Deutschland und das russische Erdgas

Die Rohre für die Pipeline liegen bereit. Bild: Nord Stream 2 / Axel Schmidt

Nord Stream 2 soll bald gebaut werden, aber noch fehlen Genehmigungen, die USA üben Druck aus

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Die einzelnen Röhren liegen schon an der Ostsee. Die Betonummantelung der einzelnen Röhren ist nach Plan angelaufen. Ab Februar 2018 sollen die Rohre in der Ostsee versenkt werden. Läuft alles wie geplant, kann die 1200 Kilometer lange Ostseepipeline namens Nord Stream 2 vielleicht schon 2019 Erdgas aus Russland direkt nach Deutschland liefern.

Doch kurz vor Baubeginn schießt die Politik massiv quer. Noch fehlen die behördlichen Genehmigungen aus den fünf Länder, die zustimmen müssen: Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland. Die Gegner des Projekts sehen deshalb ihre letzte Chance, den Bau zu verhindern. Osteuropäische EU-Mitglieder und Russland-Kritiker im Westen lehnen die Pipeline ab, da auf diese Weise die osteuropäischen Länder Weißrussland, die Ukraine und Polen als Transitländer bei der Erdgasversorgung Westeuropas umgangen werden können. Außerdem wird befürchtet, dass dadurch die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas und damit von Russland steigt.

Dänemark stellt sich quer

Schon heute gibt es die Nord-Stream-Pipeline, die seit 2011 in Betrieb ist. Nord Stream 2 soll weitgehend parallel dazu verlaufen. Doch in Dänemark wurde vergangene Woche ein Gesetz verabschiedet, wonach das Verlegen von Stromkabeln und Röhren nicht nur aus Gründen des Umweltschutzes untersagt werden kann, sondern auch, wenn außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitische Hindernisse vorliegen.

Das Gesetz soll zu Beginn des Jahres 2018 in Kraft treten. Die Betreiber von Nord Stream 2 überlegen, die Pipelineroute zu ändern, wenn die Genehmigung versagt wird. Bislang sollte sie südlich von Bornholm verlegt werden. Aber nun prüft das Unternehmen einen Weg nördlich der Insel, wo die Röhre in internationalen Gewässern verlegt werden kann.

Ex-NATO-Generalsekretär als Lobbyist

Gegen die Pipeline spricht sich auch ein politisch prominenter Däne aus: Deutschland tappe in Putins Falle, warnte Anders Fogh Rasmussen, der von 2009 bis 2014 NATO-Generalsekretär war. "Nicht nur Gas wird durch die Pipeline fließen, sondern auch der russische Einfluss. Europa versucht, sich von seiner Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen, die Russland in den letzten Jahren als politische Waffe genutzt hat. Russland liefert aktuell 34 Prozent des europäischen Gases. Mit NS2 würde der Anteil auf 40 Prozent steigen", sagte er der Bild-Zeitung (http://www.bild.de/politik/inland/nord-stream-2/rasmussen-interview-deutsch-54045930.bild.html).

Was Rasmussen dabei freilich nicht erwähnte: Er ist seit 2016 Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und hat als solche die Gruppe "Freunde der Ukraine" begründet - eine Lobbygruppe, die nach eigenen Angaben für größere westliche Unterstützung der Ukraine gegen Russland wirbt. Unter den 14 Mitgliedern, alles Diplomaten und Politiker, sind auch zwei Deutsche: Hans-Gert Pöttering (CDU), bis vor wenigen Tagen Vorsitzender der Konrad-Adenauer Stiftung, sowie die Grüne Marieluise Beck.

Konsequenterweise hebt Rasmussen in seiner Kritik auch darauf ab, dass der Ukraine durch die Pipeline in der Ostsee Einnahmen entgehen: "Nord Stream 2 (NS2) ist ein Vorzeigeprojekt im Rahmen von Russlands Anstrengungen, Europas Abhängigkeit von russischem Gas aufrechtzuhalten, den eigenen Einfluss im Herzen der EU zu verfestigen und der Ukraine die Gebühren für den Gas-Transit zu entziehen." Rasmussen bezifferte die Transitgebühren, die an die Ukraine gehen, auf zwei Milliarden Euro pro Jahr, was sechs Prozent der Haushaltseinnahmen des Landes entspreche. Warum es aus Sicht deutscher Verbraucher besser sein soll, Wegzoll zu bezahlen, erklärte Rasmussen freilich nicht.

Brüssel für neue Regeln

Aber nicht nur Dänemark und Osteuropa sind gegen Nord Stream 2. Die EU-Kommission ist plötzlich für "gemeinsame Vorschriften für Gasfernleitungen, die den europäischen Erdgasbinnenmarkt beliefern". Dazu soll die bestehende Gasrichtlinie (2009/73/EG) geändert werden. Die wesentlichen EU-Energievorschriften wie der Zugang Dritter, die Entgeltregulierung, eigentumsrechtliche Entflechtung und Transparenz sollen künftig für alle größeren Pipelines in die EU gelten, teilte die Kommission mit. Damit komme man einem integrierten EU-Gasmarkt näher, auf dem transparente, gleiche Regeln für alle gelten.

In Anbetracht der Tatsache, dass Nord Stream 2 kurz vor Baubeginn steht, liest sich die Erklärung der EU-Kommission wie eine Kampfansage, wenn es dort an die Adresse von Nord Stream 2 weiter heißt: "Diese Regeln betreffen Nord Stream 2 genauso wie alle anderen Projekte. Projektvertreter sollten die Rechtssicherheit begrüßen, die durch den Vorschlag geschaffen würde." Im Übrigen sei man wegen Nord Stream 2 zwar verhandlungsbereit, aber: "Die Kommission sieht keine Notwendigkeit, neue Infrastruktur im Umfang von Nord Stream 2 zu bauen. Die EU unterstützt weiter russische Gasimporte, die durch die Ukraine gehen."

Rechtsunsicherheit made in Brüssel

Nord Stream 2 beschuldigt die EU-Kommission nun, mit ihrem Vorstoß Rechtsunsicherheit geschaffen zu haben. Die EU-Kommission schlage öfters Dinge vor, die von den EU-Mitgliedern abgelehnt werden.

Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte die Pläne der EU-Kommission. Es müsse eine "gesicherte Rechtsgrundlage" beim Bau von Pipelines geben, sagte er dem russischen Staatssender RT Deutsch. "Was, glaube ich, kein gutes Signal wäre, ist, wenn man mitten im Verfahren die Rechtsgrundlagen ändert", hatte er am Rande der 10. Deutsch-Russische Rohstoff-Konferenz in St. Petersburg Ende November erklärt. Deutschland habe im Übrigen ein Interesse daran, die Sanktionen gegen Russland wieder abzubauen, wenn das politisch möglich sei, stellte er dort klar. Außerdem müsse das Gasnetz in Europa ausgebaut werden, um einseitige Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten zu vermeiden.

Anhaltender US-Druck

Auch die USA sind gegen Nord Stream 2. Diese Haltung hat Washington nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident. 2008 forderte der US-Botschafter in Schweden, Michael M. Wood, in einem ganzseitigen Artikel in der Tageszeitung "Svenska Dagbladet" die Schweden auf: "Sagt Nein zu Russlands unsicherer Energie". Damals ging es um die erste Nord-Stream-Pipeline.

Doch Wladimir Putin hatte schon 2005 den gerade ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder als Aktionärsvertreter zu Nord Stream berufen. Die Pipeline wurde schließlich gebaut. Jetzt wiederholt sich das Schauspiel von damals: 2016 warnte der damalige US-Vizepräsident Joe Biden in Schweden ganz im Stil von Donald Trump, die Pipeline sei ein "schlechter Deal" für Europa.

Im Mai schickte Washington die im Außenministerium für Energieverhandlungen zuständige Robin Dunnigan nach Dänemark. Dort erklärte sie, Europa solle sich besser nach anderen Lieferanten umsehen. Die Dänen seien bezüglich der Pipeline gefangen "between rock and a hard place", kommentierte die englischsprachige Copenhagen Post, also in der Zwickmühle.

Neue Sanktionen gegen Russland

Hintergrund sind neben geostrategischen Überlegungen und Meinungsverschiedenheiten mit Russland massive Überkapazitäten in den USA: Für das durch Fracking produzierte Gas werden in Europa Abnehmer gesucht. Am 8. Juli kam ein erster Tanker mit Flüssiggas in Großbritannien an.

Der US-Kongress beschloss im Juli neue Sanktionen gegen Russland, die sich auch auf Nord Stream 2 anwenden lassen. Bundesaußenminister Gabriel hatte deswegen im Vorfeld zusammen mit dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern gewarnt, sie könnten keine "Drohung mit völkerrechtswidrigen extraterritorialen Sanktionen gegen europäische Unternehmen, die sich am Ausbau der europäischen Energieversorgung beteiligen", akzeptieren. Die USA wollten amerikanisches Flüssiggas nach Europa verkaufen und deshalb Russland vom europäischen Markt fernhalten:

"Europas Energieversorgung ist eine Angelegenheit Europas, und nicht der Vereinigten Staaten von Amerika! Wer uns Energie liefert und wie, entscheiden wir, nach Regeln der Offenheit und des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs."

Merkel in Zugzwang

Russland drängt Kanzlerin Angela Merkel jetzt, Position zu beziehen. "Früher oder später wird Merkel dennoch ihre Position zu Nord Stream 2 offenlegen müssen und genau das wird zeigen, welche außenpolitische Richtung Deutschland einschlagen wird - eine proamerikanische oder aber eine mit dem Ziel, ein souveränes Deutschland aufzubauen, darunter durchaus möglich im Bündnis mit Russland und China", sagte der Direktor des russischen Instituts für gegenwärtige Ökonomie, Nikita Isaev, der staatsrussischen Medienseite Sputnik.

Nord Stream übt sich derweil in Optimismus: Man erwarte aber die ersten positiven Bescheide noch in diesem Monat, meinte kürzlich Nord-Steam-2-Finanzvorstand Paul Corcoran. Ende 2019 solle die Röhre wie geplant fertig sein.