Der große Afrikaner der deutschen Aufklärung
Ein junger Mann aus dem heutigen Ghana wird vor rund 220 Jahren nach Deutschland verschleppt. Was dann geschieht, ist ebenso unglaublich wie einzigartig und spannend.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist Axim ein quirliger, holländisch besetzter Hafenort. Man exportiert Gold, Salz und Gold und exotische landwirtschaftliche Erzeugnisse. Doch das wichtigste Handelsgut sind Sklaven.
Der Sklavenhandel, der bereits 200 Jahre früher mit dem Einzug der Portugiesen begonnen hatte, nimmt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiter zu. Für Holland besorgt die Westindien-Kompanie das schmutzige Geschäft des atlantischen Dreieckshandels. In Axim hatten die Niederländer das von den Portugiesen gebaute Fort schon 1642 übernommen. Es existiert noch heute.
Und nun wird ein kleiner Junge von seiner Heimat im Akan-Reich nach Amsterdam ausgeschifft – ob als Sklave, ist unklar. Von dort geht es weiter nach Deutschland, und zwar als Hofdiener zum Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Amos' Taufe ist auf das Jahr 1708 datiert.
Ein hochbegabter Junge
Aus dem hochbegabten Jungen wird Anton Wilhelm Amo, ein Philosoph der deutschen Aufklärung, wie das philosophie-Magazin schreibt. Amo wurde der erste afrikanische Philosoph der Neuzeit, der in der europäischen philosophischen Tradition schrieb und lehrte – und zwar an deutschen Universitäten.
Er immatrikuliert sich 1727 an der Universität Halle, wo er 1729 eine "Disputation über die Rechtsstellung der Mohren in Europa" einreicht – selbstverständlich auf Latein: "De iure Maurorum in Europa". Das Werk ist nicht erhalten, es existiert lediglich ein Zeitungsbericht über die Veröffentlichung.
Deshalb ist auch nicht mehr feststellbar, ob Amo es gewagt hat, darin direkt gegen die Legalität der Sklaverei in Europa zu argumentieren. Wir wissen aber, dass er die Frage diskutiert hat "wie weit den von Christen erkaufften Mohren in Europa ihre Freyheit oder Dienstbarkeit denen üblichen Rechten nach sich erstrecke".
"Die Unbeweglichkeit des menschlichen Geistes"
1730 wechselte Amo an die Universität Wittenberg, wo er 1734 promoviert. In seiner Dissertation "Über die Unbeweglichkeit des menschlichen Geistes" ("De Humanae Mentis Apatheia"), behandelt er das Leib-Seele-Problem und plädiert für eine radikale Trennung von Geist und Körper. Damit bietet er eine qualitativ neue Perspektive auf Bewusstsein und Wahrnehmung.
1736 kehrt Amo nach Halle zurück, wo er Lehrbeauftragter für Philosophie wird. Aus dieser Zeit ist seine "Abhandlung über die Kunst des nüchternen und präzisen Philosophierens" ("Tractatus de arte sobrie et accurate philosophandi") überliefert, in der er intellektuelle Unredlichkeit und Dogmatismus kritisiert und für den Empirismus eintritt.
1739 geht Amo an die Universität Jena wo er eine Professur für Philosophie übernimmt. In seiner Antrittsvorlesung über "Die Grenzen der Psychologie" bleibt er seinem Kardinalthema – der Beziehung zwischen Geist und Körper – treu.
Die Integration misslingt
In Jena lehrt Amo bis 1746. Es gibt Hinweise darauf, dass er dort erfolglos versuchte, zu heiraten. Amo war auch rassistischen Anfeindungen in der Öffentlichkeit ausgesetzt; überliefert sind etwa zwei Spottgedichte aus dem Jahr 1747. Es ist wahrscheinlich, dass diese Erfahrungen zu seinem Entschluss geführt haben, Europa zu verlassen.
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Aus Aufzeichnungen im niederländischen Nationalarchiv geht hervor, dass Amo am 20. Dezember 1746 an Bord eines Schiffes namens "Catharina Galey" ging, das von Rotterdam aus in Richtung Goldküste segelte. Im April 1747 kam er in Afrika an und verbrachte den Rest seines Lebens in der niederländischen Küstenfestung Shama. Auch dieses Fort liegt etwa 80 Kilometer westlich von Axim im heutigen Ghana.
Welche afrikanischen Sprachen Amo als Angehöriger der heute noch in der Region lebenden Nzema beherrschte, ist nicht bekannt. Seine europäischen Sprachkenntnisse umfassten Englisch, Französisch, Niederländisch, Latein, Altgriechisch und Deutsch.
Rückkehr in die Heimat
Obwohl sich die Aufmerksamkeit und das Studium von Amo bisher auf seine symbolische Bedeutung als historische Figur – den ersten afrikanischen Philosophen im modernen Europa – konzentriert hat, werden seine wissenschaftlichen Beiträge in Fachkreisen auch heute noch ernst genommen.
Amos historisches Vermächtnis besteht aber vor allem darin, dass er die Bemühungen um die Entkolonialisierung des (westlichen) Wissens und Geschichtsschreibung inspiriert hat. Bis heute regt Amo auch neue Formen des historischen Gedenkens an.
Amo hat noch etwa zehn Jahre lang bis mindestens 1756 in Afrika gelebt.