Die Achse der Blöden
Die deutsche Linke und der Nahost-Konflikt
Es ist schon eine wahre Wonne derzeit. Man schaltet den Fernseher an und beobachtet Ostermarschierer bei der Flankierung von Palästinenserdemos, auf denen mit rein friedlichen Mitteln die Vernichtung des Staates Israel angemahnt wird. Dabei sind schon einmal Plakate zu sehen, auf denen zu lesen steht: "Deutsche, schüttelt eure Vergangenheit ab! Die Israelis sind keine Opfer!" Sechzehnjährige Politstrategen beurteilen auf der Straße und in allen passenden und unpassenden Internetforen den israelischen Panzereinsatz von rein moralischen und moralisch reinen Standpunkten aus, weil sie nämlich die Selbstmordattentäter mit einem Gänseblümchen von ihrem Tun abhalten würden. Derweil unterschreiben die sogenannten Antideutschen jeden ihrer Texte auf indymedia.de mit "Lang lebe Israel!" oder noch besser mit dem Präventiv-Superlativ: "Am längsten lebe Israel!"
Als hätte die Welt gerade darauf gewartet: Deutsche, die sich als die besseren israelischen Patrioten aufführen. In einem akuten Anfall politischer Amnesie erteilen die Antideutschen nicht nur der Politik Sharons, sondern auch derjenigen Bushs, und im gleichen Aufwasch auch dem ganzen Kapitalismus die Absolution. Sie nennen sich Kommunisten, aber das würde man ihren Texten kaum anmerken.
Was ist eigentlich hier los? Es wirkt, als ginge es ernsthaft ums heilige Land, die Auseinandersetzung hat den Charakter eines extrem harten Wahlkampfs zu einer nicht stattfindenden Wahl. Ist das überhaupt ein politischer Konflikt, der ja immerhin noch die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns bergen würde, oder konstituiert sich hier nur eine Achse der Blöden, die von Ramallah bis Rödelheim reicht, und problemlos über Berlin und die bahamas bis Washington verlängert werden könnte?
Eigentlich ist es ja total fruchtlos, sich mit dem Nahost-Konflikt zu beschäftigen. Erstens hat er mittlerweile seine Unlösbarkeit zur Genüge bewiesen. Zweitens meinen nicht nur Autoren wie Henryk M. Broder, dass er in den Medien in einem geradezu grotesken Missverhältnis zu seiner eigentlichen Bedeutung präsent ist, und unter anderem dadurch die hysterische Wichtigkeit erhält, die ihn so gefährlich macht. Aber die Deutschen lieben den Nahost-Konflikt heiß und innig, sie scheinen ihn zu brauchen. Der Verdacht liegt nahe, der Nahost-Konflikt sei für die Deutschen, vor allem jene, die sich als links verstehen, ein ideales Projektionsfeld, ein politisches Labor, ein gehegter Ziergarten der Bekenntnisse. Dabei scheint die Faustregel zu gelten: je weniger Überblick, desto eindeutiger die Positionierung, je geringer die Bereitschaft, Widersprüche (und Widerspruch) zu ertragen, desto felsenfester die Solidarität.
Die neuen und die alten, die naiven wie die berechnenden Berufspalästinenser fahren dabei einen Unfug auf, den überhaupt wahrzunehmen schon an Selbstverletzung grenzt. Harmlos noch die treuherzige Hoffnung, die sofortige Etablierung eines palästinensischen Staates verspreche den sofortigen Frieden. Genehm verdrängt man die Zustände, die schon bisher unter der palästinensichen Autonomiebehörde geherrscht haben, von den glaubhaften Schwüren der islamistischen Radikalen, alle Juden vertreiben oder töten zu wollen, einmal ganz abgesehen.
Beinahe rührend die schon an Altersstarrsinn grenzende Entschlossenheit einer bestimmten Sorte von Antiimperialisten, die in den militanten Palästinensern immer noch so etwas wie eine Avantgarde des weltweiten Befreiungskampfs sehen wollen, eine Haltung, die seit Ende der Sechziger bei jeder Krise im Nahen Osten immer neu an Aktualität gewinnt.
Die ständigen Vergleiche Israels mit dem Naziregime, das pausenlose Moralisieren über Scharons Verhalten (und die implizite Gleichsetzung aller Israelis mit Scharon), die naiven wie eiskalten Versuche, echte oder halluzinierte israelische Menschenrechtsverletzungen als Lösemittel für die deutsche Geschichte zu benutzen, die eindeutige Identifizierung "der" Palästinenser als der "edlen, schutzlosen Opfer", macht deutlich, dass es hier um regressive Idealisierungen und Dämonisierungen geht. Jean Améry sagte einmal, der Antisemitismus sei im Anti-Zionismus versteckt wie das "Gewitter in der Wolke", und die Geschwindigkeit, mit der er sich immer wieder am Nahost-Konflikt auflädt, lässt tatsächlich vermuten, dass er ein Kernbestandteil der noch vor kurzem so heftig diskutierten deutschen Leitkultur ist - auch und gerade bei der Linken.
Beunruhigend ist dabei das stille (und manchmal gar nicht so stille) Einverständnis der linken Antizionisten mit einem happigen Anteil des gesellschaftlichen Mainstreams, der "Ist-doch-wahr-Gesellschaft", die den Reden eines Martin Walser so herzhaften Applaus spendet, und erfreut darüber aufatmet, dass "die Juden ja auch nicht so ohne sind", siehe den den Nahen Osten. Die seltsamen Querfronten, die hier mittlerweile an der Tagesordnung sind, hat man so lange nicht gesehen. Sogar, dass Neonazis die eigentlich linke PFLP toll finden, weil auch die natürlich mit Israel Schluss machen will, ficht die linken Vorkämpfer für die Rechte der Palästinenser nicht an.
Das andere Extrem des Gezerres stellen die "Antideutschen Kommunisten" dar, oder jedenfalls ihre neueren Wortführer. Auf den ersten Blick wirken sie viel verträglicher als ihre Gegenspieler. Sie haben immerhin eine Analyse zu bieten und sind hier und da auch geneigt, über ihre Ansichten zu diskutieren. Sie haben schlicht und ergreifend oft Recht. Um so verblüffender ist die Weigerung der Antideutschen, sich mit den scheunentorgroßen Löchern in ihrer Theorie auseinanderzusetzen. Selbst wenn man die israelische Politik nach Oslo für eine rationale und vertretbare Antwort auf den Konflikt hält, wenn man Israel als die einzige parlamentarische Demokratie im Nahen Osten verteidigt, wenn man sich über die ständige Zunahme der palästinensischen Vertriebenen wundert, was so deutlich an die deutsche Vertriebenenszene erinnert, wird man doch wohl kaum leugnen können, dass es auf der palästinensischen Seite massenhaft echtes Leid gibt, das direkt oder indirekt auf Handlungen von Israelis zurückzuführen ist.
Vollends wird deutlich, dass es auch hier um regressive Idealisierungen und Dämonisierungen geht, wenn man sich anschaut, wie im Handumdrehen aus den Aktionen der USA im Zusammenhang mit 9-11 ein gerechter Krieg um Frieden, Freiheit und Demokratie gemacht wird; wie man die völlig berechtigte Kritik an völkischen und antisemitischen Ideologemen innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung zu einer unterschiedlosen Verdammung der Globalisierungskritik insgesamt überdehnt, und wie das Abendland und die neue Welt unterm Strich doch als die besseren, die zivilisatorischen, die lichtbringenden Teile der Welt gewertet werden - Positionen, die der hochtrabenden Rhetorik von Bush und Berlusconi nicht allzu fern liegen.
Besonders ironisch ist in diesem Zusammenhang der Versuch einiger Antideutscher, Adorno zu ihrem Kronzeugen umzufunktionieren. Es gibt kaum einen Theoretiker, der mehr Zeit darauf verwandt hat, die innere Maschinerie des Spätkapitalismus ideologiekritisch zu durchleuchten und der sich weniger als Apologet des American dream eignet. Über eine Formulierung wie die folgende - "Wäre im gegenwärtigen Konflikt die Verteidigung der westlichen Zivilisation und des ihr immanenten Glücksversprechens von Emanzipation und Wohlstand nicht die Voraussetzung dafür, eben dieses in kommunistischer Absicht gegen die kapitalistischen Verhältnisse selbst zu wenden und damit auch ihre barbarische Kehrseite, den Antisemitismus jedweder Provenienz, perspektivisch durch Revolution zu beseitigen?" - hätte Adorno herzlich gelacht, denn er hoffte erstens nicht auf den Kapitalismus und zweitens nicht auf die Revolution.
Angesichts ihres kurzschlusshaften Denkens wirken die überspannten Versuche der Antideutschen, wenigstens im Diskurs (oder in der Schlammschlacht) mit ihren Gegnern die Überhand zu behalten, wenig überzeugend. Der linke Beißkrampf entpuppt sich in seiner Gesamtheit als ein Spiegel der gegenwärtigen regierungsamtlichen Gschaftlhuberei, die ausgerechnet die Deutschen als ehrliche Makler im Nahen Osten positionieren will. Man darf gespannt sein, wie sich dieser innerlinke Konflikt weiterentwickelt. Die unsägliche Debatte auf indymedia.de lässt jedenfalls für den kommenden 1. Mai in Berlin, der schon aus anderen Gründen wie ein geplantes Desaster wirkt, das Schlimmste befürchten.