Der vergessene Grenzzaun

Während der israelische Grenzzaun große Aufmerksamkeit findet, wird der Zaun zwischen Indien und Pakistan durch Kaschmir in aller Stille vollendet

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Der von Israel errichtete Grenzzaun zu den palästinensischen Gebieten erregt seit Monaten die Weltöffentlichkeit. Das Urteil vor dem Den Haager Gerichtshof und der mit großer Mehrheit gefasste Aufforderung der UNO-Sicherheitskonferenz an Israel, die Sperranlage wieder abzureißen, sind nur letzte Höhepunkt dieser internationalen Aufmerksamkeit. Wenig Aufmerksamkeit hat hingegen eine Grenzanlage durch die zwischen Indien und Pakistan umstrittene Provinz Kaschmir gefunden, die in diesen Tagen vor dem Abschluss steht.

Die 500 km lange und ca. 3 Meter hohe Sperranlage entlang der Waffenstandslinie (LoC) besteht aus drei parallelen mit Stacheldraht bewehrten Zäunen, ist mit einem Alarmsystem ausgestattet, steht teilweise unter Strom und auf dem Mittelstreifen sind teilweise Minen vergraben. Zahlreiche Dörfer werden durch die Grenzanlage getrennt. Bauern kommen gar nicht mehr oder nur auf Umwegen auf ihre Felder, die sich jenseits der Sperranlage befinden. Die Anzahl der Tore, durch die die Bewohner nach scharfen Kontrollen den Zaun passieren können, ist stark begrenzt, was auch von den Bewohnern kritisiert wird.

Wie die israelische Regierung begründet auch die indische Regierung den Bau der Anlage mit Sicherheitsinteressen. Bisher hätten militante Kaschmir-Separatisten die Grenze von Pakistan aus ungehindert passieren, Bombenanschläge verüben und sich dann unbehelligt wieder auf pakistanisches Territorium zurück ziehen können, erklärt die indische Regierung (Indien in einer Situation wie die USA am 11. September). Der zuvor vorhandene Maschinendrahtzaun, der die feindlichen Nachbarn in Kaschmir voneinander trennt, hatte viele Lücken und konnte nicht effektiv überwacht werden. Indien beschuldigt die pakistanische Regierung, die Separatisten zu unterstützen. Seit 1989, als die Rebellen ihren bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Kaschmir aufgenommen haben, sollen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 60.000 Menschen umgekommen sein.

Tatsächlich tritt Pakistan durch seiner Annäherung an die USA nach dem 11.September 2001 nicht mehr so offen als Schutzmacht der antiindischen Terroristen auf. Doch diese dienen weiterhin als Faustpfand bei Verhandlungen zwischen den Atommächten Indien und Pakistan, die am im Frühjahr 2004 auf Druck der USA begonnen haben, aber bisher noch keine Ergebnisse zeitigten. Die pakistanische Regierung bezeichnet den Grenzzaun als illegal, weil er im Widerspruch stehe zu bilateralen Abkommen zwischen Indien und Pakistan sowie zu internationalen Abkommen, die beide Länder unterzeichnen hätten.

Doch der Protest der pakistanischen Regierung gegen die Errichtung des Zauns ist bisher eher verhalten. Gar nicht vernehmbar hingegen sind die Proteste der internationalen Zivilgesellschaft, die sich so sehr gegen die Sperranlage im Nahen Osten engagiert, obgleich die Problematik der beiden Sicherheitsanlagen sehr ähnlich ist. Einerseits soll er das Eindringen von militanten Aktivisten verhindern, andererseits tangiert er die Lebensbedingungen vieler Bewohner enorm. Die unterschiedliche Reaktion auf die Befestigungsanlage im Nahen und im Ferneren Osten ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass in einem Fall Israel beteiligt ist, das als enger Verbündeter der USA schnell ins Visier der internationalen Zivilgesellschaft und der Dritte-Welt-Staaten gerät. Indien hat in diesen Kreisen hingegen noch immer einen guten Ruf als führende Macht im Kampf gegen den britischen Kolonialismus und als Mitbegründer der Blockfreienbewegung.