Deutsche Einheit: Warum die ostdeutsche Wirtschaft immer noch hinterherhinkt
Die neuen Bundesländer haben noch einen weiten Weg vor sich, um wirtschaftlich mit dem Westen gleichzuziehen. Das hat Gründe, über die man nicht gerne spricht. Ein Kommentar.
Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit ist es wieder an der Zeit, Bilanz zu ziehen: Sind die beiden ehemaligen deutschen Teilstaaten nach 33 Jahren endlich zusammengewachsen? Vieles spricht dafür, dass dies bisher nicht der Fall ist – auch wenn die Bundesrepublik bereits von einer Ostdeutschen regiert wurde oder ein ostdeutscher Pfarrer jahrelang im Schloss Bellevue predigen durfte.
Dass es auch nach 33 Jahren noch Zweifel an der Einheit gibt, zeigt sich nicht nur daran, dass Ostdeutsche in Führungspositionen auch in den fünf "neuen" Bundesländern immer noch eine Seltenheit sind. Auch die schlagartig sinkenden Löhne und Renten an der ehemaligen Grenze zur DDR deuten darauf hin.
Dennoch ist die deutsche Einheit eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte – auch wenn die Skeptiker nicht verstummen. Ihnen trat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich mit sechs Gründen entgegen, warum die deutsche Einheit nicht gescheitert ist. Dabei versuchen die Ökonomen allerdings vor allem, die Hoffnung auf eine prosperierende Wirtschaft als Erfolg zu verkaufen. Ostdeutschen dürfte das Lied über blühende Landschaften bekannt vorkommen.
Einen Kontrapunkt setzt Hendrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund, im Spiegel. Er unterteilt den Prozess der Wiedervereinigung von 1990 bis heute in vier Phasen. Die Geschichte endet damit, dass der Westen dem Osten immer ähnlicher wird: schrumpfende Bevölkerung, Strukturprobleme, schwache wirtschaftliche Entwicklung.
Am Tag der Deutschen Einheit lohnt sich dennoch ein Blick auf das Geschaffte. Im Jahr 1991 betrug die Wirtschaftsleistung pro Kopf im Osten etwa 33 Prozent des Niveaus in Westdeutschland. Heute erreichen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen schon 72 Prozent, berichtet das IW. Bezieht man Berlin mit ein, sind es immerhin 79 Prozent.
Allerdings muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der Vergleich mit dem Basisjahr 1991 hinkt. Zu diesem Zeitpunkt war die Wirtschaftsleistung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR längst zurückgegangen. Ein Jahr zuvor, 1990, war die Treuhand-Anstalt gegründet worden, die einen Großteil der ostdeutschen Wirtschaft abwickelte.
Die DDR wirtschaftete besser als vielfach angenommen
Ein realistisches Bild der wirtschaftlichen Entwicklung im Osten ergäbe sich, wenn man das Jahr der Wiedervereinigung, also 1990, als Vergleichsjahr heranziehen würde. Man hat sich damals aber dagegen entschieden, wohl auch, um die Planwirtschaft der DDR zu diskreditieren.
Das planwirtschaftliche System hat es zwar nicht geschafft, das Wohlstandsgefälle zu Westdeutschland wesentlich zu verringern, aber es hat immerhin beachtliche Wachstumsraten ermöglicht. Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler schreibt in einem Beitrag für das Buch "Der Zusammenbruch der alten Ordnung?":
Im Zeitraum zwischen 1950 und 1989, als die alternativen Wirtschaftssysteme voll wirksam waren, gab es knapp zwei Jahrfünfte, in denen die bundesdeutsche Wirtschaft schneller wuchs als die der DDR (1951-1955 und 1986-1989) und vier Jahrfünfte, in denen das BIP der DDR schneller wuchs als das der Bundesrepublik (1966-1985).
Zwischen 1961 und 1989 habe das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in der DDR 4,5 Prozent betragen, in der Bundesrepublik dagegen nur 4,3 Prozent. In den 40 Jahren ihres Bestehens habe die DDR ihre Wirtschaftsleistung auf das 5,5-fache steigern können. Dass die Wirtschaftsleistung der DDR dennoch weit hinter der westdeutschen zurückblieb, hatte auch mit den Ausgangsbedingungen zu tun.
Im Jahr 1936 lag die Wirtschaftsleistung auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auf dem Niveau der BRD. Ökonomen betonen aber, dass es schon damals regionale Unterschiede gab. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und teilweise auch Thüringen lagen schon vor dem Zweiten Weltkrieg unter dem gesamtdeutschen Durchschnitt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen diese Regionen zur Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Sie hatten nicht nur erhebliche Kriegsfolgen zu tragen, sondern auch die Reparationslasten, von denen Westdeutschland weitgehend verschont blieb. Während die westlichen Besatzungszonen vom Marshallplan profitierten, ging der Osten leer aus.
Gleichzeitig verlor der Osten einen erheblichen Teil seiner qualifizierten Arbeitskräfte. Auch das 1948 von den USA verhängte Handelsembargo traf Ostdeutschland hart. All dies führte dazu, dass die DDR 1950 nur etwa zwei Fünftel (39 Prozent) der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik aufwies.
Wie Wessis die ostdeutsche Wirtschaft ruinierten
Ein Jahr nach der Wiedervereinigung war Ostdeutschland hinter die Wohlstandsverteilung der Nachkriegsjahre zurückgefallen. Daran hatte die Treuhand-Anstalt einen großen Anteil, aber auch die Währungsunion.
Was die Ostdeutschen damals nicht ahnen konnten: Mit ihrem lauten Ruf nach der D-Mark besiegelten sie den Untergang ihrer eigenen Betriebe. Denn die D-Mark kappte die Verbindungen zu den Kunden in anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks. Das war kein Zufall, wie der Historiker Karl Heinz Roth in seinem Buch "Anschließen, angleichen, abwickeln" zeigt.
1952 wurde in der Bundesrepublik der Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands beim Gesamtdeutschen Ministerium gegründet. Er entwarf Pläne und Szenarien, was im Falle einer Wiedervereinigung mit Ostdeutschland geschehen sollte. Entsprechende Konzepte lagen in Bonn in der Schublade, als die politische Wende in der DDR kam.
Der Forschungsbeirat konnte dabei auf Erfahrungen aus der Hitlerzeit zurückgreifen. Im März 1938 war Österreich annektiert worden. Und ab September 1939 begann die Zerstückelung Polens und die Annexion seiner westlichen Provinzen. Der erste Präsident des Forschungsbeirats, Friedrich Ernst, hatte laut Roth "in der ersten Blitzkriegsphase das Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen Vermögens geleitet". Auch der spätere Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard soll sich "in den Jahren 1938 bis 1941 als wirtschaftspolitischer Annexionsexperte" hervorgetan haben.
Zu den etablierten Maßnahmen gehörte immer eine Währungsunion. Dabei wurde die Währung des Gebiets, das übernommen werden sollte, kurz vor ihrer Liquidation noch einmal künstlich aufgewertet, "um das annektierte Territorium schlagartig von seinen ökonomischen Außenbeziehungen abzutrennen und seine Kapital- und Warenmärkte für einen radikalen Durchdringungsprozess seitens der Unternehmen der Annexionsmacht zu öffnen".
Zudem wurden "gesamtwirtschaftliche Agenturen" eingerichtet, über die eine möglichst rasche Aneignung, Privatisierung und Übertragung von Sachvermögen gewährleistet werden sollte. In den damals westpolnischen Provinzen wurde etwa im Herbst 1939 dazu die Haupttreuhandstelle Ost eingerichtet.
Auf diese Erfahrungen konnte der Forschungsbeirat aufbauen, und seine Konzepte flossen 1989/90 in die bundesdeutsche Politik ein. Am Ende stand der unumkehrbare Anschluss Ostdeutschlands und eine ruinierte Wirtschaft in den "neuen" Bundesländern.
Von dieser Schocktherapie hat sich Ostdeutschland, gemessen an den wirtschaftlichen Kennziffern, nach 33 Jahren weitgehend erholt. Die Milliarden aus dem Solidaritätszuschlag waren gut angelegtes Geld.
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