Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende
Seite 2: Heute machen die Staaten neue Schulden, um die Zinsen für alte Schulden zu bezahlen
- Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende
- Heute machen die Staaten neue Schulden, um die Zinsen für alte Schulden zu bezahlen
- Nur eine Scheinlösung: Wirtschaftswachstum um jeden Preis
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Bis in die 1980er Jahre hinein machte der Staat neue Schulden, um Straßen, Autobahnen, KrankenXhäuser und AltersXheime zu bauen. Heute macht er im Wesentlichen neue Schulden, um die Zinsen für die alten Schulden zu bezahlen. Die Neuverschuldung dient nur noch dazu, sich von einem Krisenjahr ins nächste Krisenjahr zu hangeln. Allerdings ohne die geringste Aussicht darauf, dass sich im nächsten Jahr das Blatt zum Guten wendet.
Alle Bürger bürgen für die Schulden ihres Staates. Folglich sind gegenwärtige Schulden eines Staates auf Grund der Tilgungspflicht und der Zinszahlungspflicht künftig zu zahlende Steuern. Die Schulden werden also langfristig von mehreren Generationen in Form von Steuern gezahlt.
Wie gewaltig der objektive Zwang zur finanzpolitischen Kurzatmigkeit ist, zeigt das dramatische Anwachsen der Staatsverschuldung seit 1969. Egal, welche politische Partei(en) gerade regierte(n): Stets wuchs mit einer wachsenden Zahl von Wahlgeschenken die Staatsverschuldung.
Schuldenkanzler war jeder Kanzler schon mal
Es war auch völlig egal, wie erbittert sich die Parteien in der Öffentlichkeit als knallharte Sparkommissare zu profilieren versuchten oder die jeweilige Gegenseite im Brustton der Überzeugung als "Schuldenpartei" oder gar als "Kanzler der Schulden" beschimpften: Da wurde bisher noch keiner verschont: Schuldenkanzler Willy Brandt, Schuldenkanzler Helmut Schmidt, Schuldenkanzler Helmut Kohl, Schuldenkanzler Gerhard Schröder und Schuldenkanzlerin Angela Merkel… jeder hat da bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit schon sein Fett wegbekommen.
Die meisten Finanzminister, die in der Regel mit dem hehren Vorsatz ihr Amt antraten, die Verschuldung oder wenigstens die Neuverschuldung drastisch zu senken, standen am Ende ihrer Amtszeit ebenso als Schuldenmacher da wie alle anderen vor ihnen und alle anderen nach ihnen. Und jeder hatte den Titel auch verdient. Nur: Keiner von denen, die da laut über die anderen schimpften, hatte das Recht, aus seinem eigenen Glashaus heraus mit Steinen zu werfen.
Am Ende wuchs in den meisten demokratisch regierten Ländern der Welt stets die Staatsverschuldung. Von den USA über Europa und bis nach Japan sind die meisten entwickelten demokratischen Staaten bis über beide Ohren verschuldet. Und daran lässt sich leicht erkennen, dass es sich um einen fundamentalen Strukturfehler der repräsentativen Demokratien handelt. Länder wie Italien und Japan oder Frankreich und die USA haben sonst nur wenige kulturelle, soziale und politische Gemeinsamkeiten - außer eben, dass sie demokratische Systeme und über alle Maßen verschuldet sind.
Die jahrzehntelang wachsende Staatsverschuldung ist ein Phänomen entwickelter demokratischer Staaten. Das schließt nicht aus, dass der eine oder andere nichtdemokratische Staat sich auch verschuldet. Aber eine hohe Staatsverschuldung gehört nicht zu ihren konstituierenden Merkmalen. Dagegen ist die Mehrheit der entwickelten Demokratien systembedingt durchweg hochverschuldet.
Die Gesamtschulden aller öffentlichen Haushalte in Deutschland betragen 2,072 Billionen Euro (Stand Ende 2013). In der Praxis ist ein Haushaltsüberschuss in der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren nicht mehr vorgekommen.
Die zur Bedienung der öffentlichen Schulden notwendigen Zinsausgaben waren 2011 sogar der zweitgrößte Posten der Bundesausgaben. Nur für Arbeit und Soziales wird noch mehr Geld ausgegeben. Nicht einmal die Verteidigung kostet so viel wie der Schuldendienst.
Allein der Bund hat in den vergangenen 40 Jahren einen Schuldenberg von 1,3 Billionen Euro angehäuft. Dafür werden rund 40 Milliarden Euro an Zinsen fällig. Jeder sechste Euro der Steuereinnahmen des Bundes floss 2011 direkt in den Schuldendienst. Das muss man sich in aller Dramatik vor Augen führen: Mit den Beträgen, die allein der Bund in Deutschland für Zinsen zahlt, kann man eine ganze moderne Armee unterhalten. Pro Sekunde erhöht sich die deutsche Staatsschuld um 1.556 Euro.
Von 1965 bis 2010 betrug auf der Ebene des öffentlichen Gesamthaushalts die Summe aller Neuverschuldungen beziehungsweise Defizite 1,480 Billionen Euro und die Summe aller Zinsausgaben 1,642 Billionen Euro. Die Blöcke Kreditaufnahmen und Schuldendienst halten sich also im langfristigen Mittel die Waage. Die Neuverschuldung dient im Wesentlichen dazu, die alten Schulden zu bezahlen. Ein ökonomischer Aberwitz: Man nimmt Kredite auf, um Schulden zu zahlen.
Die Rückzahlung der jeweils neuen Kredite samt Zinsen und Zinseszinsen wird in eine ferne Zukunft verschoben: Ein ewiger Kreislauf der Umschuldung. Es ist das klassische Schneeballsystem, wie es sonst Anlagebetrüger praktizieren. Dabei kommen Schneebälle ins Rollen, die immer größer und immer mächtiger werden, bis eine Lawine entsteht, die alles mit sich reißt.
Allein im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts haben die demokratischen Staaten ihre Gesamtverschuldung mehr als verdoppelt, auf über 55 Billionen Euro. Und das war immerhin das Jahrzehnt der großen Sparanstrengungen.
Doch die Spirale dreht sich allen ebenso hehren wie leeren Versprechungen der Politiker zum Trotz unablässig und unaufhaltsam immer weiter und immer weiter. 2011 kam es zu einer historischen Sensation: Erstmals seit über einem halben Jahrhundert sank die Neuverschuldung des Bundes, und zwar beachtlich von 80,2 Milliarden im Jahr 2010 auf nur noch 22 Milliarden Euro. Grund zum Jubeln? War damit nicht doch der Nachweis erbracht, dass konsequente Haushaltspolitik die ständig wachsende Verschuldung ausbremsen kann?
Denkste.
Mit erbitterten Sparanstrengungen und einer gezielten Haushaltspolitik hatte das nicht das Geringste zu tun. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief gerade recht günstig, die Arbeitslosenzahlen gingen zurück, die Steuereinnahmen sprudelten. 2011 erzielte Deutschland das höchste Wirtschaftswachstum seit der Wiedervereinigung. Die Arbeitslosigkeit war so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die sozialen Sicherungssysteme schwammen im Geld.
Der Geldsegen zwang die Rentenversicherung gar, ihren Beitragssatz zu senken, die Arbeitslosenversicherung schlug Hilfskredite des Bunds aus, im Gesundheitssystem sammelten sich Reserven von 16 Milliarden Euro, und sogar die Pflegeversicherung schloss wider Erwarten ohne Defizit ab. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte der Staat mehr eingenommen als 2011.
Das erklärt auch, warum alle Politiker alle Hoffnungen stets auf das Wirtschaftswachstum setzen. Wenn die Wirtschaft wächst, besteht Aussicht auf höhere Einnahmen. Dass sie das durch eine vernünftige ökonomische Planung nicht hinkriegen, ist ihnen auch längst bewusst. Der Wachstumsfetischismus der demokratischen Politik hat noch eine ganz andere Ursache: Sie sind entschlossen, die Staatsausgaben weiter zu steigern.