Der Tod des belarussischen Aktivisten Schischow in Kiew
Er war Leiter des Weißrussischen Hauses in der Ukraine. Dort hilft man geflohenen Belarussen, aber die Organisation ist verwoben mit Rechtsextremisten und ehemaligen Mitgliedern des berüchtigten Asow-Regiments
Witali Schischow (englisch: Vitaliy Shyshov), ein Belarusse, der letztes Jahr nach der Teilnahme an Protesten gegen den Machthaber Lukaschenko aus Angst vor Verfolgung in die Ukraine geflohen war und dort die Organisation Belarussisches Haus in der Ukraine (BDU) leitete, wurde am Dienstag in dem Sviatoshynsky-Park in Kiew erhängt gefunden.
Am Montag war er joggen gegangen und wurde seitdem vermisst. Es liegt nahe, dass er ein Opfer des belarussischen Geheimdienstes KGB wurde, zumal Schürfwunden an seiner Nase und einem Knie gefunden wurden. Natürlich, nebenbei gesagt, will Bellingcat auch hier in Ermittlungen einsteigen.
Die ukrainische Polizei hat eine Mordermittlung eingeleitet, schließt aber Selbstmord noch nicht aus. Selbst Oppositionsführerin Swetlana Tichanowska, gerade auf Besuch beim britischen Regierungschef Boris Johnson, hält sich zurück. Sie geht zwar von einem Verbrechen aus, will aber erst einmal die Ermittlungen abwarten.
Seine Freundin Bozhena Zholudz sagte Radio Free Europe, Schischow habe nicht an Selbstmord gedacht. Radio Svoboda berichtete sie, er habe keine direkten Drohungen erhalten, eine Beobachtung hätten sie nicht bemerkt, er sei aber vorsichtiger geworden. Ein Strafermittler sagte einem ukrainischen Medium, es deute nichts auf einen inszenierten Mord
Für Kollegen von Schischow vom BDU wie Rodion Batulin, seinem Stellvertreter, ist der Sachverhalt klar. So sagte Yury Shchuchko, es sei bekannt, dass belarussische Geheimdienstagenten in der Ukraine operieren.
Der ukrainische Geheimdienst SBU und ukrainische Behörden hätten sie gewarnt, dass KGB-Agenten sie entführen oder liquidieren wollten (die Polizei streitet dies ab). Überdies sei Schischow nicht nur mit der Hilfe von in die Ukraine geflüchteten Belarussen tätig gewesen, sondern er habe sich auch mit der Identifizierung von KGB-Agenten beschäftigt, die in die Ukraine unter dem Vorwand eingereist seien, Flüchtlinge zu sein.
Und er soll als Mitorgnisator Aktionen zum Jahrestag der Präsidentenwahl geplant haben. BUD wiederholt in einer Mitteilung, dass Witaly unter Beobachtung stand, dass er dies aber mit Humor nahm und meinte, es würde die Organisation aus dem "Informationsvakuum" holen. Das hat sein Tod nun auf jeden Fall erreicht.
Verwurzelung in der Neonazi-Szene
Der Fall scheint offensichtlich zu sein, aber wenn man der Organisation BUD nachbohrt, für die Schischow tätig war, stößt man auf Verbindungen zum rechtsextremistischen Asow-Regiment. Das unterlassen aber deutsche Medien wie die Tagesschau oder die Deutsche Welle. Man muss sich fragen warum, wenn selbst Radio Free Europe darüber berichtet?
Ein Mitgründer der Organisation ist Serhii Korotkykh, ein Neonazi aus Belarus, der früher der russischen Partei Russische Nationale Einheit (RNE) angehörte und dann die "nationalsozialistische Gesellschaft" mit begründete. Seit 2014 hält er sich in der Ukraine auf und kämpfte mit dem Asow-Regiment, wofür er vom damaligen Präsidenten Poroschenko die ukrainische Staatsbürgerschaft erhielt.
Bis 2018 arbeitete er für eine Polizeiabteilung des Innenministeriums, er stand dem kürzlich zurückgetretenen Innenminister Awakow nahe. Er war oder ist auch bei National Druzhyna, dem "Nationalen Kommando", einer Art rechtsextremer Bürgerwehr, gegründet vom ehemaligen Asow-Kommandeur Andrei Biletsky, engagiert.
2015 fand man den Asow-Kommandeur Yaroslav Babych erhängt in seiner Wohnung. Verdächtigt wurde Korotkykh, der auch mit dem Mord an dem Journalisten Pavel Sheremet, der 2016 durch eine Autobombe starb, an dem Tschetschenen Tymur Makhuri und dem Anschlag auf den Abgeordneten der Radikalen Partei, Igor Mosiychuk, in Zusammenhang gebracht wurde.
Mit seinen Beziehungen ins Innenministerium registrierte Korotkykh im Dezember 2020 die Organisation mit Witaly Schischow und Radzivon Batulin als Leiter. Letzterer war im Juli 2019 an einer Aktion ehemaliger Asow-Kämpfer unter Leitung des rechtsextremen Russen Nikita Makeev beteiligt, der eine Woche zuvor die ukrainische Staatsbürgerschaft von Präsident Selenski wegen seiner "Verdienste" erhalten hatte
Angegriffen wurde der Wagen, in dem der Expräsident Poroschenko saß, das soll als Protest gemeint gewesen sein, weil dieser nur wenigen ausländischen Asow-Kämpfern wie Korotkykh die ukrainische Staatsbürgerschaft verliehen hat.
Das Weißrussische Haus lud Weißrussen auch zur militärischen Ausbildung bei der ebenfalls rechtsextremen Gruppe Avantguardia ein, die nun die wahren Mörder jagen will, nachdem angeblich fälschlicherweise von "liberalistischen Kräften" Korotykh für den Tod verantwortlich gemacht.
Batulin habe sich zur Zeit des Todes von Schischow nicht in der Ukraine aufgehalten, heißt es im Telegram-Kanal des Weißrussischen Hauses. Bei der Einreise mit einem Bus in die Ukraine von Polen kommend sei er am Grenzübergang bei Ustyluh zurückgewiesen worden. Er sei mit einem dreijährigen Einreiseverbot belegt. Die Gründe seien den Grenzschutzbeamten nicht bekannt gewesen.
Sie hätten auf Geheimhaltung des SBU verwiesen. Der ukrainische Präsident Selenskij hat einen "besonderen und verlässlichen Schutz" für alle Belarussen angeordnet, "die zum Ziel von Kriminellen wegen ihrer öffentlichen politischen Position werden können". Innenministerium und der Geheimdienst SBU müssten "einen klaren Algorithmus zur Bewertung möglicher Risiken ausarbeiten". Damit solle jede Bedrohung für Menschen ausgeschaltet werden.
Schon einmal fiel bei einem belarussischen Aktivisten der Kontext mit dem Asow-Regiment auf. Raman Protasewitch war im Mai festgenommen worden, als das Flugzeug, in dem er von Griechenland nach Litauen fliegen wollte, aufgrund einer Bombendrohung zwischengelandet und durchsucht worden war. Das war dem weißrussischen Regime angehängt worden, das dem Aktivisten nachstellte und eine Bombendrohung erfunden haben soll.
Protasevich war wie Korotykh vom Weißrussischen Haus 2014 beim Asow-Regiment an der Front, ob als Kämpfer oder Propagandamann ist nicht ganz klar. Protasewitsch hat nach der Inhaftierung eine schnelle Kehrwende gemacht. Ob aus Angst vor Folter ist nicht bekannt (Protasewitsch-Interview: Mehr als erfolterte Aussagen?)
All das schließt keineswegs aus, dass Schergen von Diktator Lukaschenko für den Tod von Schischow verantwortlich sind. Teile der belarussischen Opposition sind allerdings nicht Freunde der Freiheit, wie sie im Westen dargestellt werden, sondern ähnlich wie die ukrainische Maidan-Bewegung verwurzelt in neonazistische oder rechtsnationalistische Bewegungen.
Das Asow-Regiment hat Rechtsextreme auch aus dem Ausland angezogen und im Kämpfen ausgebildet. Im Umkreis der von Asow stammenden und bislang vom Innenministerium unter Awakow geschützten Organisationen herrscht Gewaltbereitschaft. Der Nachfolger von Awakow gilt als dessen Handlanger, so dass sich vorerst wenig ändern wird.
Der Artikel ist zuerst auf Krass & Konkret erschienen, wo es mehr von Florian Rötzer gibt.