Der SPD-Vorsitzende, die Ukraine und die schwarze Liste aus Kiew: Was einige Leitmedien verschweigen
Seite 2: False Balance in der Causa Mützenich
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Die Causa Mützenich ist nach diesem Wochenende schon nochmal ein paar Worte zur Einordnung wert. Was war geschehen? Der SPD-Fraktionsvorsitzende hatte auf dem sogenannten Debattenkonvent seiner Partei am Wochenende eine Ungeheuerlichkeit gewagt: Er hat debattiert! Konkret: Den Umstand, dass eine ukrainische Behörde ihn auf eine schwarze Liste gesetzt hat.
Ihn habe das irritiert, so Mützenich, der damit indirekt das Verhältnis zur Führung von Präsident Wolodymyr Selenskyj thematisierte. Zudem sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende: "Auf dieser Grundlage, dass man auf diese Terrorliste der ukrainischen Regierung gekommen ist, hat man ja sozusagen dann auch Sekundärdrohungen bekommen."
Bemerkenswert ist zum einen der Umstand, dass auf einer Debattenveranstaltung bestimmte offensichtliche Themen nicht debattiert werden können – oder es zumindest erheblich Kräfte gibt, die eine solche Debatte zu unterbinden versuchen.
Was unmittelbar zum medialen Umgang führt. Zum einen war das Thema schon im Juli und August publik, aber von Leitmedien kaum aufgegriffen worden. Neben der Berliner Zeitung hatte damals auch Telepolis berichtet – den Text vom 16.08. haben wir an diesem Sonntag aktualisiert wiederveröffentlicht. Telepolis schrieb damals von einer "schwarzen Liste", Mützenich sprach nun von einer "Terrorliste".
Das Ganze bekam jetzt durch eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur eine erheblich stärkere mediale Aufmerksamkeit, allerdings erst auf Basis des ukrainischen Dementis, das damit stärker gewichtet wurde als die Listung des Fraktionsvorsitzenden der Regierungspartei an sich – oder dessen Kritik daran.
Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel war selbst diese fragwürdige, wenn nicht sogar falsche Balance noch zu wenig: Die dort redaktionell Verantwortlichen ergänzten die dpa-Meldung mit einem Twitter-Kommentar eines – halten Sie sich fest! – Beisitzers der Jungen Union Berlin-Mitte. Der sah mit dem üblichen Hauch von Größenwahn, der schon beim Nachwuchs der Frontstadt-Christdemokratie mitschwingt, eine "Belastung für das Ansehen Deutschlands in der Welt". Und das meinten die erst: Der JU-Beisitzer aus dem Bezirk Berlin-Mitte und der Spiegel.
Nach journalistischen Kriterien hätte es durchaus andere berücksichtigenswerte Wortmeldungen gegeben. Die etwa des SPD-Abgeordneten Ralf Stegner, der schrieb:
Wie soll man das eigentlich nennen, wenn es tatsächlich staatliche Listen geben sollte, auf denen Menschen öffentlich als Lügner und Unterstützer von Kriegsverbrechern angeprangert werden, deren "Vergehen" in ihrer differenzierten Meinung besteht, die einer Regierung nicht passt?
Die tagesschau indes war in einem Erklär-Beitrag sichtlich bemüht, die Relevanz der schwarzen Liste aus Kiew herunterzuspielen. Es handele sich um eine "teilweise wahllos und inkonsequent wirkende Auflistung", hieß es da. Das verantwortliche "Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation" (CCD) habe zudem keine Sanktionsmöglichkeiten, so die tagesschau.de weiter.
Alles nicht so dramatisch also? Was Spiegel und tagesschau.de nicht erwähnten, stand schon Mitte August bei Telepolis: CCD-Chef Andrij Schapowalow hatte im Zusammenhang mit den indizierten Personen von "Informationsterroristen" gesprochen. Wörtlich sagte Schapowalow: "Informationsterroristen müssen wissen, dass sie sich als Kriegsverbrecher vor dem Gesetz verantworten müssen." Daraus leitete Mützenich nun offenbar seinen Vorwurf einer "Terrorliste" ab.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung bekräftigte der SPD-Fraktionsvorsitzende am Sonntag seine Position, verzichtete dabei aber auf den Vorwurf, es habe sich um eine "Terrorliste" gehandelt: "Ich weiß nicht, welche Intention die dem Verteidigungsrat unterstellte Behörde bereits im Sommer hatte, eine solche Liste zu erstellen und auch meinen Namen daraufzusetzen."
Artikel zum Thema:
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