Der richtige Dreh

Rotation als Spielprinzip: das preisgekrönte Indie-Game "Fez"

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Wie fühlt es sich an, fünf lange Jahre an einem einzigen Projekt zu arbeiten? Zeit, Geld und Nerven für eine Sache zu opfern, deren Ende kaum absehbar ist? Game-Designer Phil Fish hat genau das durchgemacht. "Fez ist meine Identität", sagt er in dem Dokumentarfilm Indie Game: The Movie. "Ich bin der Typ, der Fez macht. Das ist alles."

"Fez" ist für Fish zu einem Marathonlauf mit vielen Durststrecken geworden. Zugleich hat kaum ein anderes Indie-Projekt so viele Vorschusslorbeeren eingeheimst wie "Fez". Bereits 2008 gewann es beim Independent Games Festival den Preis für "Excellence in Visual Art". Obwohl nur wenig über das Spiel bekannt war, wurde es von den einschlägigen Blogs und Magazinen in den Himmel gelobt. In den Folgejahren allerdings mangelte es an Fortschrittsmeldungen - man konnte den Eindruck bekommen, das Projekt sei ins Stocken geraten, vielleicht sogar in die Duke-Nukem-Falle getappt. Das Jahr 2012 beendete die Zweifel: "Fez" sackte beim IGF den Hauptpreis ein, Fish verkündete ein Release-Datum. Nun ist das Spiel also erschienen: Die lange Entwicklungszeit hat sich gelohnt, auch wenn "Fez" nicht durchgängig überzeugen kann. Vorerst gibt es das Spiel nur für Xbox Live, eine PC-Fassung steht noch nicht fest.

Held von "Fez" ist ein pixeliger Dreikäsehoch namens Gomez. Der kleine Kerl lebt mit seinen Artgenossen auf einer schwebenden Insel, die friedlicher nicht sein könnte: Auf den Ebenen wachsen Blumen, Gras und Bäume, Windmühlenflügel drehen sich gemächlich, und am türkisfarbenen Himmel ist kaum ein Wölkchen zu sehen. Schon bald aber wird die Idylle gestört: Ein goldener Monolith erscheint über dem Dorf und explodiert, die Splitter verteilen sich über die gesamte Spielwelt und verursachen gefährliche Anomalien. Gomez ist der Einzige, der das Universum jetzt noch vor dem Kollaps bewahren kann. Ein vom Himmel gefallener Filzhut (Fez) verleiht ihm die Fähigkeit, die Welt in drei Dimensionen zu sehen. Während die Dorfbewohner weiter ahnungslos in ihrer Zweidimensionalität verharren, macht sich Gomez daran, die goldenen Würfel und Würfelsplitter einzusammeln - und stößt dabei in immer entlegenere Gebiete vor.

Der Perspektivwechsel ist das zentrale Spielelement von "Fez". Auf seiner Expedition steht Gomez immer wieder vor schier unüberwindlichen Abgründen - das ändert sich aber, wenn der Spieler die Welt per Tastendruck in 90-Grad-Schritten rotiert. Zwei Plattformen, die eben noch weit auseinanderlagen, rücken durch die Drehung nahe zusammen - Gomez kann die Lücke dann mit einem Sprung bewältigen. Ähnlich funktioniert das Prinzip auch bei anderen Hindernissen. Leitern und Aufzüge ergänzen sich, wenn sie per Rotation auf eine Achse gebracht werden. Grundlegend neu ist das Spiel mit dem Perspektivwechsel allerdings nicht: Man kennt es - in ähnlicher Form - aus Titeln wie Echochrome, Crush und Super Paper Mario, auch das Werk M.C. Eschers kommt in den Sinn.

Beeindruckend ist, wie "Fez" die Rotation ins Spielerlebnis integriert. Auch wer anfangs noch mit dem Gameplay fremdelt, wird sich darin schnell zurechtfinden - und mit wachsender Selbstverständlichkeit durch die Level turnen. Der permanente Perspektivwechsel hemmt nicht etwa den Spielfluss, sondern fördert im Gegenteil das Flow-Erleben. Geschickt mischt "Fez" klassische Platforming-Elemente ins Spielgeschehen, seien es nun Zeitschalter, hindernisbrechende Bomben oder Bodenplatten, die mit Gewichten belegt werden. Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Mehrfach hüpft Gomez über freischwebende, wegbröckelnde Treppenstufen, die der Spieler auch noch per Rotation in die richtige Reihenfolge bringen muss. Stürzt Gomez in den Abgrund, wird er an der Ausgangsposition wiederbelebt: Das macht "Fez" zu einer weitgehend stressfreien Angelegenheit - ebenso wie das Fehlen jeglicher Monster.

Fez Trailer

Wer knallharte Rätsel sucht, wird in den ersten paar Spielstunden wahrscheinlich enttäuscht werden. "Fez" ist weit weniger fordernd als etwa Braid, das gleich zu Beginn mit abstrakten Zeitvorstellungen hantiert. Stattdessen setzt Phil Fish voll auf den Erkundungsdrang der Spieler: Der Kosmos von "Fez" besteht aus vielen kleinen Teilwelten, die durch Teleporter miteinander verbunden sind. Von einem zentralen Hub aus verzweigt sich diese Struktur in alle Richtungen - hinter jeder noch so kleinen Holztür können Dutzende von Teilwelten liegen.

Die Level sind sehr abwechslungsreich gestaltet: Mal klettert Gomez einen gigantischen Uhrturm hinauf, mal kraxelt er über die Fassade abgewrackter Hotels mit Neonreklame. Überall bricht die Natur durch: Tiere huschen über die Plattformen, Wasserfälle stürzen in die Tiefe, Efeu rankt sich an Mauerwerk empor. Sogar einen Tag- und Nachtwechsel gibt es, der - zusammen mit dem Elektro-Soundtrack - für eine überaus dichte Atmosphäre sorgt.

Unterwegs sucht Gomez nach den Würfelfragmenten, die über den ganzen Kosmos verstreut sind. 32 Würfel benötigt man, um eine geheimnisvolle Pforte am zentralen Hub zu öffnen - ohne Suchsystematik wird man sie nur schwerlich alle finden. Leider schleicht sich mit dieser Sucherei ein Hauch von Routine in "Fez", die den einen oder anderen Spieler abschrecken dürfte. Dieser Eindruck täuscht jedoch: "Fez" besitzt noch eine zweite, weitaus tiefgründigere Ebene. Da wären zum Beispiel die sehr abstrakten Schatzkarten, die der Spieler an verschiedenen Orten findet: Mit ihnen lassen sich sogenannte "Anti-Cubes" aufstöbern, die für ein weiteres Tor vonnöten sind. Und dann gibt es noch die Hieroglyphen, auf die der Spieler allenthalben stößt: Sie erzählen eine Geschichte - vorausgesetzt, man weiß sie zu entschlüsseln.