Der lange Weg zur arabischen Renaissance
Wenig Freiheit und Staaten, die wie "schwarze Löcher" alle Reformenergie verschlucken
Kaum ein Bericht über die Veränderungen in der arabischen Welt, dem nicht ein parteiischer oder polemischer Unterton beigemischt wird, der sich gegenüber der Politik der amerikanischen Regierung im Vorderen Orient positioniert. Debatten darüber, ob und wie sich die arabische Welt Richtung Demokratie transformiert, kranken oft genug am ständigen Rekurs auf diese Positionsleiste. Eine Ausnahme bildet der "Arab Human Development Report", dessen dritter Teil gestern veröffentlicht wurde. Verfasst von arabischen Intellektuellen und Wissenschaftlern konzentriert sich der Bericht, der es sich zur Ambition gemacht hat, neue Debatten zu inspirieren, um eine "arabische Renaissance" auf den Weg zu bringen, auf eine andere Perspektive.
Zwar werden die USA an entscheidender Stelle erwähnt und scharf kritisiert. Auch die Gerüchte gehalten haben sich hartnäckig gehalten, dass das um mehrere Monate verspätete Erscheinen des Berichts auf die verärgerten Einmischung der USA und Ägyptens zurückzuführen ist. Aber wer in dem Bericht die üblichen Verweise auf die USA und Israel als hauptsächlich Verantwortliche für die Rückständigkeit der arabischen Ländern vermutet, kommt nicht ganz auf seine Kosten.
Selbstverständlich werden die israelische Besatzung in den palästinensischen Gebieten und die amerikanische geführte Besatzung im Irak als wichtige Faktoren, die den Fortschritt der Demokratisierung in der Region hemmen, aufgeführt und die Konsequenzen für Lage der Menschen dort deutlich hervorgehoben. Insbesondere wird der von den USA lancierte "War on Terror" als Unterfangen mit rückläufiger Wirkung gekennzeichnet: Letztendlich hat der Krieg im Namen der Freiheit zu mehr Freiheitsbeschneidungen auch in der arabischen Welt geführt. Autoritäre Regierungen hatten es leichter, in Gesetzgebung und Exekutive noch rigider auf Sicherheit in allen Belangen zu setzen und Oppositionelle auszuspionieren und zu kriminalisieren. Aber der Bericht ist mutiger als die gängigen Lamentos und Schuldzuweisungen; er packt die zum Großteil autoritären Führungen in der Region an deren Nase und listet deren politische, wirtschaftliche und soziale Fehlleistungen und Ignoranz ausführlich und systematisch auf.
Der erste Teil des vierteiligen Projekts, erschienen im Sommer 2002, beschäftigte sich generell mit dem damaligen Status quo der "menschlichen Entwicklung" in der arabischen Welt (vgl. Stillstand und Aussichtslosigkeit), der zweite Teil konzentrierte sich auf den Stand der Wissensgesellschaft und Informationsvermittlung in der Region (vgl. Stille Nacht, heilige Nacht) und der vorliegende dritte Teil - Titel: "Towards Freedom in the Arab World" - sucht die Antwort auf die Frage: "Warum haben Araber so wenig Freiheit?"
Obwohl es hier und da in arabischen Ländern demokratische Institutionen gäbe, konstatiert der Bericht, dass es um die persönlichen Freiheiten der Araber schlecht steht. Und wenn sich daran in nächster Zeit nichts ändere, so die Prognose, würden katastrophale Folgen drohen: weiter intensivierte soziale Konflikte, gewaltsame Proteste, innere Unruhen, chaotische Aufstände.
Als positive Tendenzen seit Erscheinen des ersten Berichts wird die Stärkung und Einrichtung von zivilgesellschaftlichen Organisationen vielerorts erwähnt, Frauen als Wähler und Kandidaten in Oman, Präsidentschaftswahlen in Algerien mit mehreren Parteien, Menschenrechtskommissionen in Ägypten und Katar, das neue Familienrecht in Marokko. Dass der steigende Demokratisierungsdruck in der Region, wie im Bericht beschrieben, Wirkung zeigt, ist wahrscheinlich willkommener Stoff für die Anhänger der amerikanischen Dominotheorie. Doch diese Wirkung ist noch eine zu vernachlässigende Größe, wenn es um die Freiheit des Einzelnen in arabischen Ländern geht.
Trotz der Unterschiede von Land zu Land bleiben die Rechte und Freiheiten, die man in der arabischen Welt genießt, arm.
Reformen nur embryohaft und Stückwerk
Bemängelt werden an erster Stelle der noch immer zu langsame Fortschritt. Die immerfort angekündigten und lauthals gepriesenen Reformen in der Region seien in der Summe nur "embryohaft und "Stückwerk". Politische Restriktionen seien die hartnäckigsten Hindernisse für eine arabische Renaissance, stellt der Bericht fest. Viele Freiheiten würden nur auf dem Papier existieren. Selbst wenn sie in der Verfassung verankert sind, heißt das in vielen arabischen Ländern nach wie vor nicht, dass sie in der Realität gelten. Zu oft würden sie von einer restriktiven Gesetzgebung konterkariert. Inkonsistenzen zwischen Verfassung und Praxis beobachteten die Verfasser in Bahrein, Kuweit, Oman, Katar, Saudi Arabien und in den Vereinigten Emiraten.
In elf arabischen Staaten werden die Pressefreiheiten nachhaltig beschränkt und Zensur erlaubt.
Faire Gerichtsverhandlungen sind selten. Die Exekutive ist in vielen Ländern eng mit der Legislative verquickt; das Parlament oft nur ein bürokratisches Anhängsel der absoluten Macht der Exekutive. Der einzelne Bürger steht dem wehrlos gegenüber. Der exekutive Apparat im modernen arabischen Staat ähnle den "schwarzen Löchern" im Universum, die das soziale Umfeld in ein Setting verkehrt, in dem sich nichts bewegt und dem niemand entkommen kann. Die Exekutive missbrauche in vielen Staaten die Justiz dazu, Oppositionelle zu eliminieren oder auf Harmlos zu trimmen. Als wesentlichen architektonischen Träger des modernen arabischen Staates fungierten die Geheimdienste, die ebenfalls unter direkter Kontrolle des Präsidenten oder Königs also der Exekutive stehen und meist mehr Macht haben als jedes andere Organ im Staat.
Den starren politischen Strukturen entsprechen soziale Strukturen, die vom Clansystem geprägt sind, einer Kette von Loyalitäten, Verpflichtungen und Traditionen, die beinahe zwangsläufig zur Verarmung der persönlichen Freiheit führen.
Das Clansystem blüht und seine negative Auswirkung auf Freiheit und Gesellschaft wird stärker, wo immer zivile oder politische Institutionen, die Rechte und Freiheiten schützen, schwach sind oder gar nicht vorhanden. Ohne gesellschaftliche Unterstützung, werden die Individuen dazu gezwungen, Zuflucht in eng fundierten Loyalitäten zu suchen, und verleihen damit dem Phänomen noch größeres Gewicht.
Auch die Erziehung in den arabischen Schule basiere noch immer auf Methoden, die zur Unterordnung anleiten, was die "Türen zur Freiheit und Kritik" nicht öffne.
Wer hier den ewig gültigen "arab mind" am Werke vermutet und kulturelle Dispositionen als Urheber für die Schwierigkeiten der arabischen Welt mit demokratischen Prozessen ausmacht, den verweisen die Verfasser auf Studien, denen zufolge die überwältigende Mehrheit von Arabern ihre Despoten loswerden wollen und Demokratie als "besser als jede andere Regierungsform" ansehen.