Deutschlands Klimaziele unter Druck: Der Streit um den Kohleausstieg eskaliert

FDP ist gegen einen Kohleausstieg bis 2030. Ziel sei unrealistisch, sagt ihr Vorsitzender. Zerbricht die Koalition am neuen Streit? Warum die Liberalen falschliegen.

Der Kohleausstieg sorgt einmal mehr für Spannungen in der Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Nach langen Diskussionen war er auf das Jahr 2030 festgelegt worden, nun möchten die Liberalen offenbar aus dem Konsens ausscheren.

Das Verhalten der FDP lädt zu Spekulationen ein. Wollen die Liberalen all jene Bundesbürger beeindrucken, die schon vor Jahren den Ausstieg aus dem Atomausstieg feierten? Oder verabschieden sie sich schleichend von der Ampel in der Hoffnung auf eine Koalition mit den Christdemokraten?

Dass die FDP in Umweltfragen innerhalb der Ampelkoalition grundsätzlich die Oppositionsrolle einnimmt, scheint ein Geburtsfehler der aktuellen Berliner Regierung zu sein. Das Wiederaufleben einer wankelmütigen deutschen Energiepolitik, die der Regierung Merkel vorgeworfen wurde, mag sich in der aktuellen politischen Stimmungslage in guten Umfrageergebnissen widerspiegeln, für Investoren wird Deutschland jedoch eher unkalkulierbar.

"Träumerei" nennt der amtierende Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) einen Kohleausstieg bis 2030 statt 2038. Es sei bis jetzt nicht klar, ob Energie verfügbar und bezahlbar sei. Für das Klima bringe ein vorgezogener deutscher Kohleausstieg ohnehin nichts, da die in Deutschland eingesparten CO₂-Emissionen aufgrund europäischer Regeln zum Beispiel in Polen zusätzlich entstehen dürften.

Diese Aussage entspricht aber offensichtlich nicht der Realität. Denn die CO₂-Zertifikate, die in Deutschland durch den vorgezogenen Kohleausstieg frei werden, könnten gelöscht werden, wenn man verhindern will, dass die in Deutschland vermiedenen Emissionen ganz legal anderswo in Europa entstehen dürfen.

Ganz auf den freien Markt will man sich offenbar auch in Brüssel nicht verlassen. Bei der marktgläubigen FDP scheint diese Information bisher nicht angekommen zu sein. Aber vielleicht orientieren sich die Liberalen ja stärker an den USA.

In den USA scheint die Dekarbonisierung kein Thema zu sein

Dort schwimmen die Energiekonzerne im Geld. Und durch Firmenübernahmen kommen die US-Konzerne einer Monopolisierung des nordamerikanischen Marktes immer näher.

Gleichzeitig geht die Internationale Energieagentur (IEA) in einer Prognose davon aus, dass das Ende der fossilen Energieträger absehbar ist. Demnach wird die weltweite Nachfrage nach Öl und Gas im Jahr 2030 ihren Höhepunkt erreichen und danach zurückgehen.

In den Chefetagen der US-Ölkonzerne scheint man der Prognose der IEA allerdings nicht zu glauben. Zumindest wird diese Meinung in der Öffentlichkeit vertreten, um die Geschäfte wie gewohnt weiterführen zu können. Dass man intern gegenteilige Informationen vorliegen hat, ist möglich, wie sich zu diesem Themenkomplex in der Vergangenheit bereits gezeigt hat.

Der FDP-Vorschlag basiert nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen

Der Klimawandel ist kein Thema für parteipolitische Ränkespiele. Darauf macht eine Studie aufmerksam, die Ende Oktober in der Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht wurde. Demnach könnte die Menge an Kohlendioxid, die noch ausgestoßen werden darf, nur halb so groß sein wie im jüngsten Sachstandsbericht des IPCC angenommen. Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens wird demnach bei einem "Weiter so" mit Sicherheit gerissen.

Im IPCC-Sachstandsbericht wurde das verbleibende Budget im Beitrag der Arbeitsgruppe III noch mit 500 Gigatonnen CO₂-Emissionen beziffert. In der jetzt veröffentlichten Studie sind es nur noch 250 Gigatonnen an zusätzlichen Emissionen, die noch möglich sind, um das 1,5-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu erreichen.

In diesem Fall wäre das verbleibende CO₂-Budget in den nächsten sechs Jahren aufgebraucht. Vorausgesetzt, die CO₂-Emissionen werden nicht deutlich reduziert.

Aus parteipolitischer Sicht mag das verschmerzbar sein, weil die heute politisch Verantwortlichen dann ihre Ruhestandsbezüge genießen können und nicht im Feuer stehen, wenn die Folgen ihrer Entscheidungen zu größeren Verwerfungen in der Weltbevölkerung führen.

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