Deutscher Griff nach der Atombombe: Meinen die das ernst?
Es wird nicht so schnell passieren: Die Atomwaffen-Debatte ist ein Versuchsballon, was sich Deutschland wieder leisten kann. Es ist nicht der erste Versuch.
"Kann Deutschland Atomwaffen produzieren?" Diese Schlagzeile der Wirtschaftswoche hätte in den letzten Tagen in fast jeder Zeitung gefunden werden können. Denn scheinbar aus dem Nichts heraus wird in Deutschland über eigene Atombomben diskutiert, entweder unter EU-Aufsicht oder als deutsch-französisches Projekt und zur Not auch alleine.
Im Deutschlandfunk erklärte ein Kommentator, dann müsste Deutschland aus einigen Verträgen aussteigen – nicht einfach, aber auch nicht unmöglich, lautete der Kommentar.
Trump und der Nato-Schirm: Vorwand für deutsche Atompläne?
Der unmittelbare Anlass für diese Debatte war eine Äußerung des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, dass er Nato-Staaten, die nicht genug für die Rüstung ausgeben, nicht unter den "Schutzschirm" des Militärpakts stellen würde. Dazu lieferte Trump eine Episode aus seiner Zeit als Präsident, die sich so wahrscheinlich nie zugetragen hat.
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Doch die Trump-Äußerung ist eher ein Vorwand als eine Begründung für die Atomwaffen-Debatte in Deutschland. Zunächst ist Trump vorerst nur der aussichtsreiche Kandidat für die Republikaner und hat die Wahl noch längst nicht gewonnen.
Zudem hat er in Bezug auf den Nato-Schirm nur wiederholt, was er während seiner ersten Präsidentschaft gesagt hatte und was im Ton konzilianter auch alle anderen US-Präsidenten so formulierten, darunter auch Biden und Obama.
Deutschlands wiederkehrende Nuklearträume
"Doch für die Debatte über Deutschlands Griff nach der Atombombe sind die Gründe austauschbar. Hier drückt sich nur aus, dass der wiederauferstandene deutsche Imperialismus mit dem Griff zur Atombombe endgültig bei den großen Playern im Weltkonzert mitspielen will.
Die vor allem von der SPD-Europakandidatin Katarina Barley losgetretene Debatte ist auch ein Versuchsballon, vor allem gegenüber den europäischen Nachbarländern und den übrigen imperialistischen Staaten: Hier will sich Deutschland mit der Atombombe als ebenbürtig erweisen.
Dabei soll weniger die schwache antimilitaristische Bewegung in Deutschland, sondern die Reaktion in den Nachbarländern ausgetestet werden, die zumindest die Gräuel der deutschen Wehrmacht nicht vergessen haben. Von dort kam lange hinreichender Widerstand gegen Atombomben in deutscher Hand.
Adenauers Griff nach Atomwaffen vor fast 70 Jahren
Daran scheiterten frühere Versuche des deutschen Imperialismus, Zugang zu Atombomben zu bekommen. Der erste Versuch liegt bald 70 Jahre zurück. Der erste BRD-Kanzler Konrad Adenauer (CDU) forderte schon 1956 eine deutsche Teilhabe an der Atombombe, was wenige Jahre nach dem Ende des deutschen Faschismus für viele Bürger der überfallenden Länder eine ungeheuerliche Provokation war.
Später war dann der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) ein Exponent von Deutschlands Griff nach der Atombombe. Die Diskussion verstummte nie ganz, auch wenn sie in Zeiten der sogenannten Entspannungspolitik in den Hintergrund trat. Aber ganz aufgegeben hatte der deutsche Imperialismus die Option nie aufgegeben.
Vor 1989 wollte man auch eine Wiedervereinigung mit der Atombombe im Hintergrund durchsetzen. Nach dem Mauerfall ist die Atombomben-Debatte auch eine Warnung an andere Länder, dass mit dem deutschen Imperialismus weiter zu rechnen ist.
Deutschlands untote Großmachtambitionen
Spätestens mit dem Machtantritt des deutschfreundlichen Nationalismus in der Ukraine 2014 wähnten sich Kräfte mit deutschen Großmacht-Ambitionen in der Offensive.
Daher wurde auch der Krieg in der Ukraine nach dem russischen Einmarsch von den meisten Politikern und den eingebetteten Journalisten auch rhetorisch so behandelt, als würde Deutschland nun selbst Revanche für Stalingrad nehmen.
Nun könnte man argumentieren, dass doch alle heute amtierenden Politiker von der Gnade der späten Geburt profitieren. Sie haben eben zur NS-Zeit noch nicht gelebt. Doch es ist schon ein Politikum, dass sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mehrfach positiv auf ihren Großvater bezogen hat, der laut Wehrmachts-Akte überzeugter Nationalsozialist bis zur letzten Minute war.
Deutsche Vergangenheit bewältigt: Auf den Schultern der Großeltern
Auf einer Konferenz der US-Denkfabrik Atlantic Council im Mai 2021 sprach Baerbock über das vergrößerte Europa, erzählte fröhlich, wie sie 2004 neben dem damaligen Außenminister Joschka Fischer auf der Brücke in Frankfurt (Oder) gestanden habe und sich über die "reunification of Europe", also die Wiedervereinigung Europas, gefreut habe.
Und dann schwadronierte sie auf Englisch weiter: "And this was really the moment when I thought, wow, we are standing of the shoulders not only on Joschka Fischer, but also of our grandparents.
Stefan Berkholz, Neues Deutschland
Es ist schon eine besondere Chuzpe der heutigen Charaktermasken des deutschen Imperialismus, dass sie ganz unbefangen davon sprechen auf den Schultern ihrer Großeltern stehen. Wird dann nicht verständlicher, dass Baerbock in den letzten beiden Jahren mit besonders aggressiver Rhetorik aufgefallen war?
Krieg nach Russland tragen: Eine brandgefährliche Strategie
So sprach sie unbefangen davon, dass die Nato-Krieg gegen Russland führe und dass Russland ruiniert werden müsse. Vielleicht kann da jemand Russland den Sieg in Stalingrad noch immer nicht verzeihen?
Und damit ist Baerbock nicht allein. Der gut mit der Rüstungslobby vernetzte CDU-Politiker Roderich Kiesewetter will den Krieg weit nach Russland hineintragen.
Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.
Roderich Kiesewetter, Deutsche Welle
Da fragt man sich schon, wie weit hinein nach Russland Kiesewetter den Krieg tragen will? Vielleicht bis nach Stalingrad? Und wie vor über 80 Jahren hat Deutschland dabei eine Fraktion des ukrainischen Nationalismus an ihrer Seite. Deshalb ist es wichtig, nicht nur auf den x-ten Zugriffsversuch des deutsche Imperialismus auf die Atombombe kritisch zu beobachten.
Das sind vor allen Versuchsballon in Richtung der Nachbarländer. Die Ankündigung 83 Jahre nach den Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion den Krieg nach Russland zu tragen, muss noch viel ernster genommen werden.
Fehleinschätzung: Deutschland als Anhängsel der USA
Hier zeigt sich, dass Deutschland längst nicht nur und in erster Linie im Windschatten der USA agiert, wie die BSW-Politikerin Sevim Dagdelen immer wieder betont. Die Linksnationalistin kann nicht einmal die deutsche Politik kritisieren, ohne im Hintergrund die USA zu wähnen: So lamentiert Dagdelen in einen Kommentar in der jungen Welt.
In der Ukraine ist man sogar willens, die Kriegsbeteiligung der USA zu substituieren. Ganz als wolle man die Nibelungensage als Farce auf die Bühne bringen: Auch nach dem Tod seines Lehnsherrn Gunther hält Hagen die Nibelungentreue. Nazis und Nationalisten in höchsten Positionen, eine völkische Herrschaftsideologie unter Berufung auf den Nazikollaborateur Stepan Bandera als Säulenheiligen Kiews, alles kein Problem und erst recht kein Grund, bei Waffen- und Finanzhilfe jetzt nicht für die USA in die Bresche springen zu wollen.
Sevim Dagdelen, junge Welt
Hier besteht das Einfallstor auch für Rechte, die durchaus nicht gegen Kriege im deutschen Interesse sind, aber bestimmt nicht als Befehlsempfänger der USA. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin bediente dieses rechte Narrativ eines Deutschland, das sich nicht von den USA emanzipieren kann oder will, im Interview mit dem rechten US-Moderator Tucker Carlson.
Nationale Interessen: Putins Steilvorlage für die AfD
Putin liefert hier eine Steilvorlage für die AfD, wenn er lamentiert:
Ich wundere mich auch darüber. Aber die heutige Regierung Deutschlands lässt sich nicht von den nationalen Interessen leiten, sondern von denen des kollektiven Westens. Anders ist die Logik ihres Handelns oder Nichthandelns nicht zu erklären.
Wladimir Putin
Es wäre fatal, wenn Friedensgruppen in Deutschland dieses strukturell rechte Lamento von einer deutschen Regierung übernehmen würde, die angeblich nicht in deutschen Interessen handelt.
Mit einer antimilitaristischen Position hat das jedenfalls nichts zu tun. Die würde ihre die Kritik vor allem auf das Regierungshandeln in Deutschland richten – ohne die russische Kriegspolitik zu verteidigen. Das tut bisher nur eine Handvoll linker Gruppen.