Osteuropas Homosexuelle
In Polen und Russland sind Homosexuelle noch weit entfernt von gesellschaftlicher Akzeptanz
Am 19. Mai war es in Warschau wieder so weit – unter dem Motto "Liebe deinen Nächsten!“ demonstrierten polnische Homosexuelle für mehr Toleranz. Für die Organisatoren der "Parada Rownosci" war der diesjährige Demonstrationszug schon im Voraus ein Erfolg. Gegner der konservativen Regierungskoalition solidarisierten sich mit der Gleichheitsparade und im Gegensatz zu den vorherigen Jahren drohte den Organisatoren von der Seite der Warschauer Stadtverwaltung ebenfalls keine Gefahr – die Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz hatte nicht vor, den CSD zu untersagen. Dass Homosexuelle in Polen aber noch weit von der gesellschaftlichen Emanzipation entfernt sind, bewies in der letzten Woche Ewa Sowinska, die Kinderschutzbeauftragte der polnischen Regierung, als sie in einem Interview den Verdacht äußerte, die Teletubbies würden die Homosexualität propagieren. Verglichen mit dem, was Homosexuelle in Russland erleben, sind die Töne aus Polen aber noch harmlos. Dies wurde am letzten Maiwochenende klar, als Homosexuelle, unterstützt von westlichen Sympathisanten, in der russischen Hauptstadt demonstrieren wollten. Während Unterstützer aus dem Ausland im Vorfeld verhaftet wurden, darunter auch der Grünen-Politiker Volker Beck, gingen Schlägertrupps, von der Miliz toleriert, gewaltsam gegen die Demonstranten vor.
Letzte Woche beging man in Polen den Kindertag. Es ist kein arbeitsfreier Feiertag, aber doch eine liebgewonnene Erbschaft aus den Zeiten des Sozialismus, an dem die Kinder mit kleinen Geschenken bedacht werden. Für die Redakteure des Nachrichtenmagazins Wprost eine gute Gelegenheit, mit der Kinderschutzbeauftragten der polnischen Regierung ein Gespräch zu führen. Dabei entstand ein Interview, das vom Inhalt her normalerweise für nicht viel Aufsehen gesorgt hätte. Aber Ewa Sowinska, die eigentlich nicht viel mediale Aufmerksamkeit genießt, gab eine Äußerung von sich, die sowohl in Polen als auch im Ausland hohe Wellen schlug. „Ich habe den Verdacht, dass die Teletubbies die Homosexualität propagieren“, sagte die Parlamentsabgeordnete der ultra-konservativen Partei Liga Polnischer Familien, „weil Tinky Winky eine Handtasche trägt." Sie gab zwar zu, dass sie bisher nur einer einzige Folge gesehen habe, doch das reichte ihr, um Psychologen und Pädagogen ihres Amtes mit der Prüfung dieser Angelegenheit zu beauftragen. Dies ist kein neuer Vorwurf dieser Richtung gegenüber den Teletubbies. Bereits vor einigen Jahren argumentierte mit denselben Worten der amerikanische Fernsehprediger Jerry Falwell.
Ewa Sowinska revidierte mittlerweile ihre Meinung. Der Verdacht sei unbegründet, gab die Kinderschutzbeauftragte bekannt. Doch ein bitterer Beigeschmack bleibt, denn aus den Reihen ihrer Partei hört man regelmäßig homophobe Töne. Anfang März sorgte der polnische Bildungsminister und LPR-Parteichef Roman Giertych für einen Eklat, indem er auf der EU-Bildungsministerkonferenz in Heidelberg gegen Homosexuelle und die Abtreibung hetzte. Zwei Wochen später kündigte sein Ministerium einen Gesetzentwurf an, mit dem gegen „homosexuelle Propaganda an Schulen“ vorgegangen werden soll (Auf zum Kampf gegen "homosexuelle Propaganda"). Der fertige Gesetzesvorschlag wurde bis heute nicht vorgestellt, doch in Polen sorgen diese Pläne bis heute für sehr viel Unruhe – auch innerhalb der Regierungskoalition. Im Mai sprach sich die stellvertretende Arbeitsministerin Joanna Kluzik-Rostkowska gegen diesen Vorschlag aus, worauf Giertych ihre Entlassung forderte.
Auch im Vorfeld der diesjährigen "Parada Rownosci" (www.paradarownosci.pl ), die am 19. Mai in Warschau stattfand, gab es, fast schon traditionell (Und die Rache folgt sogleich), Versuche der LPR, den CSD zu unterbinden. Während in Warschau bereits ein queeres Filmfestival und eine internationale Konferenz zu dem Thema "Nächstenliebe – Differenz und Beziehungswandel" stattfand, alles im Rahmenprogramm der Gleichheitsparade, rief die Jugendorganisation der ultra-konservativen LPR, Koalitionspartner der Brüder Kaczynski, die Warschauer Bürgermeisterin dazu auf, die Demonstration zu verbieten. Als eine „Gefahr für die Moral“ wurde der CSD in dem offenen Brief bezeichnet, der nichts mehr als eine „Provokation“ ist.
Die Warschauer Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz ließ sich von diesem Aufruf nicht beeinflussen. Während 2004 und 2005 die Gleichheitsparade noch von dem damaligen Bürgermeister und heutigem Staatspräsidenten Lech Kaczynski verboten wurde, drohte in diesem Jahr den Organisatoren keine Gefahr solcher Art von der Warschauer Stadtverwaltung. Die ehemalige Direktorin der polnischen Zentralbank und jetzige Bürgermeisterin Gronkiewicz-Waltz gehört mit der Bürgerplattform zwar auch einer katholisch-konservativen Partei an, doch demokratische Gepflogenheiten und Werte liegen ihr am Herzen – vielleicht auch deshalb, weil der polnische Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski versucht hatte, mit juristischen Winkelzügen die frischgewählte Bürgermeisterin ihres Amtes zu entheben.
Auch die breite Unterstützung, die die Organisatoren um Tomasz Baczkowski erfahren haben, dürfte dafür gesorgt haben, dass die Gleichheitsparade dieses Jahr fast ungehindert stattfinden konnte. Wie schon 2006 reisten nach Warschau Sympathisanten aus dem Ausland an, neben vielen Lesben und Schwulen auch Politiker wie Volker Beck und Claudia Roth. Und dank dem Aktionsbündnis Warschauer Pakt, dem unter anderem Thomas Hermanns, Georg Uecker und die Berliner Zeitschrift Siegessäule angehören, gab es für die Organisatoren der Gleichheitsparade nicht nur moralische Unterstützung, sondern auch finanzielle Hilfe. Ein Novum war dieses Jahr aber auch die breite Unterstützung aus dem Inland. So solidarisierten sich polnische Intellektuelle, die sich erst vor einigen Monaten zusammenschlossen, nachdem die rechtskonservative Regierungskoalition eine Verschärfung des schon so strengen Abtreibungsgesetzes vorhatte, mit der "Parada Rownosci" und sprachen sich gleichzeitig für mehr Toleranz und Rechte für Homosexuelle aus.
Dass die "Parada Rownosci" aber noch viele Gegner hat, bewiesen die Gegendemonstrationen. Zeitgleich mit der Gleichheitsparade demonstrierte die Allpolnische Jugend, deren Vorsitzender einst Roman Giertych war, genauso wie sein Partei-Vize Wojciech Wierzejski, auf den Straßen Warschaus. Bereits vor einigen Wochen, als in Krakau Schwule und Lesben für mehr Rechte demonstrierten, veranstaltete die in den 30er Jahren gegründete Organisation eine Gegenkundgebung, die nur durch massiven Polizeieinsatz in Schach gehalten werden konnte. Und auch am 19. Mai war ein Großeinsatz der Polizei leider notwendig. Als sich die beiden Demonstrationszüge für einige Minuten kreuzten, gab es seitens der Allpolnischen Jugend – von der sich die LPR mittlerweile offiziell distanziert, der aber immer noch Verbindungen zu der faschistischen Verbindung nachgesagt werden –, nicht nur üble Beschimpfungen, sondern auch Versuche, einige der 4.000 Teilnehmer der Gleichheitsparade tätlich anzugreifen. Nur die Polizeikräfte konnten die aggressiven Demonstranten der Allpolnischen Jugend zurückhalten.
Einen Tag nach der "Parada Rownosci" gingen erzkatholische Kreise auf die Straßen der polnischen Hauptstadt, um für die Stärkung der Familie zu demonstrieren. Von der Teilnehmerzahl war diese zwar kein Erfolg, da die Warschauer Polizei nur ca. 600 Demonstranten zählte, doch von den Spruchbändern war es eine Veranstaltung, die an Hass und Abscheu der Gegendemonstration der Allpolnischen Jugend in Nichts nachstand. „Ja zum Menschen, Nein zum Homosexuellen“, war nur eines von vielen Spruchbändern, die man dort lesen konnte.
Jagdszenen in Moskau
Homosexuellen in Russland müssen die Verhältnisse in Polen, trotz aller Widrigkeiten, wie paradiesische Zustände vorkommen. Dies wurde spätestens am letzten Maiwochenende klar – die Teilnehmer wurden Opfer von Gewalt. Bereits vor einem Jahr, endete die "Moscow Pride" in einem Gewaltexzess. Rechtsradikale, fanatische Christen und auch Gruppen von Kommunisten, griffen die Teilnehmer des CSD tätlich an, gemeinsam mit der Moskauer Polizei. Schlagzeilen machte der damalige "Moscow Pride" aber auch, weil der Bundestagsabgeordnete Volker Beck, der aus Solidarität nach Moskau kam, durch einen Steinwurf verletzt wurde.
Auch dieses Jahr wiederholten sich die Szenen des Vorjahres. Gemeinsam mit Kollegen aus dem europäischen Parlament, wollte Volker Beck im Moskauer Rathaus eine Petition für die Versammlungsfreiheit abgeben. Doch zu der symbolischen Übergabe kam es nicht. Wenige Meter vor der Administration der russischen Hauptstadt kam es zu Tumulten, bei denen dr Bundestagsabgeordnete mit seinen Kollegen mit Eiern beworfen wurde. Kurz darauf verhaftete die Miliz der russischen Hauptstadt die Gruppe, wie es offiziell hieß, zu deren Schutz. Doch ob die Verhaftung wirklich eine Schutzmaßnahme war, ist zu bezweifeln, denn die anderen Teilnehmer des "Moscow Pride" wurden nicht beschützt. In der Moskauer Innenstadt, so auch auf der Prachtstraße Twerskaja in der Nähe des Kreml, spielten sich schlimmste Jagdszenen ab. Rechtsradikale, fanatische orthodoxe Christen, darunter auch Popen, und einzelne kommunistische Gruppen schlugen die Demonstranten nieder, alles unter den Augen der Miliz.
Der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow dürfte mit den verletzten Teilnehmern der "Moscow Pride" kein Mitleid haben. Auch über die nicht stattgefundene Abgabe der Petition dürfte er nicht traurig sein. Bereits am 29. Januar machte Luschkow klar, was er von Homosexuellen hält.
Im vorigen Jahr wurde auf Moskau wie niemals zuvor Drück ausgeübt, damit eine Gay-Parade, die keinen anderen Namen als eine Satanshow verdient, hier stattfinden kann. Wir haben sie nicht zugelassen und tun das auch in Zukunft nicht.
Bürgermeister Luschkow in seiner Rede im Kremlpalast bei den 15. Weihnachtslesungen
Bei dieser Gelegenheit dankte er auch dem anwesendem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Alexej II, für seine Unterstützung, als aus dem Westen Kritik laut wurde. „Die religiöse Philosophie stellt heute eine Glaubenskrise im Westen fest. In einigen europäischen Ländern werden homosexuelle Partnerschaften gesegnet, in den ersten Schulklassen bekommen die Kinder Materialien über Sexualkunde. Auf das reine kindliche Bewusstsein wirkt das wie moralisches Todesgift“, sagte Luschkow vor einigen Monaten.
Weshalb Russland noch weit von Toleranz gegenüber Homosexuellen ist, versuchte letztes Jahr der Journalist Wladimir Simonow von der Nachrichtenagentur "RIA Novosti" zu erklären. Seit 1993 ist die Homosexualität zwar kein Straftatbestand mehr in Russland, doch die Gesellschaft ist noch nicht bereit, sich mit der „homosexuellen Revolution des Westens“ anzufreunden, meint der Journalist:
Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Russlands betrachtet die Offensive der homosexuellen Kultur als eine Gefahr für die öffentliche Moral, die "Verderbtheit" der Jugend, die Perspektive einer Vertiefung der Bevölkerungskrise, eine Herausforderung der religiösen Werte und überhaupt eine baldige Apokalypse.
Diese Einstellung verbindet alle gesellschaftlichen Gruppen; die orthodoxen Christen, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Renaissance erleben, „viele nichtstaatliche und politische Organisationen von patriotischer Ausrichtung, Elternkomitees und selbst ein Teil der Menschenrechtler“. Wie der Journalist schreibt, unterstützen sogar die 20 Millionen russischen Moslems – die zum Beispiel in Tschetschenien enorm unter der russischen Herrschaft zu leiden haben – die Moskauer Administration. „Wenn die Teilnehmer der Parade trotz des offiziellen Verbots doch durch die hauptstädtischen Straßen ziehen, »bleibt nichts anderes übrig, als sie zu verprügeln«“, zitiert Simonow Talgat Tadschuddin, den Mufti der Zentralen geistlichen Verwaltung der Moslems Russlands.
Dieser Einstellung sollte man vielleicht einen Satz aus der schon erwähnten Rede Luschkows entgegenhalten, in der er die "Moscow Pride" als eine „Satanshow“ bezeichnete. „Wir werden unseren Kampf gegen Fremdenhass, Chauvinismus, Hass und Gewalt stets weiterführen“, sagte der Moskauer Bürgermeister. Vielleicht sollte er dann bei sich mit diesem Kampf beginnen.