Der vorweggenommene Krieg

Ukrainische Science-Fiction-Schriftsteller schilderten bereits in den Nuller Jahren Szenarien, die an die Realität von Heute erinnern

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Dass Science Fiction die Realität vorwegnimmt ist nichts Außergewöhnliches. Häufig handelt es sich bei solchen Vorwegnahmen um technische Errungenschaften wie Mondfahrten oder Mobiltelefone. Dass auch politische Entwicklungen antizipiert werden können, zeigt ein Blick auf die ukrainische Science Fiction des letzten Jahrzehnts.

Plots, in denen die Ukraine zum Schlachtfeld eines neuen Ost-West-Konflikts wird, sind darin so verbreitet, dass Dmitri Bykow vom russischen Literaturmagazin "Что читать" ("Was Lesen") die aktuellen Auseinandersetzungen als "Krieg der Schriftsteller" bezeichnet. Die Welle solcher Romane begann 2005 - kurz nach der "Orangenen Revolution". Damals entwarf der in Charkow lebende Andrej Valentinow in "Омега" ("Omega") verschiedene Alternate-Timestream-Szenarien für sein Land: In einem davon hat die NATO die Krim besetzt und führt Krieg gegen Partisanen, die ein eher distanziertes Verhältnis zu Moskau pflegen.

Besser als bei Valentinow kommt Russland in Gleb Bobrows Roman "Эпоха мертворожденных" ("Epoche der Totgeborenen") weg. Der Lugansker Afghanistanveteran veröffentlichte die apokalyptische Erzählung über einen Aufstand in der Ostukraine 2006 im Internet, wo sie unter russischsprachigen Lesern ein so großer Erfolg war, dass sie ein Jahr später gedruckt erschien.

Der (in mehrerlei Hinsicht) bemerkenswertesten Beitrag zu diesem Sub-Genre ist Fjodor Berezins Serie "Война на пороге" ("Krieg vor der Haustür"), die aus dem 2009 erschienenen Roman "Война 2010 - Украинский фронт" ("Krieg 2010 - Ukrainische Front") und dessen Fortsetzung "Война 2011 - Против НАТО" ("Krieg 2011 - Gegen die NATO") besteht.

Berezin ist inzwischen der stellvertretende Verteidigungsminister der "Volksrepublik Donezk", die sich im April 2014 für selbständig erklärte. Im Juli sagte er der russischen Regierungszeitung Российская газета, die ukrainische Armee verhalte sich in der Realität noch "inhumaner" als die türkischen Besatzungstruppen in seinen Romanen.

Nimmt man diese Romane als Anhaltspunkt, ist hinsichtlich Humanität auch von der ostukrainischen Guerilla nicht allzu viel zu erwarten: Als die Freischärler einen Kollaborateur aufhängen, schlägt einer von ihnen vor, die Hinrichtung auf einem großen Platz durchzuführen und die Leiche eine Woche lang hängen zu lassen, damit sie vom Volk geschändet werden kann. Berezins Romanheld Dmitri Gavrilowitsch erklärt ihm darauf hin, dass eine solche Hinrichtung kein Spaß sei, sondern eine "schmutzige Arbeit" - auch deshalb, weil sich der "Verräter" vor Angst in die Hose macht.

Ein alter Bekannter Berezins aus Science-Fiction-Fankreisen ist heute einer seiner größten politischen Widersacher: Arsen Awakow rief 1999 die Star-Bridge-Convention in Charkow ins Leben, auf der Berezin 2001 seinen ersten Preis für seinen Debütroman "Пепел" ("Asche") erhielt. Bis 2012, als man die Veranstaltung wegen Differenzen zwischen Awakow und Charkows Bürgermeister Gennadi Kernes einstellte, nahm der heutige Donezk-Vizeminister dort noch zahlreiche weitere Auszeichnungen in Empfang.

Awakow publizierte in der Українська правда bereits vor fünf Jahren eine Verschwörungstheorie, nach der das Sub-Genre Ostukraine-Kriegs-SF Teil einer Strategie des Kremls ist und einen Krieg gegen die Ukraine vorbereiten soll. Nach dem Umsturz im Februar 2014 wurde das Mitglied der Timoschenko-Partei Innenminister der Ukraine.

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