Der Krieg gegen den Terrorismus ist gescheitert

Die Anschläge in Spanien demonstrieren erneut, dass der sich über die Medien ausbreitende Virus des Terrorismus sich nicht mit militärischen und repressiven Mitteln alleine bekämpfen lässt, sondern diese ihn nur verstärken

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Wer auch immer den Anschlag in Madrid ausgeführt haben mag, so hat er gezeigt, dass seit der Ausrufung des "Kriegs gegen den internationalen Terrorismus" die Welt keineswegs sicherer geworden ist. Die spanische Regierung hatte sofort versucht, kurz vor den Wahlen die Anschläge für sich auszubeuten und die ETA als verantwortlich zu bezeichnen, da ein Anschlag von Islamisten ihre Antiterrorpolitik und ihren Schulterschluss mit der Bush-Regierung noch stärker desavouieren würde (Blutiger Wahlkampf in Spanien). Dann aber musste zumindest eingeräumt werden, dass auch Islamisten die Täter sein könnten. Zwar ist in den USA kein neuer Anschlag mehr geschehen, doch an vielen Orten der Welt haben sich Konflikte des seit dem 11.9. aufgeheizten asymmetrischen Kriegs abgespielt. Man könnte sie als Neuauflage der Stellvertreterkriege bezeichnen, nur dass die kriegführenden Staaten es nun mit einer Hydra zu tun haben: Wenn ihr ein paar Köpfe abgeschlagen werden, wachsen an anderer Stelle neue nach.

Terrorismus ist eine Strategie, die von "schwachen" Akteuren gegen einen übermächtigen Feind eingesetzt wird. Inhaltlich oder politisch gibt es keine notwendige Verbindung mit dieser Form der Provokation, die mit der Instrumentalisierung der Medien und mit dem Setzen auf die meist automatisch folgende Reaktion der "shock and awe"-Taktik spielt. Und Terroranschläge sind auch gelegentlich Mittel gewesen, den ausgelösten Reflex des schnellen und oft blinden Zurückschlagens durch Täuschung gezielt gegen einen gewünschten Gegner zu richten.

Der von Bush ausgerufene "Krieg gegen den Terrorismus" richtete sich natürlich zunächst gegen den islamistischen Terrorismus, aber spätestens mit dem auch in diesem Kontext geführten Krieg gegen den Irak wurde mit den von Anfang an durchsichtigen Übertreibungen und Falschinformationen bei den Kriegsgründen der Gegner diffus und beliebig. Allerdings hatte die Bush-Regierung gleich nach den Anschlägen vom 11.9. diese als Kriegserklärung betrachtet und damit auch den Krieg als einzige Alternative der Bekämpfung der Gegner zu zementieren gesucht.

Zwar hatte auch die Clinton-Regierung sowohl zu militärischen Mitteln gegriffen, um bin Ladin nach den Anschlägen auf die afrikanischen Botschaften anzugreifen, aber dieser Hightech-Krieg aus der Ferne hatte keinen Erfolg. Abgesehen von anderen Interessen war dieses Scheitern sicherlich auch ein Grund, um nach dem 11.9. - zuvor verstärkten sich erst einmal die Spannungen mit China und setzte Bush bereits massiv auf das Raketenabwehrschild - zum Mittel des Kriegs zu greifen und die Strategie des Präventivschlags als Druckmittel zu demonstrieren. Die Begrifflichkeit der asymmetrischen Bedrohung konnte jedoch nur schlecht verhehlen, dass Terroranschläge kein Krieg sind und Terroristen nicht primär mit militärischen Mitteln, also mit Brachialgewalt, wirksam bekämpft werden können.

Krieg ist allerdings genau die Antwort, die für Terroristen am besten ist. Krieg ist gewissermaßen der organisierte Terroranschlag, der trotz aller Präzision immer auch "Kollateralschäden" verursacht, d.h. gegen jene Zivilisten ausgetragen wird, die auch Ziel der Anschläge sind. Und eine harte, vor allem militärische und auch im rechtsfreien Raum agierende Bekämpfung der Terroristen wird stets Unbeteiligte zum Opfer machen, was den Terroristen neue Legitimität verleiht.

Dass das Versprechen, durch präventiven Krieg - und innenpolitisch durch verstärkte Überwachung und Abbau der Bürgerrechte - die Welt sicherer zu machen, bislang gescheitert ist, scheint bislang wohl deutlich geworden sein (ob der dominotheoretisch intendierte Regimewechsel zur Demokratisierung des Nahen Ostens führen wird, muss noch abgewartet werden). Gescheitert ist vor allem auch die Vorstellung, dass "der Terrorismus" eine bestimmte Gruppe an Menschen ist, die von einer Art Zentralkommando geführt wird. Terrorismus steckt an. Zwar steht im Hintergrund vor allem eine diffuse Sehnsucht nach Befreiung, die als legitimatorische Klammer dient. Recht viel mehr als einen vagen Feind, der hinter allem stecken soll, benötigt die terroristische Initialzündung nicht.

Ein wesentlicher Motor ist aber sicherlich der Erfolg von Terroranschlägen, der nicht nur durch Medienaufmerksamkeit, sondern auch durch die politische Reaktion verursacht wird. Diejenigen, die gelungene spektakuläre Anschläge planen und ausführen, werden mit ihren Explosionen auch in die Prominenz katapultiert, selbst wenn dies das eigene Leben kostet. Plötzlich scheinen kleine, an sich unbedeutende Gruppen das Schicksal der Welt in der Hand zu haben und zu Gegenspielern der Supermacht zu werden, die dem mächtigsten Mann auf der Erde in Augenhöhe gegenübertreten.

Diese memetische Ansteckungskraft des Terrorismus darf man wahrscheinlich nicht unterschätzen, zumal nicht in einer Gesellschaft, in der Prominenz und Aufmerksamkeit dominieren - selbst die islamistischen Märtyrer folgen dieser medialen Karriere. Der Virus des Aufmerksamkeitsterrorismus verbreitet sich über ideologische und politische Grenzen hinweg, lässt sich aber wohl auch von globalen Drahtziehern, die irgendwo zwischen einer diffusen Befreiungsvision und mit Beziehungen zum organisierten Verbrechen agieren, immer einfacher instrumentalisieren.

Estrella Digital am 12.3.04

Fast schon mit Garantie sind spektakuläre Anschläge globale Topnews, zumal sie auch noch "beeindruckende" Bilder generieren, die in allen Medien kursieren und von diesen in Erwartung der Quote ausgeschlachtet werden. Gnadenlos wurden in den Medien die Anschläge in Madrid nun auch wieder etwa durch Fotostrecken ausgebeutet. El Mundo offerierte "Las imágenes más impactantes: Atentados | Heridos | Caos | Manifestaciones | Portadas | Reacciones | Pesar en el deporte". Im Spiegel beispielsweise wurde angeboten:

Züge von Bomben zerfetzt - 192 Tote, mehr als 1400 Verletzte
Fotostrecke: Horror in der Rushhour
Video News: Blutiger Terror in Madrid
Augenzeugenbericht: "Auf den Gleisen liegen Leichenteile"

Das mag "Informationspflicht" für die neugierigen Leser/Zuschauer sein, die noch einmal davon gekommen sind und voyeuristisch den Horror oder aber den Abscheu genießen, aber das bedient eben auch direkt die Interessen der Täter, die ja gezielt Aufmerksamkeitsanschläge durchführen. Ein Bilder- und Nachrichtenverbot ist natürlich weder wirklich vertretbar noch überhaupt realisierbar, gleichwohl handeln manche Medien hier direkt in Allianz mit den Terroristen. Auch das gehört zur Ökonomie des Terrors. Rekrutiert und geworben wird weltweit gewissermaßen auch mit den Bildern und dem Aufsehen, das die Täter über die Medien bewirken. Zahlen müssen die Opfer.

Und Terror ist noch viel einfacher und direkter ein Weg zum Erfolg, als sich beispielsweise durch Casting- oder Reality-Shows Prominenz zu erwerben. In urbanisierten Gesellschaften gibt es unendlich viele, niemals wirklich zu schützende Ziele, die sich mit einfachen Mitteln angreifen lassen, deren Erwerb und Anwendung relativ geringes Wissen und Kapital voraussetzen . Allerdings wird der logistische Aufwand höher, da Anschläge immer spektakulärer werden müssen, um durch die Zahl der Opfer oder Verwüstungen Aufsehen zu erregen und die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Im Fall der in Taschen versteckten Sprengsätze in Madrid scheint die Polizei davon auszugehen, dass die Täter nicht nur zur selben Zeit 13 Explosionen bewirken wollten. Die in vier Zügen mit Zeitzündern angebrachten Sprengsätze sollten womöglich auch am selben Ort, nämlich im Bahnhof Atocha in die Luft gehen. Damit hätte dieser zerstört werden können, was eine noch größere Zahl an Toten zur Folge gehabt hätte.