"Der Krieg hat schon längst begonnen"

In Russland erstarken die Rechtsradikalen und feiern offen den vor kurzem erfolgten Mord an einer kritischen Journalistin und einem Menschenrechtler

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Der Rechtsradikalismus breitet sich in Russland aus (Rassismus und Krise in Russland). Wie offen die rechte Szene mittlerweile dort agiert, zeigt der am 19. Januar begangene Mord an dem Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa. Deren Tod feiern die russischen Neo-Nazis ganz offen im Internet. Und dies nicht nur in einschlägigen Foren, sondern auch auf dem der Novaja Gazeta. Jener Zeitung, für die die ermordete Journalistin Baburowa schrieb. Für die Novaja Gazeta ist dies nur ein weiterer Beweis dafür, dass der "Krieg schon längst begonnen hat."

Eisern schwieg der Kreml zu den am 19. Januar verübten Morden an dem Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und der ihn begleitenden Journalistin Anastasija Baburowa (Mord an russischen Menschenrechtlern sorgt international für Empörung). Dabei wäre eine frühe Stellungnahme, gar eine Verurteilung der Tat, ein bedeutendes politisches Signal seitens des russischen Präsidenten gewesen. Schließlich war er es, der sich noch im November vergangenen Jahres für eine Stärkung des Rechtsstaats aussprach (Auf dem Weg zur Modernisierung Russlands?), mit einer unabhängigen Justiz und freien Medien. Dass hinter den damaligen Ankündigungen Medwedews vielleicht doch mehr steckt als nur schön klingende Worthülsen, zeigte der Präsident endlich am Donnerstag. Im Kreml empfing er den Chefredakteur der Novaja Gazeta, Dimitrij Muratow, sowie den Teilinhaber der Zeitung, Michail Gorbatschow, und drückte bei dieser Gelegenheit auch sein Beileid für die Hinterbliebenen der Opfer aus.

Weniger zurückhaltend und bestürzt als der Kreml zeigt sich dagegen von Anfang an die russische Neo-Nazi Szene, welche die beiden Morde unverhohlen feiert. "Als allererstes trank ich ein bisschen Sekt", kommentiert ein gewisser kwas_72 die Tat triumphierend in einem Internetforum. Und dies nicht auf irgendeiner von Nazis betriebenen Plattform, sondern auf der der Novaja Gazeta. Der Zeitung, die neben Anna Politkowskaja noch andere ermordete Journalisten zu beklagen hat, und für die auch die an ihren Schussverletzungen verstorbene Anastasija Baburowa schrieb.

Und kwas_72, in der Stadt Izewsk auch bekannt als der Stadtabgeordnete Wasilij Krjukow, wie die Novaya Gazeta herausfand, ist nicht der einzige Neo-Nazi, der im Forum der oppositionellen Zeitung den Mord bejubelt. Es waren gleich so viele, dass die Novaja Gazeta sich gezwungen sah, in einem Artikel mit dem Titel Deren Kampf die Reaktionen der Rechtsradikalen zu publizieren. Jedoch mit der Warnung, den Text nicht in Kinderhände gelangen zu lassen.

Bild: Novaja Gazeta

"In Russland existiert der Faschismus", heißt es einleitend in dem Artikel. "Und das auch nicht mehr im Keller, denn sie haben aufgehört sich zu verstecken und traten hinaus auf die Straßen der Städte. Sie haben ihre Symbole, ihre Kommunikationsmittel, ihre Verbindungen zu Spezialdiensten, ihre Kampfgruppen, Parteilobbyisten und Vertreter in den Staatsorganen. Auf der Liste ihrer Opfer stehen hunderte Menschen. Wir veröffentlichen die Kommentare von Faschisten, die sie aufgrund der Morde an der Journalistin Anastasija Baburowa und dem Rechtsanwalt Stanislaw Markelow, im Internet, darunter auch im Forum der Novaja Gazeta, abgegeben haben. Warum wir es tun? Wir wollen, dass ihr eins versteht: Der Krieg hat schon längst begonnen", heißt es erklärend und mahnend in dem Text.

Und dass diese Mahnung nicht übertrieben ist, zeigen die Kommentare. "Die Toten waren Abschaum, ohne sagen zu können, wer es mehr war", schreibt ein gewisser barmalei88, was noch sogar noch ein harmloserer Kommentar ist. Weniger zurückhaltend ist da in seiner Meinung schon ein kro6ka_karto6ka: "Diese zwei Kreaturen haben die gerechte Strafe bekommen. Wer würde sie nicht niederschlagen." Evgen_v, außerhalb des World Wide Web als Jewgenij Waljew bekannt, der sich 2007 als Pressesekretär des Russischen Marsches hervorgetan hat, jubelt im Novaja Gazeta-Forum: "Zwei Russophoben wurden in die Hölle befördert."

"Sie sind gegen das russische Volk angetreten, Hunden einen Hundetod", antwortet darauf ein Neo-Nazi mit dem Pseudonym slava_ss. Und dass nach Meinung der rechtsradikalen Szene solch einen "Hundetod" noch mehr Menschen erleiden sollten, wird aus einem anderen Kommentar ersichtlich. "Mit Gottes Hilfe, jeden Tag sollten mindestens 10 solcher Russophoben umgebracht werden, damit das russische Zeitalter schneller beginnen kann", schreibt yahont7.

Der Mord an Stanislaw Markelow und Anastasija Baburowa wird aber nicht nur im Forum der Novaja Gazeta, sondern auch auf anderen Seiten gefeiert. Die Zeitung hat ihren Artikel um Kommentare aus anderen Internetforen ergänzt, die von der Menschenverachtung, dem Hass und der Gewaltbereitschaft der russischen Neo-Nazi-Szene ein Zeugnis ablegen und gleichzeitig beweisen, wie offen die Rechtsradikalen mittlerweile agieren. So gibt es einige ausgewählte Kommentare, die aus einem Internetforum für Fußballfans entnommen wurden. Andere Kommentare haben die Journalisten auf entsprechenden Seiten gefunden.

Stanislaw Markelow. Bild: Nowaja Gaseta

Die Freude der russischen Neo-Nazis zeigt, wie verhasst der ermordete Anwalt Markelow in der rechtsradikalen Szene war, und dies allein wegen seiner beruflichen Tätigkeit. Vor allem sein Rechtsbeistand für die die Familie der ermordeten Tschetschenin Elsa Kungajewa, die im März 2000 von dem russischen Oberst Juri Budanow entführt, missbraucht und schließlich umgebracht wurde, machte ihn zu einer Hassfigur für die russische Rechte. Im Juli 2003 wurde Budanow, der aufgrund der Anklage zu einem Helden der russischen Nationalisten avancierte, zu 10 Jahren Haft verurteilt. Doch der Prozess und die 2004 abgelehnte Begnadigung lösten in Russland eine große gesellschaftliche Debatte aus, die selbst Wladimir Putin in Bedrängnis brachte. Am 15. Januar dieses Jahres wurde der ehemalige Militär vorzeitig aus der Haft entlassen. Am 19. Januar, nur wenige Stunden vor seinem Tod, kündigte Markelow an, gegen die Haftentlassung Budanows eine Beschwerde einzulegen.

Markelow machte sich aber nicht nur durch seine Arbeit im Budanow-Prozess viele Feinde in der rechtsradikalen Szene. Auch durch seine Tätigkeit für Amnesty International, die von ihm gegründete Nichtregierungsorganisation Institut für die Vorherrschaft des Rechts, vor allem aber auch durch seinen Rechtsbeistand für russische Anarchisten und die 2006 ermordete Journalistin Anna Politkowskaja, die aufgrund ihrer kritischen Berichte aus Tschetschenien bekannt geworden ist, geriet er in das Visier der Neo-Nazis. Bereits 2004 wurde Markelow in der Moskauer U-Bahn überfallen und zusammengeschlagen.

Der Tod der Journalistin Anastasija Baburowa ist eher zufällig. Ihr Pech war, dass sie Markelow auf seinem Heimweg begleitete und dadurch mit ins Visier gerät. Dass aber auch ihr Tod von der rechten Szene gefeiert wird, erklärt sich durch ihre Arbeit. In ihrer kurzen journalistischen Laufbahn veröffentlichte sie Artikel, die sich mit dem Faschismus in Russland befassen.

Ob aber tatsächlich russische Rechtsradikale für den Doppelmord verantwortlich sind, ist fraglich. Bereits am 20. Januar erklärte die Moskauer Staatsanwaltschaft, dass aufgrund Markelows Tätigkeit in mehrere Richtungen untersucht wird. So vertrat beispielsweise Stanislaw Markelow auch den Journalisten und Umweltaktivisten Michail Beketow, der am 13. November 2008 vor seinem Haus in Chimki überfallen und lebensgefährlich verletzt wurde (Russischer Journalist nach Angriff lebensgefährlich verletzt), weshalb sein Mord auch mit dieser Tat in Verbindung stehen könnte. Auftraggeber für den Mord an dem Rechtsanwalt Markelow werden aber auch in der korrupten tschetschenischen Führung um Ramsan Kadyrow vermutet (Es geschah am hellichten Tag). Um jedoch jeglichen Verdacht von sich und seinem Regime abzuwenden, ehrte Kadyrow am 20. Januar Stanislaw Markelow posthum für seine Verdienste um die tschetschenische Republik.

Aber auch wenn die Mörder der beiden Ermordeten nicht aus den rechtsradikalen Kreisen kommen sollten, so musste auch der Kreml mittlerweile zugeben, dass die Neo-Nazis eine Gefahr für die russische Gesellschaft darstellen. Allein im Dezember und Januar gab es in Russland 50 Personenangriffe mit rechtsradikalem Hintergrund. Und 26 der Opfer haben diese Überfälle mit ihrem Leben bezahlt. Aus diesem Grund drückte Dimitrij Medwedew bei seinem Treffen mit den Verantwortlichen der Novaja Gazeta nicht nur sein Beileid für die Hinterbliebenen der beiden Ermordeten aus, sondern kündigte auch Maßnahmen gegen die rechtsradikale Szene an. Wie die jedoch aussehen sollen, und ob in diesem Kampf auch die russischen Sicherheitsbehörden mitmachen werden, ist jedoch fraglich. Denn die Miliz bediente sich gerne der Rechtsradikalen, um Demonstrationen aufzulösen. So zum Beispiel bei der Moskauer Schwulen- und Lesbenparade, deren Teilnehmer von Neo-Nazis brutal zusammengeschlagen wurden - gemeinsam mit der Miliz (Osteuropas Homosexuelle).