Der Terror in Moskau kommt aus dem inneren Ausland
Selbstmordanschlag auch in Dagestan - die Terroranschläge sind auch ein Produkt der bisherigen russischen Nordkaukasuspolitik
Moskau befindet sich nach den Terroranschlägen vom Montag immer noch im Schock. Die Straßen der sonst so pulsierenden Metropole wirken teilweise verlassen und in der Metro gibt es viel weniger Fahrgäste. Doch während die Bürger die Attentate auf die Moskauer Metro noch verarbeiten, kündigt die russische Führung bereits Rache an. Sowohl Präsident Dimitrij Medwedew als auch Premierminister Wladimir Putin sprachen von der Vernichtung der Terroristen, deren Helfer Moskau bei der Al-Qaida vermutet. Ob diese Töne aber die richtigen sind und ob wirklich Islamisten aus dem Ausland die nordkaukasischen Terroristen unterstützt haben, ist ungewiss. Fakt ist jedoch, dass die jüngsten Terroranschläge auch ein Produkt der bisherigen russischen Nordkaukasuspolitik sind, die die Region in den letzten Jahren zum inneren Ausland Russlands machte.
Für Moskauer Taxifahrer war der Montag ein Segen. Da die Bewohner der Hauptstadt die Metro mieden, die normalerweise ca. 9. Millionen Passagiere täglich befördert, verzeichneten sie Rekordeinnahmen. Und dies nicht nur wegen des erhöhten Fahrgastaufkommens. Da die Menschen nach den am Montagmorgen verübten Terroranschlägen Angst hatten, mit der Metro das wichtigste Nahverkehrsmittel der Hauptstadt zu benutzen, erhöhten die Taxifahrer kurzerhand ihre Tarife um bis zu das Zehnfache.
Die Geschäftemacherei wurde heftig kritisiert. "Man darf nicht von dem Leid anderer profitieren", mahnte Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche. Doch dieses Verhalten zeigt, wie sehr die Anschläge, bei denen 39 Menschen ums Leben kamen und 71 verletzt wurden, das Leben in der russischen Hauptstadt verändert haben. Moskau befindet sich seit Montag quasi in einem Ausnahmezustand. Wer kann, der meidet die sonst so pulsierende Moskauer Innenstadt, und wer auf die Metro angewiesen ist, konnte am Dienstag in der Komsomolskaja Pravda nachlesen, wie er seine Angst bewältigen kann.
Und gerade diese Situation wollten die Terroristen, die in den Stationen Lubjanka, wo sich auch der Sitz des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB befindet, und Park Kultury mitten im Berufsverkehr ihre Bomben zündeten, erreichen. Denn mit der Moskauer Metro machten sie den neuralgischsten Punkt der russischen Hauptstadt zum Ziel ihres Anschlags, mit der Garantie auf besonders viele Opfer. Ein besseres Ziel hätten sich die Terroristen eigentlich auch nicht aussuchen können, um den Moskauern zu zeigen, dass der Terror eine Gefahr für sie und für ihre Stadt ist. 2004 wurde in Moskau das letzte Attentat verübt, ebenfalls in der Metro, was dazu führte, dass sich in der Stadt ein trügerisches Gefühl der Sicherheit breitmachte.
Dabei ist der Terrorismus in Russland weiterhin eine große Gefahr. Deutlich wurde es zuletzt Ende November, als auf den prestigeträchtigen Newski Express ein Attentat verübt wurde, bei dem 27 Menschen ums Leben kamen (Krieg auf Schienen). Doch während damals einige Tage lang über die Attentäter spekuliert wurde, die sowohl in rechtsradikalen Kreisen als auch im Nordkaukasus vermutet wurden, ist es diesmal anders. Bereits wenige Stunden nach den Bombenexplosionen in der Metro wurden nordkaukasische Islamisten für die Tat verantwortlich gemacht.
Und dies scheint man mittlerweile auch belegen zu können. Am gestrigen Dienstag veröffentlichte die Miliz die Fotos der Selbstmordattentäterinnen und deren Unterstützer. Dank dieser Bilder konnte mittlerweile auch der Weg der Frauen nach Moskau rekonstruiert werden. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax, soll der Fahrer eines überregionalen Busses, der zwischen Moskau und dem Nordkaukasus verkehrt, die Frauen erkannt haben. Noch kurz vor der Tat sollen sie seine Fahrgäste gewesen sein.
Zudem gibt es auch einen möglichen und sehr wahrscheinlichen Grund für den Anschlag auf die Moskauer Metro. Anfang März tötete der FSB bei einer Operation in der nordkaukasischen Teilrepublik Inguschetien Alexander Tichomirow und sieben weitere Männer. Vor allem den Tod von Tichomirow feierte der Inlandsgeheimdienst als großen Erfolg, da Said Burjatski, wie sich Tichomirow selbst nannte, nicht nur als der mutmaßliche Drahtzieher des Attentats auf den Newski Express galt, sondern auch zu den führenden Personen der nordkaukasischen Dschihadisten gezählt wurde. Ebenfalls ein großer Erfolg war für die Sicherheitsbehörden der Tod des Rebellenführers Ansor Astemirow, der vergangene Woche bei einem Spezialeinsatz ums Leben kam. Deswegen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die aktuellen Anschläge Vergeltung für die jüngsten blutigen Operationen der russischen Sicherheitsbehörden sind.
Der letzte Beweis, der die Verantwortung nordkaukasischer Terroristen endgültig belegen würde, fehlt jedoch bisher. Auf ihrer Internetseite Kavkazcenter.com berichten die Dschihadisten um Doku Umarow zwar ausführlich über die Anschläge auf die Moskauer Metro, doch der Grundtenor dieser Texte lässt sich schnell zusammenfassen: der Hauptverantwortliche für diese Gewalt heißt Wladimir Putin.
Zu dem Anschlag selber haben sich die nordkaukasischen Gotteskrieger aber noch nicht bekannt. Und dies ist durchaus überraschend, denn bisher haben die Mudschaheddin für so manche Tat, die in Russland und im Ausland für ein großes Medienecho gesorgt hat, die Verantwortung übernommen, auch wenn sie diese gar nicht begangen haben. Bestes Beispiel dafür ist die Katastrophe in dem sibirischen Wasserkraftwerk Sajan-Schuschenskoje vom vergangenen August, bei der 74 Menschen starben. Wie spätere Untersuchungen zeigten, hat eine aus ihren Halterungen gelöste Turbine das Unglück ausgelöst, und nicht eine Bombe der Islamisten.
Aber auch wenn die Gotteskrieger um Dok Umarow sich bisher nicht zu dem Attentat auf die Moskauer Metro bekannt haben, ist es mehr als wahrscheinlich, dass sie die Drahtzieher dieser Anschläge sind. Dies lassen nicht nur die "Schwarzen Witwen" vermuten, die am Montag sich und dutzende Passagiere in die Luft sprengten, sondern auch die Ankündigungen der Terroristen. Bereits in ihrem Bekennerschreiben zu dem Attentat auf den Newski Express drohten sie mit der Ausdehnung der Gewalt auf das gesamte russische Territorium.
Alltägliche Gewalt, Korruption und Armut
In ihrem Kampf geht es den Terroristen längst nicht mehr nur um Tschetschenien. Die heutigen Separatisten kämpfen für ein islamisches Kalifat, das sich über den gesamten Nordkaukasus ausdehnen soll. Mit dem Ergebnis, dass mittlerweile auch die Nachbarrepubliken Tschetscheniens, Dagestan und Inguschetien, zum Kriegsgebiet geworden sind (Nordkaukasus: Ausweitung der Kampfzone). Und dies in erschreckenden Ausmaßen. Allein im vergangenen Jahr wurden im Nordkaukasus über 130 Gewalttaten und terroristische Aktionen gezählt. Eine Gewaltspirale, die sogar bis nach Westeuropa reicht, wie der Mord an dem Tschetschenen Umar Israilow zeigt, der am 13. Januar 2009 am helllichten Tag in Wien niedergeschossen wurde (Es geschah am hellichten Tag). Bis heute hält sich der Verdacht, dass der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow, gegen den Israilow vor dem Europäischen Menschengerichtshof aussagte, der Auftraggeber dieses Mordes ist.
Und diese alltägliche Gewalt ist es auch, die den Teufelskreis am Leben erhält. Jede terroristische Aktion wird von den Sicherheitsbehörden mit Brutalität beantwortet, von der auch Zivilisten betroffen sind. Eine Reaktion, die den Islamisten nur weiterhin neue Anhänger beschert. So schätzten im vergangenen Jahr russische Militärs die Zahl der in den tschetschenischen Bergen versteckten Kämpfer auf mehrere hundert, und dies, obwohl Moskau den Anti-Terroreinsatz in Tschetschenien vor fast genau einem Jahr offiziell beendet hat (Russland erklärt Ende des Tschetschenienkriegs). Und ob sich deren Zahl in der nächsten Zeit verringern wird, ist fraglich. Ramsan Kadyrow, der mit harter Hand Tschetschenien regiert und im vergangenen Jahr beinahe selber bei einem Attentat ums Leben kam, musste im Januar 2009 zugeben, dass einige Rebellen sogar aus den Familien seines Beamtenapparats stammen.
Die wirtschaftlich schlechte Lage im Nordkaukasus ist ein weiterer Grund für die Gewalt. Und wie miserabel diese im Vergleich zum restlichen Russland ist, belegen einige Zahlen des russischen Statistikamtes. Während das monatliche Durchschnittseinkommen in der Russischen Föderation 15.135 Rubel hoch ist, ca. 378 Euro, beträgt es in der Teilrepublik Inguschetien nur 7.008 Rubel. Noch mehr die wirtschaftliche Schwäche verdeutlicht das regionale BIP. Inguschetien erwirtschaftet gerade mal 14.8 Milliarden Rubel und Tschetschenien 46.8 Milliarden.
Diesen Negativtrend aus Gewalt, Armut und Korruption könnten wahrscheinlich nur noch politische Reformen stoppen. Erste vorsichtige Versuche in diese Richtung hat der Kreml bereits unternommen. Im Oktober 2008 machte Moskau den ehemaligen Armeegeneral Junus-Bek Jewkurow zum Präsidenten der Teilrepublik Inguschetien. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Murat Sjasikow setzt Jewkurow auf eine Politik der Transparenz und Dialogbereitschaft, was ihm sogar Lob der Menschenrechtsorganisation Memorial einbrachte.
Dass aber solche Reformen Zeit brauchen, musste Jewkurow schmerzhaft erfahren, als er im Juni vergangen Jahres schwer verletzt ein Bombenattentat überlebte. Dass die Politik der harten Hand, die sein Vorgänger Sjasikow jahrelang ausübte, mit ein Grund für den Anschlag war, ist dabei mehr als wahrscheinlich. Die Attentäterin soll eine 22-jährige Frau gewesen sein, die mit diesem Anschlag ihre Brüder rächen wollte, die von Sicherheitskräften bei einem Anti-Terroreinsatz getötet wurden.
Ob die gestrige Ansage Putins, die Drahtzieher der Terroranschläge "aus der Kanalisation zerren" zu wollen, die richtige Ankündigung war, ist dadurch mehr als fraglich. Vielmehr tragen die aktuellen Aussagen des Kremls zu einer weiteren Eskalation der Situation bei. Und dies nicht nur im Nordkaukasus, sondern auch in Russland. Am Montagabend gab es in Moskau bereits erste, einzelne Angriffe auf Kaukasier.
Zudem erfolgte in Dagestan am Mittwochmorgen ein weiterer Anschlag. Zunächst flog ein Wagen mit zwei Polizisten in der Stadt Kisljar in die Luft. 20 Minuten später kam ein Mann in einer Polizeiuniform zu den Polizisten, die den Anschlagsort untersuchten, und zündete seinen am Körper befestigten Sprengsatz. Der perfide Anschlag kostete vermutlich 11 Menschen das Leben.