Deutschland am Scheideweg: Wie nachhaltig ist der Wohlstand durch Export?

Export ist die Quelle deutschen Wohlstands. Das bedeutet nicht nur Abhängigkeit von der Konjunktur anderer Länder. Warum Exportüberschüsse dem Land noch schaden können.

Vielfach werden derzeit die ökonomischen Folgen zunehmender geopolitischer Spannungen diskutiert, so etwa in der Rede der EZB-Präsidentin Christine Lagarde in Jackson Hole, in Berichten über das Treffen der wichtigsten Zentralbankchefs dort oder auch in Kommentaren zum jüngsten Treffen der BRICS-Staaten.

Dabei schwankt das Pendel zwischen Warnungen vor Wohlstandsverlusten durch Protektionismus einerseits und Überlegungen andererseits, sich aus Abhängigkeiten internationaler (Zu-)Lieferketten zu befreien (Stichwort "De-Risking", "Reshoring" usw.). Wo steht die deutsche Politik in dieser Debatte? Und was hat die aktuelle Rezession in Deutschland damit zu tun?

Die durch die Corona-Krise und den Ukraine-Krieg ausgelösten Schocks haben gezeigt, wie sehr die deutsche Wirtschaft auf Importe aus Asien (etwa Mikrochips aus Taiwan, Antibiotika aus Indien, um nur zwei bekannte Produkte zu nennen) und russische Gaslieferungen angewiesen war und zumindest teilweise noch ist.

Deshalb werden inzwischen sowohl die Diversifizierung des Kreises Rohstoff zuliefernder Länder als auch die Rückansiedlung von ins außereuropäische Ausland verlagerter Produktionszweige mit Subventionen in Angriff genommen (Beispiel TSMC in Dresden, Intel in Magdeburg) oder immerhin ins Auge gefasst. Man möchte in Hinblick auf Importe weniger verletzlich und grundsätzlich unabhängiger werden – auch wenn man weiterhin an die Exporterfolge der vergangenen zwei Jahrzehnte anknüpfen will.

Überschüsse auf Kosten anderer Länder

Deutschlands Exporte machten vor 20 Jahren knapp ein Drittel seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Diese Zahl steigerte sich bis zum Jahr 2019 auf ungefähr 47 Prozent, brach während der Coronapandemie 2020 ein und legte bis 2022 auf 50 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft zu. Im Gegensatz dazu nahm z. B. die französische Exportquote in den zwei zurückliegenden Jahrzehnten fast gar nicht zu, sie schwankt seit vielen Jahren um ein Drittel der französischen Wirtschaftsleistung.

Diese unterschiedliche Entwicklung der beiden Nachbarländer ist bemerkenswert, liegt deren Wohlstandsniveau pro Kopf doch näher beisammen als in den anderen großen europäischen Ländern und ist die Produktivität pro Beschäftigten und auch pro Arbeitsstunde in Frankreich sogar geringfügig höher als in Deutschland. Hat Deutschland mehr und anders an der Globalisierung teilgenommen als Frankreich und macht sich das im Zuge global wirkender Schocks wie der Coronapandemie oder des Kriegs in der Ukraine nun negativ(er) bemerkbar?

Ein Blick auf die Entwicklung der Importe hilft hier weiter. Sie verlief in Deutschland ähnlich dynamisch wie die der Exporte: Der Anteil der Importe am BIP stieg zwischen 2000 von 31 Prozent bis 2019 um zehn Prozentpunkte. Die Verflechtung der deutschen mit der Weltwirtschaft ist also von der Ex- wie Importseite her enorm hoch und höher als bei unserem westlichen Nachbarn. Doch der Anteil der deutschen Einfuhren am BIP blieb stets hinter dem der Ausfuhren zurück.

Also hat Deutschland, genau genommen: bestimmte Gruppen innerhalb Deutschlands, von der Globalisierung nicht nur in erheblichem Maße profitiert, sondern vor allem zulasten anderer Länder. Dank überbordender Wettbewerbsfähigkeit (die restriktive Lohnpolitik im Windschatten des Euro lässt grüßen, auch wenn das weder Arbeitgeber noch Gewerkschaften hören wollen) haben deutsche Anbieter dem Ausland mehr Nachfrage entzogen, als das Ausland Nachfrage aus Deutschland auf sich lenken konnte.

Seit 2004 bewegt sich der jährliche Exportüberschuss von Waren und Dienstleistungen im dreistelligen Milliardenbereich oder im Mittel bei 5,9 Prozent des BIP. Einen Höhepunkt erreichten die Handelsüberschüsse 2015 mit 7,6 Prozent (das entsprach 230 Milliarden Euro). Der Saldo der Leistungsbilanz, die zusätzlich zum Güterhandel auch noch die Einkommens- und Vermögensströme mit dem Ausland abbildet, fällt sogar regelmäßig noch höher aus (gut 260 Milliarden Euro oder zwischen sieben und acht Prozent des BIP).

Frankreichs Außenbeitrag wie sein Leistungsbilanzsaldo schwanken hingegen seit vielen Jahren um null, zwischen 2000 und 2019 lagen sie im Schnitt bei -0,3 bzw. -0,1 Prozent des französischen BIP. Trotzdem wurde über die französische Wirtschaft in der (internationalen) Presse nicht so lamentiert wie jetzt über die deutsche.

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