Der Ukraine-Krieg wird enden. Die Frage ist wann und wie
Seite 4: 3. Ein neues Russland
Seit Beginn des Krieges haben Kommentatoren und westliche Politiker, darunter auch Präsident Biden, angedeutet, dass der Krieg, wenn nicht zu einem Regimewechsel in Russland, so doch zu Putins Abgang führen sollte. Und es hat nicht an Vorhersagen gefehlt, dass die Invasion tatsächlich Putins Todesurteil sein wird. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass der Krieg die politische und militärische Elite seines Landes gegen ihn aufgebracht hat, und es gibt auch keine Anzeichen für einer signifikanten Entfremdung der Bevölkerung, die den Staat bedrohen könnte.
Nehmen wir jedoch einmal an, dass Putin freiwillig oder anderweitig abtritt. Eine Möglichkeit wäre, dass er durch jemanden aus seinem inneren Kreis ersetzt wird, der dann große Zugeständnisse machen müsste, um den Krieg zu beenden, vielleicht sogar eine Rückkehr zum Status quo vor der Invasion mit einigen Anpassungen. Aber warum sollte er (und es wird sicherlich ein Mann sein) das tun, wenn Russland große Teile des ukrainischen Landes kontrolliert? Ein neuer russischer Staatschef könnte sich vielleicht auf einen Deal einlassen, vorausgesetzt, die Sanktionen werden aufgehoben, aber die Annahme, dass Putins Abgang ein Wundermittel ist, ist unrealistisch.
Eine andere Möglichkeit: Russland wird nach lang anhaltenden Protesten unerwartet zu einer Demokratie. Wir sollten hoffen, dass es ohne Unruhen und Blutvergießen geschieht, denn Russland verfügt über fast 6.000 Atomsprengköpfe, hat Grenzen zu 14 Staaten und Seegrenzen mit drei weiteren. Außerdem ist es mit mehr als 17 Millionen Quadratkilometern das größte Land der Welt (44 Prozent größer als das zweitplatzierte Kanada).
Wenn man also auf ein baldiges demokratisches Russland setzt, dann mit der Hoffnung, dass der Wandel friedlich verläuft. Ein Umbruch in einem riesigen, atomar bewaffneten Land wäre eine Katastrophe. Selbst wenn der Übergang zur Demokratie nicht chaotisch und gewaltsam verläuft, wäre es sicherlich nicht oberste Priorität der neuen Regierung, alle besetzten Gebiete zu evakuieren. Dennoch wäre es sehr viel wahrscheinlicher, dass Russland auf Gebietsgewinne nach der Invasion verzichten würde, wenn auch vielleicht nicht auf die mehrheitlich russische Krim, die zu Zeiten der Sowjetunion Teil der russischen Republik war, bis sie 1954 per Dekret an die ukrainische Republik übertragen wurde.
Das muss ein Ende haben
Das Leid und die Zerstörung in der Ukraine und die wirtschaftlichen Turbulenzen, die der Krieg im Westen verursacht hat, sollten Grund genug sein, ihn zu beenden. Das Gleiche gilt für die Verwüstungen, die er in einigen der ärmsten Länder der Welt wie Kenia, Äthiopien, Somalia und Jemen anrichtet. Neben verheerenden Dürren und lokalen Konflikten hat er zu einem schwindelerregenden Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel geführt (wobei sowohl ukrainisches als auch russisches Getreide mehr oder weniger vom Markt verdrängt wurde). Allein in diesen vier Ländern sind bereits mehr als 27 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelknappheit oder sogar vom Hungertod bedroht, was zumindest zum Teil auf den Konflikt in der Ukraine zurückzuführen ist.
Ja, dieser Krieg ist der größte, den Europa seit einer Generation erlebt hat, aber er ist nicht der einzige Krieg in Europa. Der Schmerz, den er verursacht, erstreckt sich auch auf Menschen in fernen Ländern, die schon jetzt kaum überleben und keine Möglichkeit haben, den Krieg zu beenden. Und traurigerweise scheint niemand, der etwas zu sagen hat, an sie zu denken. Tatsache ist, dass im Jahr 2022, in dem so vieles in die falsche Richtung läuft, ein großer Krieg das Letzte ist, was dieser Planet braucht.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit TomDispatch. Übersetzung: David Goeßmann.
Rajan Menon, ein regelmäßiger Autor bei TomDispatch, ist Professor emeritus für internationale Beziehungen an der Powell School des City College of New York, Direktor des Grand Strategy Program bei Defense Priorities und Senior Research Scholar am Saltzman Institute of War and Peace der Columbia University. Er ist der Autor des kürzlich erschienenen Buches "The Conceit of Humanitarian Intervention".