Der Niedergang des US-Imperiums – begleitet von kostspieligen Illusionen

Seite 2: Die veränderte Weltwirtschaftsordnung

Viele Länder sind dabei, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und ihre Erwartungen an die Zukunft dieser Beziehungen zu überdenken und neu zu gestalten. Ebenso stellen gewichtige Unternehmergruppen in den USA ihre Investitionsstrategien infrage.

Diejenigen, die im Rahmen des neoliberalen Globalisierungswahns des letzten halben Jahrhunderts stark im Ausland investiert haben, sind besonders ängstlich. Sie rechnen mit Kosten und Verlusten, wenn sich die Politik in Richtung wirtschaftlicher Nationalismus bewegt.

Ihr Widerstand verlangsamt diese Veränderungen. Und während sich die Kapitalisten überall auf der Welt in praktischem Sinn an die sich verändernde Weltwirtschaft anpassen, beginnen sie über Richtung und Tempo des Veränderungsprozesses zu streiten.

Das führt zu mehr Unsicherheit und Reibungen in einer dadurch weiter destabilisierten Weltwirtschaft. In dem Maße, wie sich das US-Imperium auflöst, verändert sich auch die Weltwirtschaftsordnung, die es einst dominierte und steuerte.

MAGA als politische Waffe

Die Slogans von der Art "Make America Great Again" (MAGA) haben den Niedergang des US-Imperiums zu einer politischen Waffe gemacht, dabei aber vage bleibend. Solche Sprüche simplifizieren und missverstehen den Abstieg und erzeugen eine andere Illusion.

Trump will, wie er wiederholt versprochen hat, diesen Niedergang rückgängig machen und umkehren. Er wird diejenigen bestrafen, die er für die Entwicklung verantwortlich macht: China, aber auch die Demokraten, Liberalen, Globalisten, Sozialisten und Marxisten, die er in einer Strategie der Blockbildung in einen Topf wirft.

Die wirtschaftlichen Gründe für den Niedergang der G7 werden selten ernsthaft erörtert, da es bedeuten würde, offenzulegen, dass die profitorientierten Entscheidungen der Kapitalisten die Hauptursache für den Niedergang sind.

Weder die Republikaner noch die Demokraten sind dazu bereit. Biden spricht und handelt, als ob der Reichtum und die Machtposition der USA in der Weltwirtschaft im Vergleich zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (den größten Teil von Bidens politischem Leben) unvermindert anhält.

Präsidentschaftswahlen als kostspieligste Täuschung

Die andauernde Finanzierung und Bewaffnung der Ukraine im Krieg mit Russland sowie die Unterstützung Israels im Vorgehen gegen die Palästinenser sind Maßnahmen, die die veränderte Weltlage leugnen. Das Gleiche gilt für die aufeinanderfolgenden Wellen von Wirtschaftssanktionen, obwohl jede Runde ihre Ziele verfehlt hat.

Der Einsatz von Zöllen, um bessere, billigere chinesische Elektrofahrzeuge vom US-Markt fernzuhalten, benachteiligt die US-Bürger (durch höhere Preise chinesischer Elektrofahrzeuge) sowie US-Unternehmen (die im globalen Wettbewerb mit anderen Unternehmen stehen, die die billigeren chinesischen Autos und Lastwagen kaufen).

Die vielleicht größte und kostspieligste Täuschung, die sich aus der Leugnung des jahrelangen Niedergangs ergibt, sind die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Die beiden großen Parteien und ihre Kandidaten haben keinen ernsthaften Plan, wie sie mit dem untergehenden Imperium umgehen wollen.

Beide Parteien haben in wechselnder Regierungsverantwortung den Niedergang politisch begleitet. Doch das Einzige, was beide Parteien im Jahr 2024 anbieten, ist Realitätsleugnung sowie die Zuweisung der Schuld an die andere Seite.

US-Kapitalismus macht die Augen zu

Trump verspricht vage, den Niedergang rückgängig zu machen, der durch die schlechte Führung der Demokraten verursacht worden sei, die er mit seiner Wahl beseitigen wird. Keine der beiden großen Parteien bietet nüchterne Eingeständnisse und Einschätzungen der veränderten Weltwirtschaft an, keine sagt, wie ihre Pläne das angehen wollen.

In den letzten 40 bis 50 Jahren der Wirtschaftsgeschichte der G7 kam es zu extremen Umverteilungen von Vermögen und Einkommen nach oben. Diese Umverteilungen waren sowohl Ursache als auch Wirkung der neoliberalen Globalisierung.

Die Auswirkungen in den USA (wirtschaftliche und soziale Spaltungen, die immer feindseliger und unberechenbarer werden) und im Ausland (der Aufstieg Chinas und der Brics-Staaten) untergraben jedoch die neoliberale Globalisierung und beginnen, die damit einhergehenden Ungleichheiten infrage zu stellen.

Der US-Kapitalismus und sein Imperium können dem Niedergang in einer sich verändernden Welt bisher nicht ins Auge schauen. In den oberen Gesellschaftsschichten breiten sich Illusionen über den Erhalt oder die Wiedererlangung der Macht aus, während unten wahnhafte Verschwörungstheorien und politische Sündenböcke (Einwanderer, China, Russland) herhalten müssen.

Unterdessen steigen die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kosten. Und in einem gewissen Sinn ist es wie in Leonard Cohens berühmtem Lied: "Everybody Knows", "Jeder weiß es".

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem Independent Media Institute. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Richard D. Wolff ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts, Amherst, und Gastprofessor im Graduiertenprogramm für internationale Angelegenheiten der New School University in New York. Seine drei jüngsten Bücher sind "The Sickness Is the System: When Capitalism Fails to Save Us From Pandemics or Itself", "Understanding Marxism" und "Understanding Socialism".