Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende
Seite 3: Nur eine Scheinlösung: Wirtschaftswachstum um jeden Preis
- Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende
- Heute machen die Staaten neue Schulden, um die Zinsen für alte Schulden zu bezahlen
- Nur eine Scheinlösung: Wirtschaftswachstum um jeden Preis
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Die Obergrenze für weitere Kreditaufnahmen ist längst erreicht, wenn nicht überschritten. Folglich haben sie nur noch eine einzige Hoffnung, ihre Macht durch weitere Ausgaben zu erhalten und zu stabilisieren: Die Wirtschaft muss wachsen. Da können all die braven Anhänger nachhaltigen und umweltschonenden Wirtschaftens so viel schwärmen wie sie mögen. Das schert die demokratischen Politiker einen feuchten Kehricht. Sie brauchen brutales Wirtschaftswachstum um jeden Preis, um wenigstens die nächsten paar Jahre zu überleben.
Der Geldsegen von 2011 war halt ein unverhoffter Glücksfall, sonst gar nichts. Die Politik hatte nicht den geringsten Anteil daran. Ja, die Bundesregierung rühmte sich sogar, sie habe ja ursprünglich eine viel höhere Neukreditaufnahme von 48,4 Milliarden Euro geplant. Hatte sie in der Tat. Doch selbst dafür konnte sie nichts. Das zusätzliche Geld war - wie gesagt - ganz unerwartet hereingesprudelt…
Deshalb stieg die Neuverschuldung auch im nächsten Jahr, 2012, auch gleich wieder auf 26,1 Milliarden Euro an. Weil er 2011 - im Boomjahr - nicht genügend gespart hatte, musste der Bund schon 2012 wieder mehr Kredite aufnehmen. Die sich selbst als fiskalisches Vorbild für Europa preisende Bundesrepublik blähte ihr Defizit inmitten der schlimmsten Schuldenkrise seit den dreißiger Jahren wieder deutlich auf.
Die Konjunktur hatte sich wieder abgeschwächt, zusätzliche Risiken waren durch die Euro-Schuldenkrise und durch die ausgabensteigernden Beschlüsse der Koalition entstanden - darunter Verkehrsinvestitionen und zusätzliche Ausgaben für das Weihnachtsgeld für Beamte.
Im Oktober 2011 hatte die Koalition die Rückkehr zum vollen Weihnachtsgeld für Beamte des Bundes beschlossen. Und das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause selbst erziehen und dafür keine Kindertagesstätten in Anspruch nehmen, schlägt mit 1,5 Milliarden Euro im Jahr zu Buche.
Das Geld wird wieder wie bisher zum Fenster hinausgeworfen. Das mit Getöse verkündete Ziel, den Haushalt nachhaltig und dauerhaft zu konsolidieren, hat die Bundesregierung bereits wieder aufgegeben, bevor die Verkündigung richtig verhallt war.
Um die Schuldenquote von derzeit 83 Prozent des Bruttoinlandsprodukte (BIP) innerhalb einer vernünftigen Frist auf die vorgeschriebenen 60 Prozent zu senken, reicht ein gerade mal ausgeglichener Haushalt sowieso nicht aus. Dazu braucht man Etatüberschüsse. Doch die bleiben aus.
Um Überschüsse zu erzielen, braucht ein Haushalt einen positiven Primärsaldo. Das ist die Differenz von Staatseinnahmen ohne Neuverschuldung und Staatsausgaben ohne Kosten für Zinsen und Zinseszinsen. Ist dieser Saldo im Plus, kann ein Land seine laufenden Ausgaben decken und wenigstens einen Teil seiner Schulden zahlen. Ist er im Minus, muss das Land seine alten Schulden vollständig durch Aufnahme neuer Kredite bedienen. Und wenn das geschieht, wächst der Schuldenberg rasant.
Vor allem die Erhöhung des Weihnachtsgelds für Beamte auf dem Höhepunkt der europäischen Staatsschuldenkrise zeigt, dass alle politischen Parteien mittlerweile zu Klienteleparteien verkommen sind. Es ist ihnen wesentlich wichtiger, ihre diversen Klienteles zufrieden zu stellen, als etwa verantwortungsbewusste Haushaltspolitik zu treiben.
Primäres Ziel aller Haushaltsentscheidungen ist und bleibt der Machterhalt der eigenen Parteien - nicht eine vernünftige Haushalts- und Wirtschaftspolitik. Und solange sich daran nichts ändert - und in repräsentativen Demokratien kann sich allein mit gutem Willen nach dem Motto "ab morgen wird gespart" niemals etwas ändern -, dreht sich die Verschuldungsspirale immer weiter und immer weiter.
Im Boomjahr 2010 wäre es möglich gewesen, die als Konjunkturpaket verteilten Milliarden wieder einzusparen. Doch das großmäulig angekündigte Sparvorhaben der Koalition verpuffte - so wie immer. Auch das ist eine Konstante demokratischer Politik: Mit großspurigen Ankündigungen kommt man in die Medien und kriegt eine wohlwollende Presse. Was man dann anschließend in der wirklichen Wirklichkeit tut, ist nicht so wichtig. Damit beschäftigt sich sowieso kaum noch jemand.
Die mittelfristige Etatplanung steckte ohnehin voller Finanzlöcher und Risiken und wurde nun durch Steuersenkungen, Betreuungsgeld und Pflege-Riester zusätzlich belastet. Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, in der Zeit des konjunkturellen Booms einen radikalen Sparkurs vorzulegen. Doch sie ließ die Gelegenheit wie so viele andere ungenutzt verstreichen.
Das Defizit wächst also wieder wie in all den Jahrzehnten zuvor. Statt den Bundeshaushalt zu konsolidieren, zeigt sich die Bundesregierung grimmig entschlossen, auch in Zukunft so weiterzuwursteln wie schon immer. Trotz der zurzeit hohen Steuereinnahmen steckt sie die Mehreinnahmen - wie in der Vergangenheit - sogleich in neue Ausgabenprogramme.
Dem eigenen Anspruch, alle staatlich übernommenen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit hin zu überprüfen, wird die Regierung noch nicht einmal im Ansatz gerecht. Allen vollmundigen Ankündigungen zum Trotz wird auch die derzeit herrschende große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Politik der verantwortungslosen Verschuldung ohne Bedenken fortsetzen. Schon jetzt ist erkennbar, dass sie die Bürger mit Rentengeschenken und heimlichen Steuererhöhungen wie kaum eine Regierung vor ihr weiter schröpfen wird. Bis 2017 wird die Belastung um gut 100 Milliarden Euro steigen.
Das ist übrigens völlig unabhängig davon, welche Parteien gerade die Regierung bilden. Kommen andere Parteien an die Regierung, geht es mit der Neuverschuldung dennoch weiter. Ein überdeutliches Indiz dafür, dass die Verschuldungsversessenheit der Politiker ein parteienübergreifendes, systembedingtes Strukturproblem der Demokratien ist.
Der Beschluss zur erneuten Erhöhung der Neuverschuldung fiel auf dem Höhepunkt der europäischen Staatsschuldenkrise, als die Bundesrepublik harsche Kritik an total überschuldeten Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal, Italien und Spanien übte und sich zum obersten Sparkommissar Europas aufschwang. Dabei wird gern verdrängt, dass auch Deutschland gnadenlos verschuldet ist.
Doch bis dahin hatte die Bundesregierung dennoch eine gewisse Legitimation, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen und ihnen extreme Sparanstrengungen abzuverlangen. Aber wie will man das jetzt noch rechtfertigen, nachdem die Bundesregierung im eigenen Land ihre Glaubwürdigkeit verspielt hat?
Man tröstet sich in der deutschen Politik allen Ernstes damit, dass die Verschuldung noch nicht das Ausmaß wie in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien oder auch in Japan oder gar den USA erreicht hat, wo alle paar Monate der totale Stillstand droht, nur weil bis in die letzte Minute hinein ungewiss ist, ob die Gehälter der Beamten und öffentlichen Angestellten noch gezahlt werden können. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Laurence Kotlikoff meint gar:
Die Vereinigten Staaten sind vermutlich in einer schlechteren fiskalischen Verfassung als Griechenland.
Aber das bedeutet ja nun nicht, dass die Last der Schulden des Bundes, der Bundesländer und der Städte und Gemeinden hierzulande nicht an der Grenze dessen stünde, was überhaupt noch zu verkraften ist. Denn in Wirklichkeit ist die Lage in Deutschland höchst bedrohlich. So liegt die Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 83 Prozent. Und in der Europäischen Union ist das alles andere als vorbildlich. Es ist gerade mal durchschnittlich. Selbst der "Schuldenstaat" Spanien schneidet mit 73,8 Prozent ein gutes Stück besser ab.
Doch um den Schuldenstand innerhalb von zehn Jahren auf 60 Prozent zu drücken, bräuchte Deutschland dauerhaft jedes Jahr mindestens einen Primärüberschuss von zwei bis drei Prozent. Und um das Ziel in nur fünf Jahren zu erreichen, bräuchte man einen Primärüberschuss von rund fünf Prozent. Deutschland hat derzeit aber gerade mal ein Prozent. Die selbstgesetzten Ziele sind also viel zu weit von allem entfernt, was in der Realität je zu erreichen wäre. Sie sind weltfremd.
Die einzige Form von Haushaltsplanung, die Deutschland betreibt, ist vom "Prinzip Hoffnung" getrieben: Hoffnung auf künftiges Wirtschaftswachstum.
Alle optimistischen Kalkulationen der Bundesregierung brechen in sich zusammen, wenn die wirtschaftliche Wirklichkeit sich nicht an die frohe Prognose künftigen Wachstums hält. Und das hat die Wirklichkeit nun mal so an sich. Sie schert sich nicht im Geringsten um die schönen Prognosen. Das Prinzip Hoffnung ist kein Planungsinstrument, sondern nicht mehr als einfältiger Zweckoptimismus.