Der Staat als Selbstbedienungsladen der Politik

Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 7

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Diese Folge der demokratiekritischen Artikelreihe des Allensbacher Politologen und Wissenschaftsjournalisten Wolfgang J. Koschnick befasst sich damit, wie der Staat und das Eigentum seiner Bürger zur Beute der Berufspolitiker geworden sind. Ein gigantischer Selbstbedienungsladen, den man ohne Ende und ohne Bedenken schröpfen kann; denn seine Ressourcen sind nahezu unerschöpflich. Die demokratisch gewählten Volksvertreter schrecken vor keinem noch so miesen und noch so verfassungswidrigen Trick zurück, um sich und ihre politischen Organisationen aus den öffentlichen Töpfen mit Geld vollzustopfen.

Wenn den politischen Parteien die Mitglieder in hellen Scharen davonlaufen und die Leute sich von der Politik und den Politikern in Massen abwenden, so macht das gar nichts. Dann greifen die Parteien halt den Steuerzahlern noch etwas tiefer in die Taschen und lassen die ihre Organisationen bezahlen.

In den Gründungsjahren der Bundesrepublik wäre niemand auf die absurde Idee verfallen, dass die Parteien sich von den Steuerzahlern finanzieren lassen dürften, nur weil sie aus eigener Kraft nicht existenzfähig sind. Heute ist das zur Selbstverständlichkeit geworden - obwohl das nie so weit hätte kommen dürfen; denn die politischen Parteien könnten keine zwei Tage überleben, entzöge man ihnen die staatliche Unterstützung, mit der sie sich selbst künstlich am Leben erhalten.

Die Finanzierung der politischen Parteien und der Mandatsträger hat im Spätstadium der Demokratie in Deutschland und in anderen Demokratien ein Ausmaß erreicht, das jede demokratische Spontaneität und Selbstorganisation im Keim erstickt.

Die politischen Parteien und ihre Amts- und Mandatsträger sind so gut wie vollständig staatsfinanziert. Sie haben den Staat usurpiert und nähren sich prächtig von den Tributzahlungen der Steuerzahler. Staatsparteien und staatlich finanzierte Mandatsträger sind meilenweit von allem entfernt, was in den Gründerjahren der Bundesrepublik einmal einen durchaus demokratischen Anfang genommen hat.

Ende der fünfziger Jahre fing das ganz bescheiden an und nannte sich Wahlkampfkostenerstattung. Von 1959 an erhielten die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zum Zwecke der "Förderung der politischen Bildungsarbeit" - wie man das etwas schönfärberisch nannte - direkt Mittel aus dem Bundeshaushalt. Mit politischer Bildung hatte das schon damals nichts zu tun. Es ging um Wahlkampffinanzierung. Insgesamt wurden damals 5 Millionen Mark an die Parteien verteilt. 1962 stieg der Betrag auf 15 Millionen, 1964 auf 38 Millionen DM. Wenn die Parteien sich selbst Gelder bewilligen, schreiten sie stets mit Siebenmeilenstiefeln voran, ganz kleine Brötchen backen sie immer nur, wenn es um Strukturreformen geht…

Die Bescheidenheit der ersten Jahre verflog schnell, als die Parteien merkten, dass da schier unerschöpfliche Mittel zur Verfügung stehen und es kaum Probleme gibt, die Quellen anzuzapfen. Der Staat und seine vielen Steuermilliarden sind ja für Politiker ein reines Einkaufsparadies - ein riesiger Supermarkt, aus dem man sich alles nehmen kann, was man braucht. Und das Tolle daran ist: Man braucht für nichts zu bezahlen.

Immer fanden sich auch genügend Leute - Staatsrechtler und Politikwissenschaftler und natürlich Politiker selbst -, die in gedrechselten Formulierungen und ausführlichen Abhandlungen - notfalls auch in bestens dotierten Gutachten - erklärten, wie dringend nötig die ständig erhöhten Kontributionen an die politischen Parteien doch seien und wie sehr die Demokratie daraus moralischen und auch sonstigen Nutzen ziehe.

Das mag vielleicht sogar viele Jahre durchaus zutreffend gewesen sein, aber bei einem so reichlich sprudelnden Geldsegen ist - wie bei allen wirtschaftlichen Vorgängen - irgendwann der Punkt erreicht, an dem Quantität in Qualität umschlägt. Der Punkt, an dem die politischen Parteien träge und schwerfällige Machtapparate wurden, deren vorrangiges Interesse darin besteht, sich an den öffentlichen Futtertrögen satt zu fressen.

Durch ein Urteil vom 19. Juli 1966 erklärte schließlich sogar das Bundesverfassungsgericht die Finanzierung der gesamten Tätigkeit politischer Parteien über direkte Zuschüsse aus Haushaltsmitteln für grundsätzlich verfassungswidrig und nur die Erstattung der "notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes" für zulässig.

Man hätte denken können, das sei ein harter Schlag für die Parteien gewesen, von dem sie sich nur schwer erholt hätten. Weit gefehlt.

Die Bundestagsparteien dachten kurz nach und einigten sich schnell auf ein noch viel ergiebigeres Modell des staatlichen Geldsegens. 1967 beschlossen sie ein eigenes "Gesetz über die politischen Parteien", kurz das Parteiengesetz. Seitdem haben Parteien, die sich an Wahlen mit eigenen Vorschlägen beteiligen, und parteiunabhängige Wahlkreisbewerber (die im wirklichen Leben gar nicht vorkommen) einen Anspruch darauf, ihre Wahlkampfkosten erstattet zu bekommen. Das Gesetz wurde im weiteren Verlauf der Zeit oft geändert, weil die Parteien oft neues Geld brauchten.

Staatliche Parteienfinanzierung galt bis vor kurzem als unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht vertrat übrigens bis 1992 die Position, staatliche Parteienfinanzierung sei unzulässig. Ob es dafür oder dagegen war, ist eigentlich ziemlich gleichgültig. Brisant war die Begründung. Es meinte nämlich, mit Staatsmitteln bekämen die politischen Parteien die Macht, den Volkswillen zu beeinflussen. Und das dürfe in einer Demokratie nicht sein. Die Demokratie sei ernsthaft in Gefahr, wenn der Staat den politischen Parteien Gelder in die Hand drückt, mit denen sie Propaganda finanzieren, die das Volk beeinflusst - mit der Folge, dass sich das Volk beeinflussen lässt, weil es der staatlich finanzierten Propaganda auf den Leim geht.

Manchmal fragt man sich, wie kacknaiv Verfassungsrichter sein können, wenn sie ernsthaft wähnen, es sei von Übel, dass politische Parteien "den Volkswillen beeinflussen". Ja, was denn sonst? Die machen doch den ganzen lieben langen Tag nichts anderes.

Politische Parteien engagieren dafür heute große Werbe- und PR-Agenturen, die den politischen Prozess und alle Wahlkämpfe von vorn bis hinten durchgestalten und keinen noch so lächerlichen Pfurz dem Zufall überlassen, wenn es darum geht, die Wähler zu manipulieren.

Egal: Mit dieser Begründung hatte das Verfassungsgericht stets nur die Erstattung der reinen Wahlkampfkosten aus Steuergeldern erlaubt; denn im Wahlkampf um die Staatsorgane nähmen die Parteien eine staatliche Aufgabe wahr.

Geld für einfältige Sprücheklopferei ist immer reichlich da

Die Erstattung von Kosten absurd aufwändiger Wahlkämpfe mit ebenso literarisch anspruchsvollen und geistreichen Parolen wie "Der Mensch steht im Mittelpunkt", "Wir machen's", "Das Land. Die Kraft. Die Zukunft", "Hand in Hand - gemeinsam geht es besser!", "Erfolg und Erfahrung", "Wir sind bereit" oder ähnlichem Quatsch hat jedoch mit den notwendigen Kosten nichts zu tun. Für diese Form von einfältiger Sprücheklopferei bezahlen die Parteien auch noch stolze Beträge an ihre Werbeberater. Beträge, die sie zuvor den Steuerzahlern aus der Tasche gezogen haben.

1992 revidierte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung und erklärte sogar die direkte Finanzierung der Parteien auf Staatskosten für zulässig.1 Damit erwarben die politischen Parteien eine staatlich finanzierte Kontrolle und einen staatlich finanzierten Einfluss auf die Meinungsbildung der Wahlbevölkerung.

Seither sind die Parteien längst von dieser Finanzierung abhängig geworden und haben den Staat von innen durchdrungen und usurpiert. Zwischen den Parteien und dem Parlament, zwischen Regierung und Verwaltung bestehen enge personelle Verflechtungen. Staatliche Amtsträger sind oft zugleich Parteifunktionäre.

Der Bundestag verabschiedete 1993 flugs ein renoviertes Parteiengesetz. Auf Grund des Parteiengesetzes erhalten die Parteien jährlich staatliche Mittel. Maßgebend für deren Höhe ist ihre "Verwurzelung in der Gesellschaft", gemessen an den Stimmen, die sie bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen erzielt haben, der Summe ihrer Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge sowie der Höhe der Spenden, die sie bekommen.

Die Summe, die der Staat jedes Jahr an alle Parteien zahlt, sollte eigentlich als "absolute Obergrenze" nicht mehr als 133 Millionen Euro betragen. Damit lässt sich allerdings auch ganz gut über die Runden kommen. Der Innenausschuss des Bundestags hat dann aber im Juli 2011 diese Obergrenze auf 141,9 Millionen Euro (2011) und schließlich auf 150,8 Millionen Euro (2012) erhöht.

Die staatlichen Mittel an eine Partei dürfen insgesamt nicht höher als die Einnahmen der Partei aus anderen Quellen wie Mitgliedsbeiträgen oder Parteispenden. Diese "relative Obergrenze" ist vor allem für Kleinparteien relevant.

Um am System der staatlichen Teilfinanzierung teilzunehmen, muss eine Partei bei der letzten Bundestagswahl oder Europawahl mindestens 0,5 Prozent der gültigen Stimmen oder bei einer der jeweils letzten Landtagswahl 1,0 Prozent der gültigen Stimmen erhalten haben.

Jetzt gibt’s Großspenden und Staatsfinanzierung

Als die staatliche Parteienfinanzierung 1959 begann, rechtfertigten blauäugige Politikwissenschaftler wie Theodor Eschenburg das noch mit dem naiven Argument, dadurch werde es möglich, Großspenden zu verbieten, die stets "im Dunstkreis der Korruption stehen".2 Doch daraus wurde nichts. Heute gibt es beides: Großspenden und staatliche Parteienfinanzierung. Hauptsache, es gibt Kohle - woher sie auch kommt. Sie wird stets gern genommen.

Die politischen Parteien haben es sich im System der staatlichen Parteienfinanzierung bequem gemacht. Sie bekommen ihre Millionenbeträge unabhängig davon, wie gut oder schlecht sie im Ansehen der Bevölkerung gerade dastehen. Die einzige Konstante in einer Welt steten Wandels ist: Die Geldbeträge, die politische Parteien, Mandatsträger und Funktionäre kassieren, wachsen unablässig.

Der Staat ist zu ihrem Selbstbedienungsladen geworden, und je mehr sie sich bedienen, desto stärker koppeln sie sich von der Bevölkerung ab. Sie können auch überleben, ohne von der Bevölkerung sonderlich respektiert zu werden.

Die Parteiendemokratie ist zum Parteienstaat heruntergekommen, in dem das Volk keine große Rolle mehr spielt. Im Parteienstaat liegt die Staatsgewalt im Wesentlichen in den Händen der politischen Parteien und der Interessengruppen. Und er ist auf dem besten Weg in den totalen Parteienstaat, in dem politischen Parteien die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative kontrollieren.

Keine Hemmungen beim Griff in die öffentlichen Kassen

Beim Griff in die Kassen haben die politischen Parteien längst alle Hemmungen fallen gelassen. Jedem Bundestagsabgeordneten stehen 16.019 Euro (Stand Oktober 2013) im Monat für die Beschäftigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Berlin und im Wahlkreis zur Verfügung. Bis zu 12.000 Euro werden im Jahr für Büromaterial, Software, technische Ausstattung, Handy, Internet, Briefpapier, etc. gegen Einzelnachweise vom Bundestag bezahlt. Allerdings sind auch dort dem nackten Betrug Tür und Tor geöffnet.

So befindet sich das Büro eines Abgeordneten in seinem Wahlkreis meist in der Geschäftsstelle seiner Partei. Das ist praktisch; denn so bezahlt der Abgeordnete gleich das Parteibüro aus den Steuergeldern mit, die ihm für den Unterhalt seines Abgeordnetenbüros im Wahlkreis zufließen. Dafür sind die Gelder zwar nicht gedacht, doch wen schert das?

Der von den Steuerzahlern finanzierte Personalapparat von Hilfskräften für die Parlamentarier ist im Laufe der vielen Jahre gewaltig gewachsen. 1952 reichten noch 588 Beschäftigte aus, um die 400 Abgeordneten administrativ zu unterstützen. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Abgeordnetenmitarbeiter von 3.745 im Jahr 2000 auf 6.067 im Jahr 2010 deutlich erhöht. Im Durchschnitt beschäftigt heute jeder Bundestagsabgeordnete rund zehn Mitarbeiter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihre Zahl in der 18. Wahlperiode noch einmal gehörig anwachsen wird; denn ihre Zahl wächst von Legislaturperiode zu Legislaturperiode - auch dies eine Art ehernes Gesetz der Bürokratie.

Hemmungslos greifen die Abgeordneten aller Parteien auch in die öffentlichen Kassen, um sich Fraktionszuschüsse zu bewilligen. Das begründen sie so: Die Fraktionen der politischen Parteien in den Parlamenten, übrigens auch auf Landesebene, können ja nicht als Parteiorgane angesehen werden, oder? Nein, natürlich nicht. Die haben ja mit den politischen Parteien so rein gar nichts am Hut. Sie sind Staatsorgane, und Staatsorgane müssen natürlich mit ausreichendem Geld gefüttert werden - nach dem einleuchtenden Motto: Partei ist Partei, Fraktion ist Fraktion und folglich nicht Partei, und Schnaps ist Schnaps…

Wenn es darum geht, in die staatlichen Geldtöpfe zu greifen, sind den Politikern und den politischen Parteien die verwegensten logischen Verrenkungen gerade recht. Hauptsache, am Ende fließen die Gelder. Und die fließen…

Nach dieser fadenscheinigen und im Übrigen auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbaren Logik haben Fraktionen Anspruch auf öffentliche finanzielle Förderung. Also haben die Fraktionen sich seit Gründung der Bundesrepublik von Jahr zu Jahr wachsende Geldbeträge aus Haushaltsmitteln bewilligt. Und sie haben dabei kräftig hingelangt: Um das Vierhundertfache sind die Fraktionszuschüsse seit 1950 gestiegen. So stark steigen noch nicht einmal die Einnahmen im Drogenhandel…

Und das hat einen zusätzlichen Vorteil: Die Gelder, die sich die Fraktionen selbst zugeschustert haben, fallen nicht unter die Parteienfinanzierung, sondern werden aus den normalen Haushalten des Bundes oder der Länder gezogen. Niemand soll sagen können, dass die Parteienfinanzierung schon wieder aufgestockt worden sei.

Der Grundsatz ist ganz einfach: Wenn man die Gelder aus möglichst vielen Töpfen zieht, steigt erstens kaum noch einer durch und zweitens verteilt sich die Gesamtsumme auf lauter kleinere Einzelbeträge. Und die Kritiker des frivolen Griffs in viele Kassen haben gewiss Schwierigkeiten eins und eins zusammenzuzählen.

Die politischen Parteien schröpfen den Staat wo sie können

Das mag auf den ersten Blick und für den unbefangenen Beobachter zunächst etwas albern und an den Haaren herbeigezogen wirken, hat aber Methode: Die politischen Parteien und die Politiker schröpfen den Staat, wo sie nur können. Sie haben dabei so gut wie keine Hemmungen. Und der Grundsatz lautet: Die partikularen Interessen der Parteien und der Politiker stehen an erster Stelle. Der Staat und die Steuern zahlenden Bürger stehen auf jeden Fall nicht an erster Stelle.

Wo immer man an der Oberfläche kratzt und den Zusammenhängen auf den Grund geht, zeigt sich stets dasselbe Muster: Die Machteliten in den entwickelten Demokratien haben sich seit langem gegen ihre Bevölkerung zusammengerottet.

Dabei gehen die Fraktionen äußerst trickreich vor. Mit den Fraktionszulagen haben sie einen Weg gefunden, die Finanzierung des Politikbetriebs aus Steuermitteln zu steigern, ohne dass kleine Parteien davon profitieren. Seit 1965 stiegen die Fraktionszuschüsse von rund fünf Millionen auf 186 Millionen Euro - eine Steigerung um das 37-Fache. Es sind Wachstumsraten, die noch sehr viel rasanter sind als das Ansteigen der Parteienfinanzierung, die sich "nur" versiebenfacht hat.

Dass es sich nicht um seriöse Finanzierungsmodelle, sondern um verschlagene Taschenspielertricks handelt, zeigt sich nach heftigen Wahlniederlagen: Wenn eine Partei eine Wahl verloren hat, dann müssten die Fraktionszuschüsse sinken, weil die Fraktionen ja kleiner geworden sind. Das wäre nur konsequent.

Doch das Gegenteil ist der Fall. Trotz Stimmenverlusten bleiben die Zuschüsse in der alten Höhe bestehen. Nachdem die CDU bei der Landtagswahl in Thüringen 2010 fast 12 Prozent der Stimmen verloren hatte, blieb der monatliche Zuschuss für die CDU-Fraktion von 120.000 Euro dennoch unverändert, obwohl er an die Zahl der Stimmen oder der Abgeordneten gebunden sein müsste.

Im selben Jahr stiegen die Fraktionszulagen in Bayern, wo die CSU 2008 eine herbe Niederlage erlitten hatte und ihr Stimmenanteil um volle 17 Prozent geschrumpft war. Die Mittel der Fraktion blieben jedoch fast unverändert, dank einer Anhebung der Fraktionszuschüsse um 39 Prozent in einem einzigen Jahr. Das gleiche Bild im Saarland: Erst eine Niederlage der Union bei der Wahl 2009 und ein Stimmenverlust von 13 Prozent. Dafür belohnte sich die CDU und hob ihre Fraktionszuschüsse um 24 Prozent an.

Jedes Mal zogen in diesen Fällen neue Fraktionen in die Parlamente ein. Im Großen und Ganzen aber bleibt der Aufwand gleich groß; denn die Gewinne der neuen Partei gehen zu Lasten der anderen Parteien, müssten sich also beim Wahlverlierer in niedrigeren Fraktionszuschüssen niederschlagen. Tun sie aber nicht.

Wenn eine Partei nach einer Wahl nicht mehr in einem Parlament vertreten ist, verteilen die übrig gebliebenen Fraktionen die unverhofft frei gewordenen Beträge untereinander auf. Auf die Idee, die unberechtigten Mehreinnahmen den Steuerzahlern zurückzuerstatten, ist noch niemandem gekommen. Prinzip: Was man hat, das hat man und rückt es auch nicht wieder ‘raus. Ganovenehre.

Bundesweit kassieren Landtagsabgeordnete darüber hinaus und zusätzlich zu ihren Diäten viele Millionen Euro Steuergeld durch verdeckte Zulagen. Das bestätigte eine im September 2010 durchgeführte Umfrage des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" unter allen 63 Landtagsfraktionen der Flächenländer. Danach geben die Fraktionen jährlich rund 4,5 Millionen Euro für Zulagen an Funktionsträger wie Parlamentarische Geschäftsführer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Arbeitskreisleiter aus.

Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Zulagen in einem Urteil vom 21. Juli 2000 für verfassungswidrig erklärt, weil sie "gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten" verstoßen. Danach gilt: "Ergänzende Entschädigungen für die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ... und für die Ausschussvorsitzenden sind … mit dem Verfassungsrecht unvereinbar."3

Systematische Verstöße gegen die Verfassung

Doch über dieses Urteil setzen sich der Bundestag und die meisten Landtage einfach hinweg. Wenn ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts den politischen Parteien nicht in den Kram passt, dann gibt's nur eines: ignorieren, ignorieren, ignorieren.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Beispiel Thüringens Zulagen aus Steuermitteln an Funktionsträger wie stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Ausschussvorsitzende für verfassungswidrig erklärt, weil sie "gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten" verstoßen. Das Urteil gilt auch für den Bundestag und die anderen Landtage. Dennoch werden im Bundestag und in den meisten Landtagen unverdrossen weiter Funktionszulagen gezahlt.

Die Länder mit den höchsten jährlichen Ausgaben für Zulagen sind Bayern (940.000 Euro), NRW (880.000 Euro), Niedersachsen (570.000 Euro), Baden-Württemberg (510.000 Euro), Rheinland-Pfalz (450.000 Euro) und Sachsen-Anhalt (310.000 Euro). Darin sind die Zulagen für Fraktionsvorsitzende noch nicht einmal enthalten.

Der Präsident des Landesrechnungshofs Sachsen-Anhalt und Vorsitzende der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder, Ralf Seibicke, erklärte in Bezug auf den Landtag in Sachsen-Anhalt: "Wir haben festgestellt, dass über die Hälfte der Abgeordneten Zulagen erhalten. Da kommt man ganz klar zu dem Ergebnis, dass das nicht mehr den Intentionen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird."

Die Landtagsfraktionen veröffentlichen nicht, in welcher Höhe sie Zulagen an einzelne Funktionsträger zahlen. Sie werden wissen, weshalb sie das nicht tun. Von Transparenz halten sie nicht viel, wenn es um die eigenen halbseidenen Einnahmequellen geht.

Viele Fraktionen geben diese Zahlen auch auf Anfrage nicht bekannt. Auf die Umfrage von "Report Mainz" unter den 63 Landtagsfraktionen der Flächenländer antworteten 35 Fraktionen mit konkreten Angaben, welche Funktionsträger welche Zulagen erhalten. 28 Fraktionen verweigerten konkrete Auskünfte. Aus den Rechenschaftsberichten der Fraktionen gehen aber in der Regel die Jahressummen hervor, die Fraktionen für Funktionsträger ausgeben.

Im Reich der reichlichen Zulagen

Auf Grundlage der Antworten der Fraktionen sowie der Rechenschaftsberichte ergibt sich eine Summe von 4,5 Millionen Euro jährlich. Diesen Betrag verteilen die Landtagsfraktionen aus Steuergeldern an ihre Funktionsträger in den Landtagen, obwohl es ein eindeutiges Verfassungsgerichtsurteil gibt, das ihnen das untersagt.

Die Höhe der jeweiligen Zulagen ist von Land zu Land und von Fraktion zu Fraktion unterschiedlich. So erhält ein Arbeitskreisvorsitzender der CSU in Bayern 2.000 Euro pro Monat zusätzlich zu seinen Diäten und Aufwandsentschädigungen, ein Arbeitskreisleiter der Linken in Sachsen-Anhalt bekommt 500 Euro. Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD in Bayern bekommt 1.900 Euro, ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU Niedersachsen rund 3.000 Euro.

Die Abgeordneten aller Parlamente und ihre Parteien haben sich der repräsentativen Demokratie höchst komfortabel eingerichtet. Sie versorgen sich ungeniert aus dem reichen Füllhorn der öffentlichen Mittel und haben ein lebhaftes Interesse daran, dass ihnen diese Pfründe auch in Zukunft erhalten bleiben.

Den politischen Parteien ist aber auch kein noch so mieser Trick zu billig, wenn es darum geht, von irgendwoher Gelder in ihre Kassen gespült zu bekommen. Nachdem 2002 das Parteispendengesetz verschärft wurde und Parteispenden von über 50.000 Euro seither unverzüglich beim Bundestagspräsidenten angezeigt und anschließend veröffentlicht werden und Parteispenden über 10.000 Euro in den Rechenschaftsberichten der Parteien veröffentlicht werden müssen, haben die politischen Parteien eine neue Geldquelle entdeckt: das Sponsoring.

Und das geht so: Ein Unternehmen geht mit einem Informationsstand auf eine Parteiveranstaltung wie zum Beispiel einen Parteitag. Dort informiert es über seine Produkte, bietet Kaffee und Kuchen, Brezeln oder sonstige Leckereien gratis an.

Die Parteitagsdelegierten, die sich bei den endlos langen Reden sowieso zu Tode langweilen, können sich dort gratis bedienen. Alle sind glücklich. Die Delegierten wegen des Kuchens und die Unternehmen wegen der Chance, direkten Kontakt zu Entscheidern zu bekommen. So weit, so gut.

Für die Informationsstände allerdings zahlen die Unternehmen horrende Gebühren. So verlangte und bekam die FDP 2013 auf ihrem Parteitag in Frankfurt am Main pro Quadratmeter Standfläche 250 Euro. Die Internationale Automobilausstellung verlangt nur 150 Euro. Die Grünen verlangten auf ihrem Parteitag sogar 275 Euro, mehr als doppelt so viel wie die "Grüne Woche" (130) in Berlin. Und bei der SPD zahlten die Sponsoren mindestens 320 Euro pro Quadratmeter, fast zweimal so viel wie auf der Internationalen Funkausstellung (Ifa) (184 Euro).

Parteien machen auch Kohle mit Sponsoring

Diese Preise liegen weit über Marktniveau und sind anders als Spenden noch steuerlich absetzbar. Die SPD kassierte auf ihrem Parteitag mit Sponsoring rund eine halbe Million Euro. Es handelt sich in allen Fällen um eine illegale und verdeckte Form der Parteispende.

In den Rechenschaftsberichten kommt Sponsoring erst gar nicht vor. Die Sponsoringeinnahmen werden mit anderen zu einem Mischposten verrührt. Allein bei der SPD standen da 2011 insgesamt rund 18 Millionen Euro.

Nach Recherchen des TV-Magazins "Monitor" sind bei der CDU 250 Euro pro Quadratmeter ein normaler Preis. Für den Volkswagen-Konzern wäre das beim Bundesparteitag 2011 ein Betrag von fast 70.000 Euro. Als Parteispende müsste das sofort veröffentlicht werden, als Sponsoring-Einnahme nicht.

Und dann gibt es da noch Anzeigenwerbung in Parteizeitungen. Die meisten politischen Parteien geben mehrere Parteizeitschriften heraus. Für Anzeigen in ihren Mitgliederpostillen bekommen sie erstaunliche Preise. Zum Vergleich eine der bundesweit größten Mitgliederzeitschriften - die "Mieterzeitung". Pro tausend Exemplare kostet eine ganzseitige Anzeige bei der Mieterzeitung 18 Euro. Beim "Vorwärts" der SPD ist es wieder pro tausend Exemplare das Doppelte. Andere Parteizeitungen nehmen geradezu Mondpreise. Der Vergleichswert bei der CSU: 346 Euro. Das 19-fache der "Mieterzeitung" und immer noch das Sechsfache des "Spiegel".

Da es möglicherweise schlecht aussähe, wenn sich die politischen Parteien alle ihre Gelder aus einem einzigen Topf holen würden, haben sie sich darauf eingerichtet, Geld aus vielen verschiedenen Töpfen zusammenzuklauben. Da fällt es nicht so auf, welche Unsummen sie sich holen.

Das Familienministerium zahlt die Jugendorganisationen der Parteien

So lassen sich die Parteien ihre Jugendorganisationen natürlich aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bezahlen. Dabei handelt es sich eindeutig um verkappte Parteienfinanzierung; denn die Gelder werden nicht für fröhliche Jugendförderung mit Lagerfeuerromantik verwendet, sondern für den Nachwuchs der politischen Parteien. So bekommen allein die Junge Union und die Jungsozialisten jeweils stolze 472.000 Euro, die Jungen Liberalen und die die Grüne Jugend je 164.000 Euro (Zahlen für 2011) und bescheren den politischen Parteien Jahr für Jahr zusätzliche 1,3 Millionen Euro. Lediglich die Jugendorganisation der Linken, Solid, bekommt kein Geld, weil sie im Ruche steht, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen.

2012 schob das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg einen Riegel vor die rechtswidrige Praxis, nachdem die Jugendorganisation der Linken geklagt hatte. 2006 hatte Solid die Zuschüsse beantragt. Das Ministerium lehnte die Förderung ab, da es an der Verfassungskonformität der Organisation zweifelte.

Im Berufungsverfahren wies das Oberverwaltungsgericht die Klage nun ab, da es generelle Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Finanzierung aller Jugendorganisationen gebe. Wenn politische Jugendorganisationen vom Staat finanziell unterstützt werden, wirke sich das auf die politische Willensbildung aus.

Solid wollte eigentlich auch nur ein ordentliches Stück des Kuchens haben. Und als sie das nicht bekam, klagte sie beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, das dann erst einmal die Auszahlung für alle Jugendverbände der Parteien stoppte. Dumm gelaufen.

Nur wer die Trickserei der politischen Parteien beim Staatschröpfen nicht kennt, könnte jetzt meinen, die Jugendverbände der politischen Parteien bekämen nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts überhaupt keine staatlichen Gelder mehr bewilligt. Schließlich lässt der Wortlaut des Urteils keinen Zweifel.

Doch nur wer so kacknaiv ist, noch an die Verfassungs- und Demokratietreue der politischen Parteien zu glauben, kann das ernsthaft annehmen. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat natürlich schnurstracks seine Fördermittel zur Unterstützung der Jugendverbände von CDU, CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen um 200.000 Euro gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf aufgestockt. Das erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/5535) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/5339).

Und der linke Jugendverband Solid einigte sich 2013 mit dem Bundesfamilienministerium auf einen Vergleich. Er bekam 160.000 Euro gezahlt. Damit sind sämtliche vom Jugendverband zwischen 2006 und heute gestellten Anträge auf Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt erledigt. Anträge des Verbands ab dem Haushaltsjahr 2014 wird das Ministerium auf derselben Rechtsgrundlage behandeln, die es auf Zuwendungsanträge anderer Jugendorganisationen politischer Parteien anwendet. Wer hat etwas anderes erwartet?

Man könnte die politischen Parteien gewissermaßen als Selbstversorger bezeichnen, weil sie darüber, wie sie versorgt werden, selbst entscheiden, wäre da nicht dieser etwas unschöne kleine Haken: Sie versorgen sich aus den Mitteln der Steuerzahler, das heißt, sie leben - gar nicht so schlecht - von "other people’s money (OPM)", vom Geld anderer Leute. Und aus lauter Dankbarkeit richten sie dieses Land zu Grunde…

Der Teil 8 unserer demokratiekritischen Artikelreihe beschreibt die entwickelte repräsentative Demokratie als "eine Scheindemokratie im institutionellen Gehäuse einer vollwertigen Demokratie". Alle Institutionen sind leere Hülsen ohne Inhalt und ohne Substanz. Die Parlamente haben nichts mehr zu entscheiden, was nicht an anderer Stelle und vor ihnen längst entschieden wurde. Die Wahlkämpfe sind zu großangelegten Schaukämpfen verkommen, in denen außer Schaumschlägerei nichts passiert.