Deutsche Politiker an die Cyberfront?

Karl Lagerfeld ist wichtiger als Informationsgesellschaft: Randbemerkungen zur 7. Tagung der UNICT Task Force in Berlin

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Es kann sicher als ein Erfolg bezeichnet werden, dass es der deutschen Bundesregierung gelungen war, die "United Nations Information and Communication Task Force" (UNICTTF) zu überzeugen, dass sie ihre 7. Sitzung in Berlin veranstalten sollte. Ansonsten tagt das von Kofi Annan 2001 gegründete Gremium hochrangiger Experten aus Regierung und Wirtschaft abwechselnd in New York und Genf. Eine solche Tagung in der deutschen Hauptstadt ist gut für das Ansehen, demonstriert die Mitwirkungsbereitschaft bei der Lösung globaler Probleme und ist sicher auch hilfreich bei Deutschlands Bemühungen, im nächsten Jahr einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen.

Wer finanziert die digitale Zukunft?

Die UNICTTF hatte sich einem der beim Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) offen gebliebenen Thema - dem der Finanzierung der digitalen Zukunft - zugewandt. Mehr als 300 Spezialisten versammelten sich also im Auswärtigen Amt. Früher was das das Gebäude der Reichsbank, später saß das SED Politbüro am Werderschen Markt.

So exklusiv der Teilnehmerkreis, so normal war die Tagung. Letztendlich eine Konferenz wie viele. Konkrete Ergebnisse waren schwer fassbar. Spektakuläres geschah nicht. Immerhin aber sah man ein bisschen Bewegung bei der Frage des "Digitalen Solidaritätsfonds", wenngleich nicht so recht klar wurde, wohin die geht.

Das Thema des Fonds war ja auch nach mehrmaligen Nachtsitzungen in der Endphase des Weltgipfels nicht konsensfähig und wurde schließlich in eine gesonderte Task Force on Financial Mechanism (TFFM) vertagt (Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel). Diese TFFM wiederum hat sich im Sommer 2004 konstituiert und ist dabei bis zum Dezember 2004 einen Bericht vorzulegen. Die Erwartungshaltung an diesen Bericht sind jedoch eher niedrig. Eine neue Geberbereitschaft ist seit Dezember 2003 im Norden nicht gewachsen. Aber es ist natürlich hilfreich, wenn endlich einmal ein Bericht etwas mehr Transparenz in die zum Teil unübersichtlichen Förderprogramme für Entwicklungsländer mit Blick auf das Thema Informationsgesellschaft bringt.

Ein erster konkreter Schritt ist auch schon gemacht worden. Unabhängig von der TFFM wurde in Genf vor einigen Wochen ein freiwilliger "Digitaler Solidaritätsfonds" gegründet, dessen Einlagen zunächst von einigen französisch sprechenden Stadtverwaltungen wie Lyon, Gastgeber des letzten Digitalen Städtegipfels (Dezember 2003), und Genf, Gastgeber von WSIS, gespeist wird. Dazu kommen, u.a., auch Dakar und Bamako. Senegals Präsident Wade hatte den Fonds vorgeschlagen. Malis Bildungsminister Sammassekou war der Präsident des WSIS-Vorbereitungsprozesses.

Ob jedoch die TFFM dem zweiten WSIS im November 2005 in Tunis empfehlen wird, diesen freiwilligen Fonds als den offiziellen WSIS-Fonds anzuerkennen und ihn mit substantiellen Beiträgen auszustatten, steht in den Sternen. Es sei nicht die Aufgabe der TFFM, solche Empfehlungen zu geben, hörte man aus deren Reihen.

Priorität Informationsgesellschaft?

Berlin brachte wesentliche Key Player zusammen. Verwunderung löste daher bei einigen der weit gereisten Konferenzteilnehmern aus, das die Begrüßung zur Tagung nicht von einem deutschen Kabinettsmitglied oder einen Staatssekretär, sondern von Botschafter Lutz aus dem Auswärtigen Amt kam. Die 6. Tagung im März 2004 in New York hatte immerhin UN-Generalsekretär Kofi Annan persönlich eröffnet.

Nun könnte man das so interpretieren, dass die Bundesregierung nicht den Eindruck erwecken wollte, dass sie sich demnächst die Spendierhosen anziehen wird. Das wird sie sicher nicht und im Verein mit den anderen europäischen Staaten wird man wohl eher darauf drängen, die existierenden Finanzinstrumente effizienter zu nutzen als neue zu schaffen.

Dennoch passte das politische Runterspielen der hochrangigen Veranstaltung ins generelle Bild des Umgangs der Bundesregierung mit diesem Thema.

Als vor dem Genfer WSIS-Gipfel die CDU-Abgeordnete Krogmann die Bundesregierung kritisierte, durch mangelndes politisches Engagement bei WSIS einen Zukunftszug zu verpassen und dadurch nicht nachhaltig genug nach neue Aktionsradien für die deutsche IT- und AV Wirtschaft Ausschau zu halten (WSIS II: Verbreiterung oder Vertiefung?), wurde zwar immerhin eine aktuellen Stunde im Bundestag angesetzt, die fand aber schließlich zu so später Stunde statt, dass die Mehrheit der Redner ihre Manuskripte nur noch für das Protokoll hinterlegten. Eine ernsthafte Diskussion mit Pro und Contra gab es nicht.

Ursprünglich hatte ja auch der Kanzler persönlich zum WSIS-Gipfel reisen wollen. Am Schluss stand dann aber Staatsekretär Rezzo Schlauch aus dem Bundeswirtschaftsministerium am Genfer Gipfelrednerpult.

Auch in den beiden Arbeitsgruppen, die zur Vorbereitung des 2. WSIS-Gipfel gegründet wurde - für Finanzen und Internet Governance - ist weder die deutsche Bundsregierung noch die deutsche Wirtschaft direkt vertreten.

Deutschland hat natürlich seine D21-Initiative und ihr Vorsitzender, der Siemens-Manager Thomas Ganswindt, hielt in Berlin als Mitglied der UNICTTF auch eine gute Rede. Und wiewohl es gut ist, dass die Industrie bei diesem Thema vorangeht, fällt die politische Zurückhaltung der Bundesregierung dennoch auf. Irgendwie passt sie zu dem Bild, dass der Kok-Report zu Europas Lissabon-Strategie jüngst verbreitet hat, als es das Zurückbleiben Europas im Wettrennen um die Kronjuwelen des Informationszeitalters konstatierte: Deutschland ist Spitze bei Forschung und Entwicklung im Maschinen- und Autobau - und dort auch bei den relevanten IT Komponenten -, aber in der IT Forschung selbst ist man eher Mittelmaß (Wo sind die guten Nachrichten?).

Natürlich verändert eine politische Agenda zugunsten dieses Themas nicht die Realität, dennoch aber ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einen entsprechenden öffentlichen Atmosphäre, die nun mal durch den politischen Diskurs der Regierenden geprägt wird, von wesentlicher Bedeutung für die strategische Orientierung auch und gerade der jungen Generation. Dabei trifft sich das flache Ballhalten der deutschen Politik mit dem Desinteresse der deutschen Medien an diesen Thema.

Karl Lagerfeld ist wichtiger als Informationsgesellschaft

Eine Studentin der Universität Erfurt, die eine Diplomarbeit zur Medienberichterstattung über den Weltgipfel zur Informationsgesellschaft schreiben wollte, musste so erstaunt feststellen, dass der Gipfel kein Thema für die deutsche Presse war. Sie hatte zu tun, eine wissenschaftlich relevante Zahl von analysefähigen Beiträgen zusammenzubekommen, um eine substantielle Arbeit zu verfassen. Einfacher wäre es gewesen, etwas über das Dschungelcamp zu schreiben. Karl Lagerfeld oder Küsse zwischen Herrn Wowereit und Frau Nick verkaufen sich mittlerweile selbst in den deutschen Qualitätsmedien offensichtlich besser als die mühseligen globalen Diskussionen über das Management der Internet-Ressourcen, den Schutz der Privatsphäre im Cyberspace oder der Überbrückung des digitalen Grabens.

Als Neil Postman vor fünfzehn Jahren sein "Wir amüsieren uns zu Tode" schrieb, wurde das als eine neue Variante des "Opium fürs Volk" abgetan. Mittlerweile aber scheinen selbst Politiker in die Falle der Boulevardisierung der deutschen Qualitätsmedien zu laufen. Müsste Politik eigentlich weniger nach Aufmerksamkeit haschen, sondern in der Öffentlichkeit Prioritäten setzen und damit sowohl der Wirtschaft als auch den Bürgern vor Augen halten, wo die Zukunftsmusik spielt? Wer sich nur noch darüber äußert, was alles abgeschafft werden muss, und nicht deutlich genug sagt, was denn neu angeschafft werden soll, der braucht sich nicht wundern, dass immer mehr Bürger den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Immerhin aber bewegt sich dort etwas, wo konkrete Interessen von Betroffenen und Beteiligten berührt sind. Die Deutsche Telekom und Siemens wollen demnächst in enger Kooperation mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, so war bei der UNICTTF-Tagung zu hören, eine Serie von Workshops über Internet Governance in asiatischen und afrikanischen Ländern veranstalten. Und die deutsche Internet-Registry DENIC hat sich bei ICANN darum beworben, neben der Verwaltung der .de Domain auch die demnächst auszuschreibende .net Domain zu übernehmen. DENIC, die noch bis vor kurzem zu den schärfsten Kritikern von ICANN gehörten, ist nun sogar zum "Golden Sponsor" der bevorstehenden ICANN-Tagung in Kapstadt aufgestiegen.