Deutschlands Gasreserven und die globale LNG-Krise: Was der Winter bringen könnte
Deutschland kam ohne Engpässe durch den Winter. Zwar sind die Gasspeicher jetzt gut gefüllt, doch der Markt lässt aufhorchen. Warum Gassparen wieder angesagt sein könnte.
Bei den derzeitigen Außentemperaturen mag kaum jemand an den nächsten Winter denken. Die Gasmengen in den Untertagespeichern können den deutschen Winterbedarf von zwei bis drei Monaten decken. Das beruhigt die Bevölkerung. Schließlich ist es im letzten Winter gut gegangen.
Doch zu den Risiken der vergangenen Heizperiode sind inzwischen neue hinzugekommen. Die deutsche Wirtschaftsweise Veronika Grimm stellt in diesem Zusammenhang fest:
Es gibt ja noch Länder in Europa, die russisches Gas beziehen, und wenn die Versorgung eingestellt würde, müssen wir zu Hilfe eilen. Was für den letzten Winter galt, gilt für diesen Winter auch. Und man kann hoffen, dass es wieder glimpflich abgeht.
Streiks in Australien, einem wichtigen Produzenten, könnten das fragile Gleichgewicht der weltweiten Versorgung stören und die Rechnungen der Verbraucher erneut in die Höhe treiben. Nach dem starken Anstieg der Gaspreise im vergangenen Winter fordern die Arbeiter in den australischen Anlagen von Chevron und Woodside Energy Group, die mehr als 10 Prozent zur weltweiten Flüssiggasversorgung beitragen, nun höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.
Die von dem Streit betroffene Jahreskapazität ist etwas mehr als zweieinhalbmal so groß wie die der US-Anlage Freeport LNG in Texas, deren monatelanger Stillstand nach einer Explosion und einem Brand im Juni 2022 die Märkte in Aufruhr versetzte.
Asien ist als großer LNG-Kunde zurück am Markt
Nach der Coronapandemie sind viele asiatische Produzenten wieder aktiv und leisten aufgrund der hohen Nachfrage zunehmend Überstunden. Die Gefahr von Streiks an den australischen LNG-Anlagen Gorgon, Wheatstone und North West Shelf ist jedoch bisher nicht gebannt. Wenn sie nur einen Monat andauern, könnten drei Millionen Tonnen LNG vom Markt genommen werden.
Die Auswirkungen könnten erheblich sein, da Japan, Thailand und Taiwan in diesem Jahr jeweils rund ein Viertel ihrer Lieferungen aus diesen Anlagen bezogen haben. Auch 14 Prozent der Importe Chinas und 28 Prozent der Importe Singapurs stammen aus diesen Anlagen.
LNG-Terminals und -Tanker (11 Bilder)
Diese Länder könnten jetzt gezwungen sein, sich an den Spotmärkten zu bedienen, da das LNG-Angebot nach wie vor sehr begrenzt ist. Ein Bieterkrieg mit Europa könnte die Verbraucherrechnungen in beiden Regionen wieder deutlich in die Höhe treiben.
Ob sich die Hoffnung erfüllt, dass die chinesische Wirtschaft so stark schrumpft, dass LNG auf dem Weltmarkt frei wird und die Komponentenlieferketten aus China davon unberührt bleiben, ist derzeit völlig offen. Hinzu kommt, dass die Gasnachfrage in China auch durch die Verlagerung der Produktion in südostasiatische Länder, deren Wirtschaft zu einem großen Teil von Chinesen dominiert wird, zurückgegangen ist.
Für Indien, das die deutsche Bundesregierung als Alternative zu China gewählt hat, könnte LNG im kommenden Winter zu teuer werden. Man hat sich bereits entschieden, Angebote für Lieferungen, die man kürzlich für 2024 angefordert hat, nicht anzunehmen. Im Zweifelsfall wird man die Exporte nach Europa einschränken und sich auf den Binnenmarkt konzentrieren.
Bei zahlreichen LNG-Quellen bestehen noch große Fragezeichen
Trinidad und Tobago hat eine Anlage wegen geplanter Arbeiten im August stillgelegt, und Ägypten hat fast alle Exporte eingestellt, da das heiße Wetter die Inlandsnachfrage nach Strom für Klimaanlagen angekurbelt hat. Auch das nigerianische Angebot ist aufgrund von Problemen bei der Gasversorgung und der politischen Situation in der Region unterdurchschnittlich.
Bleibt die Hoffnung auf die USA als weltweit größten und flexibelsten LNG-Lieferanten. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass derzeit nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ob die atlantische Hurrikansaison die US-Golfküste, wo sich die US-LNG-Exporteure konzentrieren, weiterhin verschonen wird. Die Wahrscheinlichkeit einer ungewöhnlich aktiven atlantischen Hurrikansaison steigt laut US-Meteorologen mit der Erwärmung der Ozeane.
Auf russisches Erdgas scheint man auch in Zukunft nicht verzichten zu können. Noch werden osteuropäische Kunden über Pipelines mit Gas aus Russland versorgt. Europa ist dabei auf den guten Willen der Regierung in Moskau angewiesen. Allen politischen Wünschen und der Blockade bzw. Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline zum Trotz importiert die EU inzwischen wieder mehr Erdgas aus Russland, nun in der weniger energieeffizienten Form als LNG per Tanker.
Vor Murmansk ging kürzlich das 420 Meter lange und 60 Meter breite Flüssiggasterminal Saam FSU vor Anker, das der private russische Gaskonzern Nowatek für 700 Millionen Euro bei der südkoreanischen Daewoo-Werft in Auftrag gegeben hatte.
Rund 16 Prozent der LNG-Importe in die EU stammen heute von Nowatek aus Russland, das nach den USA zum zweitwichtigsten Flüssiggaslieferanten Europas aufgestiegen ist. Für die EU erweist es sich in der aktuellen Situation als Vorteil, dass bislang weder LNG aus Russland noch Nowatek von den Sanktionsmechanismen der EU betroffen sind.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Konzern mehrheitlich den Milliardären Gennadi Timtschenko und Leonid Michelson gehört, die als alte Freunde von Präsident Putin gelten. Inzwischen ist der private Nowatek-Konzern Nachfolger von Gazprom auf dem europäischen Markt.
Die Abhängigkeit Deutschlands von Erdgas aus Russland hat sich durch die Sanktionspolitik der EU nicht verringert, aber das Preisniveau ist gestiegen und die LNG-Tanker lassen sich je nach politischer Lage leichter umleiten als bei den früheren Pipelineverbindungen. Die Leidtragenden sind die Kunden hierzulande, die nun mit volatileren Preisen rechnen müssen, die nach dem Ratchet-Effekt meist nur den Weg nach oben kennen.
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