Deutsch-Mittelost

Seite 3: Beispiel Ungarn

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In Ungarn scheint die Diskrepanz zwischen einem unterentwickelten heimischen Wirtschaftssektor und der westlichen Exportindustrie besonders krass hervorzutreten: In dem krisengeplagten Land sollen laut dem Finanzdienstleister Opten nur 14 Betriebe mit Jahreseinnahmen von mehr als 70,1 Millionen Euro (500 Millionen Forint) existieren, die sich ausschließlich im Besitz ungarischer Staatsbürger befinden. Zugleich konnte Ungarn Ende 2010 milliardenschwere Investitionen deutscher Konzerne verbuchen. In Ungarn arbeiten inzwischen 150.000 Menschen allein an den verlängerten Werkbänken deutscher Konzerne.

Zudem konnten gerade aufgrund der globalen Krisendynamik neue Investitionen in Produktionsstandorte der Autoindustrie angelockt werden, die weit über bloße Montagetätigkeiten hinausgehen. Bereits im Herbst vergangenen Jahres kündigten mehrere Fahrzeughersteller an, ihre Produktionskapazitäten in Ungarn massiv auszubauen. So wird Opel an die 500 Millionen Euro in den Ausbau seines Motorenwerks in südungarn Investieren. Daimler wiederum treibt den Aufbau einer gänzlich neuen Fabrik zur Herstellung der A-Klasse voran. Auch bei dem ungarischen Audi-Werk in Györ tritt neben der reinen Montagetätigkeit die Einführung komplexer Produktionsabläufe.

Die Audi-Fabrik in Györ ist vor allem wichtig als Standort für die Motorenfertigung im gesamten VW-Konzern. Zusätzlich werden in Györ auch die Audi Modelle TT und das A3 Cabrio zusammengesetzt. Mit seinen 5 600 Beschäftigten ist Audi Hungaria im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von knapp vier Mrd. Euro gekommen. Die Autos werden in Györ bislang aber nur montiert. Die Fahrzeugteile kommen aus den deutschen Audi-Werken fertig nach Ungarn. Die Fabrik wird jetzt zu einer kompletten Produktionsstätte aufgerüstet, in der die Autos nicht nur zusammengesetzt werden, sondern wo die Fahrzeuge den ganzen Fertigungsprozess von Grund auf durchlaufen. Dazu gehört etwa, dass Györ eine eigene Lackiererei bekommen wird.

Handelsblatt

Diese erreichte Fertigungstiefe des ungarischen Automobilclusters, die im Aufbau nahezu vollständiger Produktionsketten gipfelt, geht klar über das beschränkte Konzept einer auf arbeitsintensive Fertigungsschritte abgestimmten "verlängerten Werkbank" hinaus. Ähnlich verhält es sich mit der westlichen Automobilindustrie in Tschechien oder der Slowakei, wo ebenfalls ganze Wertschöpfungsketten von Automobilkonzernen aufgebaut wurden, ohne dass die Überreste der tschechischen oder slowakischen Industrie im nennenswerten Umfang einen Technologietransfer initiieren konnten.

Diese "abgekapselte", dennoch tief greifende ökonomische Durchdringung durch westliches Kapital erstreckt sich in Ungarn auch auf den Bildungssektor: Inzwischen gehen deutsche Konzerne dazu über, in enger Koordination mit den ungarischen Bildungseinrichtungen – hier vor allem mit den Hochschulen - ganze Forschungsabteilungen aufzubauen. Bosch stampfte bereits vor fünf Jahren in Budapest ein Forschungs- und Entwicklungszentrum aus dem Boden, in dem 500 Ingenieure Beschäftigung finden und das seit Kurzem weiter ausgebaut wird. Der Bosch-Konzern initiierte auch eine enge Kooperation mit sechs ungarischen Fachhochschulen und Universitäten, in deren Rahmen etwa technische Wettbewerbe und Informationsveranstaltungen organisiertund auch Lehrpläne abgestimmt werden. Am so genannten "Bosch-Tag" wirbt der Konzern offen an Ungarns Hochschulen für sich.

Autos, Einzelhandel, Energie

Wie dominant der deutsche Fahrzeugbau in Mittelosteuropa inzwischen ist, lässt sich auch an der Liste der 10 größten Konzerne in Mittelosteuropa ersehen. Die Tochtergesellschaften deutscher Autobauer konnten in diesem Ranking drei Plätze belegen: Skoda-Auto kommt hier auf Platz drei, Volkswagen Slowakia auf Platz sechs, Audi Ungarn auf Platz sieben. Starke Positionen konnte auch die Deutsche Telekom in der Region erringen, die in Ungarn den Größten Telekommunikationsanbieter Magyar Telekom kontrolliert. Vor Kurzem übernahm die Deutsche Telekom weitere zehn Prozent an dem griechischen Telekommunikationsunternehmen OTE, womit der deutsche Aktienanteil an OTE auf 40 Prozent erhöht wurde. OTE besitzt aber auch eine sehr starke Position in Südosteuropa, wo der griechische Konzern die Mehrheit an der rumänischen RomTelecom hält und an dem Mobilfunkmarkt in Serbien, Bulgarien, Albanien und Mazedonien beteiligt ist.

Im Energiesektor haben die deutschen Konzerne RWE und E.ON etliche spektakuläre Übernahmen absolviert. So erwarb RWE den größten tschechischen Gasversorger, während E.ON den größten Gashändler Ungarns kontrolliert.

Einen weiteren Schwerpunkt deutschen Engagements in Mittelosteuropa bildet der Einzelhandel. Hier ein Beispiel aus Polen: Mit einem Umsatz von mehr als Milliarden Euro bildet etwa die Metro-Gruppe-Polska den führenden Einzelhandelskonzern Polens. Somit ist Otto Beisheim, der ein ehemaliges Mitglied der Leibstandarte Adolf Hitler gewesen sein soll, einer der größten privaten "Arbeitgeber" Polens, für den knapp 24.000 der bis 1945 als "Untermenschen" titulierten Polen schuften dürfen.