Deutsche haben mehr Angst vor Krieg

Seite 2: Der Niedergang des Westens - "Westlessness"

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Überschrieben ist der Beitrag mit einem Wortspiel, das irgendwie zeitgemäß ein Wortspiel versucht, das aber als erste Reaktion ein "Bitte nochmal" hervorruft: "Westlessness". Der Westen verliert an Bedeutung, darum geht es. Was der Westen ist, darüber gibt es ganze Buchreihen, etwa "Die Geschichte des Westens" (von Heinrich August Winkler). Daraus könnte man das Substrat nehmen, dass es um ein "Ensemble von Werten" geht, die ein "normatives Projekt" ausmachen.

Dieses Projekt wird von vielen Seiten attackiert und ist nicht mehr so stark wie früher - so das Leitmotiv, in der Sicherheitskonferenz soll das Thema sein, wie man der erstarkten Konkurrenz, genannt werden erwartungsgemäß Russland und China, mit neuer Wettbewerbsfähigkeit ("Renaissance") entgegentreten kann und die Schwäche des Westens überwinden.

"Er ist, so der Eindruck in diesen Tagen, dem man nicht entgehen kann, im Rückwärtsgang, im Abstieg und wird ständig attackiert - von innen und außen", heißt es im Schlussabsatz, der zugleich betont, dass es viele Gründe gibt für "liberalen Optimismus". Die Hoffnungen im Westen sind eng mit dem Liberalismus verbunden und dieser wiederum mit einer Wirtschaftsform, die ein politisches Projekt ist, das gerade mehrfach an seine Grenzen stößt, wie pars pro toto Proteste der Gelbwesten in Frankreich und im Libanon (Bankenkrise) exemplarisch zeigen ebenso wie die weltweite "Klima"-Bewegung.

Woher die Motive für die Proteste rühren, dem auf den Grund zu gehen, damit will sich der Einleitungstext nicht genauer befassen, wie er auch nicht auf die oben erwähnten Umfragen eingeht, die eine Präferenz zur militärischen Neutralität in der Bevölkerung zeigen, die nicht in den gesteckten Rahmen passt.

Es ist ja auch nur ein Einleitungstext, könnte man einwenden. Und immerhin zeigt sich eine gewisse Bereitschaft, Kritik an der Praxis des Liberalismus und die Abwendung von Teilen der Bevölkerung am liberalen System darin einfließen zu lassen. Die soziale Ungleichheit, dass die Privilegierten mehr vom Wirtschaftssystem profitieren als die weniger privilegierten Schichten, wird angesprochen, erwähnt wird sogar der Vorwurf, dass das liberale System in der Praxis selbst als "autoritär" aufgefasst wird.

Doch wird das pauschal als Symptom verbucht, auf das mit vorfertigten Wahrnehmungen reagiert wird. Das zeigt sich an vielen Stellen, und ganz besonders am Beispiel Syrien oder dem Ukrainekonflikt. Das Anliegen besteht darin, den transatlantischen Bund wieder zu festigen, wie überhaupt den Zusammenhalt einer wehrhaften Gemeinschaft des Westens, um wieder dahin zu kommen, dass man "robustes Engagement" nicht scheut.

Eine wenig überzeugende Erzählung von Einmischungen

Aber genau so wenig, wie der Verfasser des "Westlessness"-Auftakts der Unzufriedenheit der Bürger auf die Spur kommen will, die zum Ensemble der "populistischen, anti-liberalen" Bewegungen gehören, so wenig will er der Rolle der westlichen Länder bei den Konflikten in Syrien, Libyen oder in der Ukraine auf den Nerv fühlen. Als Fehler wird nur die Zurückhaltung und das Gewährenlassen Russlands aufgespießt. Wie üblich.

Dass die Erzählung viele nicht mehr überzeugt und warum das so ist, darüber wird nicht nachgedacht. Man hätte mehr Einsatz in Syrien zeige sollen, aber wie? Militärisch?

Oder indem man möglichst früh mit Baschar al-Assad verhandelt, um die maßlose Zerstörung, die der Krieg in Syrien angerichtet hat und anrichtet, möglichst früh einzudämmen? Aber das hätte ja geheißen, dass man mit einem Diktator, einer Person, die einem autoritären, repressiven System vorsteht, verhandelt? Ein No Go im Fall Assad al-Baschar, aber nicht, wenn es sich um andere autoritäre Staatoberhäupter handelt.

Mit dem repressiven Herrscher al-Sisi, unter dessen Herrschaft ebenfalls Folterkammern und vermutlich Tausende politischer Gefangener unter unmenschlichen Bedingungen eingesperrt sind, verhandelt man auch - sogar über Waffen.

Und die anderen Waffenlieferungsadressaten, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei oder Saudi-Arabien sind ebenfalls keine Protagonisten einer liberalen Tendenz. Die Antwort der beiden Golfstaaten auf die Aufstände im sogenannten arabischen Frühling ist die Beibehaltung eines autoritären Systems, das viel von ihrer derzeitigen Geopolitik in der Region Naher Osten und Nordafrika erklärt. Und die Türkei hat ebenfalls harte Unterdrückungssysteme im Angebot, wie nicht nur Bewohner Afrins erzählen können.

Moralische Maßstäbe, die zum Wertekanon des Westens gehören, vertragen den Januskopf schlecht, besonders wenn sie einerseits rigide vorgetragen werden und andrerseits sehr salopp auf die Seite gestellt werden, wenn man, wie in der Ukraine, rechte Militante unterstützt oder islamistische Milizen, die in Syrien einen autoritären Schariastaat einführen wollten. Das wird nach wie vor nicht in den Rahmen mithineingenommen, wie der Einleitungsartikel zum Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz vorführt.