Des Führers Arzt trifft des Satans nackte Sklavin

Arzt ohne Gewissen

Subversive Arztfilme der 1950er - Teil 2

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Teil 1: Drei Ärzte mit der Stripperin

Peter Lorres Der Verlorene hatte keinen großen Verleih im Rücken und keinen nennenswerten Werbeetat. Nach nicht einmal zwei Wochen verschwand er sang- und klanglos aus den wenigen Kinos, die ihn zeigten. Als der enttäuschte Lorre die Koffer packte, um in die USA zurückzukehren, gab es keinen ernsthaften Versuch, ihn zum Bleiben zu bewegen, dafür aber bedauerndes, mit anerkennenden Worten für seine Leistung als Schauspieler und Regisseur unterlegtes Gemurmel. Bei einem Film, der unangenehme Wahrheiten zur Sprache brachte, aber keine Chance hatte und auch keine bekam, konnte man es sich leisten, großzügig und gönnerhaft zu sein.

Ganz anders verhielt es sich mit einem Film, der aus der Mitte der Industrie kam und 1959 einen Skandal auslöste. Inszeniert wurde er vom in Teil 1 bereits erwähnten Falk Harnack, dem Regisseur des an Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns anknüpfenden Fernsehfilms Der Verfolger, den das ZDF wieder mal ins Programm nehmen könnte, wenn man ihn nicht weggeworfen hat. Harnack war im Gegensatz zu manch anderem, der nach dem Krieg seine Biographie aufpolierte, ein echter Widerstandskämpfer gewesen. In den 1950ern brachte er für Atze Brauners CCC Vergangenheitsbewältigendes wie Der 20. Juli und brutalstmöglichen Eskapismus wie Roman eines Frauenarztes auf die Leinwand, und dann hatte er offenbar genug von der Gediegenheit, mit der sich der deutsche Kommerzfilm vor den heiklen Stoffen drückte, wenn er sie nicht in den Braunschleier entfernenden Reinigungsmitteln ertränkte.

Neue Organe braucht das Land

Der Anfang von Arzt ohne Gewissen ist programmatisch. Wir sehen einen von Burschenschaftern angeführten Leichenzug. Die letzte Ehre erwiesen wird dem weltbekannten Chirurgen Professor Lund, einem unerwartet verstorbenen Nobelpreiskandidaten. Mit ihm wird auch das 50er-Jahre-Klischee vom Arzt als edlem Helfer und Menschenfreund zu Grabe getragen. Unter die Trauergäste haben sich zwei Polizisten gemischt, und Dr. Westorp, der sich verspätet hat, wird uns in der Rückblende erzählen, was wirklich geschah, während die Honoratioren ihre Lobreden halten. Der Arzt, der da im Sarg liegt, meint sein Berufskollege, war ein gemeiner Verbrecher.

Westorp, Lunds ehemaliger Assistent (Wolfgang Preiss, der Stauffenberg aus Der 20. Juli), will mit seiner Verlobten Sabine Urlaub auf Mallorca machen, zuvor aber noch den Kongress besuchen, bei dem Lund vor einem international besetzten Auditorium über seine Arbeit referiert. Der Professor ist ein moderner Frankenstein. Was heute noch utopisch klinge, sagt er unter lang anhaltendem Applaus, sei morgen schon medizinisch nachweisbar: "Nicht nur die Krankheit, sondern auch der Tod ist besiegbar." Lund, ein Pionier der Transplantationsmedizin, möchte sein Ziel erreichen, indem er "verbrauchte Organe" durch neue ersetzt.

Arzt ohne Gewissen

Harnack schlägt die Verharmloser der Vergangenheit mit ihren eigenen Waffen. Er nimmt das, was schon da ist, ordnet es neu an und erzählt so eine andere Geschichte. Am Grab ihres Arbeitgebers steht Lina Carstens, Professor Lunds Haushälterin und vorher Oberschwester bei Professor Sauerbruch im Biopic des am Ich-klage-an-Beschönigungssyndrom leidenden Rolf Hansen (siehe Link auf /tp/artikel/36/36114/2.html). Diese Frau Kleinhans, sagt Dr. Westorp mit mühsam unterdrückter Wut, sei die einzige von den Verbrechern, die unbehelligt davongekommen sei. Im echten Leben war das auch so, sagt der Film, wir aber weisen wenigstens auf sie hin, auf die kleinen Rädchen in dem Getriebe, das sie erst zum Laufen brachten und die jetzt so tun, als ob sie nichts gemacht hätten. Professor Lund spielt wieder Ewald Balser, der durch seine Rolle als Sauerbruch zum Topstar des deutschen Kinos aufgestiegen war. Heidemarie Hatheyer ist per Assoziation vertreten, denn Dr. Marianne Cordt, Lunds Assistentin, wird von Barbara Rütting verkörpert. Die spätere Wegbereiterin grünen Denkens und des Vollkornbrots hatte 1956, im Remake der Geierwally, die Rolle gespielt, mit der Hatheyer berühmt geworden war.

Arzt ohne Gewissen

In Sauerbruch baut der Held eine Druckkammer, die Operationen im Brustraum ermöglicht. Der erste erfolgreiche Eingriff dieser Art wird an einer schönen, aber leider herzkranken Opernsängerin vorgenommen. In Arzt ohne Gewissen treffen wir sie wieder. Sie heißt jetzt Harriet Owen (Cornell Borchers) und ist die neueste Patientin von Prof. Dr. Lund in der von ihm geleiteten Uniklinik. Wegen ihrer Herzkrankheit kann sie nicht mehr singen. Lund will sie operieren, Westorp soll ihm assistieren. Die suizidgefährdete Olga Ahrends (Sauerbruch) hat sich in die deutlich jüngere Birke Sawatzki (Karin Baal) verwandelt.

Arzt ohne Gewissen

Viele Filme versteht man besser, wenn man sie als Teil einer großen, über Jahre hinweg auf bundesrepublikanischen Leinwänden ausgebreiteten Erzählung betrachtet. Karin Baal war durch ihre Rolle in Georg Tresslers Die Halbstarken (1956) über Nacht zum Star geworden und galt seitdem als Verkörperung der gegen das Elternhaus rebellierenden Jugend. Man kann sagen, dass sie damit auf ein bestimmtes Rollenfach festgelegt war und es dabei bewenden lassen. Das ändert aber nichts daran, dass sie in der Folge ins Visier der Repräsentanten von "Papas Kino" geriet. In Der Jugendrichter (1959/60) wird sie von Heinz Rühmann in einer Besserungsanstalt und nach einem Selbstmordversuch in der Pension Winkler untergebracht (ob die Inhaberin mal mit Oberst Winkler von der Abwehr verheiratet war, dem Gegner "antiquierter ethischer Bedürfnisse" in Peter Lorres Der Verlorene?). Als Landgerichtspräsident ist Hans Nielsen mit dabei, früher mal Stoffwechselforscher in Ich klage an.

Die Aggression, die sich in solchen Einlullfilmen im Gewand der Fürsorge versteckt, wird mörderisch, wenn es um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit geht. In Die toten Augen von London (1961) landet Karin Baal in Dieter Borsches Wassertank, einer auf Londoner Verhältnisse übertragenen Version der Gaskammer (direkt an das Gas wagte sich erst Hitchcock in The Torn Curtain heran). Als Birke Sawatzki in Arzt ohne Gewissen ist Karin Baal eine Gelegenheits-Prostituierte, hat schon dreimal versucht, sich umzubringen und wird als physisch geheilt entlassen. Psychisch gilt sie weiterhin als krank. "Arbeitsscheu" ist sie scheinbar auch. Mit dieser Diagnose wäre sie im Dritten Reich in akuter Gefahr gewesen, von einem der grauen Gekrat-Busse abgeholt und in eine Tötungsanstalt wie Schloss Grafeneck gebracht zu werden, wo die Nazis "lebensunwertes" Leben vernichteten.

Arzt ohne Gewissen

Hier ist der Bus etwas kleiner. Vor Lunds Klinik steht Jakubeit (Wolfrid Lier) mit seinem als Krankenwagen getarnten Auto und bietet Birke an, sie ein Stück mitzunehmen. Dann entführt er sie mit Hilfe eines gewissen "Dr. Stein" und bringt sie in ein abgelegenes Schloss, das Lund gehört; nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs war es bestimmt billig zu erwerben. Birke ist nicht die erste von Lunds Patienten, die Jakubeit verschleppt, denn der Professor braucht regelmäßig Versuchspersonen für seine Experimente. Bei den Nazis hätte ihm die Kanzlei des Führers die Opfer ins Haus gebracht. Jetzt muss er sich selber darum kümmern. Weil aber das Nazireich weiter fortwirkt, konnte er diese Aufgabe an zwei erfahrene Fachkräfte delegieren. Jakubeit, der für seine "Sonderfahrten" eine Prämie erhält, war früher Kapo im KZ. Vermutlich war er in Dachau, denn er hat miterlebt, wie Obersturmbannführer "Dr. Stein" Häftlinge in Eiswasser werfen ließ und mit dem Interesse des Forschers dabei zusah, wie sie qualvoll erfroren.

Über Affen, Gastarbeiter und Prostituierte zur Kunst

Die von Professor Ernst Holzlöhner geleitete Forschungsgruppe "Seenot" machte in Dachau sadistische, viele Todesopfer fordernde Unterkühlungsexperimente, um herauszufinden, wie der menschliche Körper auf große Kälte reagiert und welche Rettungsmöglichkeiten es gibt. Das war eine dieser kriegswichtigen Aufgaben deutscher Mediziner und Wissenschaftler, wie sie Dr. Rothe in Der Verlorene erfüllt und von denen die üblichen Protagonisten im Arztfilm der 1950er rein gar nichts mitgekriegt haben, weshalb sie sich auch keine Fragen über die Vergangenheit ihres Berufsstandes stellen müssen. Der Auftrag kam von der Luftwaffe, deren im Luftkrieg gegen England abgeschossene Piloten oft im Meerwasser landeten und dort an der Kälte starben. Die Oberaufsicht hatte die SS, die KZ-Insassen als Versuchspersonen zur Verfügung stellte. Dr. Sigmund Rascher aus der "Seenot"-Gruppe war ein Protegé von Heinrich Himmler, mit dem er auch korrespondierte.

Der Illustrierten Film-Bühne, die man als Programmheft in den Kinos kaufen konnte, ging das zu weit. Bei ihr war Stein früher Arzt der Wehrmacht. Oft ist er das geblieben, weil man von der Film-Bühne bis heute gerne abschreibt. Ende der 1950er galt die Wehrmacht als eine zwar missbrauchte, im Kern aber untadelige Organisation, die mit den Nazi-Verbrechen nichts zu tun hatte. So wurde man wenigstens in der Inhaltsangabe die Verbindung zu KZ-Ärzten wie Dr. Josef Mengele los. Und weil die Wehrmacht nichts für Wahnsinnige kann, suggeriert die Inhaltsangabe, dass Dr. Stein ein verrückter Junkie und durch seine Morphiumsucht zum "menschlichen Wrack" geworden ist. Tatsächlich nimmt er ein Aufputschmittel, um trotz Schmerzen weiter forschen zu können. Dr. Stein leidet an einer Erkrankung des Knochenmarks. In einem anderen Film hätte er sich von Professor Sauerbruch heilen lassen können. Hier hat er schon eine Beinprothese, und weitere Amputationen würden nicht mehr verhindern, dass er innerlich aufgefressen wird. Weil der in Abwesenheit zum Tode verurteilte Dr. Stein ein Zombie wie Dr. Rothe ist, braucht Lund bald Ersatz. Diese Rolle hat er Dr. Westorp zugedacht.

Um Westorp an seine Aufgabe heranzuführen, zeigt ihm Lund erst mal die moderne Privatklinik, die er im Keller des Schlosses eingerichtet hat. Dabei stellt sich heraus, dass der Professor über die theoretische Möglichkeit einer Herztransplantation weit hinaus ist. In Gefäßen schlagen Herzen, die er angeblich Toten entnommen und wiederbelebt hat. Auch bei Benjamin dem Gorilla schlägt das Herz noch außerhalb des durch Schläuche mit diesem verbundenen Körpers. Das wirkt grotesk und man kann es unfreiwillig komisch finden, eine ernsthafte Funktion erfüllt Benjamin aber trotzdem. Denn der erste Mensch, der ein fremdes Herz in seiner Brust trägt, heißt Paolo Terruzzi und ist ein Gastarbeiter aus Italien. Lund, der später empört den Vorwurf zurückweisen wird, wie die Nazis zu sein, teilt wie diese in mehr oder weniger lebenswertes Leben ein und richtet seine Experimente danach aus, angereichert mit etwas bundesrepublikanischer Ausländerfeindlichkeit.

Arzt ohne Gewissen

Weil der Verlust bei einem Misslingen des Experiments bei ihm am geringsten wäre, ist der Affe das erste Versuchstier. Dann wird dem Gastarbeiter ein Herz transplantiert, und als nächste auf der sozialdarwinistischen Leiter ist Birke Sawatzki dran. Sie ist zwar eine Deutsche, wegen ihrer drei gescheiterten Suizide für Lund und Dr. Stein jedoch eine "Psychopathin" und außerdem eine Prostituierte. Damit ist ihr Leben weniger wert als das von Harriet Owen, der großen Sängerin. Ihr soll sie ihr gesundes Herz spenden, das ihr Lund und Stein bei lebendigem Leibe herausoperieren wollen, um es im bestmöglichen Zustand "überpflanzen" zu können (das Wort "transplantieren" hatte sich noch nicht eingebürgert).

Wenn man sich von den Denkmodellen der Nazis löst, bedeutet das: Die junge Generation soll ausgeweidet werden, damit die der Eltern weiter schön singen kann (bestimmt würde sich auch ein Klavierspieler zur Begleitung auftreiben lassen). Nach zehn Jahren bundesrepublikanischen Kinos hatte Falk Harnack von dieser Art der Kunstausübung die Nase voll. Seinen Befund über den Zustand der (west)deutschen Gesellschaft in den späten 1950ern kleidete er konsequenterweise in die weniger schöne und gefällige Form des Horrorfilms. Das "Kulturlose" wird da zum Akt des Widerstands. Die Reaktionen waren entsprechend harsch.

Arzt ohne Gewissen

Hier eine Zwischenfrage an den gut informierten Leser: Was fehlt da noch? Na? Richtig: Wer ein echter deutscher Arzt und Forscher ist, der braucht ein Serum. Lund hat ein solches entwickelt. Es unterdrückt die Abstoßungsreaktion des Körpers gegen das fremde Organ. Paolo weiß das nicht so genau, weil deutsche Ärzte Vertrauen von ihren Patienten verlangen und sie nicht dauernd informieren wollen (die Sängerin hat auch keine Ahnung, dass ihr Herz gegen ein besseres ausgetauscht werden soll). Der wie ein Gefangener gehaltene Italiener flieht ins nächste Dorf und stirbt, weil er ohne das Serum nicht lebensfähig ist. Und weil er offiziell längst tot ist, verschieden in der Uniklinik, werden der im Vermisstenfall Birke Sawatzki ermittelnde Kommissar Nobis und sein Assistent Pastor misstrauisch.

"Ich habe nichts gewusst"

Dr. Stein hat ein inniges Verhältnis zu seinen Hunden, wie der Führer (einer heißt Arco wie der Mörder von Kurt Eisner, den Sauerbruch im Film von Rolf Hansen operiert). Wolfgang Kieling gibt den Schurken mit gewohnter Brillanz, und weil Ewald Balser den Lund zwar mit mehr Haaren und etwas weniger jovial spielt, ansonsten aber ganz so, als sei er noch der untadelige Professor Sauerbruch, kann es nicht ohne Reibereien zwischen dem Bösen und dem Scheinheiligen abgehen. Nur durch das Herz von Birke, meint der Professor, könne man das wertvollere Leben der Sängerin noch retten, und darum müsse die unfreiwillige Spenderin eben sterben. Dr. Stein erwidert:

Ich stelle mit Vergnügen fest, dass Sie sich der Nazi-Ideologie nähern. Für eine ähnliche Einstellung bin ich von den Alliierten zum Tode verurteilt worden.

Lunds Antwort:

Sie vergessen einen kleinen Unterschied zwischen uns beiden: Ich rede mich auf keinen Befehl von oben heraus. Ich weiß genau, was ich tue, wenn ich das Mädel hier sterben lasse, aber ich weiß auch, dass ich eines Tages dafür zahlen werde.

Dem damaligen Publikum dürfte das bekannt vorgekommen sein. So spricht der Held im NS-Propagandafilm. Zum Wohl der Menschheit bringt er Opfer wie Dr. Heyt in Ich klage an, der seine leidende Frau mit Gift "erlöst" und sich dann der Justiz stellt, weil er gegen die bestehenden Gesetze verstoßen hat. Während Heyt zum Helden der Medizin und zum selbstlosen Kämpfer gegen antiquierte Gesetze erhöht wird, gehört Lund zum Personal eines Films, der entlarvt, was sich hinter solchem Pathos verbirgt: Menschenverachtung und die vom Professor in Abrede gestellte Nazi-Ideologie.

Lunds Assistentin Marianne ahnt, dass in diesem Schloss Dinge vorgehen, von denen sie nichts weiß. Oder zumindest sagt sie einen Satz, mit dem man in den 50ern reich geworden wäre, hätte man das Copyright auf ihn besessen: "Ich habe davon nichts gewusst." Bei der geplanten Herztransplantation verliert sie die Nerven. Dr. Westorp stellt fest, dass Birke Sawatzki nicht an einer Überdosis Schlafmittel gestorben ist, wie behauptet, sondern nur in eine Art Totenstarre versetzt wurde, damit er nichts merkt. Wer etwas merken wollte, sagt der Film, hätte das auch gekonnt.

Arzt ohne Gewissen

Dr. Westorp verhindert die Operation und nennt Lund einen Mörder. Dann klingelt die Polizei. Lund nimmt Gift, Dr. Stein ertrinkt auf der Flucht durchs Moor, und Lunds Verbrechen werden vertuscht, damit er als großer Mediziner beerdigt werden kann. Nach der Trauerfeier lässt sich Birke von den Burschenschaftern Feuer geben, was nicht wirklich beruhigend ist. Westorp und Dr. Marianne Cordt wollen Lunds Arbeit fortsetzen, "auch wenn wir einen anderen Weg gehen müssen". Aber zuvor will Westorp endlich mit Sabine Urlaub auf Mallorca machen. Die Verlobte hat sich extra einen Badeanzug gekauft, weil man ihren Bikini dort nicht gern sehen würde.

Arzt ohne Gewissen

Wie das? Mitten in Europa? Regieren da muslimische Fundamentalisten? Nicht wirklich. In Spanien, dem Urlaubsland von Westorp und Sabine, herrscht noch immer der faschistische, mit tätiger Mithilfe des NS-Regimes und seiner Luftwaffe zum Totengräber der Republik gewordene Diktator Franco. Man macht es sich zu einfach, wenn man dem Verlorenen und Arzt ohne Gewissen unterstellt, dass sie mit Horrorelementen, Serienmord und Prostitution nur Zuschauer anlocken wollten. Ob es den Tugendwächtern gefällt oder nicht: Wer in einen Film über die NS-Vergangenheit Dinge einbaut, die es im Dritten Reich offiziell nicht gab, weil es da angeblich so sauber und so ordentlich war, sendet sogar dann eine politische Botschaft, wenn er das gar nicht beabsichtigt. In Der Verlorene und Arzt ohne Gewissen finden sich ausreichend Signale, dass die Macher sehr überlegt vorgingen. Wenn man denkt, dass Arzt ohne Gewissen zum Skandalfilm wurde, weil zwei Mad Scientists an Affen, Gastarbeitern und Huren herumoperieren, weil sich Birke Sawatzki prostituiert, Sabine außerhalb von Francos Spanien einen Bikini trägt und Dr. Westorp Birke in die nackte Brust spritzt, um ihr Leben zu retten, ist einer Scheindebatte aufgesessen. Verhandelt wird die NS-Vergangenheit der deutschen Ärzteschaft nebst den Folgen für die Gegenwart.

Schmutziger Schund

Noch skandalöser war ein Arztfilm, der im Sommer 1959 anlief und den Evangelischen Filmbeobachter zu einer Attacke auf die FSK veranlasste, die "offenbar nicht im Stande ist, uns solch schmutzigen Schund zu ersparen". Geschaffen hatte den "schmutzigen Schund" einer, der die Nazizeit im Exil überlebt hatte wie Peter Lorre. Der in St. Petersburg geborene und als Verfolgter des Sowjet-Regimes nach Berlin übersiedelte Victor Trivas war ein Multitalent. Er war Architekt und Ausstatter beim Film, Bühnenbildner, gestaltete mehrere große Ausstellungen, arbeitete an Drehbüchern mit und inszenierte den auch ästhetisch sehr eindrucksvollen Antikriegsfilm Niemandsland (1931), für den er den Friedenspreis des Völkerbundes erhielt.

Wie für Robert Siodmak, Fritz Lang und viele andere Nazigegner führte auch für Victor Trivas der Weg ins Exil über Paris nach Amerika. In Frankreich drehte er mit Dans les rues (1933) einen in den 1980ern wiederentdeckten Film, den man unbedingt anschauen sollte, wenn sich die Gelegenheit ergibt: Der durch die Weltwirtschaftskrise in Not geratene Held lässt sich auf einen Überfall ein, wird erwischt und freigesprochen, weil sich die Gesellschaft zu ihrer Mitschuld an der aussichtslosen Lage junger Menschen bekennt. Dans les rues ist auch ästhetisch sehr interessant, aber das gilt für alle der leider sehr wenigen Filme, die Trivas selbst inszenieren konnte.

In Hollywood gelang es ihm nicht, eines seiner Regieprojekte zu realisieren, er entwickelte jedoch Exposés, schrieb wieder an Drehbüchern mit und dachte sich die Geschichte aus, aus der dann das für einen Oscar nominierte Buch zu Orson Welles’ The Stranger wurde (ein Nazi-Kriegsverbrecher nimmt eine falsche Identität an, versteckt sich in einer amerikanischen Kleinstadt und heiratet die Tochter eines Richters). Als Experte für alles Russische wirkte Trivas am Film Song of Russia (1944) mit, der den Hexenjägern vom Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten im Kalten Krieg als Beleg für die Behauptung diente, dass Hollywood kommunistisch unterwandert sei. Das mag ein Grund gewesen sein, weshalb Trivas Mitte der 1950er für einige Jahre nach Deutschland zurückkehrte. Im Land des Schnulzenkartells hatte man noch weniger Verwendung für ihn wie vorher für Peter Lorre. Anfang der 1960er ging er zurück in die USA. Wieder eine Chance für den an Seichtigkeit kaum zu unterbietenden deutschen Film jener Jahre vertan.

Über Trivas’ Zeit in der BRD ist wenig bekannt. Man braucht aber nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie das wohl gewesen ist: Russe, vielleicht ein Kommunist, in jedem Fall ein Linker, Verbindungen zur Avantgarde der Weimarer Republik, Nazigegner und dann noch einer von diesen zurückgekehrten Emigranten, die sich anmaßten, über das Dritte Reich zu befinden, obwohl sie davon - so das im Lauf der 50er immer offener ausgesprochene Ressentiment - nichts verstanden, weil sie nicht dageblieben waren, um sich umbringen zu lassen. So einer wurde von der etablierten deutschen Filmkultur gern mal ignoriert oder in eine Ecke gestellt. Und wer in einer Ecke steht, muss schauen, wer da vorbeikommt. In Trivas’ Fall war es der Produzent Wolfgang (Wolf C.) Hartwig.

Mit Eva Braun fing die Sünde an

Hartwig, Chef der in München ansässigen Rapid-Film, war ein Spezialist für Anrüchiges, das keiner gesehen haben will (Schulmädchen-Report, Teil 1-13). Bisher ist noch niemand als Produzent von Sexfilmen zur Welt gekommen. Meistens gibt es eine interessante Vorgeschichte. Als Soldat dreimal verwundet und alles andere als ein Freund der Nazis, arbeitete Hartwig nach dem Krieg als Volontär in einer Firma, die Märchenfilme verlieh. Dann borgte er sich 5000 Mark, machte sich selbstständig und brachte Tabu in deutsche Kinos, den letzten Film von Friedrich Wilhelm Murnau. Seine erste Eigenproduktion ist ein schönes Beispiel dafür, dass es in der BRD keine Zensur gibt, und schon gar keine politische. Das garantiert das Grundgesetz, Artikel 5: "Eine Zensur findet nicht statt."

Deshalb waren auch Abgesandte verschiedener Bundesministerien dabei, als die FSK Bis 5 nach 12 mehrfach begutachtete. Das Auswärtige Amt, das über ein halbes Jahrhundert brauchte, um sich der eigenen NS-Vergangenheit zu stellen, sah die Völkerverständigung und die europäische Einigung gefährdet, und ein Herr aus dem Innenministerium warnte davor, den Film zu zeigen, weil die Masse des deutschen Volkes für die Demokratie noch nicht reif sei. Dieser besonderen Art der Fürsorge und der Verteidigung der Demokratie durch Verbote und Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit erfreuen wir uns bis heute, wie der Umgang mit den "Vorbehaltsfilmen" zeigt.

Bis 5 nach 12

Bis 5 nach 12 - Adolf Hitler und das 3. Reich ist eine Montage von Wochenschau- und anderen Archivaufnahmen, versehen mit einem reichlich pathetischen Kommentar wie damals üblich. Am 6. November 1953 gab die FSK eine gekürzte Fassung des Films frei. Am 17. November teilte Bundeskanzler Adenauer bei einer Kabinettssitzung mit, dieser Film sei Nazipropaganda und wolle die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft torpedieren (ein Bündnis aus Frankreich, den Benelux-Staaten, Italien und der BRD, das 1954 am französischen Parlament scheiterte). Nach der Kölner Uraufführung am 20. November verfügte Bundesinnenminister Gerhard Schröder (nicht verwandt oder verschwägert mit dem Armani-, Hartz-IV- und Gazprom-Schröder unserer Tage) ein Verbot. Vorher hatte er die Zustimmung der eigentlich zuständigen Innenminister der Länder eingeholt.

Begründung: Der Film könne "in politisch nicht genügend erfahrenen Kreisen nazistische Bestrebungen" wiederbeleben "und dadurch den inneren Frieden in unserem Volke [...] zerstören". Das mit der Wiederbelebung nazistischer Bestrebungen ist ein Klassiker. Bis heute wird damit das Verbot von historischem Originalmaterial gerechtfertigt, von Hitlers Mein Kampf bis zu den Propagandafilmen des Dritten Reichs. Wenn wir sehen und lesen dürften, was unsere Vorfahren gesehen und gelesen haben, könnten wir dadurch zu Nazis werden. In mehr als 60 Jahren Demokratie hat sich an dieser Argumentation nichts geändert. Was sagt das eigentlich über uns aus? Und was denken diejenigen, die solche Verbote verfügen und aufrechterhalten, von uns? Erfüllt das nicht den Tatbestand der üblen Nachrede?

Bis 5 nach 12 war der erste Film, der in Westdeutschland bundesweit verboten wurde, wenn auch nicht sehr lange. Hamburg hob das Verbot am 27. November wieder auf, Bremen schloss sich an. Hartwig führte einen langwierigen Grundsatzprozess, an dessen Ende ihm bestätigt wurde, das Dritte Reich keineswegs verherrlicht zu haben, wie von Adenauer und einer ganzen Riege von Innenministern behauptet. Einen ersten Gerichtsbeschluss zu seinen Gunsten erreichte er bereits Anfang Dezember 1953. Am 9. Dezember zogen die Länderinnenminister ihr Verbot zurück, der Film durfte wieder gezeigt werden - allerdings nur in einer zensurierten Version. Dafür hatte man die FSK. Weil die Jugendschützer gern im Geheimen wirken und ihnen Transparenz ein Graus ist, weiß heute keiner mehr genau, was außer einer Rahmenhandlung mit Carola Höhn noch herausgeschnitten wurde.

Bis 5 nach 12

Bis 5 nach 12 gefährdete nach Meinung der Konservativen "den inneren Frieden in unserem Volke", weil da auch Leute neben Adolf Hitler zu sehen sind, die in der BRD schon wieder wichtig waren und von sich behaupteten, dass sie mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt hätten. Besonders ärgerlich waren Aufnahmen von Hitler und Generälen der Wehrmacht, die Adenauer für seine Wiederbewaffnungspläne brauchte. Einmal sieht man, wie Hitler den spanischen Diktator Franco vom Bahnhof abholt. Auf Adenauer muss das gewirkt haben wie ein rotes Tuch. Zu der Zeit bereitete er eine Annäherung an Franco vor, was im Jahr darauf, als die Kontakte öffentlich wurden, zu Irritationen und eiligen Dementis führte.

Bis 5 nach 12

Eine der derzeit zugänglichen DVD-Ausgaben des Films wirbt mit dem Spruch: "Von Konrad Adenauer verboten - endlich wieder freigegeben." Wer deshalb Sadomaso-Sex mit Eva Braun oder wüste Orgien in der SS-Ordensburg erwartet, macht sich besser auf eine Enttäuschung gefasst. Neben der eher abstrakten Erotik der Macht sind noch des Führers Geliebte und ihre Freundinnen im Badeanzug zu sehen, und der Führer mit Führers Hund. Aufnahmen von Eroberungskriegen, Auschwitz und Untergang werden mit "Hitler privat" kombiniert. Aus heutiger Sicht wirken Gerhard Grindel (Buch) und Richard von Schenk (Regie) wie die Vordenker von Guido Knopp, dem öffentlich-rechtlichen Verabreicher von NS-Geschichte im Brühwürfelformat. Sogar diese Bilder von Hitler und Gefolge auf der Aussichtsterrasse des Berghofs, mit denen Knopp uns seit Jahren quält, gibt es schon. Nur nicht in Farbe.

Bis 5 nach 12

Hartwigs weitere Karriere war vorgezeichnet, als er Christian-Jacques Film Lucrezia Borgia (1953, mit Martine Carol) verlieh. "Das war damals ein Skandal", so Hartwig später in einem Interview, "weil da bei einer Orgie mal ein Busen aus einem Kleid rutschte." Resultat: ein Kassenschlager. Danach produzierte Hartwig "Sittenfilme", weil es Sexfilme noch nicht geben durfte. Das Plakat zum ersten Spielfilm der Rapid - Liebe, wie die Frau sie wünscht (mit Barbara Rütting und Paul Dahlke) - verspricht eine Geschichte "um das ewige Problem der Liebe und Erotik", in Alle Sünden dieser Erde hat Barbara Rütting als Ärztin mit selbigen zu tun, und auch Mit Eva fing die Sünde an oder Sehnsucht hat mich verführt kommen mit gebremstem Schaum daher, waren jedoch für die prüden 50er sehr gewagt. Und ein paar Blicke auf nackte Haut waren immerhin garantiert. Vermutlich war das auch die Voraussetzung dafür, dass Hartwig einen Film finanzierte, den Victor Trivas nach seinem eigenen Drehbuch in Szene setzte: Des Satans nackte Sklavin, auch unter dem Verleihtitel Die Nackte und der Satan gelaufen.

Das Cabinet des Dr. Abel

Es war wohl so wie oft bei schnell und billig hergestellten Genrefilmen: Die Produktionsfirma verlangte einen reißerischen Titel, etwas Sex und Gewalt, und wenn der Regisseur dann noch das Mini-Budget einhielt, konnte er darüber hinaus machen, was er wollte. Wenn unter solchen Umständen ein paar gute Leute zusammenkamen, entstanden Filme, die viel lebendiger geblieben sind als das meiste von dem, was damals bejubelt wurde, weil es gefällig war und nichts riskierte. Trivas und Hartwig hatten eine glückliche Hand.

Georg Krause war einer der besten Kameramänner, die man damals in Deutschland engagieren konnte. Er hatte vorher Robert Siodmaks Nachts, wenn der Teufel kam und Stanley Kubricks Paths of Glory photographiert, war vielseitig und lieferte Trivas Bilder, die mal vom Expressionismus beeinflusst sind, mal vom Bauhaus oder der Neuen Sachlichkeit. Die Mischung verschiedener Stilrichtungen ist nicht etwa künstlerisches Unvermögen, sondern Trivas’ Markenzeichen. Als zwischen mehreren Kulturen stehender Emigrant macht er so eine aus den Fugen geratene Welt spürbar. Das deutsche Unterhaltungskino der 1950er steht inhaltlich wie ästhetisch in der Tradition des angeblich unpolitischen Teils des NS-Films. Des Satans nackte Sklavin demonstriert (wie vorher schon Der Verlorene), wie man dazu auf Distanz bleibt.

Willy Mattes, Vater von Eva Mattes und sonst eher durch Kompositionen für Vico Torriani auffällig ("Tausend Mandolinen"), schrieb eine jazzige, in den gelungensten Momenten mit akustischen Verzerrungen arbeitende Musik. Für das Szenenbild verantwortlich waren Bruno Monden (Die Mörder sind unter uns) und Hermann Warm, der schon mit Murnau (Phantom, Schloss Vogelöd) und Lang (Die Spinnen, Der müde Tod) zusammengearbeitet hatte und einer der Schöpfer von Das Cabinet des Dr. Caligari war. Da kaum Geld zur Verfügung stand, konzentrierten sich Warm, Monden und Trivas auf einige visuelle Ausrufezeichen, die besonders gut zur Geltung kommen, weil der Rest der Ausstattung extrem karg und auf das Nötigste reduziert ist. So oder so ähnlich hätte es wahrscheinlich auch Edgar G. Ulmer gemacht, der Experte für Geld durch Inspiration ersetzende No-Budget-Produktionen.

Des Satans nackte Sklavin beginnt mit mehreren Zitaten. Auf das Namensschild von Prof. Dr. Abel fällt der Schatten eines Mannes mit Hut wie der des Kindsmörders in Fritz Langs M auf die Litfasssäule. Diesmal ist es nicht der Schatten von Peter Lorre, sondern der von Horst Frank, der hier eine seiner gruseligsten Schurkenrollen spielt. Durch den Park um Abels Haus kommt eine buckelige Krankenschwester des Wegs, als wären wir in einem Universal-Horrorfilm der 1940er gelandet, in House of Frankenstein oder House of Dracula. Der Mann mit Hut und bleichem Gesicht hat sich hinter einem Strauch ohne Blätter postiert, und wenn nun ein Kameraschwenk die beiden Herren auf der Parkbank zeigen würde, von denen der eine dem anderen erzählt, was er mit Dr. Caligari und Cesare dem Somnambulen erlebt hat, würde man sich nicht wundern.

Des Satans nackte Sklavin

Schwester Irene klingelt an der Tür und betritt dann ein Haus, dessen Innenarchitektur man angesichts der durchschnittlich wirkenden Fassade so nicht erwartet hätte. Hier könnte jederzeit der Satanist Hjalmar Poelzig (Boris Karloff) um die Ecke kommen, der in Ulmers The Black Cat (1934) ein über den Ruinen einer im Ersten Weltkrieg zerstörten Festung errichtetes Gebäude im Bauhausstil bewohnt und dort tote Frauen in Vitrinen aufbewahrt. Trivas macht hier deutlich, in welcher ästhetischen Tradition er seinen Film gesehen haben will (Ulmers Satanist ist nach dem Architekten Hans Poelzig benannt, einem Vertreter des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit, von dem auch die Bauten in Der Golem, wie er in die Welt kam stammen), und zugleich transportiert das Zitat einen seiner ironischen Selbstverweise.

Des Satans nackte Sklavin

In The Black Cat will sich Vitus Werdegast (Bela Lugosi) an Poelzig dafür rächen, dass er seine Frau verloren hat und viele Jahre in russischer Gefangenschaft verbringen musste. Ich habe viele Jahre im amerikanischen Exil zugebracht, sagt der in Russland geborene Victor Trivas mit diesem Anfang seines Films, aber jetzt bin ich wieder da, und ich bin keineswegs ein Fremder, auch wenn das Heimkehrern wie mir gern unterstellt wird und inzwischen vieles anders aussieht als früher. Sein Pech war nur, dass er so wie Peter Lorre ein Publikum gebraucht hätte, das es in Deutschland kaum mehr gab. Dem Genre des phantastischen Films, in dem er arbeitete und dem das deutsche Kino einige seiner Meisterwerke verdankt, hatten die Nazis den Garaus gemacht, weil es ihnen zu subversiv gewesen war.

Zwischen Kopf und Drüse

Schwester Irene ist mit Dr. Walter Burke verwandt, einem Multitalent wie Victor Trivas. Burke hat Professor Abels Haus umgebaut, assistiert ihm als Chirurg bei seinen Experimenten und ist verzweifelt, weil diese "gewisse Grenzen überschreiten". Irene dagegen hofft, dass der Professor sie von ihrem Buckel befreien wird. Im Hintergrund belauscht der bleiche Mann die Szene durch ein Fenster, als sei er wirklich Cesare der Somnambule. Als Irene gegangen ist, stellt er sich Professor Abel als der von Professor Hartmann empfohlene Dr. Ood vor. Ist das der Namensgeber des Hartmannbundes, oder vielleicht Paul Hartmann, der Darsteller des Stoffwechselforschers und Euthanasiearztes in Ich klage an? Und gibt es überhaupt einen Grund, an die Nazis zu denken, wenn sich Dr. Ood dem Forscherteam um Professor Abel anschließt?

Des Satans nackte Sklavin

Ja doch, gibt es. Abel, gespielt von der französischen Kinolegende Michel Simon, interessiert sich vor allem für "die Verpflanzung gesunder Organe als ein Ersatz für kranke". Die Konservierung ist da natürlich ein Problem. "Wir bauen unsere ganzen Versuche im Wesentlichen auf der Unterkühlung der Temperatur des Lebewesens auf", berichtet Dr. Burke. Da sind sie wieder, die Unterkühlungsexperimente aus dem KZ. Von ihnen konnte damals jeder wissen, der es wissen wollte, weil sie im Nürnberger Ärzteprozess zur Sprache gekommen waren. In Fachkreisen gibt es bis heute eine periodisch wiederkehrende Debatte darüber, ob die Protokolle der NS-Ärzte wissenschaftlichen Anforderungen genügen und ob es ethisch vertretbar wäre, sie auszuwerten, wenn dadurch Menschenleben zu retten wären. Interessanterweise redet der durch andere Experimente sehr erschreckte Dr. Burke so, als seien Unterkühlungsversuche das Normalste von der Welt. Was dieser Herr wohl im Krieg gemacht hat?

Des Satans nackte Sklavin

Dr. Ood sagt, er selbst sei als Säugling auf einem Rettungsboot im Mittelmeer gefunden und nach dem untergegangenen Schiff benannt worden, er wisse nichts von seiner Herkunft. Später wird sich herausstellen, dass er eine Gesichtsoperation hinter sich hat und früher Brandt hieß. Damit könnte Günther Brandt gemeint sein, nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied der rechtsextremen Marine-Brigade Ehrhardt, im Dritten Reich Abteilungsleiter im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und zum SS-Obersturmbannführer aufgestiegen wie Dr. Stein in Arzt ohne Gewissen. Nach 1945 verdiente er sein Geld als Facharzt für Innere Medizin. Oder sollte Karl Brandt, Hitlers "Begleitarzt", NS-Euthanasiebeauftragter und beim Ärzteprozess in Nürnberg zum Tode verurteilt, dem Henker entkommen sein wie Peter Cushing in The Revenge of Frankenstein (Cushing nennt sich übrigens "Dr. Stein", als er unter falscher Identität ein Krankenhaus eröffnet)?

Vom ominösen Professor Hartmann werden wir noch erfahren, dass er Brandt alias Ood eine Drüsenbehandlung zuteil werden ließ und seinen Schüler dadurch, dessen Überzeugung nach, zum genialen Übermenschen gemacht hat. An Professor Sauerbruch und die Nebenschilddrüse von Heidemarie Hatheyer wollen wir hier nicht denken. Angespielt wird auf die Drüsenexperimente von Nazi-Ärzten wie Dr. Horst Schuhmann, der bei seinen Sterilisationsversuchen in Auschwitz die Keimdrüsen jüdischer Männer 15 Minuten lang mit Röntgenstrahlen behandelte und einige Wochen später eine unbekannte Zahl von Opfern kastrierte, um die Wirkung unter dem Mikroskop studieren zu können. Dr. Schuhmann hätte wahrscheinlich bis zu seiner Pensionierung als Knappschaftsarzt im Ruhrgebiet gearbeitet, wenn er nicht 1951 einen Jagdschein und das dafür notwendige polizeiliche Führungszeugnis beantragt hätte. Dabei kam heraus, dass er von der Staatsanwaltschaft Tübingen gesucht wurde. Schuhmann floh ins Ausland und arbeitete vorübergehend auch als Schiffsarzt (womöglich auf der Ood?).

Der Däne Carl Værnet, SS-Obersturmbannführer im KZ Buchenwald, stellte im Auftrag der Deutschen Heilmittel GmbH (eine Firma der SS) eine künstliche männliche Sexualdrüse her und implantierte sie schwulen KZ-Häftlingen, um zu beweisen, dass die Homosexualität "heilbar" sei. Auch das konnte jeder wissen, der es wissen wollte (zum Beispiel durch die Lektüre von Eugen Kogons Der SS-Staat, wo auch Dr. Schuhmann erwähnt wird). Das und vieles mehr ist wirklich so passiert und entstammt nicht der überhitzten Phantasie eines Drehbuchschreibers. Das sollte man berücksichtigen, bevor man über Die Nackte und der Satan die Nase rümpft.

Wie in einem Film von Victor Trivas nicht anders zu erwarten, gibt es auch eine Verbindung zu den Russen. Professor Abel hat einem Hund den Kopf abgeschnitten und diesen vier Monate lang am Leben erhalten. Das hätten die Russen vor ihm auch schon geschafft, meint er und denkt da wohl an Sergei Brukhonenko und Sergei Tchetchulin, die den Kopf ihres Versuchshundes in einem Moskauer Labor mit einer primitiven, von ihnen entwickelten Herz-Lungen-Maschine verbanden und noch Wochen später so etwas wie Leben feststellen konnten. Zu diesen Experimenten gibt es einen Film. Ebenfalls in Moskau tätig war der Chirurg Wladimir Petrowitsch Demichow, ein Pionier der Transplantationsmedizin, dem Christian Barnaard viel verdankte. Seine Spezialität war das Verpflanzen von Tierköpfen. Im Januar 1959 trat er in Leipzig und in der Charité in Ostberlin auf und demonstrierte, wie man den Kopf und die Vorderpfoten eines jungen Hundes auf den Körper eines größeren Artgenossen verpflanzt. Horrorfilme sind oft dokumentarischer, als man so denkt.

Burgfräulein im Tam-Tam

Selbstverständlich hat Professor Abel auch ein Serum erfunden, das "Serum Z": eine Art Fruchtwasser, in dem er die Organe für seine Experimente lebendig hält. Herzkrank ist diesmal keine schöne Sängerin, sondern der Professor selbst. Als Spender wurde bereits ein unrettbar verlorenes Unfallopfer angeliefert, das aber zu früh stirbt. In dieser Notlage zeigt sich, dass Dr. Ood ein Mann der Tat ist. Weil er für Abels Körper nichts mehr tun kann, schneidet er kurzerhand den Kopf ab. Vorher muss er noch Dr. Burke erschlagen, der das Experiment verhindern will. Über Schläuche mit Apparaten und Serum Z verbunden, ist Abel jetzt ganz Kopfmensch, die Personifizierung von Kants kategorischem Imperativ. Selbst zum hilflosen Versuchstier geworden, steckt der Professor - oder das, was noch von ihm übrig ist - in der Halterung, die er für den abgeschnittenen Hundekopf gebaut hat. Da kann er über seine Experimente und das Berufsethos des Arztes nachdenken, während Dr. Ood weiter forscht und operiert. Trivas nennt irgendeinen Grund, warum der Kopf am Leben erhalten werden muss, doch eigentlich interessiert das nicht. Die Moral von der Geschicht’: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.

Des Satans nackte Sklavin

Die Drüsenexperimente der Nazi-Ärzte hatten eine starke sexuelle Komponente. Das scheint auch auf das zuzutreffen, was Professor Hartmann mit den Drüsen von Dr. Ood gemacht hat, denn der ist regelmäßiger Gast in der Striptease-Bar "Tam-Tam". Da ist die von Hartwig entdeckte und mit der Rapid-Produktion Ein Toter hing im Netz nun bald zum "Busenstar" des deutschen Films aufsteigende Barbara Valentin als Animierdame tätig, und Christiane Maybach legt die Kleider ab. Maybach, die später bei Fassbinder spielte wie Barbara Valentin, wurde als "deutsche Marilyn Monroe" gehandelt und war im Jahr davor in einer Bühnenversion von Das verflixte siebte Jahr an der Seite von Heinz Rühmann aufgetreten. Trivas machte gern Gebrauch von solchen Möglichkeiten, an das anzuknüpfen, was als gediegene Unterhaltung galt. Umso entschlossener erklärten die Kritiker seinen Vergangenheitsbewältigungs-Arzt-Horror-Sexfilm zum indiskutablen Schund.

Des Satans nackte Sklavin

Heinz Rühmanns Traumfrau ist in der Bar "Tam-Tam" als Burgfräulein zu bewundern, und weil sie ihr Kostüm nicht ganz ausziehen durfte, stellt der Titel der Nummer klar, dass sie nichts anhat: "Die Nackte und der Satan". Der Satan steckt in einer Ritterrüstung, die das Burgfräulein durch ihren Tanz zum Leben erweckt. Gar nicht begeistert ist ihr Freund Paul Lerner (Dieter Eppler, in Harald Reinls Remake der Nibelungen bald selbst ein Ritter). Paul, ein verkrachter Jurastudent und der Sohn von Stadtrat Lerner, will lieber Bildhauer als Jurist sein. Seine Freundin ist auch sein Aktmodell, und er mag es gar nicht, wenn diese sich auch vor anderen Männern auszieht. Das ist eine Anspielung auf die Karriere des Produzenten Hartwig, der nach dem Abitur Jura studierte und zugleich die Erinnerung daran, wie eng die bürgerliche Wohlanständigkeit und die Verderbtheit beieinander liegen.

Des Satans nackte Sklavin

Lilly (Karin Kernke), die "Super Sex Attraction" des Tam-Tam, hieß früher Stella, musste nach einem Giftmord untertauchen und erhielt von Ood ein neues Gesicht, als er noch Dr. Brandt war. Trotzdem ist Ood mit dem, was er geschaffen hat, nicht zufrieden. Er begehrt Lillys Körper, aber den Kopf der buckeligen Krankenschwester Irene findet er besser als den der Stripperin. Also bastelt er sich die ideale Frau, und das immerhin sieben Jahre, bevor Peter Cushing in Frankenstein Created Woman das Playmate Susan Denberg zusammensetzt. Die neue Irene gefällt auch Paul dem Bildhauer, der mit geschultem Auge alsbald den Körper von Lilly wiedererkennt.

Des Satans nackte Sklavin

Und weil das Böse am Schluss bestraft werden muss, wird an dieser Stelle Kriminalkommissar Sturm ins Spiel gebracht - in der Gestalt von Paul Dahlke, den man vorher als Lehrer Justus in Das fliegende Klassenzimmer gesehen hatte. Dass sich ein renommierter Darsteller wie er für so etwas hergab, sorgte für Empörung. Es wurde als Beleg für die korrumpierende Wirkung solcher Schundfilme genommen. Ob den Herren Kritikern, die sich damals erregten, noch bewusst war, dass Goebbels Dahlke 1937 den Ehrentitel eines "Staatsschauspielers" verliehen hatte, für seine Verdienste um die Kunst (= Propaganda)? Oder hatten sie das schon verdrängt? Bei Trivas klärt der NS-Staatsschauspieler Verbrechen auf, deren Anfänge in der NS-Zeit liegen. Das ist eine der vielen Ironien in diesem Film.

Im Dämmerschlaf

Eine der unheimlichsten Szenen ist die, in der Dr. Ood mit seiner von ihm geschaffenen Geliebten ins Bett geht. Zuerst denkt man, dass er sie gleich vergewaltigen wird, aber dann gibt sie sich ihm hin, und das ist noch schlimmer. Für mich ist das der Versuch, die Beziehung der Deutschen zum Nationalsozialismus zu zeigen. Oder ist das überinterpretiert? Kann, darf man einen Film wie Des Satans nackte Sklavin als Parabel auf die NS-Zeit und deren Nachwirken in der BRD deuten? Warum nicht? Der Horrorfilm (siehe Das Cabinet des Dr. Caligari) war schon immer das Genre, das wegen des (scheinbar) fehlenden Realitätsbezugs Themen aufgreifen konnte, die für die besser gelittenen Bereiche der Kinematographie ein Tabu waren. Und wie tabuisiert das Thema Nationalsozialismus war, hatte Hartwig mit Bis 5 nach 12 erfahren.

Des Satans nackte Sklavin

Die Ausnahme waren Beruhigungspillen wie Canaris oder Des Teufels General (beide 1955). Mit Admiral Canaris und dem Fliegerhelden Ernst Udet alias General Harras griff man sich zwei Männer heraus, deren Biographien mit relativ geringem Aufwand zu bereinigen waren, stellvertretend für viele andere. Die Dinge am besten auf den Punkt bringt wieder, polemisch zugespitzt, der schmerzlich vermisste Joe Hembus. Es herrschte, schreibt er in Der deutsche Film kann gar nicht besser sein (erschienen 1961 und weiterhin sehr lesenswert)

die grenzenlose Bereitwilligkeit, dem Publikum etwas Gutes anzutun. Der Zuschauer, der erwachsene, lehnt sich im Kinosessel zurück. Er erkennt aufatmend, daß hier sein eigener Freispruch zelebriert wird: er war damals ein ohnmächtiges Werkzeug, ein Opfer, ein getretenes Frontschwein. Er sieht, daß es auch aufrechte Kerle gab, die ihren Mann standen, schmucke Helden, die schon wußten, was gespielt wird, und gar manchen Widerstandskämpfer.

Vorgemacht hatten es die Amerikaner mit dem Film The Desert Fox (1951), der bei uns als Rommel, der Wüstenfuchs lief. Da wird sogar schon Graf Stauffenberg aufgeboten (gespielt von Eduard Franz, der sonst gern als Russe, Araber oder Indianerhäuptling besetzt wurde), um die Wandlung des von James Mason verkörperten Generalfeldmarschalls zum Hitler-Gegner zu zelebrieren. Die sehr positive Sicht auf den "Wüstenfuchs" ist nicht zuletzt dem Kalten Krieg geschuldet, der es politisch opportun erscheinen ließ, die ehemaligen Gegner von der Wehrmacht im Schnellverfahren zu rehabilitieren, weil die Westdeutschen zur Abwehr der kommunistischen Gefahr gebraucht wurden. Wie lange so etwas nachwirkt, kann man an dem heftigen Streit sehen, der schon jetzt, ein Jahr vor der Ausstrahlung, um den neuen Rommel-Film der ARD tobt. Nicht bei jedem der Kombattanten, die derzeit die "historische Wahrheit" einfordern, bin ich mir sicher, ob damit Erwin Rommel gemeint ist oder doch James Mason.

Victor Trivas hatte mit einer Entnazifizierung nichts im Sinn, und schon deshalb musste es ein Horrorfilm sein. Zwischen dem Kopf von Professor Abel und Dr. Ood gibt es einen interessanten Dialog. "Ich habe Sie eine zeitlang im Dämmerschlaf gehalten", sagt der Doktor. "Schon wieder Sie, Ood?" erwidert ein langsam zu sich kommender Abel. "Es war also kein Traum." Darauf Dr. Ood: "Schildern Sie die Empfindungen Ihrer neuen Lebensform. Ich will sie wissenschaftlich auswerten." So stelle ich mir Leute wie die NS-Drüsenforscher Schuhmann und Værnet vor, oder Dr. Sigmund Rascher, der in Dachau Unterkühlungsexperimente machte und sich zum Herrn über Tod und Leben aufschwang. "Das Experiment ist beendet, Sie können jetzt sterben", sagt Dr. Ood einmal. Das könnte auch von Dr. Rascher sein.

Mit dem "Dämmerschlaf" ist nicht das Zwölfjährige Reich gemeint (Hypnose verführter und wehrloser Menschen durch den Propagandaapparat des Dr. Goebbels), sondern die Nachkriegszeit, bei der man höchstens von einer kollektiven Selbsthypnose mit dem Ziel des rascheren Vergessens sprechen kann. Statt sich klar abzugrenzen, führt der sich als Humanist gebende Professor Abel auf den Versuchen der KZ-Ärzte aufbauende Experimente durch. Dann wacht er auf, stellt fest, dass ihm der Kopf abgeschnitten wurde und sieht sich einem Überlebenden des Dritten Reichs gegenüber - einem, der sein Aussehen verändert hat, aber noch genauso denkt wie früher. Das, sagt der Film, ist eine realistische Zustandsbeschreibung - kein Traum und keine Horrorvision. Die phantastischen Paraphernalien sind nur das Vehikel, mit dem die Botschaft transportiert wird.

Ein ganz eigenartiges Gefühl

"Ich habe ein ganz eigenartiges Gefühl", meint Inge, als sie nach der Operation aus einer langen Narkose erwacht, "… als … als ob mein Körper nicht mir gehört … als ob er mir gar nicht mehr richtig gehorchen würde." Dr. Oods Antwort kann nicht wirklich beruhigen: "Sie haben eine große Verwandlung durchgemacht. Ihre Drüsen sind regeneriert worden. 117 Tage waren Sie im Zustand eines Dämmerschlafs." Und jetzt? Wie geht es weiter, nachdem Inge aus der Narkose erwacht ist wie vor ihr Professor Abel? Beide wissen nach dem Dämmerschlaf, dass Ood alias Dr. Brandt ein Mörder ist. Einen starken Todestrieb hat er auch. Als er erkennen muss, dass sein Projekt gescheitert ist, zündet er das Haus an, in dem er es verwirklichen wollte. Das kommt einem irgendwie bekannt vor.

Des Satans nackte Sklavin

Zurück bleibt die neue Irene, Dr. Oods Geschöpf. In einem anderen Film würde sie mit ihm sterben, hier aber nicht, weil das zu einfach wäre. Irene, das aus zwei Frauen zusammengesetzte Wesen, hat mit einer Persönlichkeitsspaltung zu kämpfen. "Was ist überhaupt meine Vergangenheit", fragt sie, "die meines Körpers oder die meines Kopfes?" Damit steht sie sinnbildlich für die Deutschen der ausgehenden Adenauer-Zeit. Als sie im Labor erwacht, zündet ihr Dr. Ood eine Zigarette an. Für den Kopf der Krankenschwester ist es die erste Zigarette ihres Lebens; für den Körper der Striptease-Tänzerin Lilly ist es eine von vielen. Später, daheim in ihrem Zimmer, bewundern die Augen der einst buckeligen Frau das Spiegelbild ihres neuen Körpers. Irene hat jetzt schöne Beine und kleine Füße, für die die alten, klobigen Schuhe viel zu groß sind.

Des Satans nackte Sklavin

Aber ist das möglich? Kann man ein gänzlich neuer Mensch werden, die Vergangenheit abschütteln, als ob es sie nie gegeben hätte, wie das viele Deutsche in den 1950ern mit der Nazi-Vergangenheit versuchten? Die Antwort des Films ist eindeutig: Wer heute und morgen leben will, ohne das Gestern zu wiederholen, kann das nur tun, wenn er weiß, was damals war und sich dem stellt. Als im Tam-Tam plötzlich Dr. Ood vor ihr steht, hat Lilly nicht umsonst das Gefühl, dass die Vergangenheit lebendig geworden ist, auch wenn der Mann jetzt anders aussieht als früher, als er noch Dr. Brandt war.

Einmal sagt Ood, der Wiedergänger aus dem Dritten Reich, dass Irenes Kopf ihm noch widerstehe. Er sei neugierig, ob der Leib am Ende nicht doch ihre Seele beeinflussen werde. Um dem zu begegnen, verordnet ihr der Film eine starke Dosis Wahrheit über ihre Vergangenheit. Des Satans nackte Sklavin, dieser vom Unzuchts-Impressario Rolf C. Hartwig produzierte Schundfilm mit halbnackten Frauen, spricht sich ironischerweise dafür aus, auf den Kopf zu vertrauen. So endet Des Satans nackte Sklavin mit einer Botschaft, die überraschend moralisch ist. Es kommt darauf an, zu erzählen, was passiert ist, weil es sonst - mit anderem Gesicht - weitergehen wird. Und wenn man es nur mit verrückten Wissenschaftlern, abgeschnittenen Köpfen und Stripperinnen erzählen kann, muss es eben so sein.

Dankenswerterweise sind Der Verlorene, Arzt ohne Gewissen und Des Satans nackte Sklavin (als Die Nackte und der Satan) auf DVD erschienen. Zum Verlorenen gibt es eine Bonus-Disc mit einem Making of von Robert Fischer und Harun Farockis Doku Peter Lorre - Das doppelte Gesicht. So etwas hätte man sich auch für Arzt ohne Gewissen und die (arg flau ausgefallene) Sklavin gewünscht. Keine Informationen sind allerdings immer noch besser als das, was einem auf der Sauerbruch-DVD angeboten wird (der Geheimrat fand Hitler zwar irgendwann mal gut, aber eigentlich war er ein Widerstandskämpfer, und dazu singt ein Knabenchor). Die Romanfassung von Der Verlorene ist 1996 im Verlag belleville erschienen und dort noch vorrätig. Wer gerne mal Nachtwache, Dr. Holl oder Das letzte Rezept sehen würde und nicht noch ein altes Video besitzt, hat Pech gehabt wie so oft. Deshalb hier mein Neujahrswunsch an die Murnau-Stiftung: Die Rechteinhaber kontaktieren und Wolfgang Liebeneiners Euthanasie-Film Ich klage an in einer DVD-Box mit deutschen Arzt-Melos der 1940er und 1950er veröffentlichen. Da würde man eine Menge über das Dritte Reich lernen und darüber, wie es danach weiterging. Warum dadurch jemand zum Nazi werden sollte, ist mir ein Rätsel. Aber vielleicht bin ich zu dumm. Diese Möglichkeit muss man immer berücksichtigen. Andererseits: Vielleicht sind wir, das Publikum, fast 70 Jahre nach Hitlers Untergang doch klüger, als es die Verwalter unserer braunen Film-Vergangenheit erlauben wollen.

Im Filmmuseum München findet vom 16. bis zum 18. März 2012 in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und dem Bundesarchiv das Link auf ./36115_1.pdf "Vom Umgang mit NS-Filmen" statt. Bei der Diskussion am Samstagabend spricht auch Hans Schmid.

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