Deutsche Innenminister wollen Rundumbeobachtung der Internetnutzung
Datenschutzbeauftragte protestieren gegen die Umwandlung des Internet in ein "Fahndungsnetz"
Am 24. November hatten die Innenminister des Bundes und der Länder haben auf einer Konferenz beschlossen, eine Änderung des Versammlungsrechts anzustreben, so dass Rechtsextreme nicht mehr an historisch heiklen Orten wie dem Brandenburger Tor und Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus demonstrieren können. Kundgebungen, die "Gewalt- oder Willkürherrschaft zu verherrlichen oder zu verharmlosen" drohen, sollen verboten werden können. Einrichten will man nach dem Vorbild der Erfassung von gewalttätigen Fußballfans beim BKA eine zentrale Datei für Gewalttäter von Rechts, in der man aber auch gleich jede Art von politisch motivierter Gewalt dokumentieren könne. Und die Provider wollte man zur besseren Strafverfolgung einer "Protokollierungspflicht hinsichtlich der IP-Adresse und des Nutzungszeitraumes sowie eine angemessene Aufbewahrungszeit der Daten" unterwerfen.
Daraufhin haben sich jetzt die Datenschutzbeauftragten der Länder, mit Ausnahme von Thüringen, entschieden in einer gemeinsamen Presseerklärung gewandt und betont, dass solch eine Vorschrift verfassungswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht habe wiederholt festgestellt, die Speicherung personenbezogener Daten dürfe nicht zu einer Rundumbeobachtung der Bürger führen. Genau eine solche umfassende Dauerbeobachtung wäre aber die Folge einer Erfassung und Speicherung der Internetnutzung. Damit würde der Datenschutz abgebaut und gerate man in Widerspruch zum Entwurf des Bundesdatenschutzgesetzes, "das die Entwicklung und den Einsatz von technischen Verfahren vorsieht, die mit einem Minimum an personenbezogener Datenverarbeitung betrieben werden können.
Allerdings hat der Bundesrat bereits im September über die Telekommunikationsdatenschutzverordnung (TDSV) im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) entschieden, in dem gegen den Forderungen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie des Wirtschaftsausschusses Provider verpflichtet werden, sämtliche Verbindungsdaten zum Zweck der Durchführung der so genannten Missbrauchserkennungsprogramme ein halbes Jahr lang aufzubewahren (Telefonbenutzer und private Surfer unter pauschalem Kriminalitätsverdacht). Am 22. 11. hat das Bundeskabinett die TDSV gebilligt. (Tatsächlich stimmt, was in Forumsbeiträgen moniert wurde, dass die TDSV die Provider nicht verpflichtet, sondern es ihnen nur ermöglicht, die Verbindungsdaten länger aufzubewahren - was freilich an der neuen Forderung der Innenminister nichts ändert.)
(Geht man, nebenbei, auf die Internetseite des Landesbeauftragten für den Datenschutz in Thüringen, so wird man freundlicherweise mit dieser Mitteilung empfangen: "Mit Ihrem Zugriff auf diese Seite werden Datum, Uhrzeit, IP-Adresse, betrachtete Seite und die Seite, in der Sie auf einen Hyperlink geklickt haben, um auf die Seite des TLfD zu gelangen, gespeichert. Die Speicherung erfolgt auf dem Web-Server, der durch das Thüringer Landesrechenzentrum im Auftrag der Thüringer Landesregierung betrieben wird, für Zwecke der Datensicherheit in der Regel für zwei Monate. Eine Auswertung der Daten erfolgt ausschließlich für statistische Zwecke.")
Das FBI-Lauschsystem Carnivore ist in den USA deswegen umstritten, weil der gesamte Datenverkehr erst einmal abgehört werden muss, um die Mails von Verdächtigen herausfischen zu können (Carnivore im FBI-Test). Der Vorschlag der Innenminister geht weit darüber hinaus. Die Datenschützer vergleichen die Forderung "mit einer Verpflichtung der Post, sämtliche Absender- und Empfängerangaben im Briefverkehr für Zwecke einer möglichen späteren Strafverfolgung zu speichern und für den Zugriff der Sicherheitsbehörden bereitzuhalten." Die Innenminister, so die Datenschutzbeauftragten, würden damit das "Internet für Zwecke der Strafverfolgung in ein Fahndungsnetz verwandeln" und die unschuldigen Internetbenutzer in "potentielle Straftäter".
Für die Strafverfolgung könnten die Behörden aufgrund eines richterlichen Beschlusses jederzeit die IP-Nummern von Verdächtigen von Providern verlangen. Den nicht unter Verdacht stehenden Bürgern müsse auch "zukünftig eine unbeobachtete Nutzung des Internet möglich sein".
Das vom Europarat mittlerweile in 24. Version vorliegende Abkommen über Cyberkriminalität sieht hingegen nur eine Echtzeit-Protokollierungs- und Aufbewahrungspflicht von "bestimmten Kommunikationen" vor, überlässt die nähere Regelung allerdings den Mitgliedsstaaten (Der Europarat bastelt weiter am Abkommen über Cyberkriminalität). Das wollen sich die deutschen Innenminister offenbar zunutze machen.
Besonders eilig scheinen es hier die Niederlande zu haben. Das holländische Justizministerium hat am Dienstag dem Parlament berichtet, wie CNN schreibt, dass das holländische Recht verändert werden müsse, um mit dem Abkommen überein zu stimmen, das noch immer ein Entwurf ist und mittlerweile irgendwann im nächsten Jahr vom Europäischen Rat und weiteren Mitgliedern wie den USA, Kanada oder Japan verabschiedet werden soll. Wenn die Zusätze zum geltenden Recht in Holland in Kraft treten sollten, müssen die Internetprovider auf Verlangen von Strafverfolgungsbehörden die Verkehrsdaten eines Verdächtigen protokollieren und speichern. Auch Unternehmen müssten den Behörden beim Abhören behilflich sein, auch wenn sie ihre Netzwerke nicht wie bei den Providern abhörfähig machen müssen. Wie in den USA bereits Gesetz, will Holland auch virtuelle Pornographie von Minderjährigen, also computererzeugte Bilder von gar nicht existierenden oder nicht missbrauchten Minderjährigen, unter Strafe stellen, was offenbar andere Länder nicht machen wollen.