Der Sieg der Vulgarität

Bild: © Gianni-Fiorito DCM

Macht wirkt viel besser als Viagra. Sorrentinos Farce über das Bunga-Bunga-Berlusconi-Italien

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Showmaster ist mein Beruf - ein Beruf, ein Beruf, den der Teufel schuf.
Rudo Carrell

Immer wieder Parties. Immer wieder schlechte Musik. Immer wieder Champagner und Kokain. Dazu leichtbekleidete oder gleich ganz nackte junge Mädchen, mal im Pool, mal auf Männerschößen oder vor ihnen kniend, von vorn oder von hinten. "Bunga-Bunga". Mit diesem Wort wurde Silvio Berlusconi wahrscheinlich berühmter als durch seine Politik.

Der Mann, der Italien seit 1992 bislang viermal als Ministerpräsident regierte, steht im Zentrum von "Loro", dem neuen Kinowerk des Italieners Paolo Sorrentino. Dies ist kein Politfilm, keine moderne Form eines Shakespeare-Dramas, weder "Richard III." noch die italienische Variante einer politisch-moralischen Anklage à la Oliver Stone. "Loro" ist mehr eine Farce, ein schrilles, übertriebenes, satirisch gefärbtes, aber auch von seltsamer Sympathie getragenes Gesellschaftsportrait wie "La Dolce Vita", Fellinis 60 Jahre alter, unsterblicher Klassiker.

Wohlfeiles Politikerbashing

Man muss Sorrentino nicht mögen. Im Unterschied zu Fellini lebt er als Regisseur schon seit Jahren recht gut von den Reichen und Mächtigen Italiens und von wohlfeilem Politikerbashing. In "Il Divo" nahm er 2008 die graue Eminenz der Christdemokraten Giulio Andreotti und mit ihm gleich die ganze italienische Nachkriegsdemokratie aufs Korn, aber auch erst zu einer Zeit, als niemand mehr ein gutes Haar an dem Mann ließ.

Als Macher der Serie "The Young Pope" portraitiert er seit einiger Zeit sarkastisch den päpstlichen Hof in Rom und die katholische Kirche - ein dankbares Thema, gerade im protestantischen Amerika. Auch in seinen anderen Filmen, "Ewige Jugend" und "Die große Schönheit" verweilt Sorrentino immer wieder aufs Neue im Leben der Schönen und Reichen, der alten Männer und der jungen Frauen an ihrer Seite. Und man hat mehr und mehr den Eindruck, dass er sich deren Blick ganz gern zu eigen macht. "Wozu denn Filmemacher sein, wenn nicht, damit sie sich endlich ausziehen?"

Loro - Die Verführten (10 Bilder)

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Sorrentinos Kino ist ein dirty-old-men-Kino, ein Kino der so prächtigen wie seelenlosen glatten Oberflächen, die der Regisseur in einer Mischung aus Ekel und Faszination in immer neuen Varianten darstellt. Nun geht es nach Gott und der Welt um deren Kombination: den so merkwürdig charismatischen wie zynischen Medienmogul Berlusconi und die postdemokratischen Verhältnisse, die Berlusconi ebenso schuf, wie er selbst deren Geschöpf ist: eine Mischung aus Verderbtheit und Dekadenz, eine Diktatur der Geschmacklosigkeit und des Größenwahns.

Kulturkritik und seltsame Faszination

Sorrentino gelingt in seinen besten Momenten eine dichte, flott geschriebene, witzige, trotzdem distanzierte Betrachtung über Berlusconi, eine kaleidoskopische Betrachtung des viermaligen italienischen Premierministers und des Italiens, das er schuf. In den schlechten ist er einfach ein Gast auf Silvios Bunga-Bunga-Partys.

Die Hauptrolle spielt Tony Servillo, Sorrentinos Muse seit über zehn Jahren - einer der überschätztesten italienischen Schauspieler. Der Titel "Loro" heißt allerdings "Sie" - das macht klar, dass es hier weniger um Berlusconi selbst geht - der Mann taucht im Film übrigens erst nach 45 Minuten erstmals auf - sondern um die Wirkung, die er auf seine Umgebung hat.

Es geht also um das Italien, das Berlusconi schuf, und das ihn zugleich möglich machte. Ein speichelleckerisches, machtverliebtes Italien, ein Land der Dekadenz und Korruption, der Vulgarität und der Egozentrik. Zusammen mit der Figur des ehemaligen Premierministers zerlegt der Regisseur das heutige Italien, zeigt alle Laster, Ängste und Illusionen seiner Generation und macht klar, dass die blinde Lust nach Macht noch stärker ist als die nach Kokain.

Sorrentinos Film ist Kulturkritik mit den Mitteln des Kinos. Es ist aber auch ein Film, der eine seltsame Faszination für sein Objekt besitzt. Denn trotz allem ist es Berlusconi, der Mann der Skandale, der Gerichtsverfahren und der demagogischen Politik, der den Kern des Films bildet: Geschäftsmann und Politiker, Besitzer eines Fußballclubs und eines ganzen Medien-Netzwerks und chrismatisches Alpha-Tier.

Kampf-Sport in der Konsensfabrik

Was Sorrentino nie gelingt, ist eine tiefergehende Analyse seines Sujets. Es war schon immer der Fehler aller Berlusconi-Analysen - so wie jetzt im Umgang mit Trump -, dass alles an der Oberfläche verharrt. Ja, Berlusconi ist geschmacklos. Aber man kann den Erfolg des Politikers nicht damit erklären. Berlusconi wie Trump sind mehr Symptom tiefgreifender Veränderungen. Das ist der Clou des Titels.

In der postdemokratischen "Demokratie", der "demokratischen Fürstenherrschaft" (Danilo Zolo), die sich seit den 1980er Jahren zunehmend etablierte, wird Demokratie mehr simuliert, als praktiziert. Die Politiker sind von handelnden, also auch riskierenden Akteuren zu Performern, also Demokratieshowmastern degeneriert.

Sie agieren als Unternehmer, die Marken schaffen und Waren verkaufen - und so ist am besten erklärlich, dass es oft genug Unternehmer sind, die in höherem Alter - oder bei geschäftlichen Misserfolg um dessen Folgen aufzufangen - zu Politikern mutieren. Sie kapern eine darniederliegende Partei - wie Trump - oder gründen eine neue, die analog zu Unternehmen organisiert ist.

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Der Bürger hat sich, keineswegs ohne eigenes Zutun, sondern in stillschweigender Billigung, aber auch ohnmächtig im Angesicht von Institutionen, die den (Schein-)Zwängen der sich ausbreitenden Marktlogik folgen, in einen Konsumenten verwandelt, der politische Kommunikation in den Medien nur noch apathisch rezipiert und als Unterhaltungsprogramm genießt. Als Kampfsport und Alternative zum Fußball.

Die Medien, die in der modernen Mediendemokratie als Arena dieses Programms agieren, fungieren als "Konsensfabrik" (Noam Chomsky), die diese Kommunikation filtert und in Kanäle gießt, an denen man konformistisch teilhaben kann und anderenfalls ausgeschlossen wird. Medien sind keineswegs "vierte Gewalt", sie haben vielmehr staatstheoretisch die institutionelle Funktion der Systemstabilisierung durch Teilhabe-Simulation.

Demokratie ist dann nur noch das erbauliche Spiel für die Bühne. Aber weder die wesentlichen Debatten, also das Denkzentrums des Gemeinwesens, noch dessen Willenszentrum, also die zentralen Entscheidungen, sind demokratisch motiviert. Mit Willensbildung der Bevölkerung hat das alles kaum etwas zu tun.

Eher gleichen die Polit-Konsumenten Kindern, die mal gutwillig-heiter, mal störrisch-quengelnd von den medialen Kindergärtnern in die jeweiligen Spielzimmer geführt werden. Infantilismus und Regression sind die passenden Begriffe, um ihr Verhalten und ihre Gewinnung, ihren Geisteszustand zu benennen.

Diese kleinen ängstlichen Kinder wählen andere Kinder, Maulhelden und Schulhof-Anführer, die klassischen Gescheiterten des Lebens und "destruktiven Charakter", um sich von ihnen regieren zu lassen. "Die allerdümmsten Kälber, wählen ihre Metzger selber."

Orgien & Kokain

Filmisch wirkt "Loro" etwas unausgewogen, ohne große Höhepunkte, eher wie eine Nummernrevue, die auch in der Redundanz, der Wiederholung des Immergleichen bestechen will. Auch das ist Marktlogik. Die Alternativlosigkeit auf ästhetische Form gebracht.

Es mag auch daran liegen, dass der Film in Italien in zwei Teilen von insgesamt fast vier Stunden Länge ins Kino kam, und man der auf zweieinhalb Stunden gekürzten internationalen Version mitunter eine gewisse Straffung und Kurzatmigkeit anmerkt. Zugleich gibt es minutenlange Passagen über die Zusammensetzung und Eigenschaften von MDMA, Orgien am Pool, kokainschnupfende Alte.

In Italien wurde der Film auch von Berlusconi-kritischer Seite nicht immer gemocht. Einen "Polit-Porno" nannte ihn ein Magazin. Das liegt daran, dass Sorrentinos Film vom Sieg und der Apotheose der Vulgarität handelt,und davon, dass Sex und Macht zumindest für einen bestimmten Typus alter Männer nicht mehr zu unterscheiden sind, sondern als ein Aphrodisiakum wirken. Noch viel besser als Viagra.

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