Deutsche Bahn: Kernkompetenz Unzuverlässigkeit

Unvermieteter Verfall bei der DB. Bild: Timo Rieg

Zufriedene Reisende sind allenfalls ein Randaspekt im DB-Businessplan

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Der Wechsel auf den neuen Fahrplan am 9. Dezember (Teil 1) war bereits von schlechter Presse flankiert. Wenige Tage zuvor hatte der Bundesrechnungshof sehr deutlich Kritik an der bundeseigenen Deutschen Bahn AG geübt. "Die Eisenbahninfrastruktur wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren. Sie ist in einem schlechten Zustand, der Investitionsstau wächst. Bei ihrem Erhalt läuft vieles schief. Wie die Tochtergesellschaften der DB AG die Milliardenzuschüsse des Bundes für den Erhalt der Bahninfrastruktur einsetzen, weiß das Bundesverkehrsministerium nicht. Ändern will es daran derzeit nichts", ließ Rechnungshof-Präsident Kay Scheller verlauten.

Am Tag nach dem Fahrplanwechsel rief die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zum Warnstreik auf, am Morgen lag der Fernverkehr still, Züge mussten mit ihren Fahrgästen mehrere Stunden irgendwo warten, bis etwa die Mitarbeiter der Stellwerke ihre Arbeit wieder aufnahmen. Streik - eigentlich eine ganz normale Sache bei Verhandlungen zwischen Arbeitskraftgebern und Arbeitskraftnehmern, doch bei der Bahn stets die Lunte am Pulverfass.

Als Bürger - ob nun Kunden oder nur Steuerfinanziers - müssen wir "die Bahn" nicht verstehen, das Bemühen darum wäre wohl auch eine Lebensaufgabe, schließlich verstehen zahlreiche DB-Beschäftigte bekennendermaßen ihren Laden selber nicht. Weil der Schienenverkehr mit Personen wie Gütern auch eine öffentliche Aufgabe ist, die politisch gesteuert und in wichtigen Teilen auch finanziert wird, dürfen sich die Bürger damit begnügen, die Resultate zu würdigen. In einer Demokratie sollte öffentliche Meinungs- und Willensbildung letztlich auch in Politik münden - nur deshalb befassen sich u.a. die Medien mit Bahnthemen.

Dennoch kann es hilfreich sein, sich den Status quo in aller Kürze zu vergegenwärtigen: Die Deutsche Bahn AG (DB) ist zwar in einer privatrechtlichen Form organisiert, gehört aber weiterhin zu 100% dem Bund. Dieser einzige Aktionär wird vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) vertreten. Die DB AB hat unzählige Tochtergesellschaften und erwirtschaftet längst einen guten Teil ihres Umsatzes von 42 Milliarden Euro im Ausland.

Auf der Schiene befördert die DB bekanntlich nicht nur Menschen (nach ihrer Zählung 4,7 Milliarden in 2017), sondern auch Güter (271 Mio Tonnen). Zudem arbeitet die Bahn entgegen ihrem Namen keineswegs nur auf der Schiene. Mit dem Bus hat sie im letzten Geschäftsjahr über 2 Milliarden Fahrgäste gezählt. Auch die 31.000 weißen LKW von Schenker gehören zur DB; diese Sparte machte einen Umsatz von 16 Milliarden Euro und damit deutlich mehr als der Fernverkehr (4 Milliarden).

Für den Gewinn der DB stark mitverantwortlich ist das Segment "DB Netz Personenbahnhöfe", denn die Bahn zahlt nicht etwa Miete für die Nutzung bester Innenstadtflächen, sondern sie vermarktet sie erfolgreich. "Mit rund 1 Mio. m² Mietfläche zählen wir zudem zu Deutschlands größten Gewerbevermietern", sagt der Staatskonzern stolz über sich selbst. Wer sich also wundert, warum ein belegtes Brötchen am Bahnhof so teuer ist: Die DB kommt dort immerhin auf ein operatives Ergebnis von 233 Millionen Euro (während der gesamte Schienengüterverkehr zu Verlusten führt).

Bei dem, was man landläufig unter "Bahn" versteht, bleibt immer noch der Nah- und Fernverkehr zu unterscheiden, denn die Geschäftsmodelle sind grundverschieden. Vereinfacht gesagt: Beim ICE muss die Bahn ihr Geld am Kunden verdienen, bei Regionalzügen kassiert sie beim Staat. Denn der Regionalverkehr wird als Teil der sogenannten öffentlichen Daseinsvorsorge seit der Bahnreform von den Ländern verantwortet, die dafür Geld vom Bund erhalten. Somit legen die Bundesländer fest, welche Angebote im öffentlichen Personenverkehr auf der Schiene existieren sollen und suchen sich dann Eisenbahnverkehrsunternehmen, welche die verschiedenen Strecken bedienen sollen.

Aufgrund von Ausschreibungspflichten ist dies längst nicht mehr überall die Deutsche Bahn (in Form ihrer vielzähligen Töchter); echte Privatbahnen sind ebenso auf dem Markt wie ehemalige oder umgewandelte ausländische Staatsbahnen oder Beteiligungsgesellschaften.

Und schließlich sind an den vielen Problemen der Bahn natürlich noch andere Stellen beteiligt, allen voran das Eisenbahnbundesamt, das Verkehrsministerium (mit dem starken Einfluss der deutschen Automobilindustrie), die EU und andere mehr - da es sich jedoch bei allen wesentlichen Akteuren um welche handelt, die der Politik entspringen, tut man niemandem Unrecht, wenn man seinen Ärger schlicht "der Bahn" zuschreibt.

Dass die Bahn technisch reichlich desolat ist, gehört längst zum Allgemeinwissen, werden doch die Symptome an jedem Bahnhof von Betriebsbeginn bis -ende lauttönend herumposaunt: "Grund ist eine technische Störung am Zug", "Grund ist eine technische Störung an der Strecke", "Grund sind Verzögerungen im Betriebsablauf" usw. Was die großen Mängel angeht, so ist zumindest eine der Ursachen so banal wie erschütternd zugleich: Für die DB ist es bisher günstiger, die Infrastruktur verfallen zu lassen, als sie instand zu halten. Denn während für Reparaturen die DB selbst zahlen muss, trägt der Bund die Ausgaben für Ersatzinvestitionen. Der Präsident des Bundesrechnungshofs Scheller sagt dazu: "Diese Trennung schafft für die DB AG den Fehlanreiz, 'auf Verschleiß zu fahren', d.h. die Instandhaltung zu vernachlässigen und stattdessen den vorzeitigen Ersatz mit Bundesmitteln zu finanzieren."

Neben solchen von der Politik geschaffenen Ungeheuerlichkeiten, die eine wenigstens formal auf Gewinnerzielung ausgerichtete Bahn geradezu sinnvoll ausnutzt, schafft die DB natürlich die meisten Mängel höchstselbst. Es ist ihre Politik, in erhoffte Prestigeobjekte zu investieren, die den Gesamtverkehr keinen Meter weiter bringt, anstatt die Bedingungen für Kontinuität zu schaffen.

So bringt sie dank ihres Personal- und Netzmanagements mit einem verspäteten Fernzug gleich den gesamten Fahrplan durcheinander. Weil aus dem verspäteten Zug Lokführer, Schaffner und Bistromitarbeiter ihren Arbeitstag in drei verschiedenen Zügen fortsetzen sollen, müssen drei weitere Züge warten oder mit den bekannten Einschränkungen fahren. Wie oft steht ein Zug gelangweilt im Bahnhof rum, weil zwar fünf Fahrkartenkontrolleure, aber leider niemand für den Führerstand an Bord ist. Die drollige Bahnsteigansage, ein ICE verspäte sich um 90 Minuten, "Grund ist die Verspätung eines vorausfahrenden Zuges", lässt die Flexibilität des Schienennetzes erahnen.

Auch die Begeisterung für Neues tut dem System Eisenbahn nicht immer gut. Manchmal wäre es besser, Altbewährtes zu belassen, anstatt auf Chaos mit technischen Innovationen zu setzen. Die Abhängigkeit von der Leistung irgendwelcher Programmierer wird besonders augenfällig, wenn ein ICE bei guter Sommerhitze auf freier Strecke steht und mal eben für zehn Minuten komplett ohne Elektronik ist, weil der Zugführer den Computer, von dem alles abhängt, neu startet, in der Hoffnung, danach sei der "technische Defekt" behoben. Laut ARD-Magazin "Kontraste" sind nur 20% der ICE fehlerfrei, Mängel bei Wartung und Reparatur räumt die Bahn ein.

Doch betrachten wir einmal die vielen Probleme der Bahn der Reihe nach und aus Kundensicht, bevor wir auf die Ideen zu ihrer Behebung schauen.

Bild: Zugfinder.de

Problem Zuverlässigkeit

Thema Nummer eins, wenn über die Bahn gesprochen wird, sind natürlich ihre Verspätungen. Denn diese sind kein Gefühl überempfindlicher Kunden, sondern messbare Realität, die insbesondere bei einem Unternehmen auffällt, dessen ganze Tätigkeit auf minutengenauen Plänen aufbaut. 21,5% der Fernzüge waren im Fahrplanjahr 2017 laut DB verspätet - wofür der Staatskonzern gerne die Schuld außer Haus sieht:

Wesentliche Ereignisse stellten die Brandanschläge im Rahmen des G20-Gipfels im Juni, die Streckensperrung des wichtigen Rheintal-Korridors bei Rastatt im August und September sowie die schweren Herbststürme im Oktober und November dar.

DB

Dabei weiß die Bahn um ihre Verantwortung: "60 Prozent der verspäteten Abfahrten haben ihren Ursprung an den zehn verkehrsstärksten Bahnhöfen und wirken sich auf das gesamte Netz aus." Bis zu täglich 800 Baustellen am Gleis sorgen so zuverlässig für Durcheinander, dass sich die DB in einer Pressemitteilung in der Aussage verheddert, man bemühe sich, "dass die effektiven Beeinträchtigungen für die Kunden auf ein Mindestmaß reduziert sind".

Das private Datenprojekt Zugfinder.de hat die Probleme genauer identifiziert. Betreiber Johannes Schubert lässt den Computer Daten der Reiseauskünfte auswerten und zeigt u.a. aktuelle Zugpositionen und -verspätungen an. Gegen einen kleinen Obolus gibt es dort auch Archivdaten. Diese zeigen, dass von Mai bis August 2018 unter 70% der Züge pünktlich ihr Ziel erreicht haben. Am 27. Juli waren es nur 54,4%. Die Datenauswertung nach Zugtypen zeigt, dass ausgerechnet der neue ICE4 große Problem mit der Zuverlässigkeit hat. Nur 56% dieser Züge kamen pünktlich an.

Technische Störungen bei der DB schmälern durch ihren Einfluss auf das gesamte Netz auch die Zuverlässigkeit der Konkurrenz. So kommt FlixTrain (Nachfolger des insolventen Unternehmens Lokomore) im Jahresdurchschnitt auch nur auf 64% Pünktlichkeit. "In der Mehrzahl der Fälle waren hier Verspätungen auf Probleme im Schienennetz zurückzuführen", sagt Johannes Schubert von Zugfinder.de, der auch den Obertrödler ausfindig gemacht hat: Vom ICE 979 Hamburg-Stuttgart erreicht nicht einmal jeder vierte Zug sein Ziel pünktlich, die durchschnittliche Verspätungszeit liegt bei 25 Minuten.

Aufgrund gesetzlicher Regelungen muss die Bahn zwar schon seit vielen Jahren ihre Kunden für Verspätungen entschädigen - ab 60 Minuten mit 25% des Ticketpreises, ab 120 Minuten mit 50%. Doch für den tatsächlich entstandenen Ärger ist das oft nicht mehr als eine Geste, zumal das Verfahren mit einiger Bürokratie verbunden ist und das Zugpersonal keineswegs immer von sich aus die notwendigen (und gestempelten) Antragsformulare an die Reisenden verteilt. Ferner ist die Verspätung bei Ankunft am Reiseziel keineswegs das einzige, was interessieren muss. Ein Klassiker - gerade im Winter: Am Startbahnhof kommt der Zug mit über 60 Minuten Verspätung an, die sämtliche Fahrgäste sinnlos frierend am Gleis verbracht haben. Auf der Fahrt reduziert der Zug dann seine Verspätung auf knapp unter 60 Minuten - und für die Stunde in der Kälte gibt es nichts.

Dass es sich bei den vielen Zugverspätungen nicht nur um Schicksalsschläge handelt, auf welche die Bahn keinen Einfluss nehmen kann, lässt auch die sonstige Unzuverlässigkeit vermuten. Selbst darauf, dass man in einem hochmodernen Schnellzug morgens Kaffee bekommen kann, darf man sich bei der DB nicht verlassen - viel zu oft ist auch hier die Technik kaputt, fehlen Waren oder Mitarbeiter. Improvisationsbemühungen sucht man vergeblich. Dabei ist "einfaches, entspanntes, verlässliches und umweltfreundliches Reisen" sogar ein "Nutzungsversprechen" im DB-Geschäftsmodell. Doch als "nice to have"-Angebot macht "Bordgastronomie" keinen Sinn. Oder soll man seinen mitgeführten Proviant wegwerfen, wenn überraschenderweise doch einmal alles an Bord ist, bis hin zur aktuellen Tageszeitung?