Diderots Traumtagebuch

Tanz der Gehirne, Teil 3

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Wikipedia ist nicht die einzige Website, deren Inhalte von vielen Nutzern gemeinsam erstellt werden. Spin-Off-Projekte verwenden die Wikipedia-Software für andere Ziele, Info-Communities wie Everything2 und H2G2 heben sich durch eigene Regeln, Funktionen und Oberflächen von der Welt der Wikis ab. Doch während in Wikis jeder alles bearbeiten darf, wird hier getrennt gewerkelt, häufig an Artikeln zum gleichen Thema. Auch diese Communities zeigen, wie groß die Bereitschaft der Nutzer ist, ihr gesammeltes Wissen anderen frei zur Verfügung zu stellen - aber auch, wie bedeutsam die Idee des "Open Content" ist, und wie schwer es sein kann, hochwertige Informationen zu finden.

Die frei verfügbare Wikipedia-Software ist ideal für Wissensbasen aller Art, und so verwundert es nicht, dass verschiedene Spin-Off-Projekte entstanden sind. Das bekannteste davon ist wohl die Disinfopedia von Sheldon Rampton. Rampton ist zusammen mit John Stauber Autor der Bestseller "Toxic Sludge is Good For You" und "Trust Us, We're Experts", die im Detail erklären, wie PR-Agenturen und Think-Tanks die öffentliche Meinung zugunsten ihrer Auftraggeber beeinflussen. Die Bücher handeln von der Pseudowissenschaft der Tabakindustrie und vom Aufbau falscher "Graswurzel-Bewegungen", die sich im Namen der Konsumenten gegen deren Rechte engagieren; von Auftragswissenschaftlern und solchen, deren Forschungsergebnisse gezielt vertuscht wurden; vom Einsatz von Propaganda in Kriegen und Unternehmenskrisen.

Rampton hat sich damit international einen Namen als "Desinfo"-Experte gemacht; im Rahmen seiner Organisation Center for Media and Democracy betreibt er bereits seit längerem die Website P.R. Watch, die einen täglichen Newsletter über die Machenschaften der Propaganda-Industrie herausgibt. Von Wikipedia erfuhr er erstmals auf der World Information Conference in Amsterdam im Dezember 2002. Sofort war er von der Idee begeistert und nutzte seine IT-Kenntnisse, um mit der Software zu experimentieren. Die erste Version von Disinfopedia machte er noch im gleichen Monat ausgewählten Besuchern zugänglich, die nächsten Wochen verbrachte er damit, die Website mit Inhalten zu füllen. Am 10. März ging das Projekt schließlich an die Öffentlichkeit.

Die Website grüßt mit dem ehemaligen Logo der Pentagon-Überwachungsinitiative Total Information Awareness: das leuchtende Auge in der Pyramide, das die ganze Welt erfasst - ein gefundenes Fressen für Verschwörungstheoretiker. "Total Disinformation Awareness" verspricht die Website, und verzeichnet mittlerweile immerhin um die 1000 Texte. Dabei handelt es sich oft um längere Artikel aus den Büchern oder Zitate von relevanten Websites.

Wie Wikipedia steht auch Disinfopedia unter der GNU FDL. Dank der kompatiblen Lizenzen können Texte direkt aus Wikipedia übernommen werden. Anstatt der Doktrin vom neutralen Standpunkt soll sich in Disinfopedia aber alles "fair und akkurat" abspielen; wenn ein Standpunkt nur von einer Minderheit aus finanziellen Motiven verbreitet wird, verdient er in Disinfopedia keine ausführliche Behandlung.

Die Meinungsmacher

Wie Propaganda funktioniert soll mit Fallstudien illustriert werden. Der Artikel Coalition for Southern Africa erklärt beispielsweise, wie Shell mit Hilfe einer PR-Agentur versuchte, Boykotte wegen seiner Geschäftsbeziehungen zum Apartheid-Regime in Südafrika abzuwenden: Eine "Koalition für Südafrika" wurde gegründet, die in der Öffentlichkeit betonen sollte, wie sehr sich Shell doch gegen Apartheid und für die Gleichstellung von Schwarzen einsetze. Auch aktuelle Themen werden behandelt: Der öffentlich organisierte Sturz der Hussein-Statue in Bagdad wird kurz dokumentiert, der Artikel über SARS vergleicht die Reaktion auf die Lungenkrankheit durch die kanadische und die chinesische Regierung.

Ein Verzeichnis listet die zahlreichen industriefinanzierten "Experten" auf, die als Kronzeugen gegen "Mythen" wie die globale Erwärmung oder die Schädlichkeit des Passivrauchens angeführt werden, aber auch Think Tanks und industrie-freundliche Organisationen werden katalogisiert.

Disinfopedia ist eine wichtige Ressource, doch das Themenspektrum erfordert viel Vorwissen. Bisher gibt es das Projekt nur auf Englisch, eine deutsche Version ließe sich bei Bedarf aber leicht aufsetzen. Bleibt die Frage, inwieweit Disinfopedia selbst zum Ziel von Desinfo-Kampagnen werden könnte. Nicht industriefreundliche Kampagnen wären das Problem, sondern hochmotivierte Nutzer, die scheinbar korrekte Informationen mit unscheinbaren Fehlern, falschen Quellenangaben usw. einfügen oder die Glaubwürdigkeit des Projekts auf andere Weise unterminieren.

Andere Spin-Off-Projekte von Wikipedia existieren. Die AsiaOSC Open Source Knowledge Base und das deutsche OpenFacts-Projekt verfolgen ähnliche Ziele. Beide wollen das Wissen der OSS-Bewegung dokumentieren, wobei sich AsiaOSC auf Entwicklungen im asiatischen Raum konzentriert und OpenFacts auf die Erstellung von Dokumentation. OpenFacts ist verhältnismäßig inaktiv, aber eng an die BerliOS-Entwicklerplattform gekoppelt - jedes bei BerliOS registrierte Projekt erhält automatisch eine Seite im Wiki.

Das Consumerium-Projekt möchte freie Software für die Verwaltung von Produktinformationen für Konsumenten entwickeln und bedient sich zur Informationsorganisation eines Wikipedia-basierten Wikis. Unilang dagegen ist eine schnell wachsende Community "von und für Sprach-Freaks", die Informationen über Grammatiken und Vokabular der verschiedensten Sprachen sammelt. Das Wikipedia-Team hat zu einem ähnlichen Zweck das Wiktionary-Projekt gestartet, das sich zum weltgrößten Wörterbuch in allen Sprachen entwickeln soll. Mit immerhin schon rund 2700 Einträgen wächst Wiktionary recht schnell, doch hier gibt es zahlreiche kostenlose Alternativen im Web, die i.d.R. noch deutlich umfangreichere Infos bringen. Alle diese Projekte sind Open Content, OpenFacts verwendet anstelle der FDL die Public Domain.

Wikipedia-Spinoffs profitieren von der schnellen Entwicklung der Software, unterscheiden sich aber natürlich in ihrer Funktionalität nicht wesentlich vom großen Vorbild. Anders sieht es bei den Projekten Everything2 und H2G2 aus: Bei beiden handelt es sich um offene Wissensdatenbanken, doch sie funktionieren gänzlich anders als die bisher diskutierten Wikis.

Slashdots kleiner Bruder

Everything2 war ursprünglich als Erweiterung des Geek-Weblogs Slashdot gedacht. Im Frühjahr 1998 strickte Nate Oostendorp, Hacker und Freund des Slashdot-Gründers Rob Malda, die erste Version von "Everything" zusammen, die unter everything.slashdot.org zu finden war. Wie der Name andeutet, sollte die Website jedem Besucher erlauben, zu praktisch jedem Thema Hintergrundartikel zu schreiben - zunächst waren das aufgrund der Nutzer-Community natürlich die typischen Slashdot-Themen wie Linux, PC-Hardware, Star Wars und Anime.

Ein typischer Everything2-Artikel: (1) ist ein Link auf einen nicht-existierenden Artikel, (2) die Zahl der "Coolings", die der Artikel durch andere Nutzer bekommen hat, (3) der Name des Autors, (4) ein Link auf einen existierenden Artikel (kein sichtbarer Unterschied in der Darstellung). Abgesehen von den immer angezeigten "Coolings" wird die Bewertung des Artikels erst sichtbar, wenn der Leser selbst eine Beurteilung abgegeben hat. Man beachte die hohe Zahl von Links, die von den meisten Autoren auf praktisch jedes relevante Substantiv gesetzt werden.

1999 wurde die Software neu geschrieben, und am 13. November ging die Website unter dem Namen Everything2.com erneut an den Start, jetzt deutlich abgekoppelt von Slashdot. Die Everything-Hacker gründeten eine Firma namens Blockstackers, welche die Software für andere Anwendungszwecke vermarkten sollte. Daneben schaltet Everything2 Werbebanner und ruft regelmäßig zu Spenden auf.

Während Wikipedia-Inhalte dank der GNU Free Documentation License frei kopierbar sind und es auch bleiben, gilt für die Everything2-Texte das klassische Urheberrecht: Die Firma Blockstackers erhält lediglich das nicht-exklusive Recht zur Verbreitung über die Website, alle weiteren Rechte verbleiben bei den Nutzern. Wer also einen Artikel in anderer Form weierverwerten möchte, muss jeweils den individuellen Nutzer kontaktieren und um Erlaubnis bitten. Die Everything2-Software ist dagegen Open Source.

Everything2 enthält weder Bilder noch WWW-Links (inoffiziell werden sie manchmal angegeben, werden aber von der Software noch nicht einmal automatisch "klickbar" gemacht und bleiben folglich reiner Text). Es handelt sich also um ein weitgehend geschlossenes, textbasiertes System. Die einzige offizielle Sprache ist Englisch. Kein Open Content, keine Bilder, keine URLs, keine deutsche Version - warum sich also überhaupt damit befassen?

Insgesamt befinden sich im System derzeit fast 500.000 Artikel ("Write-Ups"), knapp 65.000 Benutzer haben sich registriert. Damit ist Everything2 rein nominal größer als Wikipedia. Wie groß die Site wirklich ist, lässt sich nicht prüfen, da die Daten nicht frei heruntergeladen werden können. Veröffentlichte statistische Analysen beschränken sich auf Systemdetails.

Was ist die Matrix?

Everything2 unterscheidet zwischen Write-Ups und "Nodes". Ein "Node" ist ein gemeinsamer Oberbegriff, unter dem sich verschiedene Artikel befinden können, auch zu völlig unterschiedlichen Themen. Nodes werden wie bei Wikis erstellt, indem man einem Link zu einem nichtexistenten Artikel folgt und diesen anlegt. Doch hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zu Wikipedia: Verweise auf nichtexistente Artikel werden genauso dargestellt wie solche auf vorhandene Texte. In einem Text mit Hunderten von Links gibt es außer "Versuch und Irrtum" also keine Möglichkeit festzustellen, welche Artikel bereits geschrieben wurden. Immerhin wird bei einem Klick auf einen nichtexistenten Link eine Volltextsuche durchgeführt, die häufig relevante ähnliche Treffer zu Tage fördert.

Schreiben kann man bei Everything2 erst, nachdem man sich registriert hat, was die hohe Zahl angemeldeter Nutzer erklärt. Ein Write-Up gehört dem jeweiligen Autor, das Editieren des gleichen Textes durch Dritte ist nicht möglich. Man kann allenfalls versuchen, dem jeweiligen Nutzer eine Nachricht zukommen zu lassen (dazu gibt es die "Chatterbox", eine Art Mini-Chat) und ihn bitten, fehlende Informationen zu ergänzen. So kommt es, dass häufig zu dem gleichen Thema eine große Zahl verschiedener Artikel mit unterschiedlichen Perspektiven existiert. Bei Wikis ist das anders: Dort wird praktisch jeder größere Artikel gemeinsam verfasst, Versuche, einen Artikel für sich zu beanspruchen, sind verpönt - eine Ideologie des Gemeinwissens, die man sonst nur in der Open-Source-Welt findet.

Um E2-Artikel zu schreiben, bedient man sich einer Untermenge der WWW-Sprache HTML; Absätze müssen mühselig mit "<P>"s voneinander getrennt werden. Links werden statt wie bei Wikipedia mit doppelten mit [einfachen eckigen Klammern] gesetzt. Everything2 ist von allen kollaborativen Systemen das Link-intensivste. Links werden von vielen Autoren als Mittel der Hervorhebung von Schlüsselphrasen in einem Text eingesetzt. Dabei macht es oft keinen Unterschied, ob jemals ein sinnvoller Text über die entsprechende Phrase geschrieben werden kann; im Gegenteil, wer seine Artikel nicht mit genügend Links übersät, wird schnell von anderen Everything2-Usern zurechtgewiesen. Alles in E2 ist darauf ausgelegt, den User im System zu halten. Der Weg des geringsten Widerstands soll es stets sein, zu anderen Texten weiter zu klicken oder eigene Artikel zu schreiben.

Die Liste von "Soft-Links", die sich unter jedem E2-Artikel befindet. Diese Liste wird dynamisch aus dem Verhalten der Leser generiert; die Helligkeit des Hintergrunds kennzeichnet die Relevanz (Popularität) des jeweiligen Links.

Eine E2-Innovation sind die sogenannten "Soft-Links". Da die Entwickler offenbar der Meinung waren, dass die zahlreichen von Autoren eingefügten Links immer noch nicht ausreichen, wird unterhalb der Liste der Write-Ups eine dynamische generierte Liste von bis zu 48 Links angezeigt. Dabei handelt es sich um eine nach Zahl der Klicks geordnete Liste von Artikeln, die Benutzer vom aktuellen Artikel aus besucht haben, oder von denen sie auf den aktuellen Artikel gekommen sind. Ein Soft-Link wird angelegt, sobald man einen "harten" Link in einem Text anklickt, oder wenn man auf einer Artikelseite die Suchfunktion nutzt und damit zu einem anderen Text navigiert. Aufgrund der Sortierung nach Popularität handelt es sich hier durchaus häufig um relevante Verweise. Das System erinnert so an ein neuronales Netz, in dem ständig dynamisch Verknüpfungen zu neuen Informationen entstehen und durch Verwendung intensiviert werden: eine interessante Idee.

Motivationskontrolle

Eine weitere E2-Eigenheit ist das "Abstimmungs- und Erfahrungssystem". Man darf nicht vergessen, dass E2 aus der Slashdot-Ecke kommt, folglich ist es wenig überraschend, dass die Entwickler von Rollenspielen wie "Dungeons & Dragons" beeinflusst wurden. Bei diesen Spielen, für die man keinen Computer braucht, schlägt sich der Spieler in einer Fantasiewelt mit Monstern oder anderen Gegnern herum. Zur Belohnung erhält er gelegentlich Waffen und Schätze, aber vor allem Erfahrungspunkte. Hat er genügend Punkte gesammelt, kann er zur nächsten "Stufe" aufsteigen, was seine Spielereigenschaften wie Stärke, Geschicklichkeit, Zaubersprüche usw. verbessert.

Diese Stufensysteme tragen wesentlich zum Suchtfaktor von Rollenspielen bei; wer zwei Jahre gespielt hat, um seinen Magier auf Stufe 17 zu befördern, wird diesen Fantasie-Charakter ungern aufgeben. Der Siegeszug der Online-Rollenspiele hat zu so bizarren Phänomenen wie dem Verkauf virtueller Waffen und Rüstungen oder gar ganzer Charaktere über eBay geführt. Mitunter werden solche Games als "Heroinware" bezeichnet, Software, die süchtig macht. Die Rollenspiel-Parodie ProgressQuest spielt sich dagegen von ganz alleine: Der "Spieler" muss nur den Rechner laufen lassen und kann zuschauen, wie sein Charakter die nächste Stufe erklimmt; den Highscore erreicht, wer am längsten warten kann. Und sogar hier scheint der bizarre Effekt des Erfolgserlebnisses zu funktionieren: Über 50.000 Benutzer haben sich das Programm heruntergeladen, die Bestenlisten sind dominiert von "Spielern", welche die 79. oder 80. Stufe erklommen haben.

Ein solches Motivationssystem lässt sich natürlich auch zweckentfremden, und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Manager ihre Angestellten wie Rollenspiel-Charaktere behandeln. Bei Everything2 ist das Erfahrungssystem vermutlich einer der Hauptgründe für die große Menge von Texten im System. Das System ist komplex: Insgesamt gibt es derzeit 13 Stufen, vom Initianten (Stufe 1) über den Schriftgelehrten (Stufe 4), Mönch (Stufe 5), Seher (Stufe 8) und Archivar (Stufe 9) bis schließlich zum Pseudo-Gott (Stufe 12) und - etwas enttäuschend - zum Pedanten (Stufe 13).

Um zur nächsten Stufe aufzusteigen, benötigt man jeweils eine bestimmte Zahl von Write-Ups und eine bestimmte Zahl von Erfahrungspunkten. Für Stufe 2 benötigt man 25 Write-Ups, bei Stufe 5 sind es schon 250 und bei Stufe 10 1215. Das System belohnt also Quantität, wie sieht es mit Qualität aus? Erfahrungspunkte (XP) sammelt man ebenfalls durch das Schreiben von Artikeln. Außerdem gibt es ein Bewertungssystem, das Nutzer ab Stufe 2 verwenden können: Man kann einen Text dann mit Plus oder Minus beurteilen, hat aber pro Tag nur eine begrenzte Zahl von Stimmen zur Verfügung, die mit der Stufe ansteigt. Eine hohe Bewertung gibt einen XP-Bonus, während eine negative Bewertung zu einem Malus führt. Wer also ständig negativ bewertete Artikel schreibt, wird nicht zur nächsten Stufe aufsteigen können.

XP werden für eine Vielzahl von anderen Anlässen vergeben, wozu auch die Bewertung von Artikeln selbst gehört - damit soll ein Anreiz geschaffen werden, Artikel im System zu lesen und zu beurteilen und jeden Tag die maximale Zahl von Stimmen zu verbrauchen.

Ein Redakteur hat's schwer

XPs zu sammeln ist deutlich leichter als das Schreiben von Artikeln. Das liegt auch daran, dass nicht jeder Artikel im System verbleibt. Artikel mit einer sehr negativen Reputation werden von den Everything2-Redakteuren und "Göttern" überprüft und gegebenenfalls gelöscht. Diesen zwei Benutzergruppen gehören insgesamt über 50 User an. Sie gehen auch selbst auf die Suche nach Artikeln, die sie für unbrauchbar halten, und können diese willkürlich löschen. Zu löschende Artikel werden kurzzeitig auf der Node Row platziert (der Name lehnt sich an "Death Row" an) und nach spätestens 24 Stunden vom System gelöscht.

Die Kriterien, denen ein Artikel genügen muss, um nicht gelöscht zu werden, sind nicht klar definiert, es gibt lediglich Tipps. Neulinge werden von Anfang an gewarnt, damit rechnen zu müssen, dass ein Großteil ihrer Artikel im "Node Heaven" landen wird, solange sie sich noch nicht im System auskennen. Tatsächlich hat es viel mit den Machtstrukturen zu tun, was akzeptabel ist und was nicht: Ein Stufe-10-Benutzer kann sich zweifellos mehr erlauben als ein Neuling und hat eine hinreichende Machtbasis, um die Löschung seiner Artikel zu verhindern.

Die für registrierte Nutzer stets sichtbare E2-"Chatterbox" erlaubt das Austauschen von Nachrichten mit anderen Usern. Dabei wird zwischen privaten Nachrichten (oben) und öffentlichen (unten) unterschieden.

Außer der erwähnten Chat-Funktionalität sind Diskussionen unerwünscht: Innerhalb von Write-Ups soll nur begrenzt auf andere Write-Ups Bezug genommen werden; sogenannte "Getting to know you"-Nodes, in denen ein Nutzer andere nach ihrer Meinung oder ihren Erfahrungen fragt, werden unverzüglich gelöscht. Ganz anders als bei Wikipedia wird über die Texte selbst kaum geredet.

Wer jetzt glaubt, Everything2 sei aufgrund der rigiden Löschungen eine Sammlung hochqualitativer Informationen zu jedem Thema, könnte falscher nicht liegen. Im Gegensatz zu Wikipedia ist E2 ein Dschungel, eine Mega-Datenbank mit einem enorm hohen Rauschpegel. Ein Zufallstest fördert die folgenden Seiten zu Tage:

  1. Acht sogenannte "Nodeshells", leere Seiten, die mit Inhalten gefüllt werden können. Diese werden nicht gelöscht, aber trotzdem in Suchen aufgelistet und angezeigt, wenn man Links darauf folgt. Es gibt einige tausend Nodeshells, sie sind nicht Teil der oben zitierten Statistik.
  2. "Pleuritis", "Enshield", "Harddihead", "Dreadless" - Wortdefinitionen aus der 1913er Ausgabe des Webster Dictionary, Public Domain. Der komplette 1913er Webster wurde importiert.
  3. "Mit Out Sound", englische Filmterminologie für "ohne Ton"; Mini-Artikel.
  4. "Aeneid - Book Eight", klassischer Text von Virgil, aufgesplittet in verschiedene Nodes.
  5. "Cutler", angeblich ein Schlafsaal der Case Western Reserve University, wo, so erfahren wir, vornehmlich das Ballerspiel Quake gespielt wird.
  6. "Jeffrey Falcon", ein "cooler" Schauspieler, der in einem Apokalypse-Film mitspielte, in dem auch eine "coole" Band auftrat (zwei Sätze)
  7. "Sana Kurata", ein Charakter aus Kodomo no Omocha, einem Anime, wie wir durch einen Klick erfahren. Fünf kurze Sätze im Stil von "She makes music, mostly silly little rap songs about whatever is on her mind at the moment".
  8. Protein folding errors: Alzheimer's, Mad Cow, and Cystic Fibrosis, ein locker geschriebener, längerer Text über die Beziehung zwischen Proteinfaltung und bestimmten Krankheiten, der jedoch keine konkreten Forschungsergebnisse zitiert.
  9. Troglodyte kidneys measure your eyes in sardonic spasms, typische E2-Prosa, die entstanden ist, weil irgend jemand auf diese Phrase einen Link gesetzt hat, und jemand anders es für eine gute Idee hielt, einen Text darüber zu schreiben. "Some might say it's my fault for being so naive and so willing to accept the love she seemed to offer me. But they weren't there. They didn't have to looking into those beautiful haunting eyes." Et cetera.
  10. "Fry's Electronics plushie". Meinung des Autors über eine eine Serie von Plüschpuppen, die offenbar vom US-Elektronikhändler "Fry's" vertrieben wird.
  11. "Bleen", fiktive Farbe, die auf Nelson Goodman zurückgeht.
  12. Complete game, Baseball-Terminologie, verhältnismäßig ausführlich.
  13. The Tale of Tom Kitten, Public-Domain-Text der Dichterin Beatrix Potter.
  14. "Lur", über ein Musikinstrument aus vorchristlicher Zeit, mit einem Kommentar des Autors, der sich darüber wundert, dass der Ein-Absatz-Text eine negative Bewertung bekommen hat.
  15. Cigarettes are addictive, drei Texte, fast ausschließlich Meinung (für oder gegen Tabakkonsum), der erste glaubt, die meisten Raucher könnten aufhören, der zweite Text zitiert als Gegenbeleg einen unspezifizierten "Report" und verweist auf eine NIH-Pressemitteilung zum Thema, der dritte ergießt sich in Metaphern über Anti-Drogenkampagnen.

Abgesehen von "Lur" und "Bleen" würde wohl keiner dieser Texte Eingang in eine klassische Enzyklopädie finden, und der Artikel über "Lur" in Wikipedia ist dem E2-Äquivalent deutlich überlegen. Der Wikipedia-Text über Bleen zitiert im Gegensatz zum E2-Gegenstück auch die Arbeit, in der dieses Wort geprägt wurde.

Traumland

Wie wir gesehen haben, sind viele E2-Artikel Fiktion, Meinung oder purer Nonsens. Für jeden Tag gibt es außerdem ein sogenanntes "Day Log" (Beispiel: 21. Mai 2003), in dem Nutzer ihr Online-Tagebuch führen können. Daneben gibt es auch ein "Dream Log", wo Nutzer ihre Träume aufzeichnen können (Beispiel).

Es wäre falsch, aus diesem Wust an persönlichen Aufzeichnungen zu schließen, es befänden sich keine enzyklopädischen Informationen auf E2. Das System macht es jedoch nicht besonders leicht, diese Texte zu finden. Eine Kategorisierung findet nur nach "Person", "Place", "Idea" und "Thing" statt, Oberverzeichnisse gibt es kaum. Und all die Bewertungen nützen nicht viel, da sie für den Normalbenutzer unsichtbar sind. Selbst wenn man sich registriert hat, kann man die Bewertung eines Artikels erst einsehen, wenn man selbst eine abgegeben hat. Die einzigen offen sichtbaren Bewertungen sind die sogenannten "Chings" oder "Cools", das sind besondere Auszeichnungen, die Nutzer höherer Stufen, Redakteure und Götter vergeben können. Doch diese sind so häufig, dass sie wenig hilfreich sind; auch einige der oben zitierten Texte sind "gecoolt" worden.

Bleibt noch die direkte Suche. Was taugt E2, wenn man nach konkreten Fakteninformationen sucht? Beispiel Homöopathie (Homeopathy): Der entsprechende E2-Node besteht aus sechs Write-Ups, die der Leser für sich zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenfügen muss. Der erste Text ist eine Mini-Zusammenfassung, der zweite erwähnt pro-homöopathische Forschungen zum "Gedächtnis des Wassers", der dritte bezeichnet die Idee als Quatsch und verweist auf die extreme Verdünnung der "Wirksubstanz", der vierte ist ein längerer pro-homöopathischer Text, der seine Haltung damit begründet, ein Placebo könne ja keinen Schaden anrichten und einige Homöopathie-freundliche Websites auflistet (in kleiner Schrift, damit sich niemand über die externen Links beschwert), der fünfte erklärt schließlich mathematisch, warum Homöopathie nicht funktionieren kann, und der sechste ist wieder einmal eine 1913-Webster-Definition (Homöopathie stammt ja aus dem 19. Jahrhundert).

Ähnlich sieht es bei fast allen kontroversen Themen aus. Über "Abortion" gibt es 15 Einträge, die vom Gedicht bis zum ausführlichen philosophischen Essay reichen. Der Text über "Spanking" (das Verhauen des Hinterteils, was in den USA gerne zur "Disziplinierung" von Kindern praktiziert wird, in einigen Bundesstaaten auch noch in Schulen) besteht dagegen aus zwei Benutzereinträgen, von denen der erste Spanking deutlich befürwortet (es gäbe weniger "verwöhnte Gören", wenn Schulen noch ordentlich den Kindern den Hintern versohlen würden; er selbst habe noch vernarbte Haut von einer seiner heftigsten Bestrafungen) und der andere das Thema Kinderbestrafung nur kurz behandelt und sich dann ausführlich über Spanking als Praxis unter Sado-Masochisten auslässt.

Viele Noder tragen in E2 ihre Hausaufgaben ein, so dass man mitunter komplette Essays mit Fußnoten findet (Beispiel: Frankenstein). Die meisten E2-Artikel behandeln jedoch nur einen Teil des jeweiligen Themas und überlassen es anderen Autoren, den Rest zu ergänzen.

Everything but an encyclopedia

Während bei Wikipedia die NPOV-Doktrin (vgl. Alle gegen Brockhaus) dazu führt, dass unterschiedliche Meinungen zu einem Artikel vereint werden und ein Text nicht den Schwerpunkt auf einen bloßen Teilaspekt eines Themas legen darf, gibt es bei E2 kein Neutralitätsgebot. Zweifellos haben die "Noder" Spaß am Schreiben, ob für den Leser aber etwas Brauchbares übrig bleibt, ist von Text zu Text unterschiedlich.

E2 wird niemals eine Enzyklopädie sein, sondern stets nur eine Sammlung von unterschiedlichen Informations-Häppchen über bestimmte Themen. Einzelne Texte mögen es wert sein, referenziert zu werden - sicherlich ist E2 eine gute Quelle für TV-Episodenlisten, Technik-Terminologie und dergleichen. Und wer an Lyrik und Prosa interessiert ist, findet dort täglich neue Inspiration. Als Community ist E2 nur begrenzt zu verstehen, da Diskussionen innerhalb der Nodes rigoros unterbunden werden. Sogar im Chat taucht ab und zu der "Everything Death Borg" auf, der Benutzer rausschmeißt, wenn sie nach Meinung eines der E2-Götter etwas Unangemessenes gesagt haben. Das kann schon einfache Kritik an E2 selbst sein oder die Bitte, einen bestimmten Node anzuschauen.

Das System mit seinen zahlreichen Ebenen, Räumen und Machtstrukturen erinnert stark an Slashdot selbst, wo mit massivsten Moderations-Maßnahmen, Filtern und Bewertungssystemen gegen Trolle und andere unerwünschte Gäste gekämpft wird. Die Macher verstehen sich als Autorität, deren Regeln Folge geleistet werden muss - sonst folgen Konsequenzen. Während bei Wikipedia eine produktive Anarchie "herrscht" und lediglich ab und zu Eigner Jimbo Wales eine Entscheidung verkündet, gibt es bei E2 täglich willkürliche Löschungen, Beförderungen, Herabsetzungen und Drohungen. Alles dreht sich um den Einsatz und den Erwerb von Macht über andere Nutzer. Wer nicht genügend Write-Ups produziert, hat weniger Privilegien und verdient weniger Respekt.

Trotz der Bewertungen geht Quantität vor Qualität. Erst im März 2002 wurde ein komplexes System namens Honor Roll eingeführt, das es Benutzern mit Artikeln sehr hoher Bewertung erlaubt, auch mit weniger Write-Ups zur nächsten Stufe aufzusteigen. Doch lange Artikel mit vielen Fakten und Quellenangaben genießen nicht unbedingt eine hohe Reputation. Es ist zwar nicht möglich, ohne selbst abzustimmen, die Bewertung eines Artikels einzusehen; man kann sich jedoch die Artikel eines einzelnen Benutzers nach Bewertung sortiert anzeigen. In vielen Fällen sind das humorvolle und emotionale Texte, ungewöhnliche Fakten und Anleitungen wie How to win a knife fight. Und selbst Biographien oder beschreibende Texte sind oft nicht enzyklopädisch, sondern streng subjektiv gefasst. Was bei Wikipedia als Patzer gilt - Einschübe wie "bin mir nicht sicher" - ist bei Everything2 die Norm.

Klar: Würde der große Enzyklopädist Denis Diderot heute leben, würde er die Wikipedia als Volksenzyklopädie dem chaotischen Datenhaufen von Everything2 vorziehen. Doch sein Traumtagebuch würde er dort nicht führen können.

Auntie und die Anhalter

"Weit draußen in den unerforschten Einöden eines total aus der Mode gekommenen Ausläufers des westlichen Spiralarms der Galaxis leuchtet unbeachtet eine kleine gelbe Sonne. Um sie kreist in einer Entfernung von ungefähr achtundneunzig Millionen Meilen ein absolut unbedeutender, kleiner blaugrüner Planet, dessen vom Affen stammende Bioformen so erstaunlich primitiv sind, dass sie Digitaluhren noch immer für eine unwahrscheinlich tolle Erfindung halten."

So beginnt das Kultbuch "Per Anhalter durch die Galaxis" des britischen Autors Douglas Adams, erstes in einer Serie von fünf. Adams, der im Mai 2001 im Alter von nur 49 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, hatte schon lange vor Wikipedia die Vision einer offenen, von Nutzern verfassten Enzyklopädie.

Douglas Noel Adams ("DNA") ist Autor der Serie "Per Anhalter durch die Galaxis" und Initiator des H2G2-Projekts. Im Mai 2001 starb er völlig unerwartet, das Projekt ist seitdem in fester Hand der BBC.

In seiner Buchserie ist "Per Anhalter durch die Galaxis" auch der Titel einer Mischung aus Lexikon und Lifestyle-Magazin, das über die besten Drinks im Universum ebenso informiert wie über beinahe alle Planeten und ihre Bewohner (der Eintrag über die Erde begnügt sich mit den zwei Worten "größtenteils harmlos"). Doch der größte Vorteil des "Anhalters" ist der auf dem E-Book in großer, freundlicher Schrift aufgedruckte Text "Keine Panik". Dieser Schriftzug ziert auch die Startseite von H2G2. H2G2 steht für "Hitchhiker's Guide to the Galaxy" (zweimal H, zweimal G), der englische Originaltitel der Serie. Realisiert wurde die Website von Adams' Firma "The Digital Village"; aus Kostengründen wurde sie noch vor Adams' Tod im Februar 2001 von der BBC übernommen, die sich damit einen Image-Zugewinn erhoffte. "Auntie" BBC hatte in den 1970ern schon die Radioserie, auf der Adams' Bücher beruhen, finanziert.

Wie bei Everything2 muss man sich auch bei H2G2 zunächst registrieren, wenn man mitschreiben möchte. Dabei muss man die BBC House Rules akzeptieren, in denen unter anderem festgelegt ist, dass Englisch die einzige erlaubte Sprache ist. Artikel werden entweder als einfacher Text verfasst (wobei es einige wenige Formatierungs-Tricks für Links und dergleichen gibt) oder in der auf XML basierenden GuideML-Syntax.

Unterschieden wird bei H2G2 zwischen der offenen und der redigierten "Guide". Um in der offenen Version zu bleiben, muss ein Artikel nur der Hausordnung genügen, die redigierte Version ist dagegen strengen redaktionellen Kontrollen unterworfen. Artikel, die diese Qualitätskontrolle durchlaufen haben, werden auf der Hauptseite von H2G2 hervorgehoben und im Kategorienverzeichnis aufgelistet. Dazu müssen sie zunächst von anderen Autoren in einem Peer-Review-Prozess kommentiert und beurteilt werden, anschließend kümmern sich sogenannte "Sub-Editors", unbezahlte Freiwillige, darum, den Artikel nachzubearbeiten, die besten Einträge werden schließlich von "Scouts" an das H2G2-Team weiterempfohlen, das ggf. letzte Korrekturen vornimmt und den Artikel dann in die redigierte Version der "Guide" aufnimmt.

Jeder registrierte Leser kann Artikel für die Peer-Review-Phase vorschlagen, so dass es einen stetigen Fluss von Artikeln aus dem offenen Bereich in die redigierte Fassung gibt. Artikel, die alle Phasen durchlaufen haben, können jedoch von ihren Autoren nur noch schwer aktualisiert werden, was einer der Hauptkritikpunkte am derzeitigen System ist.

Ansonsten funktioniert H2G2 erstaunlich gut. Der offene Bereich erinnert ein wenig an Everything2; einzelne Artikel sind aber deutlich weniger intensiv verlinkt und häufig sogar völlig linkfrei. Die Qualitätskontrolle funktioniert dagegen wesentlich besser als bei E2, die in drei Hauptkategorien ("Life", "The Universe", "Everything", nach dem Titel des dritten Teils der Buchreihe) und zahlreichen Unterkategorien angeordneten redigierten Artikel sind meist von mittlerer Länge und von einheitlich hoher Qualität. Der Stil ist nicht unbedingt enzyklopädisch, sondern wie beim Romanvorbild häufig eher locker und humorvoll; zu Beginn des Projekts wollte jeder gerne wie Douglas Adams schreiben, doch mittlerweile hat sich ein etwas seriöserer Stil etabliert. Über 5.000 Einträge finden sich bereits in der redigierten Guide, was angesichts der starken Qualitätskontrolle ein recht stattliches Ergebnis ist.

Wie sieht es mit einzelnen Artikeln aus? Der redigierte H2G2-Artikel über Homöopathie ist eindeutig "A Sceptical View" betitelt und hinterfragt die Praxis in etwa 24000 Zeichen ausführlich. Der entsprechende Wikipedia-Text ist etwa genauso lang, vertritt aber den gewohnten neutralen Standpunkt, was in diesem Fall vielleicht nicht unbedingt vorzuziehen ist.

Viele Artikel in H2G2 sind aber tatsächlich eher Reiseführer-Material; in der Kategorie London findet man z.B. Reisen in London, Billige Haarschnitte in London, Cockney Rhyming Slang, Der ultimative Führer für den Londoner Untergrund usw. Dafür gibt es weit weniger typische Enzyklopädie-Artikel, so z.B. nur uneditierte Texte über Judaismus und George Bush, letzterer lautet zur Zeit so: "I'd hate to be called George Bush, it's like being called George Muff, George Fuzz or George Slice of Hairy Pie." Nonsens dieser Art würde natürlich nie den Weg in die redigierte Fassung finden.

H2G2 ist eine interessante Sammlung von Lifestyle-Artikeln und Texten über ungewöhnliche Themen, aber noch keine allgemeine Enzyklopädie. Außerdem ist es auch und vor allem eine Community: Jedem Artikel ist ein Diskussionsforum angefügt, daneben gibt es noch offene Foren zu diversen Themen und sogar die kleine Community-Zeitschrift The Post. Auch in dieser Hinsicht unterscheidet sich H2G2 von Wikipedia, wo Diskussionen meist spröde und sachbezogen sind.

Als Projekt unter der Schirmherrschaft der BBC ist H2G2 auch deren redaktioneller Kontrolle unterworfen. So wurden zum Beispiel während der britischen Parlamentswahl 2001 "heavy politics" in Kommentaren strikt untersagt, bestimmte Benutzernamen wie "OBL" (Osama Bin Laden) während des Afghanistan-Kriegs verboten, Diskussionen zu "problematischen" Themen wie dem Kinderporno-Skandal um Peter Townshend zensiert und Kommentare und Artikel über den Irak-Krieg komplett gelöscht (siehe H2G2 Announcements, wo sich die entsprechende Ankündigung derzeit noch findet). Erst am 24. April wurde die Regel aufgehoben, und bis heute findet sich kein Artikel über den Krieg in der redigierten "Guide". Offenbar möchte die BBC nicht mit politisch zu brisanten Texten assoziiert sein, was das Projekt für seriöse enzyklopädische Arbeit wenig brauchbar macht.

Nicht zuletzt solche Zensurmaßnahmen sind es, die viele ehemalige Fans zu Wikipedia treiben. So z.B. Martin Harper, der einen eigenen Guide for H2G2 Researchers geschrieben hat. Wer es über Monate nicht geschafft hat, seinen H2G2-Artikel zu aktualisieren, dürfte von der Schnelligkeit des Wiki-Prinzips beeindruckt sein.

Störend fällt bei H2G2 eine generelle Trägheit der Site auf. Das liegt zum einen am unnötig komplexen Layout, zum anderen an der sehr langsamen Volltextsuche. Mit Performance-Problemen haben fast alle Projekte dieser Art zu tun: Da praktisch alle Seiten dynamisch generiert werden und sich häufig ändern, sind die Software- und Hardware-Anforderungen nicht zu unterschätzen.

Fazit

Wikipedia ist und bleibt das interessanteste Projekt in der Kategorie "kollaboratives Schreiben". Weder H2G2 noch Everything2 sind "Open Content" - Einträge gehören den Autoren und dürfen außerhalb dieser Systeme ohne explizite Erlaubnis nicht weiter verwendet werden. Wenn BBC H2G2 einstellt oder damit anfängt, rigoros Einträge zu löschen, gibt es für die "Researcher" keine Ausweichplattform, kein Datenpaket zum Download, das es ihnen erlauben würde, ihren eigenen Ableger ins Leben zu rufen. Bei Everything2 ist zwar die Software frei verfügbar, aber für die Inhalte gilt das gleiche. Jeder kann dagegen den gesamten Text aller Revisionen der Wikipedia-Artikel herunterladen und für eigene Zwecke weiterverwenden.

Abgesehen davon überzeugt das Prinzip des gemeinsamen Bearbeitens - in der Tendenz sind Wikipedia-Artikel ausgeglichener und stilistisch einheitlicher als solche in H2G2 (nur redaktionelle Nachbearbeitung) und Everything2 (keinerlei Bearbeitung außer durch den Autor selbst). Redigierte H2G2-Texte haben dafür den Stempel der Autorität - ob dieser Stempel verdient ist, sei dahingestellt, denn die "Sub-Editoren", die einen Text nachbearbeiten, werden mehr oder weniger zufällig zugeordnet und verstehen oft nichts von dem jeweiligen Thema, es sind eher Korrekturleser als Faktenprüfer.

Langfristig kann man hoffen, dass hochwertigeres Material aus E2 und H2G2 von den jeweiligen Autoren nach Wikipedia portiert wird, was bereits zu einem gewissen Grad geschieht: Nutzer beider Communities wandern zur freien Enzyklopädie ab. Spin-Off-Projekte wie Disinfopedia dagegen haben von Anfang an eine Open-Content-Lizenz gewählt und ermöglichen so den freien Datenaustausch.

Insgesamt ist es beeindruckend, welche Menge an teilweise beeindruckend nützlichen Inhalten von Freiwilligen kostenlos in die verschiedenen Wissensdatenbanken eingespeist wird. "Das Web ist ein Werkzeug, das es denjenigen, die ein Leben haben, erlaubt, von der Arbeit derjenigen, die keines haben, zu profitieren", schreibt Geoffrey Nunberg zynisch in der New York Times. Tatsächlich sind Online-Communities, ob Rollenspiel oder Wissensdatenbank, oftmals sehr zeitintensive Hobbies. Ob es aber im Sinne eines erfüllten Lebens ergiebiger ist, Wissen in eine freie Datenbank einzutragen oder sich einen neuen Hollywood-Film im Kino anzuschauen, sei dahingestellt. Aus Nunbergs Zitat spricht die klassische Verächtlichkeit gegenüber den "Geeks", die sich auf merkwürdigen Websites tummeln, statt "normalen" Hobbies nachzugehen. Wie beim Phänomen der Weblogs ist es aber vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis auch Oma Meier ihre Strickmuster in einer offenen Wissensdatenbank einträgt.

Erik Möller ist einer der Autoren der englischen Wikipedia und Mitentwickler der Wikipedia-Software "Phase III". Auf Everything2 hat er gerade einmal Stufe 3 ("Messdiener") erreicht, immerhin aber den essenziellen Node "Alternatives to Everything2" verfasst.