Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende

Bild: Tull, Christoph: Die dynamischen Wirkungen der Staatsverschuldung und ihre Konsequenzen

Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 16

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Das Überleben aller entwickelten Demokratien von den USA über Westeuropa bis hin nach Japan ist bedroht. Die weitaus meisten dieser existenzbedrohenden Herausforderungen wurden überhaupt erst durch das System der repräsentativen Demokratie erzeugt. Die größte existenzielle Krise ist die totale Verschuldung der Staaten. Sie ist eine Kreatur der repräsentativen Demokratien. Nur die repräsentativen Demokratien sind so grenzenlos verschuldet. Aber sie sind es so gut wie alle. Das muss man sich sorgsam vor Augen führen: Wir haben es nicht nur mit Misswirtschaft und Korruption zu tun. Es sind die Systeme der entwickelten repräsentativen Demokratien, die sich selbst und damit auch ihre Völker in den Abgrund führen.

Alle entwickelten Demokratien von den USA über Westeuropa bis hin nach Japan stehen am Rande des Kollapses. Die Verschuldung ihrer öffentlichen Institutionen hat längst existenzbedrohende Dimensionen angenommen.

Viele entwickelte Demokratien stehen kurz vor dem Staatsbankrott, allen voran die USA. Dort kann man das am besten verfolgen. Alle paar Monate droht der totale Zusammenbruch, der "shutdown", die Zahlungsunfähigkeit der öffentlichen Hand. Und jedes Mal findet die Politik dieselbe zweifelhafte "Lösung" des Problems: Man erhöht einfach die Obergrenze für die Verschuldung des Staats, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, und wurstelt dann so weiter wie bisher.

2013 wurde die Schuldenobergrenze wieder einmal - diesmal auf 17 Billionen Dollar - angehoben. Aber ewig geht das nicht weiter. Irgendwann kommt der Punkt, an dem eine weitere Erhöhung der Schuldenobergrenze wirtschaftlich nicht mehr zu verkraften sein wird.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit stand eine politische Ordnung auf Grund ihres systemimmanenten Zwangs zur Selbstzerstörung so nahe und schon so lange am Rande des Abgrunds. Und es ist durchaus möglich - sogar ziemlich wahrscheinlich -, dass die Vielzahl der Krisen mit dem Untergang des Systems der repräsentativen Demokratie endet.

Es gilt zu prüfen, ob Demokratien in der Lage sind, ihre selbst geschaffenen Existenzkrisen zu bewältigen, ob sie überhaupt in der Lage sind, mit größeren Herausforderungen fertig zu werden oder ob es systemimmanente Hindernisse gibt, an denen ihre Bewältigung scheitern muss.

Die bei weitem größte existenzielle Krise der entwickelten Demokratien ist die totale Verschuldung der Staaten. Sie ist eine Kreatur der repräsentativen Demokratien. Nur die repräsentativen Demokratien sind so grenzenlos verschuldet. Aber sie sind es so gut wie alle. Es fragt sich, ob sie das wieder zurückdrehen können.

Die Verschuldung der demokratischen Staaten ist systemimmanent

Genauer genommen fragt sich, ob die Verschuldung der demokratischen Staaten systemimmanent ist oder nicht? Denn es ist schon merkwürdig: Von den zehn oder zwanzig am stärksten verschuldeten Staaten der Welt sind alle entwickelte repräsentative Demokratien. Das kann man nicht bagatellisieren und als einen absonderlichen Zufall bezeichnen.

Es gibt offensichtlich einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Hang öffentlicher Institutionen, sich permanent und unbremsbar zu verschulden, und dem System der repräsentativen Demokratie. Und die bis an den Rand des Zusammenbruchs führende Verschuldung aller öffentlichen Hände ist der Preis, den die Völker für die Bequemlichkeiten der repräsentativen Demokratien zahlen. Alles deutet darauf hin, dass dieser Preis viel zu hoch ist.

In den 64 Jahren von 1950 bis heute ist die Staatsverschuldung in Deutschland jedes Jahr gestiegen. Kein einziges Mal ist sie - und sei es nur ein wenig, um wenigstens die Unkenrufer Lügen zu strafen - gesunken.

Sie stieg von bescheidenen (umgerechnet) 10 Milliarden Euro auf zwei Billionen und 72 Milliarden Euro (im IV. Quartal 2012). Sie stieg übrigens nicht nur in Deutschland, sondern in allen anderen entwickelten demokratischen Staaten. Das spricht sehr dafür, dass die über viele Jahrzehnte wachsende Staatsverschuldung systembedingt ist.

Staatsverschuldung ist nicht grundsätzlich und unter allen Umständen etwas Schlechtes. Wenn ein Staat einen Überschuss erwirtschaftet und spart, kann er ihn später in einer Rezession wieder sinnvoll einsetzen, um die Konjunktur zu beleben. Durch "deficit spending" können so Flauten überwunden werden. So die Theorie.

Allerdings besteht in der Praxis die Gefahr, dass in der Rezession zwar die Staatsverschuldung steigt, aber bei Belebung der Konjunktur nicht wieder abgebaut wird.

Dies ist nicht bloß eine Gefahr, die eintreten oder auch nicht eintreten kann - wie ein plötzliches Unwetter. Sie gehört zur Realität der entwickelten repräsentativen Demokratien in aller Welt, weil die Repräsentanten in ihrer gnadenlosen Verantwortungslosigkeit alle Gelder mit vollen Händen auszugeben pflegen, derer sie habhaft werden.

Genauer gesagt, ist diese Gefahr nicht einfach nur ziemlich groß. Sie ist allgegenwärtig. Die Repräsentanten stehen stets mehr oder weniger kurz vor einer Wahl. Und deshalb streuen sie ständig Wahlgeschenke unters Volk.

In Wahrheit war das "deficit spending" immer nur eine schöne, ziemlich einleuchtende Theorie für die volkswirtschaftlichen Lehrbücher. In der Praxis hat es jedoch so gut wie nie funktioniert, weil ein an sich vernünftiges konjunkturpolitisches Instrument in den Händen von unvernünftigen Politikern einer repräsentativen Demokratie nichts taugen kann.

Wenn ein Staat jedoch den Schuldenberg zu jeder Zeit wachsen lässt, egal ob im Wirtschaftsboom oder in der Rezession, zerstört er selbst dieses Instrument der Konjunkturpolitik und diesen Staat auf Dauer gleich mit. Und das haben praktisch alle entwickelten demokratischen Industrienationen geschafft.

In den meisten Demokratien ist die Verschuldung der öffentlichen Haushalte in gut einem halben Jahrhundert ohne Sinn und Verstand in astronomische Höhen getrieben worden. Und die Demokratien sind damit immer handlungsunfähiger und zum Spielball der Finanzmärkte geworden.

Fritz Schäffer (CSU), der erste Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland, war der Einzige, der es in seiner Amtszeit von 1949 bis 1957 schaffte, einen Überschuss zu erwirtschaften. Natürlich kam Schäffer zugute, dass die Währungsreform 1948 Westdeutschland einen fiskalischen Neustart beschert hatte.

Das alte Geld war kaum noch etwas wert: Die Voraussetzungen waren günstig, solide zu wirtschaften. Die Demokratie in Deutschland war noch jung, man nahm die Verantwortung noch ernst. Das ist über ein halbes Jahrhundert her. Alle anderen Bundesregierungen und ihre Finanzminister lebten und leben noch immer auf Pump.

Sechs Finanzminister später hatten sich der Zeitgeist und die Zahlungsmoral radikal geändert. Die Wirtschaft florierte. Es gab mehr Arbeit als Kräfte, in der sozial-liberalen Koalition schien alles finanzierbar.

Zwei Finanzminister, Alex Möller (SPD) und sein Nachfolger Karl Schiller, traten 1971 und 1972 zurück, weil sie die leichtfertige Ausgabenpolitik der sozialliberalen Regierung nicht verantworten wollten.

Mit einer Haushaltslücke von über vier Milliarden Mark für das Jahr 1971 (bei einem Haushaltsvolumen von 100 Milliarden) und von etwa zehn Milliarden Mark für 1972 könne er nicht mehr Bundesfinanzminister bleiben, erklärte Möller und gab das Amt an Karl Schiller weiter.

Er sei nicht bereit, eine Politik zu unterstützen, sagte Schiller, "die nach außen den Eindruck erweckt, die Regierung lebe nach dem Motto: Nach uns die Sintflut".

Danach ging es mit den Schulden nur noch steiler aufwärts. Auch Schiller trat schließlich unter Protest zurück. Sein Nachfolger hatte noch viel weniger Skrupel bei der Schuldenaufnahme. Der hieß Helmut Schmidt, machte zehn Milliarden Mark neue Schulden - und wurde zwei Jahre später Kanzler.

Dabei stand der Aufbruch ins Uferlose überhaupt erst noch bevor. Die Konjunktur trübte sich ein, vor allem nach den Ölpreisschocks von 1973 und 1979, die Zahl der Arbeitslosen stieg kontinuierlich.

Doch die Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) tat unverdrossen weiter so, als befände sich Deutschland noch immer im Wirtschaftswunder: Sie gab bei weitem mehr aus, als sie einnahm. Unter der Kanzlerschaft des großen Staatsmanns Helmut Schmidt wuchs die Verschuldung des Bunds von 39 Milliarden auf 160 Milliarden Euro. 1982 zerbrach die sozial-liberale Koalition auch daran.

Doch das sind Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Heute würde kein Finanzminister mehr zurücktreten, nur weil er einen Haushalt versaubeutelt hat. Selbst als 2010 die Haushaltslücke über 80 Milliarden Euro betrug und durch Neuverschuldung gedeckt werden musste, sah sich der Finanzminister nicht veranlasst zurückzutreten. Das ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der politischen Folklore geworden. Niemand fand, er sollte zurücktreten, noch nicht einmal die Opposition.

Früher hatte die Kreditaufnahme den Sinn, temporäre Engpässe zu überwinden, Zeit gewinnen und eventuell auch noch die Wirtschaft anzukurbeln. Das gehört in die sagenumwobene graue Vorzeit der Schuldenaufnahme.