Deutschland: Wenn Medikamente fehlen
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Lieferkettenprobleme können auch hausgemacht sein. Über Märkte, Verfügbarkeit und Preise. Das sagt der Leiter einer Klinikapotheke.
Derzeit sind rund 300 Medikamente beim Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) als nicht lieferbar gemeldet. Tatsächlich fehlen aber noch viel mehr Wirkstoffe in der Versorgung. Telepolis hat beim Leiter der einer Klinikapotheke in Freiburg, Prof. Dr. Martin J. Hug, nachgefragt, wie Versorgung, Preise und Globalisierung zusammenhängen.
Welche Länder haben auch während Corona alle Medikamente und Grundstoffe geliefert?
Martin J. Hug: Die Pandemie, die damit verbundenen Schließungen von Fabrikanlagen und die Unterbrechung des internationalen Warenverkehrs haben sämtliche Wirtschaftsbranchen beeinträchtigt. Deshalb war natürlich auch der Arzneimittelsektor betroffen. Allerdings muss man anerkennen, dass nicht alle Länder gleichzeitig ihre Produktion oder Lieferung eingestellt hatten.
Der Lockdown in China hat zwar in den ersten Monaten des Jahres 2020 zu überhöhten Panikkäufen vonseiten der Pharmaunternehmen und deren Kunden (Apotheken) geführt - es war aber die ungewöhnlich hohe Nachfrage, die das Problem der ersten Lieferabrisse eigentlich herbeigeführt hat. China war rasch wieder lieferfähig, wohingegen Indien einen Ausfuhrstopp für 26 Wirkstoffe verhängt hatte. Aber auch davon war in Deutschland glücklicherweise wenig zu spüren.
Anders war die Situation, als in Italien sprichwörtlich die Lichter ausgingen. Italien ist nach China und Indien der drittgrößte Produzent von Antibiotika, weswegen die Zeit von April bis September 2020, als Italien besonders unter der Pandemie zu leiden hatte, deutlich spürbare Folgen für eine ganze Reihe von Medikamenten hatte.
Konkret fällt mir gerade nur ein einziges Ursprungsland für Arzneimittel ein, das nicht durch Lieferengpässe aufgefallen ist. Das war Korea. Von dort beziehen wir einige relativ hochpreisige Medikamente, die in geringen Stückzahlen eingesetzt werden.
Wie viele Fertigungsstätten pro Medikament wären sinnvoll, und wo sollten diese angesiedelt sein?
Martin J. Hug: Auf diese Frage gibt es leider keine einfache Antwort. Je mehr, desto besser könnte man sagen, aber Arzneimittelherstellung beruht eben auch auf verschiedenen Verflechtungen, Rohstoffmarkt, Logistik, Absatzmärkte etc.
Einer Untersuchung des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) kann man entnehmen, dass es für viele Präparate nur einen oder maximal drei Hersteller gibt. Diese Monopolisierung ist die Konsequenz eines immer mehr unter Druck geratenen Marktes.
Dieser drängt die Hersteller gerade im Bereich niedriger Margen dazu, sich von unrentablen Produkten zu trennen. Ob eine Verlagerung von Herstellungsstätten nach Europa zwingend zu einer Verbesserung führt, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Einer der für uns aktuell schmerzhaftesten Lieferengpässe besteht bei einem ausschließlich in Deutschland hergestellten Arzneimittel.
Die Herstellungsanlagen müssen erneuert werden und es gibt derzeit noch keine alternativen Produktionsstandorte. Das gerade nicht verfügbare Präparat Penicillin V, ein uraltes Antibiotikum, wird nahezu ausschließlich in einer Fabrik in Österreich hergestellt.
Für Medikamente gilt jetzt ein Preismoratorium bis 2026. Was passiert, wenn sich die Produktion nicht mehr lohnt?
Martin J. Hug: Das Preismoratorium für verschreibungspflichtige Arzneimittel existiert bereits seit August 2010. Allerdings ist den Anbietern erlaubt, jeweils zum 1.Juli eines Jahres den Preis um die jährliche Veränderungsrate anzupassen.
Damit wären im kommenden Jahr theoretisch Preisanstiege von zehn Prozent und mehr denkbar. Wenn sich die Produktion aufgrund der Regulierungsmaßnahmen nicht mehr lohnt, wird ein Pharmaunternehmen die Ware in dem jeweiligen Land nicht mehr in den Verkehr bringen.
Gibt es eine staatliche Preisregulierung für Medikamente, vor allem für Nachahmerprodukte oder Generika?
Martin J. Hug: Im Sozialgesetzbuch finden sich einige Werkzeuge zur Preisregulierung. Diese beschränken sich nicht auf Generika - sind dort aber am deutlichsten spürbar. Konkret handelt es sich um folgende Maßnahmen:
- der von sieben auf zwölf Prozent angehobene Herstellerrabatt
- mit den Pharmaunternehmen verhandelte Rabattverträge gemäß § 130a SGB V. Die fast 100 gesetzlichen Krankenkassen sind hier sehr erfolgreich und haben fast 30.000 solcher Verträge abgeschlossen.
- Festbetragsgrenzen. Hier handelt es sich um Maximalpreise von Medikamenten mit gleichem Wirkstoff oder gleichem Wirkmechanismus und Anwendungsgebiet, die von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden.
Liegt der Preis eines Arzneimittels über diesem Festbetrag, hat der Patient die Wahl, die Differenz aufzuzahlen oder, wenn eine Austauschbarkeit möglich ist, sich ein Medikament aushändigen zu lassen, dessen Preis auf Niveau des Festbetrags liegt.
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