Der neue Traum von der "Wiedergeburt der Atomenergie"

Seite 2: Enorme Kosten der Atomindustrie werden vollständig auf den Steuerzahler abgewälzt

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Er warnte vor dem finanziellen Abenteuer, das die EDF in "eine ähnliche Situation wie Areva" bringen könnte. Das heißt, der Mann, der die Kostenplanungen für Hinkley Point genau kennt, vermutet, es könnte auch die EDF in die Pleite treiben. Ohnehin hat die EDF im Rahmen der Zerschlagung des staatlichen Kraftwerkbauers Areva einen guten Teil von dessen Probleme auch noch aufgeladen bekommen.

Angesichts dieser Lage war eigentlich auch der neuen britischen Regierung das Projekt nicht geheuer. Teresa May trat deshalb zunächst auf die Bremse und verärgerte damit die EDF. Dass May auf Kosten der Verbraucher, gegen deren Interessen und gegen deren Sicherheit letztlich doch noch grünes Licht gab, ist vor allem den kommenden Brexit-Verhandlungen geschuldet. Von Frankreich, das dabei besonders hart mit den Briten umspringen wollte, wurde nun Entgegenkommen erkauft.

Die Konsumenten müssen über hohe Strompreise für den angeblich so billigen Atomstrom allerdings tief in die Tasche greifen. Zudem hatte China enormen Druck aufgebaut. Mit dem Reich der Mitte wollen die Briten nach dem Brexit verstärkte Handelsbeziehungen führen. So hatte der chinesische Botschafter in London von einem "kritischen historischen Augenblick" gesprochen und mit Konsequenzen gedroht, sollte das Aus für Hinkley Point kommen.

Die Regierung hat noch einige wenige "Verbesserungen" durchgesetzt, um die Öffentlichkeit etwas zu beruhigen. Die EDF musste vor allem akzeptieren, dass der Konzern seine Kontrollbeteiligung an dem Atomkraftwerk vor der Fertigstellung nicht ohne Zustimmung der Londoner Regierung verkaufen kann. Auch nach Betriebsaufnahme, sollte es jemals dazu kommen, soll London im Falle eines Verkaufs des EDF-Anteils eingreifen können.

Zudem hat der Guardian gerade berichtet, dass erstmals auch Atomkraftwerksbetreiber am Rückbau einer Anlage beteiligt werden sollen. Bis zu 7,2 Milliarden Pfund sollen dafür ab 2083 ausgegeben werden, um angeblich die vollen Kosten für den Rückbau zu tragen.

Ob das reicht, darf bezweifelt werden. Insgesamt dürfte das auch als Beruhigungspille gedacht sein. Doch auch die wirft erneut ein Schlaglicht darauf, wie enorme Kosten der Atomindustrie bisher vollständig auf den Steuerzahler abgewälzt werden.

Dass es trotz der Vorzugsbehandlung enorme Risiken in dem Projekt gibt, kann an den bisherigen EPR-Baustellen beobachtet werden. Versorgungssicherheit sieht man hier jedenfalls seit vielen Jahren nicht, von der die Atomlobby gerne fabuliert. Die Meiler, die nun auch in Hinkley Point gebaut werden sollen, geben bisher ein verdammt mieses Bild ab.

Olkiluoto und Flamanville

In Finnland hinkt man in Olkiluoto schon fast zehn Jahre hinter dem Zeitplan her. Derweil haben sich die geplanten Kosten von 3,3 Milliarden Euro auf nun geschätzte 10,5 Milliarden schon mehr als verdreifacht. Es ist angesichts der Zerschlagung der Areva inzwischen sogar fraglich, ob das Projekt jemals fertiggestellt wird. Und es sagt viel aus, dass die EDF dieses Problem nicht übernehmen wollte.

Auch im eigenen Land sieht es im französischen Flamanville nicht viel besser aus. Dort sollte der EPR schon seit Jahren Strom liefern. Das Projekt ist gestoppt und die ohnehin längst explodierten Baukosten könnten noch so richtig durch die Decke schießen. Denn in Flamanville muss möglicherweise sogar der Reaktorbehälter ausgetauscht werden, weil er vermutlich nicht den Sicherheitsanforderungen entspricht.

Die Atomaufsicht (ASN) ist über diese "ernsthafte Anomalie" auf einen riesigen Skandal gefälschter Sicherheitszertifikate gestoßen. (Flamanville: "Anomalien" beim Reaktordruckbehälter) In Flamanville ist Stahl für den Reaktordruckbehälter benutzt worden, der wohl den Sicherheitsansprüchen nicht entspricht. Ein Austausch wäre extrem teuer, weshalb sogar das Handelsblatt schon über ein mögliches Aus des Projektes berichtet hat.

Fessenheim

Aber der französischen Atomindustrie bereiten nicht nur die teuren Baustellen in Finnland und der Normandie massive Bauchschmerzen. Da ist zum Beispiel auch das Problem Fessenheim, in dem die französische Atomaufsicht (ASN) schon die Abschaltung einer der beiden Reaktoren verfügt hat, da die Fälschungen von Sicherheitszertifikaten in der Schmiede Creusot Forge, die zum staatlichen Kraftwerksbauer Areva gehört, auch Fessenheim betreffen. So verfügt ein Dampfgenerator über kein Prüfzertifikat. Ob der Meiler jemals wieder angefahren wird, darf bezweifelt werden.

Vor März 2017 ist das ohnehin unmöglich, wurde schon berichtet. Ob dieser Termin eingehalten werden kann, bezweifelt auch die Atomaufsicht. Die schließt einen kompletten Austausch des teuren Dampferzeugers nicht aus. Dazu kommt, dass das älteste Atomkraftwerk definitiv wegen vieler Mängel abgeschaltet werden soll, die es sogar schon außer Kontrolle geraten ließen.

Dass sogar schon eher überschaubare Wassermengen in Schaltschränke eindringen konnten, ist ein fatales Problem, das auch in anderen Meilern besteht und sehr teuer für die EDF behoben werden muss.

Für diese Vorgänge müssen sich die EDF und der ehemalige Leiter des Atomkraftwerks am kommenden Mittwoch um 14 Uhr 30 vor dem Amtsgericht im elsässischen Guebwiller verantworten. Es geht auch darum, dass die EDF der Aufsichtsbehörde und der Bevölkerung das reale Ausmaß der Probleme verschwiegen habe. Für die Atomkraftgegner, die Anzeige erstattet haben, zeigt auch der Vorgang auf, wie unverantwortlich in den hochgefährlichen Anlagen agiert wird. Dies legen sie in einer Erklärung dar, die auch in deutscher Sprache vorliegt.

Der Ausfall von Fessenheim 2 über mindestens neun Monaten erhöht auch nicht gerade die Rentabilität eines Atomkraftwerks, die ohnehin stets stark bezweifelt wird. Auch deshalb ist nicht unwahrscheinlich, dass die Betreiberfirma EDF tatsächlich im Dezember einen Antrag auf Schließung des Atomkraftwerks stellt.

Das hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach einem Treffen mit der französischen Umweltministerin Segolène Royal am vergangenen Donnerstag in Paris erklärt. Allerdings, so berichtet die Badische Zeitung, stehe damit "ein Abschalttermin des umstrittenen Reaktors" weiterhin nicht fest. Es könne sogar 2018 werden, habe Kretschmann erklärt, der aber nun sicher sei, dass die Schließung komme.

In Frankreich scheint man einen Mittelweg durch einen Wald der Atomprobleme zu suchen, in dem sich die verschiedensten Regierungen aber längst verlaufen haben, beziehungsweise tief in eine Sackgasse geraten sind. Zwar hat Royal nicht erneut eine Verkettung mit dem Anfahren des EPR-Neubaus in Flamanville hergestellt, doch ganz offensichtlich will man an dem Schrottreaktor am Oberrhein noch eine Weile als Reserve festhalten. Das drängen die Sachzwänge den Verantwortlichen in Paris praktisch auf, wo man seit Jahrzehnten an einer völlig verfehlten Energiepolitik festhält.

Kaskadenartiger Ausfall von AKWs

Denn die Fälschungen von Sicherheitszertifikaten betreffen ja nicht nur Fessenheim und Flamanville, sondern etliche französische Atomkraftwerke. Von denen stehen sechs aktuell ohnehin schon auf unbestimmte Zeit still. Wie der Canard Enchaîné gerade getitelt hat, könnten Atomkraftwerke "kaskadenartig" ausfallen.

Neun Reaktoren könnten hinzukommen, womit mehr als ein Viertel der atomaren Stromkapazität in einem Land ausfallen würde, das 80% seines Bedarfs über Atomkraftwerke deckt. Und das, so schreibt Hervé Liffran, habe es bisher noch nicht gegeben. So wird an Fessenheim auch im Hinblick auf einen möglichen Blackout in den beiden kommenden Wintern festgehalten werden. Im kalten Februar 2014 kam es sogar fast schon zum Blackout in Frankreich, obwohl 55 der 58 Meiler in Betrieb waren. (Warten auf den Blackout in Frankreich)

Liffran weist in seinem Artikel auch darauf hin, dass nicht nur in der Areva-Schmiede in Creusot zu Fehlern in der Fabrikation von sicherheitsrelevanten Bauteilen kam, sondern dass die Atomaufsicht gerade festgestellt hat, dass man beim japanischen Stahlhersteller JCFC, von der Stahl bezogen wurde, "wie im Schweinestall" produziert habe. So mache die "ASN" insgesamt 18 Reaktoren in Frankreich aus, in den vermutlich minderwertige sicherheitsrelevante Bauteile im Einsatz sind.

Bestätigt wurde diese Einschätzung gerade auch durch eine aktuelle Untersuchung des Londoner Ingenieursbüros John Large und Associates, die im Auftrag von Greenpeace durchgeführt wurde. Demnach drohe in 18 französischen Atomkraftwerken ein massiver Störfall durch diese fehlerhaften Bauteile aus Creusot. Darunter fänden sich auch Reaktoren in Cattenom, die ebenfalls direkt an der Grenze zu Deutschland stehen.

Die Mängel im verarbeiteten Stahl könnten zum plötzlichen Bersten des Materials führen. "Die französische Atomaufsicht muss sofort handeln und den Weiterbetrieb dieser Kraftwerke verbieten", sagt Greenpeace-Atomexperte Roger Spautz. "Dieses akute Risiko für Millionen Menschen in Europa darf nicht billigend in Kauf genommen werden." Das geschieht vermutlich aber nur deshalb nicht, weil man sonst das gesamte Land abschalten müsste.