Deutschland, einig Klimaland?
- Deutschland, einig Klimaland?
- Vom "Kapitalozän" soll nicht geredet werden
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Die Reaktionen auf das Karlsruher Urteil zum Klimaschutz machen stutzig. Es könnte als Begründung für neue Zumutungen dienen. Ein Kommentar
Deutschland, ein Land von Klimaschützern? Diesen Eindruck könnte man haben, wenn man die ersten Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz verfolgt.
Begreiflicherweise war der Jubel in den verschiedenen Fraktionen der Umweltbewegung groß. Vom Bund für Umwelt- und Naturschutz, über Fridays for Future bis zur Klimaliste zeigte man sich mit dem Urteil sehr zufrieden.
Aus der Parteienlandschaft gab es – mit Ausnahme der AfD und ihres rechten Umfeldes - fast nur zustimmende Reaktionen auf das Urteil: "Die Reaktionen der Regierungsparteien fallen überraschend positiv aus - richtet sich das Urteil doch eindeutig gegen ihre Politik", konstatierte die Süddeutsche Zeitung.
Auftrag für Ökokapitalismus
Auch führende Unionspolitiker und sogar FDP-Chef Linder sahen im Urteil "einen Auftrag" oder ein "Signal". Fragt sich nur: Auftrag wofür? Die Politiker sahen sicher nicht zu Unrecht, dass das Urteil ein Signal für einen ökologisch grundierten Kapitalismus ist, der vielleicht demnächst durch eine aus Grünen und Union bestehende Regierung auch seinen parteipolitischen Ausdruck findet.
Dabei darf man aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Dass Klimaschutz nun endgültig Verfassungsrang hat, liegt daran, dass der Abschied vom fossilen Kapitalismus weltweit sehr weit vorangeschritten ist. Das Urteil spiegelt dies auch wider. Claudia Kemfert, ein wichtiges Gesicht dieses Ökokapitalismus, war denn im Deutschlandfunk ebenfalls voll des Lobes für die Gerichtsentscheidung, die auch sie "bahnbrechend und historisch" nannte.
Vorwärts in die technokratische Herrschaft?
In dem Urteil werden einige Essentials festgeschrieben, die den Verteidigern eines ökologischen Kapitalismus gut gefallen. Das zeigt sich schon daran, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber verpflichtet, Klimaziele für die Zeit nach 2030 zu formulieren. Genau das wird allgemein sehr freundlich begrüßt, ohne zu bedenken, dass damit auch der bürgerliche Parlamentarismus ausgehebelt wird.
Denn, wer weiß heute, wie ein Parlament in zehn Jahren zusammengesetzt ist? Aber nach bürgerlichem Verständnis sollten doch die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter die Politik bestimmen. Das ist natürlich in einer kapitalistischen Klassengesellschaft immer schon mehr Anspruch als Realität. Doch schon längst wird selbst der Anspruch durch immer mehr technokratische Zwänge, die von Politkern aber oft selbst gesetzt werden, eingegrenzt.
Mal sind es EU-Gesetze, mal die Schuldenbremse, nun hat das Bundesverfassungsgericht die Klimapolitik zumindest teilweise parlamentarischen Mehrheiten entzogen. Dass mögen viele Umweltgruppen sehr begrüßen, als Bollwerk gegen politische Gruppen wie die AfD und Co., die den Klimawandel ignorieren. Doch demokratietheoretisch ist es ein Problem, wenn immer mehr Politikbereiche parlamentarischen Mehrheiten und außerparlamentarischem Druck entzogen werden.
Hier wird eine Technokratie geschaffen, die im konkreten Fall Klimafragen verwaltet. Dabei zeigte die Geschichte der Anti-AKW-Bewegung, dass es möglich ist, ökologische Themen aus einer Minderheitenposition heraus hegemonial zu machen.
Nicht Urteile höchster Gerichte, die den AKW-Bau mit Verweis auf die Generationengerechtigkeit verbieten, sondern die Stärke des außerparlamentarischen Kampfes haben dazu beigetragen, dass in Deutschland heute ein Ausstieg aus der Atomkraft im Gange ist. Im Gegenteil – ein solches Urteil hätte die Bewegung eher gebremst und die Sache wieder auf die Ebene von Staat und Justiz zurechtgestutzt. Gerade, weil die Anti-AKW-Bewegung aber klar erkannte, dass sie weder von Staat noch von Gerichten etwas erwarten konnte und auf den außerparlamentarischen Widerstand setzte, hatte sie Erfolg.
Generationengerechtigkeit bei den Freiheitsbelastungen
Dabei hätte es, siehe allein die ungelöste Frage des Atommülls, sicher genügend Gründe gegeben, die Nutzung von AKWs mit Verweis auf die Lasten, die späteren Generationen aufgebürdet werden, zu verbieten. Genau diese Generationengerechtigkeit ist jetzt der zentrale Begriff bei dem aktuellen Urteil.
Zunächst wird in dem Urteil offen formuliert, dass zur Durchsetzung der Ziele Freiheitseinschränkungen bei der Bevölkerung nötig sind. Diese Einschränkungen sollen auf einen größeren Zeitraum aufgeteilt werden.
Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.
Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein; gerade deshalb droht dann die Gefahr, erhebliche Freiheitseinbußen hinnehmen zu müssen. Weil die Weichen für künftige Freiheitsbelastungen bereits durch die aktuelle Regelung zulässiger Emissionsmengen gestellt werden, müssen die Auswirkungen auf künftige Freiheit aber aus heutiger Sicht verhältnismäßig sein.
Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Nun ist der Begriff "Freiheitsbelastungen" ein sehr unbestimmter Begriff. Trotzdem wird er in der Urteilsbegründung verwendet, um anzuführen, dass diese Freiheitsbelastungen so groß sind, dass sie nicht den nachfolgenden Generationen aufgebürdet werden dürfen, sondern wir heute schon damit beginnen müssen. Was sich erst mal einleuchtend anhört, ist aber auch mit einer autoritären Setzung verbunden.
Das Gericht hat erst gar nicht Erwägung gezogen, dass vielleicht durch technische Errungenschaften auch andere Maßnahmen gegen eine gefährliche Klimaerwärmung denkbar wären, die mit geringen Freiheitsbelastungen für die Betroffenen verbunden sein könnten.
Erst kürzlich hat die taz einen Artikel über einen aktuellen Bericht des Weltklimarats veröffentlicht, in dem massive Einschränkungen für große Teile der Bevölkerung gefordert werden.
Wenn dann noch von "Generationengerechtigkeit" in der Klimapolitik die Rede ist, klingt auch das zunächst plausibel.
Wie mit dem Begriff Generationengerechtigkeit Wirtschaftsliberalismus vorangetrieben wird
Doch schon längst ist dieser Begriff ein wichtiges Instrument für einen weiteren wirtschaftsliberalen Umbau der Gesellschaft geworden. Von Generationengerechtigkeit reden mit Vorliebe junge Politiker von Union und FDP, wenn sie weitere soziale Einschnitte bei den nicht mehr ganz so jungen Teil der Bevölkerung vorantreiben wollen.
Hier wird ganz bewusst eine Spaltung zwischen Alten und Jungen vorangetrieben. Es wird vergessen gemacht, dass ein Großteil der älteren Menschen, denen oft auch noch Altersarmut droht, keineswegs zu den Privilegierten gehörten. Zudem sind es auch nicht die Älteren pauschal, die besonders für die Umweltverschmutzung verantwortlich sind. Gerade viele Menschen im Rentenalter gehören anders als die nach 1980 geborene Generation nicht zu den Vielfliegern.