Der unendliche Ausnahmezustand

Seite 3: Der Lockdown und die Folgen

Erst allmählich dringen verstreute Angaben zu den Folgen und Nebenwirkungen der Maßnahmen gegen dieses "Worst Case Szenario" an die Öffentlichkeit. Obwohl der britische Guardian schon im Juni 2020 berichtet hatte, dass es im April in England und Wales an die 10.000 Demenztote gegeben hat, die nicht "an oder mit" Covid-19, sondern wegen mangelnder medizinischer Versorgung und fehlender Familienkontakte verstorben sind, ist davon in Deutschland nicht berichtet worden.

Unwahrscheinlich ist, dass hier die Demenzkranken besser aus der Quarantäne herausgekommen sind. Doch es fehlen zuverlässige Daten über die Folgen des ersten Lockdown. So beklagte der Vorgänger von Prof. Dr. Christian Drosten an der Charité, Prof. Dr. Detlev Krüger am 13. Februar im Gespräch mit der Welt rückblickend:

"Wenn Tumorpatienten nicht mehr operiert werden können - in der ersten Welle war das nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft bei 50.000 der Fall -, wenn die Suizidrate steigt und die Kinder vernachlässigt werden, dann führt das zu ernst zu nehmenden Problemen. Ich hätte mir gewünscht, dass nach dem ersten Lockdown eine klare Bilanz gezogen wäre, welchen Schaden und welchen Nutzen die einzelnen Anti-Corona-Maßnahmen bewirkt haben."

Gäbe es eine solche Folgen- und Schadensbilanz, die täglich den Infektions- und Todeszahlen hinzugefügt würde, könnte sie die Schockwirkung verpuffen lassen und die verbreitete Zustimmung in einen stärker werdenden Widerstand gegen die Maßnahmen verwandeln. An besorgniserregenden Einzelmeldungen fehlt es nicht.

Wer hat schon davon erfahren, dass die Hamburger Universitätsklinik im Juli 2020 eine Studie herausgegeben hat, in der berichtet wird, dass sich im ersten Lockdown die psychischen Auffälligkeiten bei Kindern nahezu verdoppelt haben, darunter Depressionen, Ängste und Essstörungen?

Der Bayerische Rundfunk berichtete am 18. Dezember 2020 von einer drastischen Zunahme an Jugendlichen mit Magersucht und Bulimie in der Münchener Klinik für Kinder und Jugendpsychosomatik. Anfang Januar berichtete der Chefarzt der Clemens-August-Jugendklinik in der Hannoverschen Allgemeinen (HA) von einem sichtbaren Anwachsen von schweren Depressionen bei Kindern. Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) berichtet unter der Überschrift "Der Lockdown macht die Psyche krank" von einer Studie der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung über erhebliche Belastungen durch Homeschooling, Kontaktverlust und finanzielle Ängste. Die Anfrage in den psychotherapeutischen Praxen nahm schon nach dem ersten Lockdown um ein Viertel zu, im Oktober gar um die Hälfte.

Nach einer Pandemie-Auswertung der Krankenkasse DAK vom Februar dieses Jahres haben sich in Berlin die Einweisungen junger Menschen in die Psychiatrie fast verdoppelt. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Charité Campus Virchow fallen vor allem "sehr magere essgestörte Mädchen" auf , denen wahrscheinlich "Lehrer, Freundinnen oder Kinderärzte als Korrektiv fehlen", sowie "Hautritzungen als zerstörerische Bewältigungsstrategie".

All diese erschreckenden Befunde wären es wert, bilanziert und kontinuierlich veröffentlicht zu werden. So wäre ebenfalls eine Aufschlüsselung der täglichen Infektionszahlen nach der Schwere, ob ohne Symptome, Krankenhaus- oder Intensivbehandlung nützlich. Es mag sie geben, veröffentlicht werden sie nicht.

Dieser ist Beitrag eine Vorabveröffentlichung aus dem Sammelband "Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand" (Hrsg. Hannes Hofbauer und Stefan Kraft), der in Kürze im Promedia-Verlag erscheint. Die Online-Version wurde von Telepolis leicht redaktionell bearbeitet.

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