Der neue Kulturkampf: Oberhausen konfrontiert deutsche Kulturszene

Bild: @ Internationale Kurzfilmtage Oberhausen

Legendäre Kurzfilmtage im aktuell erhitzten Spannungsfeld: Es geht um die Rettung der kritischen Öffentlichkeit gegenüber dem Druck einzelner Meinungsblasen.

Dieser neue Film braucht neue Freiheiten. Freiheit von den branchenüblichen Konventionen. Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner. Freiheit von der Bevormundung durch Interessengruppen.

Oberhausener Manifest, 1962

Das Fantasma der Widerspruchsfreiheit

Widerspruchsfreiheit wünschen sich wahrscheinlich viele, in der Kunst wie anderswo. Aber wie so manche Wünsche geht auch dieser selten in Erfüllung. Erst recht in der Kunst. Denn man könnte sagen, dass es gerade der Sinn von Kunst und Kulturveranstaltungen ist, Widersprüche zu provozieren, herauszuarbeiten, das Publikum zu irritieren und vor den Kopf zu stoßen.

Provokation, nicht Harmoniesauce, ist das Mittel der Kunst. Diese Einsicht ist nicht neu und schon gar nicht auf den Kurzfilmtagen Oberhausen – immerhin verabschiedete man hier vor 62 Jahren jenes berühmte, auch ein bisschen berüchtigte, Oberhausener Manifest, das zur Geburtsurkunde des deutschen Autorenfilms wurde.

Gegen die Herrschaft einzelner Filter-Blasen

"Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit" heißt heute ein Symposium zum Auftakt der Kurzfilmtage Oberhausen. Neben Teilnehmern wie Bazon Brock und Alexandra Schauer ("Eine Welt zu verlieren") wird die Begegnung mit der Autorin Sarah Rukaj besonders interessant werden.

Denn Rukaj ist für ihr – herausragendes – Buch "Die Antiquiertheit der Frau" in letzter Zeit vor allem von der queerfeministischen Szene massiv angefeindet worden.

In Oberhausen wird es um Selbstverständigung der freien und (links-)liberalen Kultur gegen die Blockflötenkonzerte der kulturwissenschaftlich aufgeblasenen neuen Maoisten aus der Kuratorenszene und der linksidentitären, im Windschatten arabischer Aktivisten marschierenden Linken aus Neukölln und anderswo gehen, die zunehmend auch in Deutschland wie rotlackierte Faschisten agieren.

Es geht um kulturelle Hegemonie, und es geht um die Rettung der kritischen Öffentlichkeit gegenüber der Herrschaft einzelner Filter-Blasen.

Der Kulturkampf ist da

Den "Weltoffenheitserklärungen", mit denen an deutschen Kulturinstitutionen Antisemitismus ummäntelt, Shoa und Terror relativiert und die Weltbilder geschlossen werden sollen, muss mit wirklicher Offenheit, mit Lust am Widerspruch und Streit entgegengetreten werden.

Dazu wird in Oberhausen mit zahlreichen Veranstaltungen ein Schritt getan werden. Wir kommen aus alldem nicht, wie manche sich wünschen, "schnell wieder raus". Der Kulturkampf ist da. Die deutsche Gesellschaft muss ihn führen.

Für diesen Kulturkampf gibt es kein besseres Beispiel als die Vorkommnisse in den letzten Monaten rund um die Kurzfilmtage. Denn sie haben Unterschriften gesammelt – gegen die Kulturfilmtage als Ganzes und persönlich gegen Lars Henrik Gass, der seit 1997 als Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage amtiert.

Der neueste Akt eines Dramas

Sie riefen zum Boykott der Kurzfilmtage auf, sie posteten wüste Diffamierungen gegen das Festival – seit Mitte Oktober 2023 positioniert sich ein marginaler, aber umso lautstärkerer Teil der internationalen Filmemacher und Kuratorenszene gegen die Oberhausener Kurzfilmtage. Einige Filmemacher zogen sogar bereits eingesandte Filmbeiträge wieder zurück – ein bizarrer Fall von Selbst-Cancelling.

Es ist der neueste Akt eines Dramas, das spätestens seit der "Documenta 15" des Jahres 2022 in Deutschland aufgeführt wird, und eine neue Runde im antisemitischen Hexensabbat, der die deutsche Kulturszene seit einem guten halben Jahr heimsucht.

Kampagnen und Unterstellungen

Das alles nur deshalb, weil Gass wenige Tage nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023, bei dem – man muss immer wieder daran erinnern – über 1.200 Juden in Israel auf brutalste Art niedergemetzelt wurden, auf dem Facebook-Account der Kurzfilmtage dazu aufgerufen hat, an einer der ersten Berliner Demonstrationen zur Solidarität mit Israel und gegen den damals in Deutschland wiederaufflammenden offenen Antisemitismus teilzunehmen:

"Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamas-Freunde und Judenhasser in der Minderheit sind. Kommt alle! Bitte!"

Diese letzten Sätze bezogen sich auf die offenen Sympathiebekundungen und das Verteilen von Süßigkeiten und Gebäck auf Neuköllner Straßen durch in dem Viertel ansässige Araber, die das Massaker ganz offen feierten.

Gass hat danach immer wieder kritisiert, dass er wenig Unterstützung aus der Film- und Festivalszene, von gesellschaftlichen Gruppen und der Politik erhalten habe.

Man muss hier nicht in allem zustimmen, um in der Art, wie über die Kurzfilmtage und von wem geschrieben und gesprochen wird, durchaus ein System der Instrumentalisierung zu erkennen – der Instrumentalisierung für und gegen die Interessen derjenigen, die schreiben oder die es eben nicht tun.

Ein bis dato undenkbarer Vorgang

Auch Medienvertreter fielen negativ auf, wie der Filmkritiker einer linksliberalen Frankfurter Zeitung, der die Kurzfilmtage in einer Art Privatkampagne sogar bei den sie tragenden städtischen Behörden und dem Bürgermeister der Stadt Oberhausen in direkten Schreiben wie in öffentlichen Statements auf Social-Media-Accounts zu diffamieren versuchte – in dem er öffentlich nachlesbar krude Interpretationen der PR-Kommunikation des Festivals zum Besten gab, garniert mit böswilligen politischen Unterstellungen – ein bis dato undenkbarer Vorgang, selbst nach den antisemitischen Exzessen auf der Berlinale und durch Berlinale Mitarbeiter.

Gegen die "internationale Palästina-Solidaritätsblase"

Gass erklärt das damit, dass der öffentliche Druck und das Druckpotential der "Pro-Palästinenserszene" in linken Kulturkreisen gegen Institutionen hoch ist, wenn diese sich gegen Antisemitismus einsetzen.

Das ist bestürzend, weil so die Kampagneninitiatoren mit ihren Methoden erfolgreich sind. Sie versuchen, Angst zu erzeugen, und erreichen ihr Ziel.

Lars Henrik Gass

In jüngster Zeit, kurz vor dem Start der sechstägigen Kurzfilmtage, hat sich dies allerdings in einigen Bereichen geändert. Nun springt ihm aus der linken Szene beispielsweise das Bündnis "Es reicht! Oberhausen solidarisch gegen Rechts" bei: In einer schriftlichen Mitteilung bedanken sich die Antifaschisten beim Festivalleiter und seinem Team, dass diese Boykottaufrufen, Beschimpfungen und Protesten Stand gehalten haben.

Für das Team gilt diese Einschätzung allerdings nach Telepolis-Informationen nur eingeschränkt. Es gab hier sehr viel Kritik und unter der Hand auch unsolidarische Aktionen aus dem Team gegen den Festivalleiter.

Das linke Bündnis "Es reicht!" bezeichnet die Kampagnen und Shitstorms der "internationalen Palästina-Solidaritätsblase" gegen die Kurzfilmtage als antisemitisch:

"Überlasst ihnen nicht die Deutungshoheit."

Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass Gass eine hohe Auszeichnung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft" (DIG) erhält. Ihm wird in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Deutsch-Israelischen Beziehungen die "Ernst-Cramer-Medaille" am 8. Juni im Berliner Rathaus Berlin verliehen.

"Wir ehren Lars Henrik Gass für seine Zivilcourage, seinen Anstand und für sein Rückgrat angesichts des antisemitischen Ressentiments: Als der jüdische demokratische Staat und seine Menschen vom eliminatorischen Antisemitismus der Hamas angegriffen wurde, zeigte er Flagge für Menschlichkeit und gegen Judenhass. Wer die Diskussion um die documenta und den Israelboykott im Kulturbetrieb verfolgt hatte, weiß, dass diese humanistische Klarheit nicht ohne Risiko war." DIG

Falsche Freunde und linke Tabus

"Defund Berlinale?" Das las man im Februar nach den schändlichen Antisemitismus-Vorfällen aufseiten der Jungen Union in Berlin.

Eine verständliche Reaktion, aber trotzdem eine Überreaktion. Und die falsche Antwort auf das Geschehen. Kulturveranstaltungen und Festivals sind wichtig. Man sollte sie schützen, und die Mitte der Gesellschaft muss sie verteidigen. Auch da, wo sie sperrig sind, wo sie unliebsame Entscheidungen treffen, wo unakzeptable Vorfälle auf ihnen geschehen.

Darum muss man auch die Berlinale nicht nur gegen sich selbst verteidigen, und gegen ihre Feinde, sondern auch gegen ihre falschen Freunde.

Falsche Freunde sind sowieso ein gutes Thema. Denn nicht wenige, die heute Juden in Deutschland verteidigen, die sich gegen Antisemitismus aussprechen, für die Rassismus nicht nur Schwarze und Muslime betrifft, und die darüber reden möchten, dass Kritik an Muslimen und Arabern nicht immer gleich mit dem neuen Kunstbegriff des "anti-muslimischen Rassismus" tabuisiert werden darf, solche Gruppen der linken und linksliberalen Kulturszene sehen sich Angriffen und Attacken ausgesetzt und schnell von Linken und solchen, die es sein möchten, in eine rechte Ecke gedrängt.

Man erkennt nicht, was die in solchen Fällen wieder mal sehr schlaue Antifa ganz genau weiß: Dass es auch Linksfaschisten gibt und rotlackierte Faschisten, und dass es auch in der linksextremen Szene Menschen gibt, die ihren Antisemitismus hinter sogenanntem "Antizionismus" und sogenannter "Israel Kritik" verstecken.

Soll man Filmfestivals boykottieren?

Soll man Filmfestivals boykottieren? Schon vor Monaten, im vergangenen November veröffentlichte die AG Filmfestival eine Erklärung, der man zwar etwas mehr Eindeutigkeit gewünscht hätte, die aber als ein erster Schritt funktionierte, der die Solidarität aller Festivals gegenüber Boykott-Kampagnen formulierte.

Leider ist auch dieser erste Schritt bis heute nicht richtig vollzogen – auf der Website der AG Filmfestival ist besagte Erklärung nach wie vor nicht zu finden. Auch ansonsten ist die AG Filmfestival bis heute nicht in der Lage, sich als Ganze öffentlich eindeutig gegen jede Art von Boykott-Kampagnen auszusprechen.

Vielleicht kommen die Damen und Herren aber ja noch in die Gänge, bevor das nächste deutsche Festival zum Opfer von Boykott-Kampagnen oder Schlimmerem wird.

Oberhausen als Ort des Streits, nicht der Kampagnen

Festivals, Filmfestivals wie auch Theaterfestivals und Kunstfestivals wie die aktuelle Biennale in Venedig oder die documenta XV vor zwei Jahren sind im Prinzip Orte der Sensibilisierung, der Reeducation, der Bürgerbildung, Orte der Irritation der Welt und der Augenöffnung, Orte für Statements, für Streit und Widerspruch.

Sie sind aber keine Orte für Kampagnen und keine Orte für Bekenntnisse. Insofern versteht man gut, wenn der Leiter der Kurzfilmtage Oberhausen Lars Henrik Gass für sein Jubiläumsfestival nächste Woche kein Kampagnenfestival möchte. Und sein Festival auch nicht als Ort der Kampagnen für das Gute verstehen.

Man wird sehen, was in Oberhausen, an diesem legendären Ort, im Jahr 2024 gelingt.