Der Rechte Sektor kämpft ums Überleben

In Kiew kamen ein paar hundert Anhänger, gefordert wird ein Referendum, in dem das Misstrauen gegenüber Präsident, Regierung und Parlament ausgesprochen wird

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Der Aufruf desrechtsnationalistischen Rechten Sektors zu einem neuen Maidan-Protest war eher kläglich. Nach Medienberichten hatten sich gestern gerade einmal ein paar hundert Anhänger auf dem Maidan eingefunden, vielleicht waren es auch ein paar tausend, um gegen die Korruption der Regierung und Behörden, die Herrschaft der Oligarchen und die Versuche zu protestieren, die bewaffneten Verbände des Rechten Sektors nach der Schießerei in Mukacheve, in Transkarpatien, aufzulösen.

Auf dem Kongress des Rechten Sektors. Bild: Rechter Sektor

Zuvor hatte der Rechte Sektor damit gedroht, seine bewaffneten Bataillone von der Front abzuziehen und nach Kiew ziehen zu lassen. In Verletzung des Minsker Abkommens sind die so genannten "Freiwilligenverbände" des Rechten Sektors ebenso wie andere Milizen, die nicht in die Streitkräfte integriert sind, noch an der Front tätig. Auf wie viele bewaffnete und ausgebildete Kämpfer sich der Rechte Sektor stützen kann, ist nicht bekannt.

Trotz der großen Rhetorik hat man es wohl lieber vermieden, einen Showdown in Kiew zu inszenieren, der wohl auf jeden Fall nach hinten losgegangen wäre. Bewaffnet trat man nicht auf. Der Vorfall in Mukacheve, wo schwer bewaffnete Anhänger der Miliz des Rechten Sektors angeblich eigenmächtig mit dem organisierten Schmuggel aufräumen wollten und dabei in ein Gefecht mit der Polizei gerieten, hat die Regierung dazu genötigt, gegen die Miliz vor vorzugehen - wenn auch letztlich nur halbherzig und vor allem rhetorisch. Noch immer sind Kämpfer des Rechten Sektors in den Wäldern um Mukacheve versteckt, die Zentralregierung scheut vor einer Auseinandersetzung mit den bewaffneten Banden zurück, die sich als Avantgarde der Maidan-Proteste darstellen, als Inkarnation der "Revolution der Würde". Obgleich weder die Partei noch deren Anführer Dmitri Jarosch bei Wahlen erfolgreiche waren - die Unterstützung ist im Bereich von einem Prozent -, ist es auffällig, wie viel Respekt die Zentralregierung vor der bewaffneten Bande, die einstmals ein Teil der "Selbstverteidigungskräfte" des Maidan war, hat. Anerkennung hatte die Miliz in den Kämpfen um den Flugplatz in Donezk gefunden.

Auf dem Kongress des Rechten Sektors. Bild: Rechter Sektor

Die russischen Medien und Moskau haben das Ihre dazu beigetragen, die Macht des Rechten Sektors zu überhöhen, indem sie dessen Einfluss übertrieben. Gleichwohl kommt Jarosch weiterhin als Held mit geschwellter Brust und erklärte auf dem Maidan gestern, dass die Regierung nach dem Sturz von Janukowitsch nur die Namen ausgetauscht habe. Tatsächlich wurde nur eine elitäre Gruppe von der anderen abgelöst, Janukowitsch vom Oligarchen Poroschenko. Jarosch erklärte seinen Anhängern, dass der Rechte Sektor eine "revolutionäre Bewegung" sei, die "eine neue Phase der ukrainischen Revolution" einleiten werde.

Vor allem kämpfen Jarosch und der Rechte Sektor darum, dass die Milizen des Rechten Sektors von der Regierung als selbständige bewaffnete Verbände anerkannt werden, dass sie Waffen tragen dürfen und nicht dem Kommando unterstellt werden. Jarosch will alleiniger Kommandant bleiben - und fordert damit die Zentralregierung und das Machtmonopol heraus.

Nun will man, wie auf einem "Kongress" beschlossen wurde, ein Misstrauensvotum in Form eines Volksentscheids gegen das Parlament, die Regierung und den Präsidenten erzwingen. Der Volksentscheid soll nach den Wünschen des Rechten Sektors die Ablehnung des Minsker Abkommens, die Benennung der Antiterroroperation (ATO) als Krieg und die Anerkennung der Selbständigkeit der Freiwilligenverbände enthalten. Wenn das Referendum scheitern sollte, so Jarosch, werde man in der Ukraine Wahlen abhalten.

Wie das alles gehen soll, bleibt schleierhaft. Um den Abstand zum gegenwärtigen parlamentarischen System zu demonstrieren, will man zu den nächsten lokalen Wahlen nicht antreten. Jarosch selbst klammert sich allerdings an sein Abgeordnetenmandat in der Rada, das sichert ihm nicht nur ein Einkommen, sondern auch Immunität.

Erstaunlich ist weniger die Überschätzung der eigenen Bedeutung beim Rechten Sektor, der in martialischen Posen auftritt, als die Angst der Regierung, gegen diesen vorzugehen, der faktisch kaum Macht besitzt. Vermutlich würde es keine größeren Proteste in der Ukraine geben, wenn die Milizen entwaffnet oder dem Oberkommando der Streitkräfte unterstellt würden.