Der Staat ist Teil des Drogenproblems
Teile Mexikos sind im Bürgerkrieg, Journalisten leben gefährlich
Offiziell führt der konservative Präsident Felipe Calderón seit 2006 eine Offensive gegen die vier größten Drogenkartelle Mexikos: Tijuna, Sinaloa, Juarez und das Golfkartell mit seiner Privatarmee, die Los Zetas. Die Drogenbosse kämpfen gegeneinander und um die Kontrolle der lukrativen Drogen- und Schmuggelrouten in den USA. Die Bösen sind die Drogenhändler. Die Guten stehen auf der Seite der Regierung. So ist die offizielle Diktion. Doch die Realität ist eine andere.
36.000 Polizisten und Soldaten sind im Namen der Regierung gegen das organisierte Verbrechen im Einsatz. Dabei laufen viele Polizisten zur Gegenseite über. So auch zur Drogenbande La Familia, die 90 Prozent der Gemeinden, Politiker, Justiz und Unternehmer im Bundesstaat Michoacan kontrolliert. Das Problem wird so nicht kleiner, sondern undurchsichtiger. Die Verflechtungen zwischen Regierung und organisiertem Verbrechen sind schwer durchschaubar. Die Gewaltspirale schraubt sich nach oben. Allein im letzten Jahr starben im Drogenkrieg 7.700 Menschen. Daran kann auch das neue Gesetz „über das nationale System für die öffentliche Sicherheit“ vom Januar 2009, womit die Sicherheitskräfte in 32 mexikanischen Bundesstaaten einheitlich vorgehen können, nichts ändern.
„Anti-Drogen-Gesetze knebeln die zivile Gesellschaft“
Pedro Matías Arrazola, Journalist aus dem Bundesstaat Oaxaca im Süden Mexikos, der seit 22 Jahren gegen die sozialen Missstände im Land anschreibt, winkt ab. „Das Gesetz, soweit ich es kenne, ist gegen die Interessen der Bevölkerung und schränkt die Bürgerrechte weiter ein“, erklärt der neue Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Denn mit ihm seien nun Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anweisung möglich. Politische Dissidenten und Menschrechtsakteure können ohne Anklage festgenommen werden.
Matías ist im Süden Mexikos in einer armen Familie aufgewachsen und hatte so gut wie nie Berührung mit dem organisierten Verbrechen. Seine Mutter war Putzfrau, sein Vater Elektriker. Das Gehalt reichte gerade zum Überleben der Familie aus. Die Großmutter kochte den Kindern jeden Tag nach der Schule Tortillas.
Menschenrechtsverletzungen, bittere Armut, Landkonflikte, ein korrupter Staat. Das waren die Probleme, die Matías Arrazola von Kindesbeinen an begleiteten. Diese ungeschminkt aufzudecken und dem Staat die „demokratische Maske“ abzureißen, waren für ihn Ziel und Motivation, Journalist zu werden. Eine gute schulische Ausbildung erhielt er in Mexiko City, preisgekrönter Journalist wurde er beim überregionalen Nachrichtenmagazin Proceso, das dem Spiegel in Deutschland gleicht.
Er nutzte seine Chance, gegen die Politik der Machthaber in Oaxaca anzuschreiben. Anlass bot der Volksaufstand, der 2006 als zweiter Sommer der Anarchie oder Appo (Volksversammlung) bezeichnet wurde. 70.000 Lehrkräfte befanden sich im Streik und kämpften für höhere Löhne und bessere Lehrbedingungen (Doppelherrschaft in Mexiko). Als Korrespondent für Proceso verlieh Matías der sozialen Bewegung eine Stimme. Über zwei Jahre begleitete er die Aufstände auch für die Tageszeitung Noticas de Oaxaca und moderierte gleichzeitig die Radiosendung En contacto directo. Von staatlicher Repression begleitet, die durch eine Touristenmaskerade von Blas- und Marimbokapellen vertuscht werden sollte, wurden 500 Zivilisten festgenommen, 380 Menschen gefoltert, Frauen vergewaltigt und ermordet (Spannung in Mexiko entlädt sich in Unruhen in Oaxaca).
Mexiko ist nach dem Irak das gefährlichste Land für Journalisten
Der Volksaufstand richtete sich gegen den Gouverneur und seine Politik der Unterdrückung. Unterstützung habe der Gouverneur vom Präsidenten persönlich erhalten, so Matías. Gegen seine Kontrollpolitik verbündeten sich dann kurzzeitig die Verleger der Massenmedien. Eine kurze, intensive Phase der Pressefreiheit griff im Land um sich. Der Nachrichtenbereich löste sich aus den Fesseln der Regierungszensur. Und das, obgleich die meisten Medien nur als Hofberichterstatter fungieren. „Denn, wer sich dem System nicht beugt, wird angeklagt und gefoltert“, sagt Matías.
Viele Bürger laufen deshalb zur anderen Seiten über, verzichten auf ihre Bürgerrechte, ihre Meinungs- und Pressefreiheit. Wer dagegen das Spiel der Regierungsvertreter nicht mitspielt, macht sich Feinde. Und Matías hat infolge seiner Aufklärungsarbeit mächtige Feinde. Dessen ungeachtet recherchierte er über die Geschäfte mit der Korruption des neuen Gouverneurs Ulises Ruiz Ortiz und schrieb in einem Zeitungsartikel über "die Neureichen von Oaxaca, die Korruptionsgewinner“. Auf einer nachfolgenden Pressekonferenz warnte ihn der Gouverneur mit den Worten: „Dich werde ich kriegen“.
Allein 2009 sind 7 Journalisten in Mexiko ermordet worden und im Zeitraum von 2000 bis 2009 waren es 54 (Lage der Pressefreiheit in Mexiko verschlimmert sich). Viele Zeitschriften, die noch kritisch zu berichten wagen, unterzeichnen ihre Artikel nicht mehr, um die Autoren zu schützen. Und dabei sind diejenigen Journalisten am meisten gefährdet, die über die Arbeit der Polizei und Politiker schreiben, sagt Matías. Und wer es wagt, die Drogenbosse anzuklagen, für den gibt es kein Entkommen.
„Im Netz der Los Zetas“
Am 25.10.2008 wurde Matías auf dem Heimweg von der Redaktion entführt. Man schlug ihn ins Gesicht und hielt ihm zwei Glasflaschen an die Wangen. Die Entführer drückten ihm die Pistole auf die Stirn, schossen in die Luft und drohten ihn zu vergewaltigen. Dann warf man ihn in einen Kofferraum und verschleppte ihn 31 km weiter in die Grenzstadt La Tlacolula. An Händen und Beinen gefesselt, schleuderte man ihn nach 10 Stunden der Angst auf einen Feldweg, bis Bauern ihn fanden und befreiten. Obgleich er nie über die Drogenproblematik geschrieben hatte, da sie in Oaxaca eher eine untergeordnete Rolle spielt, gaben sich die Entführer als Angehörige des Drogenkartells „Los Zetas“ zu erkennen. Doch Freunde wiesen Matías darauf hin, dass dies nicht die Methode der „Los Zetas“ sei, die bei Journalisten, die ihre Feinde seien, die Finger und Zunge abschnitten.
Matías, der keinerlei Beweise hat, um die Täter vor Gericht zu bringen, vermutet vielmehr die Regierung hinter dem Vorfall. Denn diese schüchtere auf diese Weise auch Menschenrechtsaktivisten ein. „Die Los Zetas gehören zwar nicht zur Regierung. Aber die Regierung geht auch nicht gegen sie vor“, erklärt der mexikanische Journalist in Hamburg. Im Exil will er noch bis zu den nächsten Wahlen in Oaxaca 2010 bleiben. Denn durch die ökonomische Weltwirtschaftskrise gehe es der Bevölkerung noch schlechter als zuvor. In Mexiko sei eine explosive Mischung zwischen Armut, Gewalt und dem Drogenproblem zu beobachten. Dies betont er in dem Bewusstsein, dass er bei seiner Rückkehr nicht mit offenen Armen empfangen werde. Es scheint, als sei die Zeit des investigativen Journalismus vorbei, überlegt er. Doch er winkt erneut ab. Nicht für ihn. Er macht weiter.