Malaise der deutschen Gegenwart: "Das Moralgefängnis ist ein Kulturzustand"
Über Fundamentalisten in einer Wahnwelt, das Versagen des Staates und den Weg zurück zur offenen Gesellschaft. Antworten von Michael Andrick.
Michael Andricks Äußerungen sind eine Herausforderung für jene, die sachte Kritik am staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie bevorzugen ("Immerhin war das doch eine Zeit der allgegenwärtigen Unsicherheit").
Andrick formuliert unverblümt und direkt: Er spricht vom "Totalversagen des Staates". Das ist starker Tobak. In öffentlichen Diskussion über Gefahren für die Demokratie wird ein anderer Ton bevorzugt - und der Konsens, wonach die Risiken hauptsächlich von extremistischen Gegnern rühren, sowohl von innen als auch von außen.
Die Bedrohung, darin sind sich viele einig, komme hauptsächlich und virulent von den Extremisten, von der deutsch-völkischen rechten AfD und ihren Anhängern sowie von denen, die Desinformation verbreiten und unterstützen zugunsten autoritärer Regime, die die Demokratie und ihre Institutionen untergraben wollen.
Diagnose der Malaise unserer Zeit
Der Philosoph Andrick schlägt da einen anderen Weg ein. Er rüttelt an einem Tabu und nimmt den Staat selbst ins Visier, wenn es um den gegenwärtigen Zustand der Demokratie geht. So spricht er eine Befürchtung aus, die vor den Kopf stößt: Kann es sein, dass der Staat – der "Quasi-Gott in der Tradition der klassischen Theorie" (Pierre Bourdieu) – sich neuerdings, in den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts, auf einen Weg macht, der den Untertanengeist befördert?
Und dies in einer liberalen Demokratie, deren öffentliche Meinungsbildung doch eigentlich deliberativ erfolgen soll?
"Das Funktionieren der öffentlichen Debatte ist für eine intakte Demokratie essenziell", lautet ein viel beschworener Grundsatz. Andricks Buch "Im Moralgefängnis" – vergleiche den Auszug, den wir heute veröffentlichen –, stellt diesen Anspruch auf die Probe.
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Demokratiefördergesetz: Ein Mandat zur Einheitsmeinung?
Politische Diskussionen werden zu moralischen Debatten, lautet seine These: Eine Seite erhebe ihre Ansichten zur einzig moralisch richtigen Option und betrachte Andersdenkende nicht mehr als gleichwertige Diskursteilnehmer. Im Namen der Moral werde die Legitimität anderer Meinungen aberkannt, um eine bestimmte Lebensweise durchzusetzen.
Der Gegenwartsdiagnostiker (Berliner Zeitung), der auf seine Kritiker antwortet, habe mit seinem Buch "der Malaise unserer Zeit eine klare Diagnose" entgegengehalten, urteilte die NZZ über sein Buch.
Grund genug, um ihm ein paar Fragen zu stellen.
Die Wahnwelt: "Es geht dann um die wahren moralischen Werte"
▶ Sie schreiben in Ihrem Buchauszug – siehe: Demokratiefördergesetz: Ein Mandat zur Einheitsmeinung? – von "der Wahnwelt von Fundamentalisten". Wie verstehen Sie das? Ist das nicht übertrieben?
Michael Andrick: Nein, das ist nicht übertrieben. Wurde ein politisches Thema moralisiert, also zur Frage der guten oder schlechten Eigenschaften der Diskutanten umgewidmet, so geht es nicht mehr um politisch richtig oder falsch.
Es geht dann um die wahren moralischen Werte, bei denen es keinen Kompromiss ohne Verrat der "Guten Sache" geben kann. Der so fanatisierte Typus des politischen Akteurs ist der Fundamentalist. Weit verbreitete Moralisierung führt dazu, dass die Diskussionsatmosphäre von Ausschlussangst und Furcht vor Bestrafung für "falsche" Ansichten dominiert wird; das meine ich mit dem Ausdruck "Wahnwelt".
Meine Analyse, die noch viele andere Beobachtungen enthält, kann erklären, dass nur noch etwas über 40 Prozent laut Allensbach unbesorgt ihre Meinung sagen.
"Nur ja keine 'falsche' Meinung"
▶ Der Titel Ihres Buches bringt die viel kritisierte Eingrenzung des Debattenraums auf ein drastisches Bild: "Im Moralgefängnis". Wir alle würden daran mitbauen, schreiben Sie. Was sind die Voraussetzungen dafür, dass wir alle – oder zumindest große Teile der Gesellschaft – sich derart einmauern?
Michael Andrick: Das "Moralgefängnis" ist ein Kulturzustand, kein Zustand nur des Debattenraums. Das Moralgefängnis entsteht durch Kooperation von Moralisierern und den Duldern ihres Verhaltens.
Ein Beispiel: Verlasse ich die gleichberechtigte Diskussion ums Gemeinwohl und fange ich an, meine politischen Gegner mit Schmähungen wie "Putin-Knecht" oder "Wissenschaftsleugner" zu überziehen, so moralisiere ich.
Spielt der andere dabei mit und beginnt, sich zu verteidigen, anstatt mir einen Verweis für die versuchte Personalisierung des Politischen zu erteilen, so unterwirft er sich einem gefühlten diskursiven Zwang.
Und er erzeugt dieses Zwangsgefühl, nur ja nicht einer "falschen" Meinung überführt werden zu dürfen, für alle, die seinem Kuschen zusehen. In dieser Hinsicht erbaut er das Moralgefängnis dann mit.
Der Untertanengeist
▶ Der "Corona-Unfall", das Erschrecken darüber, wie die Politik in der Corona-Krise mit Grundrechten umgegangen ist, war für Sie eine Zäsur und ein wichtiger Impuls für Ihr Buch. Es haben auch andere Länder im aufgeklärten, demokratischen Europa mit drastischen Maßnahmen auf die Pandemie reagiert.
Gibt es, zumal Sie in Ihrem Buch auch einen Untertanengeist ansprechen – und der in Debatten über Coronamaßnahmen ja auch immer wieder auftauchte ("Ihr Schafe!") – eine spezifisch deutsche Besonderheit?
Michael Andrick: Zunächst müssen wir festhalten: Es gab kein bedrohliches, gar tödlich bedrohliches Geschehen im Frühjahr 2020. Im RKI, der für die Gefahreneinschätzung zuständigen Behörde, wurde – ohne dass die tatsächliche Lage nach Einschätzung der RKI-Experten dazu Anlass gegeben hätte – eine Willkürentscheidung umgesetzt, "die Sache hochzuskalieren" und fortan sachgrundlos von einer "hohen" Gefährdung durch das Coronavirus zu sprechen.
Eine wissenschaftliche Abwägung gab es dazu auch nicht, wie die Rechtsanwaltskanzlei des RKI mitgeteilt hat. All das geht aus den von Multipolar freigeklagten Protokollen zweifelsfrei hervor (vgl. die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte und auch meinen offenen Brief an den Bundespräsidenten). Statt die Bevölkerung in Frieden zu lassen, wurde medial eine Massenpanik erzeugt.
Eine erhöhte Sterberate mit bis heute deutlich über 100.000 zusätzlichen Toten (laut Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes) gab es erst nach Beginn der "Corona-Gentherapiekampagnen" im April 2021. Wer sich hier ein Bild machen will, dem empfehle die durch Peer-Review abgesicherte Studie von Kuhbandner und Reitzner und die Debatte, die meine kurze Darstellung ihrer wesentlichen Resultate in der Berliner Zeitung auch international ausgelöst hat.
Andreas von Westphalen hatte meine Kolumne damals auch auf Telepolis aufgegriffen und auf mehrere Studien anderer Wissenschaftler mit gleichartigen Ergebnissen z.B. für Japan verwiesen. Eine allgemeine "tödliche Gefahr" durch Sars-CoV-2 war, ist und bleibt ein unbelegter Mythos. Eine große Zahl zusätzlicher Todesfälle seit April 2021 ist dagegen eine unumstößliche Tatsache.
Aber zum Kern Ihrer Frage: Wir Deutsche haben in der Tat eine besondere Sehschwäche, was das Aufkommen totalitärer Praktiken in Staat und Gesellschaft angeht. Dem widme ich im Buch das Kapitel "Die deutsche Immunschwäche".
Gerade die antifaschistische Staatsraison der Bundesrepublik und auch der ehemalogen DDR, beide als "Nie-wieder-Staaten" unter dem Eindruck des Hitler-Faschismus gegründet, erlaubt es jedem Amtsträger nur unter höchstem Risiko, das offenkundige Wiedererscheinen hetzerischer Parolen oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie in den Corona-Jahren beim Namen zu nennen: Denn damit straft man die ganze Staatsraison lügen und nennt den Kaiser nackt.
Suchen Sie einmal auf den Seiten der deutschen Institute für Totalitarismusforschung nach Untersuchung zu totalitären Praktiken der Corona-Zeit. Sie werden nichts finden. Man kennt das Tabu und man hält es im staatsabhängigen Bereich auch voll ein.
"Instrumenten-Vorführung einer kommenden totalitären Herrschaft"
▶ Die Spaltung: Was ist mit der anderen Seite, mit den Kritikern, sind die auf einem anderen Niveau? Meinem Eindruck nach trifft der oft gehörte Vorwurf, wonach die Bundesregierung während der Corona-Ausnahmezeit mit ihren Ausnahmeregelungen sehr stark auf Angst setzte, auch auf die lauten Teile der mit dieser Politik Nicht-Einverstandenen zu? Dort wurde etwa vor tödlichen Wirkungen der Impfung gewarnt, davor, dass die Maßnahmen Auftakt zu einem neuen Herrschaftsmodell sind, das totalitäre Züge hat.
Michael Andrick: Die genbasierten Covid-Impfstoffe haben als eine bekannte Nebenwirkung auch den Tod, wie das bei zahlreichen anderen Medikamenten auch der Fall ist. Sie sind gesichert mit enorm erhöhten Raten von Herzmuskelentzündungen und anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen, die oft das Leben verkürzen, assoziiert. Die vielfältigen Schadmechanismen der mRNA-Präparate beschreibt ein wissenschaftliches Autorenkollektiv sehr gut in diesem Cicero-Artikel.
Die mutigen Wissenschaftler und Journalisten, die vor den Gefahren der sogenannten Impfungen gewarnt haben, hatten im wesentlichen Recht. Hätten Sie sich nur noch schriller und wirklich unüberhörbar geäußert, dann wären heute viele Menschen noch gesund oder am Leben.
Und wären sie bloß nicht auf den sozialen Medien im Staatsauftrag zensiert und beruflich mit Nachteilen bedroht oder entlassen worden, wie es weltweit spätestens seit dem Skandal um die Twitter-Files und den US-Senatsanhörungen dazu bekannt ist. Ein israelisches Autorenkollektiv hat dazu bereits 2022 gesicherte Erkenntnisse veröffentlicht.
Ich sehe in den Coronamaßnahmen und den zu ihrer Durchsetzung eingesetzten digitalen Technologien eine Art Instrumenten-Vorführung einer kommenden totalitären Herrschaft. Wer während dieser Jahre in China war, der weiß: Ein QR-Code kann als faktische Fußfessel des Bürgers dienen.
Das europäische Internet-Zensur-Regime Digital Services Act ist schon Wirklichkeit und wird durch Regierungen in Kooperation mit Tech-Konzernen auch weidlich genutzt, wie etwa Ihre Kollegen bei den Nachdenkseiten und Norbert Häring auf seinem Blog "Geld und mehr" immer wieder herausstellen.
Auch die von mir als Verbrechen beurteilte Duldungspflicht betr. "Corona-Gentherapie" bei der Bundeswehr und die zeitweise einrichtungsbezogene Gentherapie-Pflicht bedeutete die totale Unterwerfung des Menschen unter ein für sakrosankt erklärtes, übergeordnetes Ziel (den angeblichen Gesundheitsschutz, dem keine einzige der Coronamaßnahmen nachweislich gedient hat).
Auch dass diese zerstörerischen Maßnahmen drei Jahre lang aufrechterhalten und mit immer neuen Dämonisierungs-Fanfaren wider die Abweichler begleitet werden konnten, gemahnt an massenhypnotische Zustände, wie Gustave LeBon, Hannah Arendt und jüngst Mattias Desmet sie beschrieben haben.
Ich sehe die um sich greifende Moralitis als kulturelle Wegbereitung in eine totalitäre Herrschaft; dazu kann man das Kapitel "Die Möglichkeit eines totalitären Staates" im aktuellen Buch nachlesen.
Die Spaltung
▶ Im Kalten Krieg gab es auch eine Spaltung in den Gesprächen und in den Diskussionen, sie hatte mit der Position zum Kommunismus und den kommunistischen Staaten, mit Militarisierung, Blockbildung usw. zu tun. Inwiefern unterscheidet sich Ihrer Auffassung nach die damalige Polarisierung von der gegenwärtigen? Macht die neue Medienlandschaft den entscheidenden Unterschied?
Michael Andrick: Die logische Form der Moralisierung ist immer gleich, seit Menschengedenken. Die Sachebene wird verlassen und über Personen und ihre angeblichen negativen Eigenschaften gesprochen, und es wird nicht gefragt, sondern angeklagt.
Politisch war für die Herrschenden in der Blockkonfrontation eben einfach attraktiv, eine simple Dichotomie von bösem Kommunismus und guter Demokratie aufzustellen (die in Tat und Wahrheit immer eine Abstufung von Oligarchie war, wie Rainer Mausfeld, Noam Chomsky, Sheldon Wolin u.v.a.m. überzeugend dargelegt haben): Die eigenen Reihen werden geschlossen, die Abweichler durch Ausschlussangst so weit möglich eingeschüchtert.
"Zurück zu einer offenen Gesellschaft"
▶ Wie sieht der andere Raum aus, der sich außerhalb des Moralgefängnisses befindet? Wie kommen wir Ihrer Ansicht nach dahin?
Michael Andrick: Wir können durch Verstehen der Mechanismen von Moralisierung unser eigenes Verhalten überprüfen und mit dem Spalten aufhören, so wir es denn betreiben. Und wir können bei anderen diese Verhaltensweisen ansprechen und zurückweisen.
Tun genügend Bürger das, dann verändert das unser kulturelles Klima in kleinen Schritten zurück zu einer offenen Gesellschaft und wir kommen aus dem Moralgefängnis langsam heraus. Der Weg ist aber weit.
Es sind auch institutionelle Reformen nötig. In einem Land mit parteibuchtragenden Rundfunkintendanten und Geheimdienstchefs sowie einer politisch abhängigen Staatsanwaltschaft kann man Demokratie und Rechtsstaat letztlich nur teilweise verwirklichen.
Es braucht – spätestens nach dem Totalversagen des Staates und seiner Handlungseliten während der Corona-Jahre – eine Staatsreform hin zu partizipativer Demokratie und der weitgehenden Entmachtung übermächtig gewordener Funktionäre der Großkoalitionspartei aus Union, SPD, Grünen und FDP.
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