise durch die Handelsschiffe, die jetzt wieder fahren konnten, über ganz Europa. Innerhalb von drei oder vier Jahren starb zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung Europas (25 Millionen Menschen) an der Beulenpest. Der Erreger Yersinia pestis gilt noch immer als wirksamer Bestandteil der biologischen Waffen, auch wenn man die Krankheit jetzt relativ gut behandeln kann, zumindest wenn sie nicht massenhaft auftritt und nicht genmanipulierte, gegen Antiobiotika resistente Bakterien eingesetzt würden. Natürlich sind auch Menschen, die Krankheitskeime mit sich tragen, gegen die sie selbst resistent sind, gewissermaßen biologische Waffen. Während der Eroberung Amerikas starben so Millionen Einheimischer an Pocken, Masern, Grippe, Typhus oder Malaria, während diese den Europäern lediglich die Syphilis schenkten. Auch Eingriffe in die Ökologie können biologische Waffen freisetzen, wie dies etwa bei dem besonders heimtückigen Ebola-Virus der Fall war, der auch zum Arsenal von möglichen biologischen Waffenkammern gehören dürfte.
Während des Kriegs der Briten gegen die Franzosen glaubten erstere, die Indianer stünden eher auf der Seite der Franzosen. Briten, die das von Indianern verteidigte Fort Carillon belagerten, haben diesen Decken als Geschenke, die aus einem Krankenhaus stammten, in denen Patienten mit Pocken lagen. Unter den Indiandern brach die Krankheit aus und das Fort konnte erobert werden. Auch im amerikanischen Bürgerkrieg versuchte man wiederholt mit toten Tieren das Wasser für die Feinde zu vergiften.
Im Ersten Weltkrieg setzte man zwar vehement chemische Waffen ein, aber man vermutet auch, daß man auch biologische Waffen gebrauchte. 1925 kam es nach den Schrecken des Gaskrieges zum Genfer Protokoll, das den Einsatz von chemischen und biologischen Mitteln im Krieg verbot. Allerdings begannen Japan und die USA in den dreißiger Jahren mit der Erforschung biologischer Waffen, während man in Deutschland das Nervengift Sarin entwickelte. Es verdankt sich wohl einzig der Abscheu Hitlers, daß das Nazi-Regime weder in großem Stil biologische Waffen entwickelte noch diese einsetzte, auch wenn grausame medizinische Experimente an Menschen stattfanden, wobei übrigens einige der daran beteiligten NS-Mediziner ebenso wie die Raketentechniker und Atomphysiker nach dem Krieg als "Experten" in amerikanische Labors geholt wurden (siehe Ernst Klee: Ausschwitz. Die NS-Medizin und ihre Opfer. Frankfurt a. M.: Fischer 1997). Die Japaner hatten eine eigene Truppe, die Einheit 731, für die biologische Kriegsführung, testeten biologische Waffen an Kriegsgefangenen und versprühten 1941 Erreger der Beulenpest in China. 1942 warf man mit infizierten Flöhen versehene Steine auf 11 Städte in China ab, allerdings offensichtlich ohne großen Erfolg. Auch amerikanische Kriegsgefangene dienten als Versuchsopfer. Es heißt, daß die USA den japanischen Kriegsverbrechern Immunität im Austausch gegen Informationen anbot.
Auch Großbritannien rüstete im Zweiten Weltkrieg biologisch auf, um mit japanischen und möglichen deutschen Programmen gleichzuziehen. Insbesondere untersuchte man den durch Hussein wieder bekannten Bacillus anthracis, der Milzbrand auslöst, auf seine Eignung als biologische Waffe. Milzbrand (Anthrax) tritt vor allem bei Pflanzenfressern auf, die sich über den Boden infizieren. Durch den Kontakt mit tierischen Produkten kann der Erreger auch in den menschlichen Körper gelangen. Auch Insekten können das Bakterium übertragen. 1942 ließen Wissenschaftler des britischen Verteidigungsministeriums auf der kleinen Insel Gruinard vor der Nordwestküse Schottlands Granaten mit Milliarden von Milzbrandsporen explodieren. Die in der Nähe festgebundenen Versuchstiere starben natürlich innerhalb weniger Tage. Aber der Boden der Insel war für Jahrzehnte mit dem Erreger verseucht. Erst 1987 wurde die Insel desinfiziert und konnte wieder betreten werden. 1992 trat übrigens ein Fall von Milzbrand in Kroatien auf, der auf Penicillin nicht mehr ansprach.
Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, daß die USA oder Großbritannien biologische Waffen während des Zweiten Weltkriegs verwendet haben. Während der Kriegs gegen Nordkorea wurde von den USA eine Antikornbombe entwickelt und möglicherweise auf Reisfeldern eingesetzt, um die Ernährung der Bevölkerung zu reduzieren. Nordkorea klagte die USA an, biologische Waffen einzusetzen. Die USA stritt das ab, und es wurde auch kein Beweis dafür gefunden. Im Kalten Krieg wurde das amerikanische Programm zur Herstellung von biologischen Waffen ausgebaut, nachdem die Sowjetunion angekündigt hatte, solche Waffen möglicherweise in künftigen Kriegen zu verwenden. Man führte Experimente in U-Bahnen, z.B. 1966 in New York mit dem Bacillus subtilis, mit ungefährlichen biologischen Agenten durch, um zu sehen, wie sehr die Bevölkerung durch einen biologischen Schlag gefährdet wäre. In einem Test, der 1950 in San Francisco mit Serratia marcescens durchgeführt wurde, versprühte man solche biologischen Agenten an der Küste und stellte fest, daß die gesamte Bevölkerung potentiell tödlichen Dosen ausgesetzt gewesen wäre, wenn es einen Ernstfall gegeben hätte. 1969 verkündete der damals regierende Präsident Richard Nixon, daß die Forschung über biologische Waffen eingestellt würde, und 1972 vernichtete man die biologischen Waffen. Das gab den Anstoß für die Biological Weapons Convention, die auch von den USA und dem Irak unterzeichnet wurde, aber die keine Verifizierungsmechanismen besitzt (siehe Der Irak, die biologischen Waffen und der neue Krieg)
Was in der Sowjetunion in dieser Zeit geschah, ist nicht bekannt. 1979 jedenfalls gab in einer Forschungsanlage in Swerlowsk eine Explosion und nach einigen Tagen brach eine Milzbrandseuche aus. Man stritt damals alles ab und verwies darauf, daß solche Epidemien auch auf natürliche Weise entstehen können. Erst 1992 räumte Boris Yeltsin ein, daß man dort mit Anthrax als biologische Waffe experimentierte. Er versprach, daß jede Forschung über biologische Waffen eingestellt werde, aber es gibt Gerüche, daß das Militär auch ohne Genehmigung seitens der Regierung weiter an biologischen Waffen arbeitet.
1984 entdeckte man in Frankreich bei einer Razzia in einem von der RAF angemieteten Haus Dokumente über die Herstellung tödlicher biologischer Agenten und im Badezimmer einige Fläschchen mit Clostridium Botulinum, einem Mikrooragnismus, der das Botulinustoxin erzeugt, eine der giftigsten Substanzen, die bekannt sind, aber die sich auch in geringen Dosen zu therapeutischen Zwecken verwenden läßt. Das fand man übrigens auch bei der Sekte AUM, die mit Sarin 1995 den Anschlag auf die U-Bahn Tokyos verübt hat. Auch die Iraker sollen biologische Waffen mit Botulinustoxin entwickelt haben.
Die neue Gefahr
Noch sind biologische im Unterschied zu chemischen Waffen nicht in großem Stil eingesetzt worden, aber sie werden, weil sie so einfach und billig herzustellen sind und der Schutz vor ihnen so kostspielig ist, eine wichtige und gefährliche Waffe des nächsten Jahrhunderts sein. Sie werden das Schlachtfeld, ganz im Trend der Kriegsentwicklung während der letzten Jahrhunderte, mehr und mehr erweitern und die Zivilbevölkerung zum Angriffsziel machen, während das Militär, relativ gut mit den besten Technologien geschützt, sich von der Front zurückzieht und aus der Ferne zuschlägt: idealerweise in Bunkern sitzend und Kriegsroboter lenkend, die wiederum, wie die fernlenkbaren Fluggeräte aus dem Waffenarsenal Iraks wiederum biologische Waffen versprühen oder wie die neu entwickelten Insektenroboter in verseuchte Gebiete zur Erkundung eindringen könnten.
Eingesetzt wurden biologischen Waffen wohl deswegen bislang kaum, weil ihre Wirkung nicht einschätzbar ist, sie relativ kurzlebig sind und auch auf diejenigen zurückschlagen könnten, die sie verwendet haben. Bakterien oder Viren sind ansteckend und können sich reproduzieren. Sie können sich unkontrollierbar über große Landstriche verbreiten und sich evolutionär anpassen, wodurch sie noch gefährlicher werden könnten. Gegen den Ebola-Virus gibt es beispielsweise noch keine Behandlungsmöglichkeit, aber er tötet 90 Prozent der Erkrankten innerhalb weniger Tage. 40 Mitglieder der AUM-Sekte reisten 1995 laut einem amerikanischen Bericht nach Zaire, wo die Ebolaseuche ausgebrochen ist, um angeblich den Menschen zu helfen. Man vermutet, daß sie Bakterienkulturen sammeln wollten.
Man kann Billionen von Bakterien mit relativ geringem Risiko für einen selbst und mit einer Ausrüstung produzieren, die nicht komplizierter ist als ein Gerät zum Fermentieren von Bier und eine proteinbasierte Kultur, eine Gasmaske und einen Schutzanzug aus Plastik.
Leonard A. Cole: The Specter of Biological Weapons. Scientific American, December 1996
Daß biologische Waffen noch kaum verwendet wurden, liegt sicher nicht nur an biotechnischen Schwierigkeiten, also daß sie relativ langsam wirken, nach dem Versprühen stabil bleiben und dennoch nicht zu lange ein Gebiet verseuchen. Noch gibt es weitgehend eine Tabuisierung, aber radikale Gruppen, gleich ob religiöser oder politischer Natur, könnten sie als erste einsetzen - und haben es bereits getan. Man darf aber auch nicht vergessen, daß erst mit der Entdeckung der DNS im Jahre 1953 und dann mit der Entwicklung erfolgreicher Genmanipulationen in den 70er Jahren die Möglichkeit entstanden ist, Organismen für bestimmte Zwecke durch die Veränderung des genetischen Codes zu schaffen. Die Biotechnologie ist daher eine noch junge, wenn auch zur Zeit boomende Wissenschaft - und ihre Folgen für die Herstellung von Waffen sind noch keineswegs abzusehen. Erst jetzt könnte es gelingen, Bakterien zu schaffen, die nur bestimmte Ethnien angreifen, schneller wirken, tödlicher oder gegen bekannte Impfungen immun sind. Bakterien werden bereits für viele Aufgaben benutzt. Sie dienen beispielsweise zum Abbau bestimmter Mineralien oder zur Umwandlung von Stoffen. Man könnte Bakterien entwickeln, die strategisches Material - Stahl, Plastik oder Kleider - zersetzen und so still und heimlich etwa die Kommunikationsinfrastruktur eines Landes vernichten. Auch der Cyberwar ist dem Biokrieg unterworfen. Natürlich könnte man biologische Waffen auch in einem verdeckten Krieg verwenden, indem man die Bevölkerung, Pflanzen oder Tiere eines Landes verseucht. Möglicherweise wäre niemals nachzuweisen, daß es sich um einen Anschlag handelt und wer der Täter war. Ausdenken läßt sich jedenfalls vieles.
Massen- oder Völkermord werden durch die biologischen und chemischen Waffen fortgesetzt, während die Nuklearwaffen ihre große Zeit während des Kalten Krieges gehabt haben. Sie setzen einen große technische Logistik voraus und standen noch im Zeichen eines Krieges der Supermächte. Biologische und chemische Waffen hingegen - die "Waffen des kleinen Mannes" - entsprechen der Verschiebung der Konflikte unterhalb der nationalstaatlichen Ebene und des Kampfes zwischen Armeen.
Der Irak könnte womöglich eine Schlüsselrolle im Übergang zum 21. Jahrhundert spielen. Mit den "konventionellen" Waffen ist die Armee Saddam Husseins vermutlich ohne weiteres auf dem Schlachtfeld zu besiegen. Sollten die USA einen militärischen Schlag gegen den Irak ausführen, so ist zumindest damit zu rechnen, daß Iraker und Verbündete mit terroristischen Anschlägen in den USA oder in der Ländern der Verbündeten reagieren. Und hier könnte es, auch ganz unabhängig von der jeder strategischen Entscheidung Saddams, durchaus zur Anwendung biologischer oder chemischer Waffen kommen. Die Entschlossenheit der neuen Generation der Terroristen, nicht mehr bestimmte Menschen an der Macht zu treffen, sondern blindlings möglichst große Menschenmengen zum Ziel zu nehmen, wird von Sri Lanka, Algerien, Ägypten oder Ruanda bis zu den Anschlägen von Oklahoma, auf das World Trade Center oder auf die U-Bahn Tokyos seitens der Sekte AUM deutlich gemacht, die das Nervengift Sarin einsetzten - vermutlich "angeregt" durch den irakischen Gebrauch von chemischen Waffen im Krieg gegen den Iran.
Man stelle sich vor, wieviel effektiver der terroristische Anschlag auf das New York World Trade Center gewesen wäre, wenn die Täter auf jede Treppe einen Feuerlöscher, gefüllt mit einem biologischen Wirkstoff, plaziert und sie so eingestellt hätten, daß sie zu sprühen beginnen, wenn die Bombe explodiert. In der Panik flüchteten Tausende über die Treppen. Niemand würde in einer solchen Krisensituation nach der Explosion in einem Feuerlöscher etwas Ungewöhnliches sehen. So hätte möglicherweise jeder im World Trade Center infiziert werden können.
Lt. Col Terry Mayer, USAF: The Biological Weapon
1984 erkrankten einige Hundert Menschen in einer Stadt in Oregon, nachdem sie in Restaurants gegessen hatten. 1986 gab Ma Anand Sheela, die Personalchefin von Bhagwan Shree Raineesh, zu, daß sie Salmonellenbakterien über den Salat von vier Restaurants gesprüht hatte. 1995, ein paar Wochen nach dem Anschlag in Tokyo, bestellte ein Labortechniker aus Ohio bei einer biomedizinischen Firma in Maryland Bakterien der Art Yersinia pestis, die Beulenpest bewirken. Die Firma schickte ihm die Bakterien. Verdächtig wurde er nur, weil er kurz nach Absenden seiner Bestellung bereits nachfragte, warum die Lieferung noch nicht angekommen sei. Man wunderte sich über seine Ungeduld und benachrichtigte Behörden, wodurch herauskam, daß er Mitglied einer Gruppe weißer Suprematisten war.
Die Deutschen haben Israel zugesagt, Gasmasken zu schicken. Aber natürlich wäre auch in der BRD als einem Unterstützerstaat der USA ein Anschlag etwa von irakischen Terroristen mit biologischen Waffen für viele Menschen gefährlich. Doch hierzulande findet darüber kaum eine Diskussion statt. In den USA schaukelt sich die Angst vor biologischen Waffen und vor dem neuen Terrorismus inzwischen auf. Das mag übertrieben sein und dient vielleicht nur den Militärs, neue Gelder freizusetzen und Kontrollen zu verschärfen. Auch in den Labors der USA und der BRD sowie in vielen anderen Ländern wird biologische Forschung getrieben, von denen nicht nur die Saddams profitieren könnten. Wenn die Forschung mit Bakterien und Viren zugleich der Entwicklung von Schutzmaßnahmen gegen biologische Waffen und zu deren Herstellung dienen kann, dann können wir auch nicht wissen, was in diesen wirklich gemacht wird.